Angst und Politik. Sozialpsychologische Betrachtungen zum Umgang mit Bedrohungen

Noch vor gut einem Jahr wäre möglicherweise die Angst vor einem Atomkrieg als Hyperangst-Phänomen bezeichnet worden. Mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und die Drohung des Putin-Regimes im Notfall Nuklearwaffen einzusetzen, hat diese Angst reale Grundlegungen erfahren.

Angesichts dieser Entwicklungen ist das neue Buch von Klaus Ottomeyer von kaum zu übertreffender Aktualität. Aber nicht nur um diese Angst vor einem Atomkrieg geht es Ottomeyer. Es geht ihm um die Wechselwirkung von Angst und Politik, um jene, die Ängste haben, um die unterschiedliche Art von Ängsten und deren politische Relevanz. Und es geht um jene, die Angst machen oder Ängste verleugnen, darunter jene, die ostentative Angstfreiheit als Stärke inszenieren, sie ausblenden oder bagatellisieren, sie politisch missbrauchen. Es geht um Angstmacher:innen und die Geringschätzung von Geängstigten, aber auch um die Fähigkeit durch Angst nicht handlungsunfähig zu werden, sondern Ängste solidarisch und kollektiv so zu verarbeiten, dass daraus Kraft und Fähigkeiten zur Beseitigung ihrer Ursachen erwächst – also Wege aus der Angst.

Ängste können verschiedene Ursachen haben und diese werden von Ottomeyer ausführlich benannt und als Wellen der Angst in ihren historischen Kontexten dargestellt. Neben der Angst vor dem Atomkrieg gibt es die Angst vor Klimakatastrophe, Krankheiten wie AIDS oder COVID-19, vor Krieg und Bürgerkriegen, Terror und Mord, vor Geflüchteten, vor dem was fremd ist, während das Vertraute zerbröckelt, vor Identitätsverlust, vor dem Verlust von Männlichkeit. Dabei verweist Ottomeyer auf ganz unterschiedliche Qualität von Ängsten, die handlungslähmend wirken können, aber auch solidarisch-konstruktiv.

Zur Beantwortung der Frage, welche Ängste mit welchen Wirkungen bzw. Handlungsoptionen verbunden sein können, stützt sich Ottomeyer auf das Konzept der Unterscheidung von Realangst von Siegmund Freud – einer Angst, die sich auf Erfahrungen von Vergangenheit stützt und Zukunftsdenken einschließt, auf Neurotische Angst und auf Gewissensangst.

Diese Unterscheidung ermöglicht es Ottomeyer tiefergehend den rechtspopulistischen und rechtsextremen Angstmissbrauch aufzudecken und die Dynamiken zu beschreiben, deren Missbrauch sich bereits bei den schleichenden, zunächst eher stilleren Varianten der Angst – der Sorge aufzeigen lässt. Aus der berechtigten Sorge – wird der besorgte Bürger, dessen als Sorge ummantelte Fremdenfeindlichkeit Tabubrüche möglich macht und so die Schwellen des Akzeptablen verrücken lässt.

Dass sich „domestizierte“ Angst und nicht mehr „Angst vor der Angst“ als handlungsweisend gestalten kann, beschrieb bereits 2012 Horst Eberhard Richter (Patient Familie. Entstehung, Struktur und Therapie von Konflikten in Ehe und Familie), dessen Konzept Ottomeyer aufgreift und kritisch würdigt. Demnach kann Angst auch grundsätzlich sowohl als funktionierende Emotion als auch emotionale Praxis fungieren– die Friedensbewegung der 1980er Jahre z.B. beruhte auf einem positiven Angstverständnis.

Der Angst vor Identitätsverlust ist ein gesondertes Kapitel gewidmet. Es stützt sich theoretisch zunächst auf Erik H. Erikson, der als Psychologe und Soziologe diese Annahme mit der Idee von Emanzipation und Selbstreflektion verbindet – ein Konzept das von rechten Gruppen durch Gleichsetzung von Identität mit ethnischer Identität und Zugehörigkeit zu einer Großgruppe, als dominierende, einzig zählende Identität – als Antwort auf gesellschaftlich aufgespaltene Identitäten komplexer Gesellschaften und Spannungsfelder, in denen sich der moderne Mensch zwischen sozialer und persönlicher Identität bewegen muss „gekapert und gnadenlos vereinfacht und verfälscht“ wurde. Ottomeyer verweist darauf, dass gerade das Verhältnis von verinnerlichter Selbst-Anerkennung und gesellschaftlicher Anerkennung als bedeutsam anzusehen ist, und der stärkste Schutz gegen rechtsextreme Vereinnahmung dann gegeben ist, wenn Selbstachtung und gesellschaftliche Anerkennung zusammenfallen. Dort wo dies nicht gegeben ist, wo soziale, kulturelle Identität versagt wird, bisherige Lebensweisen und Lebenswelten hinterfragt werden oder angesichts gesellschaftlicher Umbrüche an Bedeutung verlieren, abgewertet werden, wachsen verschiedenste Ängste, bis zu den individuellen Ängsten.

Einer vertiefenden psychoanalytischen Betrachtung unterzieht Ottomeyer am Beispiel der Analyse der Flüchtlingskrise und des Rechtspopulismus in Bezug auf die drei großen Ängste der Menschen nach dem Freud’schen Modell: die Realangst, die neurotische Angst und die Gewissensangst. Was machen diese Ängste mit Menschen und unter welchen Bedingungen befördern sie welche Handlungsweisen und werden politisch wirksam?

Wenn z.B. die Realangst vor dem Klimawandel verleugnet, bagatellisiert, missbraucht wird, wird es schwieriger, gegen diesen vorzugehen. Zugleich verweist Ottomeyer auf den Zusammenhang, dass alle flüchtlingsfeindlichen und Rechten Bewegungen den Klimawandel leugnen, den Kampf gegen Umweltzerstörung abwerten, eben weil aus rechtspopulistischer und rechtsextremer Perspektive größte Gefahr von den Geflüchteten ausgeht – eine Gefahr, bei der sich neurotische Angst vor dem Fremden, den anderen mobilisieren und missbrauchen lässt.

Bei „Angst und Politik“ handelt es sich um ein vielseitiges Fach- und Aufklärungsbuch, in dem auch persönliche Reflektionen und Erfahrungen des Autors selbst kritisch hinterfragt werden und so die Möglichkeit für neue Entwicklungen bieten. Ottomeyer geht es nicht darum, Ängste abschaffen zu wollen, oder um eine Quantisierung und Wertung der Ängste, sondern um die Frage, welche Ängste durch was und durch wen mobilisiert werden. Ängste an sich sind nicht das Problem, jedoch ihre Leugnung, Verdrängung, Verschiebung und vor allem ihr Missbrauch.

Angst und Politik. Sozialpsychologische Betrachtungen zum Umgang mit Bedrohungen
Verlag: Psychosozial-Verlag
Februar 2022 / 268 Seiten
ISBN-13: 978-3-8379-3146-4


Klaus Ottomeyer ist Psychologe, Psychoanalytiker, Traumatologe, Ethnopsychoanalytiker sowie Professor im Ruhestand der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Als Soziologe untersuchte er viele Gesellschaftliche Phänomene, wie auch das Phänomen Jörg Haider. Als einer der profiliertesten Haider-Kenner, hat er bereits mehrere Publikationen über ihn, seine Fans und der Urangst vor der eigenen gemischt-ethnischen Identität veröffentlicht, was ihm vom rechten politischen Spektrum bis heute nachgetragen wird.