Vor 100 Jahren begann die Aushöhlung der Warenproduktion. Heute sind Markt und Konsumtion durch Unternehmen manipuliert. Keine Kartellgesetzgebung kann der Marktmacht der der größten Kapitale etwas anhaben. Der Markt stimuliert heute nicht vorrangig die Effektivität, sondern dient als Schirm des die Welt in die Sackgasse führenden Modells der Involution. Wir sind gefangen in einem Spinnennetz, in dem die Unternehmensspinnen uns manipulieren, nicht nur die Produktion und die Konsumtion ihren Interessen unterwerfen, sondern das ganze Leben des Menschen kommerzialisieren. Alles steht zum Verkauf: Kunst und Bildung, Gesundheit und Liebe, Natur und Staat. Der Markt wird total. Das ist eine Macht, die den Menschen stärker unterwirft als der stalinistische NKWD, und Verhaltensnormen schärfer diktiert als jede kommunistische Propaganda. An die Grenzen der zahlungsunfähigen Nachfrage in der materiellen Produktion und Konsumtion stoßend ist der Markt gezwungen, sich auch in die virtuelle Welt zu verlagern. Mehr und mehr werden uns nicht nur Waren und Dienstleistungen verkauft, sondern Symbole und Zeichen. Wir fallen in einen simulierten Markt und unterwerfen uns dem Rhythmus der Markenökonomie. Und das betrifft alle – vom armen asiatischen Arbeiter, der davon träumt, Markenware zu kaufen, bis hin zum Milliardär, der im Trend liegen muss.
Das wichtigste aber ist, dass das Kapital die Warenbeziehungen auf Sphären ausdehnt, in denen Marktformen im Prinzip irrational sind, auf die Sphären der öffentlichen Güter. Die Früchte der Wissenschaft, der Bildung, der Kunst, beliebige Resultate schöpferischer Tätigkeit kann man weitergeben und dabei nicht verlieren. Diese Güter muss man nicht verkaufen, ihre Konsumtion muss man nicht normieren: Sie reichen für alle, sie sind nicht beschränkt. Sie kann jeder so erhalten, wie wir die Güter in öffentlichen Bibliotheken oder aus Wikipedia erhalten. Das ist ein Gebiet, wo das Eigentum aller an allem möglich und notwendig ist.
Die heutige gesellschaftliche Produktion beruht immer mehr nicht nur auf hoch vergesellschafteter, sondern auf allgemeine öffentliche Güter schaffender Arbeit. Dieser Art der Produktion ist sowohl die Spontaneität der Selbstregulierung des Marktes antagonistisch und fremd, als auch die totale Macht des Marktes und des Geldfetischismus. Das Resultat sind das Ausbremsen und Absterben der vom Markt ausgehenden Stimuli des Fortschritts und die Krise der Konsumgesellschaft. Diese Probleme kann die staatliche Regulierung der kapitalistischen Marktökonomie abmildern. Aber die Widersprüche des totalen simulierten Marktes kann sie nicht lösen.
In den letzten 100 Jahren hat sich auch das Kapital verändert. Es wurde global und machte den Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital zu einem weltweiten Widerspruch. Das Kapital, das vorzugsweise im Norden konzentriert ist, wird von den stärksten Spielern der heutigen Welt, den Transnationalen Konzernen, der Welthandelsorganisation (WTO), dem Internationalen Währungsfonds (IWF) usw. repräsentiert. Es stützt sich auf die Großmächte USA und EU und wird vom Weltpolizisten NATO verteidigt. Lohnarbeit, die immer mehr im Süden konzentriert ist, ist gespalten, desorganisiert und wird weder von den Nationalstaaten noch von einflussreichen internationalen Organisationen verteidigt. Das Kapital hat ein System der Unterwerfung und Ausbeutung geschaffen, das alle ihre geschichtlichen Formen in sich vereinigt: den halbfeudalen Arbeitszwang gegenüber den ärmsten Schichten, die klassische Ausbeutung des riesigen Industrieproletariats in der Halbperipherie, den Abzug von Monopolprofiten und imperialen Renten sowie die Unterordnung des realwirtschaftlichen Sektors unter den Finanzsektor, die Ausbeutung allgemeiner natürlichen Ressourcen und die Aneignung des kulturellen Kapitals, der kreativen Fähigkeiten des Menschen.
Es entstanden neue Formen der Herrschaft. Die Finanzialisierung führte nicht einfach nur zu einer Hyperprofitabilität der Sphären von Finanzdienstleistung und Spekulation. Sie führte dazu, dass das einst durch den Sozialstaat teilweise gebändigte und begrenzte Finanzkapital wieder allmächtig wurde. Heute ist das virtuelle fiktive Finanzkapital nicht einfach verwoben mit dem industriellen, wie vor 100 Jahren, es herrscht über die Produktion und die übrigen Sphären der Wirtschaft. Es nahm nicht nur einfach die Form des Fiktiven, sondern die des Virtuellen an, das in weltweiten Informationsnetzen lebt und eine »Spinne der Spinnen«, eine Blackbox finanzieller Blasen darstellt. Dieses Kapital brachte die Weltwirtschaftskrise hervor, deren Feuer nur auf Kosten des Einsatzes von Mitteln der Staatshaushalte und mithilfe eines sogenannten Finanzsozialismus eingedämmt werden konnte.
Eine neue Art weltweiter Widersprüche trat hervor: asymmetrische und hybride Kriege, in denen der Terrorismus zu einer Antwort auf die Demokratie von Marschflugkörpern geworden ist. Das führte dazu, dass die formalen Spielregeln der Demokratie durch politische Manipulation untergraben werden. In der Welt herrscht ein neues Gesetz: In dem Maße, in dem politische Technologien effektiver werden und Methoden der Beliebigkeit nutzen – von der PR-Kampagne bis hin zur bewaffneten Einmischung in die Angelegenheiten souveräner Staaten –, in dem Maße verwandelt sich die Demokratie in eine Fiktion. Die Politik wird zur Produktion passiver Produkte, Wählerstimmen werden zu einem passiven Rohstoff.
Und das wichtigste: Die Etappe des späten Kapitalismus ist nicht nur die Abendröte der bürgerlichen Produktionsweise, sondern auch die der langen Etappe der Vorgeschichte der Menschheit, die nicht zufällig von Karl Marx und Friedrich Engels als Herrschaft der Notwendigkeit bezeichnet wurde. Diese vieltausendjährige Periode brachte die verschiedensten Formen sozialer Entfremdung hervor. Es geht nicht nur um Markt und Kapital. Es geht auch um Sklaverei, Leibeigenschaft und asiatische Despotie, Krieg und Terror, Staat und Religion. Das globale Kapital von heute reproduziert fast alle von ihnen.
Die heutige Epoche bringt globale Bedrohungen hervor, die Bedrohung durch die Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts und durch thermonukleare Kriege, Armut und die Sackgasse des Wachstums. Dabei reproduziert und intensiviert gerade die Hegemonie des globalen Kapitals heute das ganze Spektrum der sozialen Entfremdung, der im 21. Jahrhundert der Widerspruch zwischen Kapital und Mensch zugrunde liegt. Das Kapital hat die Welt in eine Sackgasse geführt. Der Ausweg aus ihr ist bekannt: die Befreiung der Arbeit und des Menschen von allen Formen der Entfremdung, die das globale Kapital und seine verschiedenen Erscheinungsformen hervorgebracht haben.
Die erste weltweite Attacke auf diese Macht begann im Oktober 1917. Obwohl die Weltrevolution nicht stattfand, wurde in der UdSSR und in anderen Staaten des sozialistischen Weltsystems die erstmalige Schaffung einer nichtkapitalistischen Gesellschaft Realität. Realität wurden weltweit auch soziale Reformen. Diese ersten praktischen Umsetzungen endeten unglücklich. Umso notwendiger ist es heute, einen Umbruch zu erreichen und neue Quellen der Befreiung der Arbeit und des Menschen zu finden.
Die Niederlage in der ersten weltweiten Schlacht um den Sozialismus am Ende des 20. Jahrhunderts traf die linke Bewegung schmerzhaft. Konterrevolution und Gegenreformen demoralisierten die Kräfte der sozialen Befreiung. Die Lohnarbeiter als »Klasse für sich« verwandelten sich aus einer politisch und ideologisch organisierten Kraft immer mehr in eine »Klasse an sich«, eine soziale Schicht, die von sich aus keine politische Kraft darstellt, die in der Lage wäre, ihre strategischen Interessen zu erkennen und zu realisieren. Das wurde durch den Prozess der Deindustrialisierung in den Ländern des Zentrums und des postsowjetischen Raumes befördert, wodurch das Industrieproletariat in diesem Teil der Welt auch zahlenmäßig kleiner wurde.
In Russland führten die katastrophale Zerstörung der materiellen Produktion, der »Schock ohne Therapie« in den 1990er Jahren, der Kampf ums Überleben sowie die Illusion der patriotischen Einheit mit der Macht auch zur Deklassierung eines großen Teils der Lohnarbeiter. Es gibt jedoch auch noch eine andere Seite der Medaille. Weltweit hat sich die Klasse der Lohnarbeiter sehr verändert. Die Epoche der globalen Hegemonie des Kapitals führte zu wesentlichen Veränderungen in der Struktur der Produktivkräfte und in der Folge der Struktur der Beschäftigung. Ins Zentrum rückte eine Welt, in der sich die am meisten entwickelten und zugleich in ihrer Anwendung am meisten irrationalen Produktivkräfte konzentrieren: die Welt der virtuellen Technologien, in der die Produktion verschiedener Simulationen bestimmend wurde, von Finanzderivaten bis zu Computerspielen. Diese irrationale Produktion lässt jedoch eine massenhafte Schicht von schöpferisch tätigen Arbeitern entstehen, die sowohl mit unnützen Dingen (Reklame, Finanzwesen) als auch mit gesellschaftlich notwendiger Tätigkeit (Bildung, Gesundheitswesen) beschäftigt ist. Die Welt der industriellen Arbeit wurde mehr und mehr zur Peripherie.
So bildet sich eine neue soziale Struktur des globalen Kapitalismus heraus. Dominierende Klasse bleibt auch unter den heutigen Bedingungen die Klasse der Lohnarbeiter. Doch die qualifiziertesten und kulturvollsten Schichten dieser Klasse sind in schöpferischen Berufen tätig – Arbeiter-Innovatoren und Ingenieure, Erzieher im Kindergarten, Lehrer und Hochschullehrer. Hauptinhalt dieser Berufe kann und muss schöpferische Tätigkeit sein, wie z.B. der nicht entfremdete Dialog des Lehrers mit dem Schüler oder des Arztes mit dem Patienten. Das sind die, die man in der UdSSR »100 Rubel-Intelligenz« nannte, da sie im Durchschnitt 100 Rubel verdienten. Diese Schicht besitzt ein mächtiges sozialschöpferisches Potenzial, ist aber zugleich mit tiefen Widersprüchen behaftet.
Seiner objektiven Lage nach schafft ein Mensch in diesen Berufen unbegrenzte gesellschaftliche Güter, technische Neuerungen, gute Laune bei den Kindern, Bilder und Computerprogramme. Die Resultate seiner Arbeit sind teilbar, gehen nicht verloren, sie können und müssen Eigentum aller sein. Seine Arbeit ist ihrem Inhalt nach allgemein und frei, d.h. kommunistische Arbeit. Fällt dieser schöpferische Arbeiter jedoch unter die Macht des Kapitals, verwandelt er sich in den Schöpfer privaten intellektuellen Eigentums, der in einigen Fällen auch privilegiert ist. Auch dann, wenn dieses Eigentum schließlich dem Chef des Unternehmens gehört (was der Normalfall ist), erhält der Kreative trotzdem von seinem Arbeitgeber einen Teil der intellektuellen Rente. Dafür hat er dem Kapital schon nicht mehr nur seine Arbeitskraft, sondern sein Talent, seine persönlichen Qualitäten verkauft und wird zum Beteiligten an der Ausbeutung des kulturellen Reichtums der Menschheit. Ein Teil der Kreativen, vor allem die in den Ländern des Zentrums, schaffen nicht kulturelle Werte, sondern Simulationen, die die Macht des Marktes und des Kapitals stärken. Das betrifft nicht nur Broker und PR-Spezialisten, sondern auch Lehrer, Wissenschaftler und andere. Dieser Widerspruch behindert objektiv die Einbeziehung der Klasse der Intelligenz in den sozialen Befreiungskampf.
Das hebt die Aufgabe der breitesten Entwicklung der Sphäre der Produktion öffentlicher Güter auf einen der ersten Plätze im Kampf der Linken für soziale Befreiung. Diese wachsende Schicht steht ihrer ökonomischen Lage nach dem Industrieproletariat nahe und wird zu einem neuen potenziellen Subjekt des Kampfes für soziale Befreiung. Die materielle Grundlage dafür, der Inhalt ihrer Tätigkeit, ist allgemeine freie Arbeit. Reales Subjekt der sozialen Befreiung wird diese Schicht aber nur in dem Maße, in dem sie erstens Züge einer besonderen Klasse annimmt, der Klasse kreativer Arbeiter, die im gesellschaftlichen Sektor beschäftigt ist, und auf dieser Grundlage zweitens »Klasse für sich« wird und ihr politisches und ideologisches Gesicht findet.
Das ist dem Maße möglich, in dem der Lehrer und der Arzt, der Künstler und der Gelehrte, der Sozialarbeiter und der Ökologe sich aus der Macht des Kapitals und seines Staates befreien, sich aus Konformisten, die ihren privaten intellektuellen Garten dank der Aneignung neuer Maschinen bestellen können, in frei assoziierte Schöpfer der Welt der Kultur verwandeln. Der Weg dazu ist die Einbeziehung dieser Schicht in den Kampf für die breiteste Entwicklung des öffentlichen Sektors und die Entkommerzialisierung und Entbürokratisierung ihrer Tätigkeit, für Selbstverwaltung und Wertschätzung ihrer Arbeit. Aber die soziale Basis der Linken ist durchaus nicht auf diese Proto-Klasse zu reduzieren.
Der entscheidende Schöpfer des materiellen Reichtums der Gesellschaft im 21. Jahrhundert ist die Klasse der Lohnarbeiter geblieben, die in der Sphäre der vergesellschafteten materiellen Produktion beschäftigt ist. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde diese Klasse nicht einfach die zahlreichste in der Welt, sondern bleibt auch weiterhin die soziale Schicht, die der gesellschaftliche Charakter ihrer Arbeit zum Träger der Prinzipien Kollektivität, Organisiertheit und Disziplin macht. Genau diese Klasse ist ihrer sozialen Lage nach objektiv sowohl an der Befreiung ihrer Arbeit als auch ihrer Freizeit (letzteres eine Spezifik der letzten Jahrzehnte) von der Unterwerfung unter das Kapital interessiert.
Was die soziale (Selbst-)Befreiung des Industrieproletariats und die Aufgaben der Linken bei der Realisierung dieses Imperativs betrifft, hat sich in den letzten 100 Jahren wenig geändert. Dafür gibt es materielle Gründe: Wie wir am Anfang unterstrichen haben, bleibt der Kapitalismus seinen Grundlagen nach Kapitalismus. Mehr noch – die Spirale der Negation der Negation, die den Sozialstaat zerstört und die massenhafte Klasse industrieller Lohnarbeiter hervorgebracht hat, führt uns erneut zu Aufgaben, die vor 50 Jahren als veraltet betrachtet wurden. Deshalb ist es für die Linken notwendig, sich zu erinnern und sich nicht zu genieren, aufs Neue die grundlegenden programmatischen Aussagen der linken Sozialdemokratie und Kommunisten von damals auf den Schild zu heben. Es geht aber nicht nur um das Erinnern: Die Situation hat sich so verändert, dass bei der Orientierung auf alte Losungen neue Inhalte und Formen gefunden werden müssen.
Dabei geht es, erstens, um eine Organisation der Arbeiterklasse, die in sich ökonomische und politische Aufgaben verbindet und sich auf die Selbstorganisation der Lohnarbeiter gründet und nicht auf die Delegierung der Verteidigung ihrer Interessen an eine Gewerkschaft, Bürokratie und bezahlte Spezialisten. Zweitens steht die alte Aufgabe, in die Welt der Arbeiter Klassen- und Selbstbewusstsein zu tragen. Es geht um die Abkopplung der industriellen Arbeiterklasse von den Normen der Konsumgesellschaft, darunter von den Produkten des Showbusiness, hin zur Aneignung echter Kultur und der Grundlagen der Theorie der sozialen Selbstbefreiung. Impulse dazu gibt es bereits in der praktischen Teilnahme an der einen oder anderen Form freiwilliger sozial-schöpferischer Arbeit. Drittens geht es um die Einbeziehung der industriellen Arbeiterklasse und ihrer Organisationen in die Lösung allgemeiner Aufgaben der sozialen Selbstbefreiung, Aufgaben, die über den Rahmen der engen Klasseninteressen der Lohnarbeiter hinausgehen.
Die Lösung dieser Aufgaben setzt die Entwicklung einer praktisch formierten Einheit oder eines Bündnisses des industriellen Proletariats und der oben beschriebenen neuen Massenintelligenz voraus. Das ist schon nicht mehr ein Bündnis der Klasse und einer deren Ideologie formierenden kleinen Schicht von Intellektuellen. Das ist die Einheit von zwei Klassen, die gleichermaßen an der sozialen Befreiung interessiert sind und die sich ihrer sozialökonomischen Lage in der Gesellschaft nach nahestehen und sich einander immer mehr annähern.
Ein Schlüssel zur Vereinigung des Alten und Neuen in solchen Organisationen kann die Schaffung von offenen freien Assoziationen sein, von Modellen der Selbstorganisation, die die Prinzipien der kommunistischen Partei (die praktische Beteiligung an der Arbeit der Organisation, die Einheit im Handeln, die bewusste Disziplin) und die moderne Netzwerkorganisation (Offenheit, Freiwilligkeit, nichthierarchische Beziehungen) in sich vereinigen. Ich erinnere daran, dass solche Assoziationen sich auf folgende Prinzipien stützen: erstens auf die Beteiligung jedes Mitglieds an der gemeinsamen praktischen Tätigkeit, nicht einfach nur auf die formale Zustimmung zum Programm und auf die Zahlung der Mitgliedsbeiträge; zweitens auf die Offenheit der Assoziationen bezüglich des Eintritts, d.h. der Einbindung in die gemeinsame Tätigkeit, und des Austritts, d.h. des Abbruchs der gemeinsamen Arbeit; drittens auf die Freiwilligkeit und selbstverständlich auf die Unentgeltlichkeit der Arbeit; viertens auf die selbstverständliche Einheit von Selbstorganisation und Verantwortlichkeit, auf Selbstverwaltung und Unterordnung unter die Disziplin der gemeinsamen Arbeit bei der Realisierung der gemeinsam gesteckten Ziele. Als Hypothese würde ich dieser Aufzählung noch ein fünftes Prinzip hinzufügen, das Prinzip der Autorenschaft: Soziales Schöpfertum, wie jedes andere, ist autorenorientiert; der Autor kann ein Kollektiv führen wie der Dirigent ein Sinfonieorchester führt, er kann aber auch nur ein Thema vorgeben, das in freier Improvisation wie bei einer Jazzband fortgeführt wird, die Formen können sehr verschieden sein.
Der oben genannte Imperativ der Notwendigkeit des Kampfes der Linken für die Abschaffung der »Herrschaft der Notwendigkeit« ist zugleich Grundlage ganz praktischer Aufgaben linker Bewegungen. Den Weg zur sozialen Befreiung blockiert ein kompliziertes System von Verhältnissen der Entfremdung. Das ist die Konsumgesellschaft, die den tätigen Menschen in einen besitzenden Menschen transformiert, wobei der Imperativ des Seins durch den Imperativ des Habens verdrängt wird. Das ist der Marktfundamentalismus, der alles in kaufbare und verkaufbare Waren verwandelt. Das ist die Unterordnung der Freizeit unter das Kapital, die dazu führt, dass das Leben des Menschen außerhalb der Arbeit im besten Falle eine Erholung nach der die Persönlichkeit zerstörenden Arbeit, im ungünstigsten Falle eine Art geistiger Verödung wird. Es ist die politisch-ideologische Manipulation, die aus einem formal freien Bürger eine Marionette der Politiktechnologien und der Massenmedien macht.
Diesen Weg freizumachen, der Klasse zu helfen, Selbstbewusstsein zu erlangen, Kräfte zu sammeln und Gewohnheiten des Kampfes zu entwickeln, ist nur möglich durch eine zweieinige Tätigkeit: erstens durch die Einbeziehung in die tagtägliche Arbeit der De-Entfremdung. Die Aneignung echter Kultur ist das zweite Element. Der in soziales Schöpfertum einbezogene Mensch gewinnt ein praktisches Bedürfnis nach Kultur. Kultur aneignend wird er fähig, aus der Kenntnis der Dinge eine neue Welt zu schaffen. Nur auf diesem Wege gewinnt die Klasse soziale Muskeln und ein soziales Hirn, ohne die ihr Kampf zum Scheitern verurteilt wäre. Die Mitwirkung an der Initiierung und Entwicklung von Aktivitäten zur Lösung dieser Aufgaben ist eine Mission der Linken. Diese Bestimmung des Linken ist einerseits außerordentlich abstrakt. Aber jede Abstraktion erfordert andererseits eine Konkretisierung: Es geht um das »Kleine«, es geht um die Verwandlung der Imperative in ein System konkreter Formen der Organisation, es geht um Prinzipien der Tätigkeit und grundlegende Elemente der Strategie linker Kräfte.
Müssen linke gesellschaftliche Kräfte, die sich als Ziel die Überwindung der Macht des Kapitals gestellt haben, Reformen unterstützen? Ja, zweifellos. Ungeachtet der zeitweiligen Abschwächung der Widersprüche schaffen diese wesentliche Voraussetzungen für den Sieg der sozialistischen Revolution, schaffen soziale Muskeln für die Werktätigen und verbessern die Qualität ihres Lebens.
Eine andere Sache ist es, solche Reformen durchzusetzen, die – wenn auch nur in begrenztem Maße – die De-Entfremdung befördern, die – wenn auch nur teilweise – die ökonomische und politische Macht des Kapitals beschränken. Auf die Lösung dieser Aufgaben orientierte Reformen bilden das Minimalprogramm der Linken:
All diese und viele andere konkrete Richtungen von Reformen, die zum Teil die globale Hegemonie des Kapitals begrenzen und untergraben, sind nicht einfach nur gut bekannt. Sie sind von einer breiten Öffentlichkeit der internationalen Zivilgesellschaft auf internationalen, kontinentalen, nationalen und regionalen Sozialforen auch angenommen worden. Sie finden sich in Programmen tausender internationaler und nationaler sozialer Bewegungen, linker Parteien und Organisationen. Der Kampf darum hat bereits begonnen.
Aus dem Russischen von Lutz Brangsch