In den vergangenen fünfzehn Jahren war transform! als horizontales Netzwerk mit dem Fokus auf alternativem Denken und politischem Dialog tätig. Als theoretische und politische Basis der Partei der Europäischen Linken (EL) nahm es in politischen Diskussionen in Europa eine zunehmend aktive Rolle ein. 2014 war ein Jahr der politischen Herausforderungen, das durch die bittersüßen Lehren der EU-Wahlen geprägt war. Das Anwachsen der linken parlamentarischen Gruppierungen im Europäischen Parlament – die GUE/NGL besteht nun aus 52 Mitgliedern des Europäischen Parlaments, anstatt 34 in der letzten Legislaturperiode – fand zeitgleich mit der verstärkten Verankerung der extremen Rechten in ganz Europa statt und ging zudem mit einer schwachen Wahlbeteiligung einher. Trotz der aktuellen Beschwichtigungspolitik der Europäischen Kommission und der meisten Staaten und Regierungen befindet sich die Europäische Union immer noch in der Krise – und es besteht nur wenig Aussicht auf baldige Erholung. transform! hat es sich zum Ziel gesetzt, Räume zu öffnen und Dynamiken zu generieren, sodass eine neue kulturelle und politische Hegemonie daraus hervorgehen kann. Die beiden transform!-Kernprojekte sollen genau in diesem Sinn verstanden werden.
Das Projekt »Strategische Perspektiven der Europäischen Linken« eröffnet einen transnationalen Raum permanenter Diskussionen über die Herausforderungen, mit denen sich linke Parteien in ganz Europa konfrontiert sehen, sowie über die Evolution der politischen Landschaft, während das Projekt »Krise in Europa – Krise Europas. Es gibt Alternativen!«, eine gründliche Analyse der vieldimensionalen Aspekte der Krise (Volkswirtschaft, Wahrnehmung der Bürger_innen, bestehende Alternativen, etc.) durch soziale und politische Handlungsträger_innen bietet. Außerdem arbeitet transform! regelmäßig eng mit der Partei der Europäischen Linken zusammen – wie sich auch bei der alljährlichen gemeinsamen Sommeruniversität zeigte –, aber auch im Rahmen gelegentlicher gemeinsamer Initiativen, wie etwa der Europäischen Konferenz zum Thema Verschuldung. Als progressives Netzwerk unterstützt es auch die sozialen Bewegungen gegen die Austeritätspolitik und deren Versuche, sich auf EU-Ebene aktiv zusammenzuschließen. Es nahm zudem an zahlreichen Initiativen teil, die von Schlüsselakteur_innen dieser Bewegungen organisiert wurden – wie den »Europäischen Aktionstagen« oder dem »Dezentralisierten Aktionstag gegen Freihandelsabkommen« – und spielt eine wichtige Rolle im Alter Summit-Netzwerk. Des Weiteren fördert transform! europe ein flexibles kooperatives Rahmenwerk für kritische europäische Wissenschaftler_innen, die unter der Bezeichnung »Akademia« in verschiedenen Arbeitsgruppen organisiert sind. Nicht zuletzt bringt transform! einen monatlichen Newsletter heraus, der über Aktivitäten von transform!, aber auch die der Mitglieder und Beobachter informiert. Das Jahrbuch ist das erste seiner Art und ersetzt das Journal, das in den letzten sieben Jahren eine zentrale Rolle in der Publikationsstrategie von transform! europe spielte.
Politisch war 2014 ein äußerst ereignisreiches Jahr. Es war gekennzeichnet von den Europawahlen und dem ersten Versuch der EL, eine transnationale Wahlkampagne mit europäischen politischen Parteien zu führen, die ihre Spitzenkandidat_innen für die Präsidentschaft der Europäischen Kommission nominiert hatten. Nach seiner einstimmigen Nominierung auf dem 4. Kongress der Partei der Europäischen Linken (EL) in Madrid vom 13.-15. Dezember 2013 verlieh der Vorsitzende der griechischen Partei SYRIZA, Alexis Tsipras, einem bislang wenig bekannten Alternativprojekt für einen progressiven, sozialen und ökologischen Kurswechsel in der EU deutlich Sichtbarkeit und Stimme. In gewissem Maße brachte dieser frühe Prozess der Europäisierung den linken Vorschlägen für ein anderes Europa eine größere Verbreitung, als es den Parteien der Europäischen Linken bislang gelungen war. Die Fraktion der GUE/NGL wuchs erheblich, vor allem aufgrund der beeindruckenden Ergebnisse der ihr nahestehenden Parteien in den südeuropäischen Staaten.
transform! europe nutzte seine Kapazitäten als europäisches Netzwerk von 27 Organisationen aus 19 Ländern, um die europäischen Wahlen möglichst sorgfältig auszuwerten, mit ersten Einschätzungen, die bereits verfügbar waren, als die Wahllokale schlossen, Video-Interviews, die von unseren Mitgliedsorganisationen geschickt wurden, nationalen Berichten, die sich mit der Neustrukturierung der politischen Landschaft befassten, etc. In Zusammenarbeit mit der deutschen Rosa Luxemburg Stiftung (RLS) und dem französischen Journal Regards wurde die Website »Die EU-Wahlen aus linker Perspektive« ins Leben gerufen.[1]
In der Folge hielten die RLS und transform! europe in Berlin einen zweitägigen Workshop zum Thema der neuen Herausforderungen für die Linken nach den Europawahlen ab. Teilnehmende aus der Wissenschaft und der Welt der Politik nahmen sich äußerst wichtiger Fragen an – wie etwa der Stärke der Linksparteien im Vergleich zu den Sozialdemokrat_innen und den Grünen, linken Antworten zum Aufstieg der nationalistischen und extremen Rechten, aber auch das geopolitische Erdbeben in Osteuropa wurde aus einer linken Perspektive betrachtet. Es war ein großer Erfolg, und der Workshop könnte zu einem jährlichen Fixpunkt für Wissenschaftler_innen und progressive Politiker_innen werden, die sich für die Herausforderungen interessieren, mit denen die Linke in Europa konfrontiert ist, sowie für die Entwicklung der politischen Landschaft im Allgemeinen. Gegen Ende des Jahres 2014 fanden diese Themen auch in einem Studientag in Paris ihren Niederschlag, den Espaces Marx der Strukturkrise der europäischen Sozialdemokratie und den Herausforderungen gewidmet hatte, mit denen die radikale Linke konfrontiert ist.
Das Nikos Poulantzas Institut gab neue Impulse zum Projekt »Strategische Perspektiven der Europäischen Linken«. Die beeindruckenden Ergebnisse der SYRIZA, sowohl bei den europäischen als auch regionalen Wahlen, verankerten dessen Präsenz in der politischen Landschaft Griechenlands noch weiter und verdichteten die praktischen Fragen, die mit einem Wahlsieg auf nationaler Ebene einhergehen. In diesem Kontext verschob sich auch der thematische Fokus des Projektes hin zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema einer Demokratisierung des Staates – genauer gesagt, einer Auseinandersetzung mit dem Thema Polizei in Europa und wie die Linke dieses Thema angehen solle. In der zweiten Jahreshälfte 2014 veröffentlichten Giorgos Papanikolaou (Teesside University) und Giorgos Rigakos (Carleton University) ein Arbeitspapier, das sich nicht nur mit der Bandbreite von Polizei-Organisationsmodellen, sondern auch mit der wesentlichen Frage der Beziehung zwischen Polizei und Demokratie in Krisenzeiten befasste, aber auch mit möglichen linken Reaktionen, darunter auch einer Neuorganisation interner Polizeistrukturen. Das Papier wurde im Rahmen eines zweitägigen Workshops präsentiert, der Lehrende für Kriminologie und andere Fachleute aus ganz Europa zusammenführte.
Das Projekt »Krise in Europa – Krise Europas« ist die zweite Säule der Aktivitäten von transform! europe. Die Krise, die im Jahr 2008 ausgebrochen ist, hat sich zu einer systemischen Krise des Kapitalismus entwickelt. Sie hat ganze Bahnen des wirtschaftlichen, sozialen, demokratischen und ökologischen Gewebes, das die Gesellschaften Europas ausmacht, beschädigt. Der Ernst der Krise wird durch weitere wirtschaftliche Stagnation und das zunehmend höhere Deflationsrisiko veranschaulicht – ganz zu schweigen vom anhaltenden Druck auf das Sozialsystem, der Hand in Hand mit der politischen Unzufriedenheit der Bürger_innen geht. Was Europa durchlebt, ist nicht einfach nur eine zeitlich begrenzte Störung, die sich mithilfe der bisher angewandten Rezepte – Reduzierung des außenwirtschaftlichen Ungleichgewichts, Korrektur des Staatsdefizits, Einführung von Strukturreformen, die gegen Arbeitsrecht und Sozialpolitik verstoßen – wieder in Ordnung bringen lässt. Es handelt sich um eine Krise viel größeren Ausmaßes, eine, die die Sozialverträge aufs Spiel setzt, die die Beziehung Kapital-Arbeit regulieren und die als Basis der meisten (westlichen) Nachkriegsgesellschaften gelten. Eine Krise, die die Gesamtheit ihrer politischen Systeme betrifft und einen fruchtbaren Boden für die weitere Verankerung von rechtsextremen politischen Kräften bereitet. transform! ist sowohl bestrebt, Alternativen zu unterstützen als auch zu deren Ausformulierung beizutragen. Alternativen zur neoliberalen Ordnung existieren. Sie operieren auf einer anderen Aktionsebene – der Basisebene, mit dem Kampf um die Gemeingüter und soziale Wiederaneignung, aber auch auf europäischer Ebene, mit Vorschlägen für Sanierungspläne, die den Industriesektor auf dem gesamten Kontinent wieder in Gang bringen, sich gleichzeitig jedoch auch den umweltpolitischen und sozialen Anforderungen unserer Zeit stellen.
Anfang 2014 fand der erste einer Reihe von Workshops statt, die den Wahrnehmungen der Krise gewidmet sind. Er beschäftigte sich mit Fragen zur Krise des politischen Bewusstseins in Europa. Frühere Untersuchungen sowie ergiebige Diskussionen zwischen Fachleuten für öffentliche Meinung und Sozialwissenschaftler_innen aus Deutschland, Frankreich und Griechenland zeigten, dass der Status politischer Subjektivitäten in direktem Zusammenhang mit dem Ausmaß der Krise steht. Vorrangiges Ziel war es, die Ursachen, die sowohl der Revolte als auch der Resignation zugrunde liegen, umfassend zu untersuchen. Es erwies sich, dass Ausformungen von Arbeit – wie die Lohnabhängigkeit und die Beschäftigungspolitik im Niedriglohnsektor – eine bedeutende Rolle dabei spielen, wie sich Resignation verstärkt. Veränderungen bleiben unerreichbar, solange das Verhältnis zwischen der Linken und der Welt der Arbeit nicht erneuert wird. Um den Bedürfnissen der Menschen besser entsprechen und zu emanzipatorischen Grundsätzen werden zu können, müssen Alternativvorschläge ihre Vorstellungen in Bezug auf Arbeitsverhältnisse und Produktionsbedingungen berücksichtigen. Dieses Forschungsprojekt stützt sich auf ein kombiniertes Herangehen, um unterschiedliche soziale Realitäten und Subjektivitäten, die in Zusammenhang mit Arbeit stehen, zwischen Frankreich und Deutschland mittels Dialogs zusammenzuführen. Das Projekt steht selbstverständlich auch den Perspektiven anderer Staaten offen gegenüber. Jenseits nationaler Besonderheiten geht es darum herauszufinden, ob sich gemeinsame Aspekte und Perspektiven identifizieren lassen, um die Ausarbeitung von Alternativen zu fördern, die sowohl die neoliberale Hegemonie in Frage stellen als auch öffentliche Unterstützung erringen können.
Obwohl eine Deflationsspirale in der Eurozone deren ohnehin bereits geschwächte wirtschaftliche Gesundheit bedroht, aber auch jene der gesamten globalen Wirtschaft, beharren die Europäische Kommission und der Großteil des Europäischen Rates auf den neoliberalen Rezepturen, die bereits seit sechs Jahren angewandt werden. transform! ist davon überzeugt, dass es nur ein umfassender europäischer Sanierungsplan ermöglichen wird, die wesentlichen, vor uns liegenden, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen zu meistern. Die EU hat eine neue Politik hinsichtlich der europäischen Industrie angekündigt, und es ist von äußerster Wichtigkeit, dass diese sorgfältig analysiert wird. Die Diskussion über die »Alternativen« (Reindustrialisierung, industrielle Wiedergeburt, produktiver Wiederaufbau etc.) gewinnt innerhalb der Linken, der Gewerkschaften und der akademischen Welt an Gewicht und Bedeutung. Die 2013 im Rahmen des Akademia-Netzwerks geleisteten Arbeiten (mehr über dieses Netzwerk siehe unten) sowie das Vorhandensein neuer Partner wird es uns ermöglichen, unsere Stellungnahmen für einen positiven Ausweg aus der Krise voranzutreiben und unsere Stimme innerhalb der verschiedenen progressiven europäischen Netzwerke zu stärken. Dazu gehören Gewerkschaften, Netzwerke von Ökonom_innen, Europäische Fraktionen etc. Das Kick-off-Treffen der Arbeitsgruppe führte zur Ausarbeitung eines kollektiven Diskussionspapiers, das Leser_innen eine gründliche Analyse der industriellen Landschaft Europas bietet und – noch wichtiger – eine Reihe von Empfehlungen für Wissenschaftler_innen, Politiker_innen und soziale Akteur_innen. Das Papier soll 2015 in einer großen öffentlichen Konferenz vorgestellt und diskutiert werden.
In ganz Europa sind Initiativen entstanden, die sich mit dem Thema Gemeingüter (Commons) auseinandersetzen – sei es der Einführung einer von Bürger_innen geführten Wasserversorgung oder der Übernahme eines in Schwierigkeiten befindlichen Unternehmens. Dies wird in zunehmendem Maße als Bottom-up-Praxis betrachtet, die die Essenz von Kapitalismus selbst in Frage stellt. Insofern handelt es sich nicht nur um »staatlich verwaltete Gemeingüter«, diese »Commons« beziehen sich vielmehr auch auf eine Reihe sozialer Beziehungen zwischen Individuen, die unter Beachtung von Regeln hinsichtlich Gebrauch, Verteilung und Gemeinschaftsproduktion gemeinschaftlich Ressourcen erschließen. Gemeinsam mit Espaces Marx und der Fondation Copernic nahm transform! vom 7.-9. November 2014 an einem europäischen Seminar in Paris teil, das den erfolgreichen Praktiken gesellschaftlicher Aneignung, den Commons in Europa und der Untersuchung der Selbstverwaltung öffentlicher Dienste gewidmet war. Basisaktivist_innen und Wissenschaftler_innen aus ganz Europa tauschten ihre Ansichten und Erfahrungen für ein zukünftiges alternatives Gesellschaftsmodell aus.
Um zur europäischen Diskussion über die politische Krise und ihre verschiedenen Ausprägungen beitragen zu können, wurde ein transform!-Diskussionspapier zur extremen Rechten veröffentlicht, das derzeit in Europa diskutiert wird. Das Dokument bietet eine Analyse der Umstände, die den Weg für die weitere Verankerung der extremen Rechten in Europa ebneten, sowie eine Überlegung zu den Strategien, die ergriffen werden müssen, um ihr entgegenzutreten. Der Kampf gegen den Aufstieg der weit rechts stehenden Gruppierungen ist von äußerster Relevanz für transform!, das einer der Hauptveranstalter der Alter Summit-Konferenz in Budapest war, die sich mit diesem Thema befasste.[2] Auch im Hinblick auf die vielfältige politische Krise werden im Laufe des Jahres 2015 ein weiterer Forschungsansatz, der mit der aktuellen Phase des demokratischen Kapitalismus der Nachkriegszeit zusammenhängt – einstmals auf einem Kompromiss zwischen Arbeit und Kapital begründet – sowie die nächsten Schritte untersucht werden.
Als politische Basis der Europäischen Linken (EL) zeichnet transform! eine besondere Beziehung zu dieser Partei aus. Die EL-transform! Sommeruniversität wurde zu einer unverzichtbaren Veranstaltung für all jene, die sich für die Stellung der Linken in der politischen Landschaft Europas interessieren, aber auch für linke Alternativvorschläge zu einer Reihe von Themen – von der Rolle Europas in der Welt bis hin zu sozialen Kämpfen gegen Austeritätsmaßnahmen. Einmal im Jahr schaffen Repräsentant_innen des Netzwerks und der Partei anlässlich dieser Veranstaltung die Bedingungen für einen Dialog mit politischen und sozialen Aktivist_innen aus ganz Europa. Zudem ist transform! an zahlreichen linken Pressefesten beteiligt. Diese Veranstaltungen sind einzigartige Gelegenheiten, um Beziehungen zu Basisaktivist_innen und betroffenen Bürger_innen herzustellen, und um sich über unsere Ziele und Aktivitäten zu informieren.
2014 war eines der Highlights dieser Zusammenarbeit die internationale Konferenz in Brüssel. transform! und die EL brachten Wirtschaftswissenschaftler_innen, Bürgerrechtler_innen und Politiker_innen zusammen, um alternative Lösungen für die Schuldenkrise zu diskutieren. Die Annahme, dass Austerität die Staatsschuldenkrise nicht lösen, sondern sie im Gegenteil eher verstärken würde, war Hauptmotiv für diese eintägige Konferenz. Eine der Hauptlektionen, die sich aus den ergiebigen Diskussionen ergaben, war jene, dass die Lösung des Schuldenproblems allein nicht reichen wird, um der Wirtschaft neuen Aufschwung zu verleihen. Es braucht Alternativen zu Themen wie Besteuerung, Einkommensverteilung und Investitionen, um ein neues Modell für soziale und umweltpolitische Entwicklung zu erarbeiten.[3] transform! und die EL arbeiten zur Zeit an einer umfassenden Initiative für ein »Forum für Alternativen«, das jenen Akteur_innen der sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Arena das Wort erteilen soll, die bereit sind, zur Gestaltung einer progressiven Zukunft der Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit beizutragen. Das »Forum für Alternativen« wird im Mai 2015 in Paris stattfinden.
Die Europawahlen, die in einem Kontext tiefer Rezession und globaler Austerität stattfanden, wurden von den sozialen Bewegungen als Gelegenheit genutzt, um nicht nur die europäischen Bürger_innen über die kontinuierlichen Bemühungen der sozialen Bewegungen zu informieren, sondern auch um lokale und nationale Initiativen gegen Austeritätsmaßnahmen auf eine überstaatliche Ebene zu heben und so eine wahre Demokratie zu etablieren – und damit auch die Hoffnung auszudrücken, dass eine Reaktion der Basis zur Förderung eines progressiven Europa möglich ist. Als das europäische Netzwerk nahm transform! an zahlreichen gemeinschaftlichen Aktionen der sozialen Bewegungen teil, die im Jahr 2014 stattfanden.
Eine Woche vor den Wahlen im Mai 2014 wurde eine internationale Woche dezentralisierter Aktionen gestartet. Unter dem Schlagwort European Days of Action (»Europäische Aktionstage«) beschloss eine breite Allianz von sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, Bürger_innenbewegungen, Think-Tanks und progressiven politischen Parteien Maßnahmen gegen die strikten Sparprogramme und Privatisierungen zu ergreifen, die aus dem EU-Krisenmanagement resultierten.[4] Das Volkstribunal zur wirtschaftspolitischen Steuerung in der EU, das gemeinsam von transform! europe, Corporate Europe Observatory und dem Transnational Institute organisiert wurde, war eine der zahlreichen Veranstaltungen, die bei dieser Gelegenheit stattfanden. Es befasste sich mit den sechs Jahren der Krise und mit vier Jahren neuer Maßnahmen wirtschaftspolitischer Steuerung in der EU sowie mit der Troika-Politik. Es bot »Zeugen« aus ganz Europa mit ganz unterschiedlichem Hintergrund Raum; so nahmen etwa griechische Basisaktivist_innen gegen die Privatisierung des Wasserversorgungsunternehmens Thessaloniki, ein portugiesischer Gewerkschafter, eine österreichische Sozialwissenschaftlerin, die sich mit den Auswirkungen von Austerität auf Frauen beschäftigt, und andere teil. Eine Jury, die aus Repräsentant_innen der Organisationen bestand, die für diese Veranstaltung verantwortlich zeichneten, hörte die Zeugenaussagen aufmerksam an und gab ihr Urteil zu den Auswirkungen des Krisenmanagements ab. Der Urteilsspruch stellte klar: In Europa findet ein sozialer Rückschritt statt, falsche politische Maßnahmen wurden umgesetzt, dem Mangel an demokratischer Rechtmäßigkeit muss entgegengetreten werden, und dort, wo die strengsten Austeritätsmaßnahmen durchgesetzt wurden, kam es zur Verletzung von Menschenrechten. Als Abschluss des Volkstribunals wurde eine Reihe von Alternativmaßnahmen veröffentlicht, die diesen Trend umkehren sollen.[5]
Ein weiterer Höhepunkt dieses Jahres war die European Summer University for Social Movements, die vom Netzwerk ATTAC Europe organisiert wurde. Mehr als 2.000 Menschen aus ganz Europa und darüber hinaus nahmen an der Veranstaltung teil, bei der transform! Mitorganisator war. Im Rahmen eines großangelegten Seminars, das in drei Sitzungen gegliedert war, bot transform! europe Wissenschaftler_innen, Gewerkschafter_innen, Aktivist_innen sozialer Bewegungen und progressiven Politiker_innen eine Plattform, um einige der dringlichsten Themen anzusprechen, mit denen sich die Europäische Union konfrontiert sieht: Austeritätspolitik und Alternativen, die Reaktion europäischer Gewerkschaften auf die Krise, die neue politische Landschaft nach den EU-Wahlen, die Wahrnehmungen der Bürger_innen in der Krise sowie die Wahlbeteiligung und die Beziehungen zwischen sozialen Bewegungen und neuen politischen Kräften.[6]
Gegründet im Juni 2013 als Ergebnis monatelanger intensiver Arbeit mit Repräsentant_innen europäischer Gewerkschaften sowie sozialer und Bürger_innenbewegungen, strebt das Alter Summit-Netzwerk die Schaffung einer sozialen und politischen Front in Europa an für den Kampf gegen Austerität und die autoritäre Wende in der EU-Integration. Erklärtes Ziel war und bleibt die Etablierung einer positiven Kraft für alternative Vorschläge. transform! ist dabei sehr aktiv in den Alter Summit-Prozess eingebunden, dessen Wurzeln sich zu den europäischen sozialen Bewegungen und, aktueller, zur Joint Social Conference zurückverfolgen lassen. Die gemeinsame Arbeit führte zu einem Manifest,[7] dem »Gemeingut« des Netzwerks, das die gemeinsamen Prioritäten zusammenfasst und ein »demokratisches, soziales, ökologisches und feministisches Europa« fordert. Wie bei der letzten Hauptversammlung im September 2014 bestätigt, nimmt der Alter Summit auch weiterhin die Themen in Angriff, die das Europa von heute aufrütteln, mit einem Schwerpunkt auf Alternativen zur Austeritätspolitik, dem Kampf gegen Freihandelsabkommen und der politischen Auseinandersetzung mit extremen und nationalistischen rechten Kräften.
Im Kontext einer vielschichtigen und tiefgreifenden Krise besteht neues Potenzial für eine Kooperation zwischen kritischen Wissenschaftler_innen und der EL, wie auch eine starke Motivation zur Bildung politischer und intellektueller Dynamiken, nicht nur um mit neoliberalen Ideologien zu brechen, sondern auch, um Alternativen bereitzustellen. Dem Kampf für eine neue kulturelle Hegemonie wird sowohl in der intellektuellen als auch in der politischen Arena wesentliche Bedeutung zugemessen. Mit der Gründung des Akademia-Netzwerks ist transform! bemüht, ein flexibles und erfolgreiches kooperatives Rahmenwerk für kritische Wissenschaftler_innen aus ganz Europa zu fördern, um dieses Ziel zu erreichen.
Die rigorose Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Situation hat zu einer politischen Krise von zuvor unbekanntem Ausmaß geführt. Einige bezeichnen sie sogar als Krise der repräsentativen Demokratie in ihrer Gesamtheit. Große Teile der europäischen Bevölkerung – besonders die gefährdetsten, jene, die die Politik in ihrem täglichen Leben wohl am dringendsten benötigen – haben aufgehört daran zu glauben, dass die Politik auch nur eines ihrer Probleme lösen könnte, und sogar, dass Politiker_innen das überhaupt wollen. Dies hat zu einer ganz einzigartigen und neuen Situation geführt, und es ist unwahrscheinlich, dass alte politische Rezepte diesen Herausforderungen gerecht werden können. Mit dem Zusammenführen von kritischen Wissenschaftler_innen, sozialen Akteur_innen und progressiven Politiker_innen ist das Akademia-Netzwerk bemüht, neuen Raum für Diskussionen zu öffnen, und es wird schließlich auch Antworten auf die beängstigenden Herausforderungen bieten, mit denen sich die Gesellschaft Europas konfrontiert sieht.
Gegenwärtig nehmen drei Arbeitsgruppen im Akademia-Netzwerk ganz unterschiedliche Themen in Angriff, nämlich die Volkswirtschaft, die europäische Geschichte sowie Wissenschaft und Demokratie. Im Laufe des vergangenen Jahres wurde eine Reihe von Aktivitäten initiiert, angefangen von der Organisation von Workshops und internationalen Konferenzen bis zur Publikation von Diskussionspapieren – stets mit einer transnationalen, europäischen Dimension. Die flexible Struktur des Netzwerks ermöglicht die Schaffung neuer Arbeitsgruppen, je nach den Bedürfnissen der Wissenschaftler_innen. Tatsächlich sollen bereits 2015 neue Arbeitsgruppen ins Leben gerufen werden. Diese werden sich mit den Gewerkschaften beschäftigen und mit den neuen Herausforderungen, die aufgrund der neoliberalen Neustrukturierung der Arbeitsmärkte bestehen, mit dem Zustand sozialer Rechte in einer Zeit der Normalisierung von prekären Verhältnissen, aber auch mit den Stärken und Schwächen der entstehenden sozialen Bewegungen in Europa.
Im Gefolge des Workshops, der von der transform! Economist Working Group (TEWG) im Rahmen der jährlichen EAEPE [8]-Konferenz 2013 in Paris zum Thema produktiver Wiederaufbau stattfand, wurde ein Diskussionspapier [9] veröffentlicht. Ziel war es, ein Dokument bereitzustellen, das Leser_innen einen Überblick darüber bieten soll, was in den politischen und intellektuellen Diskussionen zu Industriepolitik und produktiver Rekonstruktion von Interesse ist, sowie die Untersuchung der Position von Industriepolitik innerhalb der institutionellen Architektur Europas. Neue Themen, die sich mit konkreten Aspekten produktiver Rekonstruktionen befassen – wie der Rolle des dritten Sektors (Solidarität und Kollektivwirtschaft, demokratische Beteiligung, gemeinsame Interessen etc.), sowie Handelsfragen aus einer linken Perspektive – sollen in näherer Zukunft in Zusammenarbeit mit dem Nikos Poulantzas Institut bearbeitet werden.
Die Akademia-Arbeitsgruppe zu Kritischer Geschichte hielt ihre Eröffnungssitzung im Februar 2014 in Paris ab. Sie umfasst eine große Zahl von Historiker_innen aus ganz Europa – von Spanien bis zur Tschechischen Republik – sowie das Ehrenmitglied des Europaparlaments, Francis Wurtz (Mitglied des Kuratoriums des »Hauses der Europäischen Geschichte«), sowie Marie-Christine Vergiat (MdEP, GUE/NGL – Front de Gauche). Angesichts der Bedeutung des EU-Projektes »Haus der Europäischen Geschichte«, das sich die Bereitstellung einer öffentlichen Geschichte Europas zum Ziel gesetzt hat, und angesichts der Herausforderung, die das für die Linke bedeutet, war es nur natürlich, dass es im Zentrum der Diskussionen stand. Die Frage des »roten Fadens« der europäischen Integration wurde ebenfalls thematisiert, vor allem der Beitrag der sozialen Bewegungen und der politischen Linken zur Schaffung Europas. Wie beim ersten Treffen beschlossen, sollte eine größere, gegen Ende 2014 stattfindende Konferenz Gelegenheit bieten, die Gefahren öffentlicher Zweckentfremdung der europäischen Geschichte zu diskutieren und den Grundstein für eine andere Darstellung der Geschichte zu legen, die sich mit sozialen und progressiven Kämpfen, Antikolonialismus und Anti-Neoliberalismus befasst.[10]
Als Ergebnis eines erfolgreichen Arbeitsprozesses organisierte die Akademia-Arbeitsgruppe »Wissenschaft, Gesellschaft und Demokratie« Anfang 2014 eine zweitägige Konferenz in Madrid – in Zusammenarbeit mit einer Reihe wichtiger Partner_innen wie Espaces Marx (Frankreich), der Fundación Europa de los Ciudadanos (FEC, Spanien), der Fundación de Investigaciones Marxistas (FIM, Spanien), der GUE/NGL, der EL und transform! europe. Unter dem Titel »Universität, Wissenschaft und Forschung: Widerstand und Alternativen in Europa«[11] thematisierte die Konferenz die katastrophalen Auswirkungen neoliberaler Forschungs- und Universitätspolitik und das EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation. Vortragende aus ganz Europa und aus den verschiedensten akademischen Disziplinen stärkten das Bewusstsein für nationalen Widerstand und diskutierten alternative Vorschläge, die das Potenzial haben, für eine progressive Politik in Europa sorgen zu können. Die Arbeitsgruppe veröffentlicht in der englischsprachigen Ausgabe des Jahrbuchs eine Analyse für eine alternative öffentliche Forschungspolitik für Europa – mit Empfehlungen für die EL.[12] 2015 wird sich die Arbeitsgruppe »Wissenschaft, Gesellschaft und Demokratie« mit Themen der Energiepolitik auseinandersetzen, deren Bedeutung uns Tag für Tag vor Augen geführt wird, sei es im Zuge der Umwälzungen der geopolitischen Ordnung oder in Diskussionen über einen Ausweg aus der europäischen Krise.
Angesichts der steigenden Bedeutung des Akademia-Netzwerks wird transform! europe ein jährliches Akademia-Treffen einberufen, um den Mitgliedern der Arbeitsgruppen und kritischen Wissenschaftler_innen, die sich anschließen wollen, die Möglichkeit zu geben, einander kennenzulernen, ihre Arbeit vorzustellen, Meinungen auszutauschen und gemeinsam das Rahmenprogramm für eine weitere künftige Zusammenarbeit innerhalb des Akademia-Netzwerks zu entwickeln.
Aus dem Englischen von Veronika Peterseil
Anmerkungen