Seit den Präsidentschafts- und anschließenden Parlamentswahlen 2012 hat die französische Linksfront (Front de Gauche) einige tiefgreifende politische Debatten geführt, durch die sie zu ihrer früheren Aktionseinheit zurückfand.
Die Frage nach der besten Strategie zur Aufstellung der Listen für die Kommunalwahlen im März 20141 stand dabei natürlich im Mittelpunkt. Es wäre jedoch übertrieben, die Debatten darauf zu beschränken. Wenn auch die Diskussion zwischen PartnerInnen oder Organisationen oft um die Strategie für die Kommunalwahlen kreist, so sind sich doch alle bewusst, dass die Tragweite der unterschiedlichen Standpunkte, die zum Ausdruck gebracht wurden, weit über die Wahlen hinausgeht. Es handelt sich schlichtweg um die Definition der Linksfront, weshalb genauer zu beleuchten ist, wofür dieser Name wirklich steht.
Dieser Artikel beruht auf der Annahme, dass die Zukunft der versammelten antiliberalen Kräfte, ihr Potenzial und ihre Herausforderungen sich nicht definieren lassen, ohne die Ambiguität des Namens an sich zu analysieren: Linksfront. Die Komplexität der verschiedenen Meinungen spiegelt sich in ihrer kurzen, aber reichen Geschichte wider. Einerseits hat die Linksfront durch ihre Wahlerfolge und das Bestehen gesellschaftlicher Herausforderungen erheblich an Bedeutung gewonnen. Von einem ziemlich unscharfen politischen Gebilde entwickelte sie sich zu einer lang ersehnten politischen Einheit mit Unterscheidungsmerkmalen. Trotz der internen Diskussionen konnte die Linksfront neue Mitglieder gewinnen, die an ihrer Entwicklung teilhaben möchten. Anderseits hat sie ihr primäres Ziel erreicht, das darin bestand, mit etwa vier Millionen WählerInnen Sarkozy und die Rechten abzuwählen. Deshalb muss sie sich jetzt neu finden – zu einer Zeit, in der eine linke Mehrheit an der Macht ist, aber ihre beiden Bestandteile, die Sozialistische Partei (Parti Socialiste – PS) und die Grünen (Europe Écologie-Les Verts – EELV), mit einer Linkspartei nicht über nationale Politik diskutieren möchten. Eine derartige politische Landschaft hat es seit dreißig Jahren nicht gegeben.2
Die Verknüpfung dieser beiden Entwicklungen erklärt die unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs Linksfront: Die früheren Bedeutungen stimmen nicht mit den neuen überein, während die neuen noch in der Entstehung sind. Die Bedeutung dieses Ausdrucks – Linksfront – wird zum Gegenstand einer mehr oder weniger produktiven Debatte über Begrifflichkeiten, die immer komplexer werden und zunehmend schwieriger zu entschlüsseln sind.
Tatsächlich spiegelt der Ausdruck die politischen Zielsetzungen wider, die sich je nach den Erklärungen, in denen sie verwendet werden, verändern. Wenn die gegenwärtige Debatte in eine bestimmte Richtung verlaufen soll, müssen wir meines Erachtens die Begriffe klären. Der Begriff Linksfront kann drei Bedeutungen haben. Beginnen wir mit einer Aufzählung der im weiteren Text erläuterten Definitionen dieser Begriffe:
1. Allianz,
2. Gesellschaftliche Kraft,
3. Politische Verantwortung.
Angesichts der Komplexität der derzeitigen Diskussionen, für die sowohl Meinungsverschiedenheiten als auch Erfolge verantwortlich sind, ist der Begriff „Linksfront“ aufzugliedern, um zu verstehen, welche Bedeutungen der tatsächlichen Vereinigung, Kraft und Erwartung entsprechen.
Allianz oder Bündnis ist die primäre Bedeutung der Linksfront. Es ist ein Aufruf zu einem aktiven Zusammenschluss, aus dem eine kämpfende Linke hervorgeht.
Die Allianz steht an erster Stelle. Die diesbezügliche Definition ist am schwierigsten zu verstehen, weil der „Wert“ dieser Art von Bündnis von seiner Verbindung mit anderen Bedeutungen der Linksfront abhängt. Wenn sich dieser Begriff mit möglichen anderen Definitionen überschneidet, wird die Linksfront als Kartell betrachtet. AktivistInnen und Führungsmitglieder warnen daher vor möglichen Abnutzungserscheinungen dieses Begriffs. Ein ähnliches Risiko entsteht dann, wenn man sich auf der Führungsebene auf den Begriff „Bündnis“ beschränkt. Wenn das Ziel der Allianz insbesondere von den Parteien nicht gefördert und bekräftigt wird, bleiben andere mögliche Definitionen der Linken unbeachtet.
Sind die anti-neoliberalen Kräfte der Linken nicht vereint, geht die Tendenz rapide und massiv in Richtung Randgruppe, wie wir bei den Wahlen 2007 feststellen mussten. Wird die Linke der gesellschaftlichen Transformation langfristig geschwächt, verändern sich auch ihre treibenden Kräfte. Die Allianz reduziert sich dadurch auf die historische Perspektive. Sie ist jedoch auch in der Praxis von vorrangiger Bedeutung, da mehrere andere Definitionsmöglichkeiten ohne sie nicht existieren können.
Die Allianz gibt es nicht nur für die Wahlen. Das Wirken der Allianz wird oft mit einem Ansatz verwechselt, der sich auf Wahlen oder Listen für RandwählerInnen konzentriert. Wir sprechen daher oft von Wahllisten der Linksfront: eine Kombination aus KandidatInnen unterschiedlicher Parteizugehörigkeit bedeutet demnach Linksfront. Dann gibt es die doppelte Verkleinerung. Das politische Vorgehen der Allianz, aus der 2008 die Linksfront entstand, geht auf einen Aufruf der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF) sowie die positive Reaktion der Linkspartei (Parti de Gauche) und der Einheitlichen Linken (Gauche Unitaire) zurück. Es ist ein symbolischer Akt der Einheit, der ein gemeinsames Verständnis der Notwendigkeit darstellt, dem Neoliberalismus gegenüberzutreten. Die Linksfront wurde als breite Front und nicht als einfaches Wahlbündnis geschaffen. Die gemeinsamen Aktionen ihrer AktivistInnen gehen berechtigterweise über die ursprüngliche Übereinkunft hinaus und zeichnen – je nach Ort und Herausforderungen – die Konturen der Partei.
Die Allianz erlaubt die Neugründung einer freien und kämpferischen Linken. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass es der Sozialistischen Partei (Parti socialiste – PS) 2008 nicht gelungen war, ihr Verhältnis zum Neoliberalismus zu verändern. Trotz der Niederlage bei der Abstimmung über den Europäischen Verfassungsvertrag im Jahr 2005 verbreitet sie zumindest teilweise die Idee eines „freien Marktes“. Die Allianz steht zur Kooperation mit denjenigen, die sich auf der Suche nach einer alternativen Organisationsform der Gesellschaft nach links orientieren, ausgehend von der Prämisse, dass die Vermarktlichung von Menschen, ihrer Aktivitäten, der Umwelt und von Geld eine Bedrohung für die Emanzipationsbewegung durch gesellschaftliche und demokratische Kämpfe darstellt.
Die Linksfront ist eine gesellschaftliche Kraft. Das ist ihre zweite Definition. Durch die von ihr unternommenen Versuche einer repräsentativen Demokratie, bei denen sie ihre Wählerschaft gewann, kann die Linksfront ihre Allianz als gesellschaftliche Kraft betrachten. Sie bleibt in Bezug auf das wahlpolitische Konzept jedoch unnachgiebig. Ihre Stärke liegt darin, Menschen dauerhaft für sich zu gewinnen – politisch, an der Wahlurne, auf der Straße, beim Ideenstreit, bei allen Handlungen, die einer Alternative zum liberalen Kapitalismus Glaubwürdigkeit verleihen. Sich dabei nur auf die Kommunalwahlen zu konzentrieren, während die Bekämpfung der Rentenreform ins Hintertreffen gerät, wäre eine Fehlinterpretation der Identität der Linksfront.
Entstehung von Wählerschichten. Die fortschreitende Durchdringung der Wählerschaft durch die Allianz ist Ergebnis eines Prozesses, der vorerst in den Präsidentschaftswahlen von 2012 kulminierte. Die bei den Regionalwahlen 2008 und bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 erfahrene Unterstützung ermöglichte im Wesentlichen die Remobilisierung einer kommunistischen Wählerschaft. Davon ausgehend spiegelten die Wahlergebnisse 2012 das Zusammentreffen einer linken Wählerschaft unterschiedlicher Strömungen (Neue Antikapitalistische Partei/NPA, Grüne, PS) wider, die jedoch die gemeinsame Kritik an den von den Grünen und der PS übernommenen liberalen Optionen verbindet. Mit den Ergebnissen der Jahre 2009, 2010 und 2012 reihte sich die Linksfront unter jene politischen Kräfte ein, die identifiziert und wahrgenommen und an die Erwartungen geknüpft werden.
Suche nach einer dauerhaften Basis bei ArbeiterInnen und auf dem Lande. Trotz wiederholter Kampagnen der Linksfront mit einer klaren politischen Position kristallisierte sich lediglich eine instabile Wählerschaft heraus. Als gesellschaftliche Kraft muss die Linksfront unbedingt die beiden Pfeiler ihrer Strategie hinterfragen und sowohl diejenigen ansprechen, die sie bereits gewählt haben (bei der Präsidentschaftswahl waren es vier Millionen), als auch über diese Wählerschaft, die in Arbeitervierteln und ländlichen Räumen nicht genügend repräsentiert ist, hinausblicken. Starke Gewinne von WählerInnen unter Angestellten in Innenstädten und Angehörigen der Mittelschicht sind zu konsolidieren, während weiter Möglichkeiten für eine Politisierung breiter Bevölkerungsschichten gesucht werden müssen. Der Kampf gegen die Politikverdrossenheit der gering qualifizierten Bevölkerungsgruppen, die weit entfernt von den großen städtischen Ballungsräumen leben, geht entschieden über die Logik der Repräsentation hinaus. Die werktätigen Bevölkerungsschichten bekommen die Last, die sie im neoliberalen kapitalistischen System zu tragen haben, besonders zu spüren. Um sie für unser Anliegen zu gewinnen, müssen wir sie ständig einbeziehen. Ohne ihre massive Beteiligung als gesellschaftliche Kraft, die Druck ausübt und Vorschläge macht, wird nichts geschehen.
Bewährungsproben in der Gesellschaft. Tests der gesellschaftlichen Mobilisierung in unterschiedlichen Formen – von Demonstrationen bis hin zum Vereinsleben – sind für die Linksfront ebenso wichtig wie Wahlen, da sie dort ihre Fähigkeit beweist, mit Mitgliedern von Gewerkschaften, Verbänden, Bewegungen und allen Menschen zu kooperieren, die zum Kampf um soziale Rechte im 21. Jahrhundert bereit sind. Die riesige Versammlung am 18. März 2012 auf dem Pariser Place de la Bastille, die sich zu einer Mischung aus Wahlkampf- und Protestveranstaltung entwickelte, spiegelt die Kraft einer politischen Idee wider, bei der der Urnengang nur eine von vielen Aktionsformen ist, zu denen auch Besetzungen, Proteste, Kundgebungen und Mobilisierungen gehören. Voraussetzung für die Stärkung und Erweiterung der Wählerschaft der Linksfont ist natürlich eine Gemeinsamkeit der Aktion mit breiten Bevölkerungsschichten, wobei solche Aktionen nicht ausschließlich Wahlzwecken dienen dürfen.
Die bevorstehenden Kommunalwahlen in den 36.000 französischen Städten und Gemeinden werden ein weiterer Test sein. Es gilt, die Entwicklung der Linksfont weiter voranzubringen und die Verschiedenartigkeit der Situationen, denen sich die AktivistInnen gegenüber sehen, zu berücksichtigen. Die Politik der Linken auf nationaler Ebene (PS und Grüne) wird natürlich im Mittelpunkt der politischen Debatte stehen. Dennoch fördert bei Kommunalwahlen die Unterordnung jedweder politischen Positionierung auf lokaler Ebene unter eine nationale Positionierung, die den Sparkurs der Regierung kritisiert, nach Meinung der Menschen paradoxerweise die ohnehin bereits weit verbreitete Idee, dass die Macht der Märkte zu stark für signifikante Veränderungen sei. Deshalb sollte die Linksfront aktiv deutlich machen, dass die Stadt- und Gemeinderäte Alternativen zur Sparpolitik haben, wenn sie sich mit Kräften der Arbeiterschaft zu einem gemeinsamen Kampf zusammenschließen. Revolutionäre kommunalpolitische Maßnahmen orientierten sich systematisch am Ziel, den Spielraum für eine Machtrückgabe an das Volk zu vergrößern. Sie spiegeln die Tatsache wider, dass die von der Regierung, den Märkten oder der Europäischen Kommission auferlegten Verpflichtungen nie in Stein gemeißelt sind. Das Bewusstsein der Komplexität der Kommunalwahlen verleiht AktivistInnen und Führungspersonen der Linksfront eine noch größere Verantwortung.
Verantwortungsethik für die Mitglieder der Allianz. Angesichts der je nach Stadt oder Gemeinde unterschiedlichen politischen Situationen kann eine eigens für die Kommunalwahlen gebildete Partei nicht überall die gleiche Form annehmen. Ungeachtet der Vielfalt der Situationen sollte das Hauptziel der AktivistInnen und der Führungsebene darin liegen, die Existenz der Allianz zu bewahren. Wir kennen den Preis der Uneinigkeit und die Vorteile der Einigkeit. Meinungsverschiedenheiten über die KandidatInnenliste auf kommunaler Ebene sollten nicht dramatisiert und überbewertet werden, da sie die Linksfront nicht grundsätzlich infrage stellen. Wenn die Linksfront nämlich nicht nur eine Allianz ist, sondern sich zudem auf dem besten Weg befindet, eine Kraft des gesellschaftlichen Wandels zu werden, darf sie durch eine Meinungsverschiedenheit über eine Wahl nicht in ihrer Existenz bedroht werden. Es liegt in der Verantwortung der AkteurInnen, unabhängig von strategischen Wahlüberlegungen eine gemeinsame Motivation zu entwickeln, durch die sich die momentane Schwäche der Linken überwinden lässt. Dieses Konzept der Verantwortung ist nach meiner Überzeugung das derzeit strikte Mindestmaß. Es muss durch eine Überzeugungsethik ergänzt werden.
Eine Überzeugungsethik für die AktivistInnen der Linksfront. Wir müssen davon überzeugt sein, dass durch auf die Einheit zielende politische Aktionen von AktivistInnen in breiten Bevölkerungsschichten die Forderungen nach stärkeren Basisaktionen zunehmen. Die Kräfte der Linksfront müssen angesichts der von ihnen verkörperten Einheit ihr Vorgehen auf die Überzeugung bauen, politische Aktionen immer wieder in Frage zu stellen und eine Erweiterung der Basis in der Gesellschaft und unter den WählerInnen anzustreben. Die Allianz der Linksfront von SozialistInnen und KommunistInnen ist ein erster Schritt auf dem Wege der gemeinsamen Überwindung der Spaltungen, um eine handlungsfähige politische Kraft zu schaffen. Sie muss Mittel und Wege – durch das Wählen, das Sprechen und das praktische Handeln – finden, die es möglich machen, dass die dominierten Klassen, die derzeit instrumentalisiert werden, sich ihrer eigenen Handlungsfähigkeit wieder bewusst werden. In diesem Sinne sollten die Europawahlen als ein Schlüsselmoment bei der Ablehnung der Austeritätspolitik durch die Bevölkerung betrachtet werden.
Uneinigkeit über einen der drei Begriffe – Wählen, Sprechen und Handeln – führt nicht dazu, dass die anderen beiden Begriffe ihre Wirkung verlieren. Wahlen haben ihre Grenzen, wie wir bereits feststellen konnten. Meinungsäußerungen haben ebenfalls ihre Grenzen, da auch andere gesellschaftliche Kräfte den Anspruch erheben, die Stimme des Volkes zu sein. Also müssen Aktionen stattfinden. Wenn die Bevölkerung nur bei den Präsidentschaftswahlen und ansonsten nur sporadisch bei einzelnen Wahlterminen zuhört, heißt das, die Menschen sind schwach und willens, Verantwortung zu delegieren. Ein Volk, das Überzeugungen hat, aber nicht handelt, ist ein Volk, das keine Initiative ergreift. Indem wir davon überzeugt sind, dass die Menschen bei Präsidentschaftswahlen mehr „tun“ als zu „delegieren“ und sich der herrschenden Klasse unterzuordnen, können wir verhindern, dass eine Meinungsverschiedenheit bei Wahlfragen zur Beseitigung der „Front“ der Linksfront führt.
Anmerkungen