Der Artikel erläutert einen Standpunkt in der anhaltenden Debatte zum Grundeinkommen.
In Finnland fand in den letzten Jahren eine lebhafte Debatte über das Grundeinkommen statt. Die aktuellen Krisen in Politik und Wirtschaft waren Anlass zu der Frage, ob das skandinavische Wohlfahrtsstaatsmodell der beste Weg ist, die soziale Grundsicherung zu organisieren. Abgesehen von sporadischen Verbesserungen ist das System bürokratischer, kontrollierender, demütigender und unflexibler geworden. Ganz offensichtlich schützt der Wohlfahrtsstaat die Bürger_innen nicht mehr vor Arbeitslosigkeit, sondern kontrolliert und "aktiviert" die Arbeitssuchenden (denen die Schuld an ihrer Lage zugeschoben wird).
Seit Jahrzehnten wird das aktuelle System von fast allen politischen Parteien und Verantwortlichen in Finnland kritisiert. Das Grundeinkommen ist seit den 1980er Jahren vor allem von den Grünen und der Linken immer wieder als eine Alternative ins Spiel gebracht worden. Nach der Wirtschaftskrise Anfang der 1990er Jahre hat sich die Anzahl der Sozialhilfeempfänger_innen verdreifacht. Die Arbeitsmarktpolitik ist rigider geworden: Unterhaltszuschüsse, der letzte Rettungsanker für alle Bürger_innen ohne jedes andere Einkommen, sind gekürzt worden, und Arbeitssuchende müssen an zumeist uneffektiven Umschulungen teilnehmen oder unbezahlte Praktika leisten, um weiterhin Arbeitslosenunterstützung zu bekommen.
Laut einer Studie der Wirtschaftswissenschaftler Jan Otto Andersson und Olli Kangas aus dem Jahre 2000 war die Mehrheit der Finn_innen für eine Art von garantiertem Mindesteinkommen; ein Grundeinkommen wurde von 63 Prozent gutgeheißen.
Das Grundeinkommen ist mit den unterschiedlichsten Argumenten beworben worden. Es gilt als Garantie eines Mindesteinkommens für alle und als Mittel zur Bekämpfung wirtschaftlicher Ungleichheit durch Vereinfachung der Verwaltung. Behauptet wird auch, dass ein Grundeinkommen Armut mindert und Lücken in der Erwerbstätigkeit schließt, die oft typisch für Systeme sind, die mit einer Bedürftigkeitsprüfung arbeiten.
Es sind insbesondere die Bewegung des Prekariats und die neue Linke, die dem Warencharakter der Arbeit etwas entgegensetzen wollen. Ein Grundeinkommen würde den Arbeitsmarkt für Arbeitssuchende flexibler und gerechter machen, da sie nicht jeden Job gleich zu welchen Bedingungen annehmen müssten, nur um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Für Kleinunternehmer_innen würde es leichter, Risiken einzugehen, da das persönliche Einkommen nicht notwendigerweise vom Unternehmenserfolg abhinge. All diese Argumente sind von verschiedenen linken Gruppierungen über die Jahre hinweg immer wieder vorgetragen worden.
Während der EuroMayDay-Proteste 2005 und 2006 setzte die Prekariatsbewegung das Thema Grundeinkommen erneut auf die Tagesordnung. Ihre Botschaft lautete, dass die rasche Prekarisierung des Arbeitsmarktes und die Krise der Lohnarbeit als Institution eine schnelle Lösung erforderten: ein Grundeinkommen. Eine neue Idee damals war, dass das Grundeinkommen auch eine Möglichkeit wäre, autonome Produktion außerhalb der traditionellen Lohnarbeit zu finanzieren. Die Debatte darüber ging an der Basis weiter, bis die Grünen ihr Modell eines Grundeinkommens vorstellten, dessen Auswirkungen auf die Einkommensverteilung und die Besteuerung unter Verwendung eines Mikrosimulationsmodells berechnet worden waren. Es war Teil ihrer Kampagne für die Parlamentswahlen 2007. Dieser Vorschlag machte die Grünen über Jahre hinweg zur wichtigsten Stimme in der öffentlichen Debatte über das Grundeinkommen. Die Grünen hatten ein monatliches Grundeinkommen von 440 EUR sowie eine garantierte monatliche Mindestrente von 600 EUR vorgeschlagen. Einige Sozialleistungen, die von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängen, wie z.B. Wohngeld und Zuschüsse zur Existenzsicherung, bleiben davon unberührt. Die (linken) Befürworter_innen des Grundeinkommens kritisierten das Modell der Grünen als ungeeignet zur Armutsvermeidung, da die Höhe des Grundeinkommens zu gering sei. Argumentiert wurde, dass damit die Menschen gezwungen wären zu arbeiten und Arbeitsangebote nicht ablehnen könnten.
Kritisiert wurde das Modell auch für seine mangelnde Auswirkung auf die Einkommensverteilung. Die Mittel kommen aus einer zweistufigen Einkommensteuer: bei weniger als 60.000 EUR im Jahr greift eine Pauschalsteuer von 39 Prozent; darüberliegende Einkommen werden mit 49 Prozent besteuert. Außerdem würde die Kapitalertragsteuer von 29 Prozent auf 32 Prozent steigen, einige Steuererleichterungen würden gestrichen und Umweltsteuern eingeführt.
Das Linksbündnis tritt seit seinem ersten Parteiprogramm von 1990 für die Zusammenlegung der Sozialhilfe ein. Es fordert außerdem eine Aufstockung der Sozialhilfe und propagiert den Übergang zu einem Bürgereinkommen. Trotzdem verläuft die Diskussion in der Partei bereits seit ihrer Gründung angespannt. Lange Zeit war die Partei offiziell weder für noch gegen ein Grundeinkommen. Die Hauptgegner_innen sind "die Gewerkschafter_innen". Sie lehnen das Grundeinkommen vehement mit dem Argument ab, dass das allgemeine Lohnniveau sinken und das System der Sozialleistungen für Arbeitnehmer_innen zerschlagen würde.
Das Linksbündnis hat auf dem Parteitag 2010 seine Position zum Grundeinkommen differenziert. Bei dieser Frage konnten die "Rot-Grünen", auch die "neue Linke" genannt, gegenüber den Gewerkschafter_innen die Oberhand gewinnen.
Im Programm heißt es: “Ein linkes Grundeinkommen verbessert die Verhandlungsposition der Arbeiter_innen am Arbeitsmarkt und stärkt die freiwillige Arbeit und das Unternehmertum. Es verringert auch die Abhängigkeit der Menschen von unbefriedigender Lohnarbeit und Sozialhilfestrukturen. Das Grundeinkommen stellt einen sozialen Wandel hin zu größerer Unabhängigkeit der Menschen dar, orientiert die Gesellschaft weniger auf Lohnarbeit und erkennt an, dass es erstrebenswerte Tätigkeiten auch außerhalb der Lohnarbeitsstrukturen gibt."
Nach dem Parteitag setzte der Lenkungsausschuss des Linksbündnisses eine Arbeitsgruppe zu Sozialhilfe und Grundeinkommen ein, deren Aufgabe es war, für die Partei ein Dokument zu diesen Fragen zu erarbeiten. Im März 2011 nahm der Lenkungsausschuss auf seiner Tagung das Diskussionspapier der Arbeitsgruppe an. Das Ziel des Diskussionspapiers bestand darin, die Diskussion über Sozialhilfe und Grundeinkommen zu vertiefen und gleichzeitig das Modell eines Grundeinkommens der Partei vorzustellen.
Der Vorschlag beinhaltet die Verbesserung der sozialen Grundsicherung und einen allmählichen Systemübergang vom Wohlfahrtsstaat zum Grundeinkommen. Nach dem Modell des Linksbündnisses sollen alle Erwachsenen ein monatliches Grundeinkommen von 620 EUR erhalten, das lohnindiziert ist. Zusätzlich zum Grundeinkommen kann man einen Zuschuss in Höhe von 130 EUR beantragen (der von bestimmten Voraussetzungen abhängt, z.B Arbeitslosigkeit, Krankheit, Studium, Elternurlaub oder häusliche Kinderbetreuung), so dass die Gesamtsumme 750 EUR beträgt. Das universalisierte Sozialhilfesystem erfasst Arbeitslose und die Empfänger_innen von Kleinrenten, Krankengeld, Mutterschafts- und Elterngeld, Studienbeihilfen, Leistungen für häusliche Pflege und Unternehmensgründungszuschüssen. Das Grundeinkommen kommt vor allem Sozialhilfeempfänger_innen, unregelmäßig oder in Teilzeit Beschäftigten und Geringverdiener_innen zugute.
Der Übergang zu einem Grundeinkommen erfolgt durch eine Harmonisierung des Sozialsystems, die Anhebung der Mindestleistungen und die Steigerung positiver Rückkopplungseffekte. Außerdem werden die Hürden zur Annahme einer Festanstellung gesenkt, die Anrechnung des Arbeitseinkommens auf Sozialleistungen verringert und die Bearbeitungszeiten für den Bezug von Arbeitslosenunterstützung verkürzt. Rentner_innen erhalten eine arbeitsentgeltbezogene Rente, bestehend aus einer Garantierente von mindestens 750 EUR und aufgestockt um eine staatliche Rente. Die arbeitsentgeltbezogene Rente wird zusätzlich zum Grundeinkommen in Höhe von 620 EUR gezahlt, so dass das Rentenniveau insgesamt unverändert bleibt.
Das Grundeinkommen würde die öffentliche Hand zusätzlich 1,2 Milliarden EUR und das Anheben des Steuerfreibetrages auf 10.000 EUR 2,4 Milliarden EUR kosten. Das Grundeinkommen in Höhe von 620 EUR und von 750 EUR als Sozialhilfe bedeutet einen Einkommenstransfer von 3,6 Milliarden EUR, was durch eine Veränderung der Einkommensteuersätze zu erreichen ist, indem Einkommen über dem Grundeinkommen mit 30 bis 57 Prozent besteuert werden. Die Steuergruppe 1 gilt für Jahreseinkommen von 0 bis 7.200 EUR.
Nachdem das Linksbündnis das Modell veröffentlicht hatte, kreiste die Diskussion vor allem um die Modelle der Grünen und des Linksbündnisses, obwohl es sich bei dem Modell des Linksbündnisses lediglich um ein Diskussionspapier handelte, und nicht um einen offiziellen Vorschlag.
Im Mai 2011 wurde die finnische Mitgliedsorganisation des Basic Income Earth Network (BIEN) gegründet. Es vereinigt Befürworter_innen des Grundeinkommens aller politischen Couleur. Ende März 2012 startete das finnische BIEN eine Kampagne für eine Bürgerinitiative zur Einführung eines allgemeinen Grundeinkommens. Bürger_inneninitiativen können vom Parlament behandelt werden, wenn sie von 50.000 Unterstützer_innen unterzeichnet wurden. Die Bürger_inneninitiative schlägt ein Grundeinkommen in Höhe des Mindestsatzes der derzeitigen Sozialleistungen vor, das allen dauerhaft in Finnland ansässigen erwachsenen Personen individuell zu zahlen ist.
Die Initiative geht auf eine Arbeitsgruppe zurück, die Vertreter_innen unterschiedlicher Parteien und Nichtregierungsorganisationen umfasst. Durch diese Initiative und die Kampagne der Finnischen Linksjugend für ein Grundeinkommen rückte das Thema für Medien und politische Aktivisten wieder in den Vordergrund. Nach der Veröffentlichung des Buches "Perustulon aika" (Zeit für ein Grundeinkommen), herausgegeben von Johanna Perkiö und Kaisu Suopanki, wuchs das Interesse weiter.
Jetzt nahm die breite Öffentlichkeit das Thema zur Kenntnis. Im Juni 2012 schrieb die größte finnische Tageszeitung, dass das Thema nun zunehmend im Sinne der Befürworter_innen eines Grundeinkommens diskutiert wird.
Dessen Gegner_innen waren nun natürlich zu einer Reaktion gezwungen. Im allgemeinen lautet diese, dass ein Grundeinkommen zu einer Gesellschaft von Geringverdiener_innen und Geringqualifizierten führen würde. Ein Wirtschaftswissenschaftler der Zentralorganisation der Finnischen Gewerkschaften (SAK) verfasste einen Artikel über das Grundeinkommen unter der Überschrift "Grundeinkommen – teuer, nutzlos und furchtbar". Die meisten Argumente wurden ziemlich arrogant vorgetragen, bewiesen die Unkenntnis der verschiedenen vorgeschlagenen Modelle oder basierten auf oberflächlicher Beschäftigung mit der Thematik. Auch wenn die SAK keine offizielle Position zum Grundeinkommen hat, sieht es aber nach einer Reihe öffentlicher Äußerungen so aus, als seien ihre Stellungnahmen zum Grundeinkommen absichtlich negativ. Und das, obwohl sich 2008 in einer eigenen Umfrage 37 Prozent der Teilnehmer_innen für ein Bürger_inneneinkommen aussprachen, das im wesentlichen auf ein Grundeinkommen hinausläuft.
Es ist schwer zu sagen, worin die Gewerkschaften eigentlich die "Gefahr" sehen, die sie zum Widerstand gegen das Grundeinkommen motiviert. Eine dieser Gefahren sind vermutlich mögliche Auswirkungen auf die Tarifverhandlungen und -vereinbarungen. Das ist eine Kernfrage, die weitere Diskussionen verdient. Die SAK ist allerdings noch nicht einmal bereit, unterschiedliche Herangehensweisen in Betracht zu ziehen. Die Hauptsorge scheint zu sein, dass ein Grundeinkommen zu mehr Niedriglohnarbeitsplätzen führt, obwohl sich das leicht durch ein Mindestlohngesetz vermeiden ließe.
Das Problem liegt darin, dass die Befürworter_innen eines Grundeinkommens Argumente sammeln und Visionen entwickeln, die andere Seite jedoch noch nicht einmal zu einer Auseinandersetzung auf rationaler Ebene bereit ist. Die meisten von ihnen äußern sich in dieser ganzen Diskussion nur beiläufig mit knappen Sprüchen, die nicht immer auf Tatsachen beruhen.
In dem Maße, wie das Grundeinkommen zunehmend machbar zu sein scheint, sollten dessen Gegner_innen entweder ihre Gegenargumente schärfen oder bereit sein, sich endlich mit der Idee zu beschäftigen. Sind sie nicht willens, ein Grundeinkommen zu akzeptieren, sollten sie eigene Alternativlösungen für die Probleme unseres Sozialsystems anbieten. Sollte sich das Grundeinkommen durchsetzen, müssen die Gewerkschaften dabei mitwirken, um unerwünschte Konsequenzen zu verhindern und linke Bedingungen als Grundlage des neuen Systems durchzusetzen.
Im Herbst 2012 ist die Debatte nicht mehr so sehr an die verschiedenen Modelle geknüpft, was ein Fortschritt ist. Jetzt diskutieren nicht mehr Bewegungen, sondern Expert_innen und Parteien. Allerdings fehlt es der parlamentarischen Linken und dem Linksbündnis an Visionen, was für eine Gesellschaft mit dem Grundeinkommen in Zukunft errichtet werden soll. Viele wagen sich nicht an diese Grundfrage heran und reden stattdessen nur von Veränderungen in der Verwaltung. Es ist aber notwendig, sich auf konkrete Ebenen und Aspekte zu konzentrieren. Was können wir erreichen, und was für eine Gesellschaft wollen wir? Ist das Grundeinkommen ein geeignetes Mittel dafür? Was sind das für Ziele, die wir mit dem Grundeinkommen erreichen wollen? Zu welchen Kompromissen sind wir bereit, um unser Ziel zu erreichen?
Das Prekariat und die "neue Linke" haben die Ideen zu diesem Thema offensichtlich am weitesten entwickelt. Ein zentraler Punkt ist, dass das Grundeinkommen als Kompensation für alle Aktivitäten der Bürger_innen betrachtet werden kann, die zwar nicht bezahlt werden, aber für die Gesellschaft notwendig sind. Die Linke sollte jetzt darüber reden, welche anderen Möglichkeiten der Organisation der Produktion und welche Alternative zum Kapitalismus es gibt. Das Ziel der Linken bei der Propagierung des Grundeinkommens sollten eine gerechtere Verteilung bezahlter Arbeit, die Abschaffung unhaltbarer Konsummuster, die Organisation nachhaltiger Produktion und die Umverteilung des Reichtums sein.
In Wirklichkeit jedoch spricht die Linke bescheiden von der Komplexität des Sozialsystems, aber nicht von Arbeitsverweigerung.
Hier könnte man zurückkommen auf die Forderung der Prekariatsbewegung, dass man Arbeit unter unzumutbaren Bedingungen ablehnen können muss. Das Grundeinkommen würde die derzeitige Institution bezahlte Arbeit wesentlich verändern.
Die von der Linken vorgeschlagene Reform auf der Grundlage eines Grundeinkommens würde einen demokratischeren Weg zur Organisation der Arbeit eröffnen. Sie beruht auf demokratischer Kontrolle, Verteilung des Einkommens auf der Grundlage tatsächlicher Arbeit und Bewertung der sozialen Auswirkungen der Produktion. Zudem würde das Grundeinkommen kleinen und mittleren Unternehmen Anreize zur Innovation bieten und im Sinne progressiver Wirtschaftspolitik wirken.
Von bezahlter Arbeit abhängige Existenzsicherung ist ein zentraler Kontrollmechanismus. Wenn die Linke in Finnland (und in ganz Europa) für die Freiheit als Wort und Idee steht, dann sollte dieser Punkt nicht ignoriert werden. Ein Grundeinkommen könnte die Lösung sein.