• Die Wirtschaftskrise 2008 und der Staat

  • 12 Jun 11 Posted under: Kapitalismus heute
  • 1. Der Staat im neoliberalen Zeitalter

     

    In der Tradition Foucaults wird der Staat nicht als außerhalb der Gesellschaft situierter Akteur betrachtet, welcher die herrschenden Klasseninteressen bedient. In dieser Sicht bildet er vielmehr eine in Institutionen und sozialen Praktiken diffus vorhandene Machtquelle. Was der Staat als Gesetzgeber tut, in Form institutioneller Praktiken und als spezifisches Handeln von Agenturen jeglicher Art, das ist, so gesehen, ein Set von Machtrelationen, die in Staat und Gesellschaft unter den spezifischen Prämissen von Gouvernementalität eingelassen sind,1 ein Prozess permanenten Restrukturierens der Methoden und Formen von Governance. Zugleich ist da immer auch eine Differenz zwischen erklärten Zielen und/oder Mitteln und aktuellen Praktiken. In jedem Fall muss der Staat unter einem breiteren Blickwinkel betrachtet werden, dessen Fokus auf Macht und die Wege gerichtet ist, auf denen Machtstrukturen die sozialen Praktiken durchziehen. Klasseninteressen sind Teil dieses Prozesses, fungieren aber in einem Spektrum von konfligierenden Interessen, administrativen Praktiken und Ideen, welche widersprüchliche Resultate hervorbringen.

    Diese Perspektive, die Foucault in seinen Studien über Krankheit, Sexualität und Gefängnis nutzte, scheint für unsere ökonomischen Fragestellungen von geringer Relevanz zu sein. Nichtsdestotrotz kann sie eine sehr hilfreiche Methodologie bilden, wenn es darum geht, die Rolle des Staats im neoliberalen Zeitalter zu verstehen, ebenso wie die „Rückkehr des Staats“ als Antwort auf die gegenwärtige Krise.

    Eine der wesentlichen Entwicklungen des neoliberalen Zeitalter bestand darin, dass der Staat, obzwar als Produzent von Waren und Dienstleistungen diskreditiert, was zu massenhafter Privatisierung führte, doch fortfuhr, einen großen Prozentsatz des Bruttosozialprodukts (BSP) zu kontrollieren, wie er dies auch in der Vergangenheit getan hatte. In den am meisten entwickelten kapitalistischen Wirtschaften verblieben die öffentlichen Ausgaben und das durch Steuererhebung entstandene öffentliche Einkommen bei 45 bis 50 Prozent des BSP. Ja, mehr noch: Bestimmte Wirtschaften, die USA an der Spitze, steigerten enorm ihre öffentlichen Schulden. Solcherart fand ein drastischer Wandel der Art und Weise statt, in welcher der Staat in der Wirtschaft funktioniert. Wenngleich signifikante Veränderungen in der Struktur der öffentlichen Ausgaben sowie in der Erhebung des öffentlichen Einkommens stattfanden, so gab es doch nirgendwo eine starke Tendenz eines „Rückzug des Staates“.

    Der Staat begann, vier verschiedene Dinge zu tun:

    • Obwohl er bestimmte Bereiche davon zurückschnitt und Teile seiner Dienstleistungen privatisierte, fuhr er doch fort, bestehende Wohlfahrtssysteme zu unterstützen;
    • durch Investitionen in Infrastruktur, eine Reihe alter und neuer Zuschüsse und Subventionen (Rüstung, Landwirtschaft, bestimmte Industriezweige) unterstützte er private Märkte;
    • in den globalen Märkten zwischenstaatlicher Verträge spielte er eine entscheidende Rolle (Rüstung, Energie, zivile Luft- und Raumfahrt, Infrastruktur);
    • er behielt das Monopol über die Währungspolitik bei, wobei er zumeist der Politik des kreditinduzierten Wachstums verfolgte, die zur Spekulationsblase führte.

    Dieses neoliberale Zeitalter machte antiinflationäre Politiken erforderlich. Diese wurden von den meisten Regierungen der Welt angewendet, um Kapital und Investitionen anzuziehen. In den frühen 90er Jahren verfolgte der IWF solche Politiken und schien in dieser Hinsicht sehr wirkmächtig zu sein. Als der Finanzsektor das Geschäft übernahm, den internationalen Waren- und Geldfluss auszubalancieren, konnte jeder Rückzug von dem herrschenden „Dogma“ durch die Provider internationaler Fonds bestraft werden.

    Doch während die entwickelten Wirtschaften das neoliberale Dogma predigten, häuften sie Schulden an, und das war ein ziemlich großer Widerspruch. Dieses Paradox begann in der Reagan-Ära und setzte sich ununterbrochen (mit einer kurzen Zwischenpause unter der Clinton-Administration) bis heute fort. Dieses Paradox bildet eines der Hauptcharakteristika der Zeit nicht nur in den USA, sondern auch in vielen Wirtschaften Europas.

    Der Anstieg der Schulden bedeutet, dass der Staat, statt weniger wichtig zu werden, fortfuhr, eine zentrale Rolle im Akkumulationsprozess zu spielen, ganz anders als in der Periode des Regulations-Kapitalismus von 1930 bis 1980. In den Analysen der radikalen Denkschulen war der Staat zentral, handele es sich um jene, die den Kapitalismus als in ständiger Stagnation befindlich betrachten, oder um jene, die den Fall der Profitrate bzw. die Schmälerung des Profits betonen.2

    2. Die globale Wirtschaft

     

    Wirtschaftskrisen waren in den letzten beiden Jahrhunderten stets international, nicht national. Hier und da können auch nationale Krisen stattgefunden haben, aber entweder hatten sie ein starkes internationales Element, oder sie entstanden aus sehr spezifischen Umständen. In jedem Fall sind sie für die gegenwärtige Krise von geringer Bedeutung.

    Internationale Wirtschaftskrisen sind das Resultat einer starken Störung der Beziehungen zwischen internationalen Warenströmen (dem internationalen Handel) einerseits, und dem internationalen Geldstrom (dem Finanznetzwerk) andererseits. Der internationale Warenstrom produziert in jeglicher historischer Periode Volkswirtschaften, die in ihrem Handel mit dem Rest der Welt entweder einen Gewinn oder ein Defizit erzielen. Der Geldstrom muss, um das System auszubalancieren, in die entgegengesetzte Richtung verlaufen. Eine Volkswirtschaft wie die griechische beispielsweise, die beständig ein großes Handelsdefizit erwirtschaftet, ist immer von einem positiven Geldzufluss abhängig, der durch Schifffahrt, Tourismus, Überweisungen von Migranten, ausländische Investoren und, v.a., Auslandsanleihen erzeugt wurde.

    Das internationale System, das diese beiden Flüsse reguliert, bestand stets aus einem spezifischen Set von Regeln. Im 19. Jahrhundert, unter der Vorherrschaft der Briten, war dies eine Kombination aus Freihandel und „Goldstandard“. Für einen gewissen Zeitraum wurde dieser „Goldstandard“ in der Zwischenkriegsperiode (1926 bis 1931) wieder eingeführt, eine Maßnahme, die sich als desaströs erwies und zur Krise von 1929 führte. In der Nachkriegsperiode bestand Bretton Woods (1945-1971) aus einem System festgelegter Wechselkurse, wobei das Gold durch den Dollar ersetzt wurde und die USA, als diejenige Wirtschaftsmacht, die den größten Handelsüberschuss erzielte, den Hauptprovider von Geld an den Rest der Welt bildete.

    Diese Perspektive verwendete Kindleberger in seiner klassischen Studie über die Krise von 1929.3 Die Rezession der 30er Jahre erklärt er aus den instabilen Arrangements, die auf den Ersten Weltkrieg folgten. Das entstehende System schloss die erheblichen Kriegsreparationen ein, die Deutschland zu zahlen hatte (und die Keynes so schnell kritisierte), ebenso wie die Arrangements betreffs des überbewerteten britischen Pfunds und des französischen Francs. Dies führte zu einer permanenten Instabilität des internationalen Systems, das die Amerikaner nur bis zu einem bestimmten Maße bereit waren, durch Anleihen zu finanzieren. Die Rückkehr zum Goldstandard machte die Sache nur noch schlimmer. Die USA wollten das System nicht stützen, England konnte es nicht, und so brach es zusammen.

    In der Keynesianischen Periode, die auf den Krieg folgte, wurden die USA zum Hauptprovider der Fonds, die das Bretton Wood System stützten. Nach der Krise von 1970 fand eine Reihe von Veränderungen statt. Seit 1980 gibt es kein Regelwerk mehr für das internationale Finanzsystem. Zusätzlich dazu wurden die USA seit Mitte der 1980er Jahre zu einer Wirtschaft mit einem wachsenden Handelsdefizit, was einen kontinuierlichen Zufluss von Geld aus dem Rest der Welt erforderlich machte. Schließlich erwiesen sich die Wechselkurse der verschiedenen Währungen auf den internationalen Märkten als nicht mehr händelbar, und die Finanzmärkte waren dereguliert.

    Diese Entwicklungen erzeugten eine permanente Fluktuation in den Wechselkursen der Hauptwährungen, ermutigten Spekulationsgeschäfte und führten häufig zu großen Finanzkrisen (Mexiko 1995, Südostasien, Russland, Brasilien 1998, Argentinien 2001). Schrittweise wurde eine ganze Reihe von Strategien ausgearbeitet, um die Wirtschaften vor solchen Fluktuationen zu schützen. Die Europäische Union wählte die gemeinsame Währung, China optierte für die „Dollarisierung“, während andere Wirtschaften sich von derselben zurückzogen, um großen Krisen zu entgehen (Brasilien und die meisten der lateinamerikanischen Wirtschaften).

    Seit 1990 und den großen geopolitischen Veränderungen, die mit dem Kollaps des Ostblocks und dem Kurswechsel in China verbunden waren, trat die globale Wirtschaft in eine Phase intensiven Wachstums des internationalen Waren-, Investitions- und Geldstroms ein. China wurde zur aufsteigenden Weltindustriemacht. Russland gewann seine Stellung als Hauptenergieversorger zurück. Europa implementierte die Währungsunion, dehnte sich Richtung Osten und Balkan aus und blieb ein Gebiet mit Handelsüberschuss, insbesondere durch die deutschen Exporte. Geldflüsse wurden in New York und London zentralisiert, wo ein Großteil der globalen Reserven gemanagt wird, die von dort aus in Form von Investitionen, Anleihen und spekulativem Kapital in alle möglichen Richtungen ausströmen.

    Das Wachstum der globalen Wirtschaft basierte auf einer Kombination von Auswirkungen des technologischen Wandels (Produktivitätssteigerungen in den USA, in Europa und Japan), einem Überfluss an billigen Arbeitskräften (China, Indien und andere Länder mit intensiver Urbanisierung), und dem Wachstum des Weltmarkts. Entwickelte kapitalistische Wirtschaften wurden zu Dienstleistungsökonomien (in den USA arbeiten 3% der Bevölkerung in der Landwirtschaft, 12% in der Industrie). Die Industrie wanderte in Entwicklungsländer ab. Praktisch überall in der Dritten Welt kollabierten die Agrarwirtschaften, mit der Folge, dass die Migration enorm anstieg. Fast 1,5 Milliarden Menschen zogen entweder in die urbanen Megacitys oder in andere Länder.

     

    3. Die US-amerikanische Wirtschaft

     

    Die US-amerikanische Wirtschaft, in der die derzeitige Wirtschaftskrise entstand, nimmt in der Weltwirtschaft eine strategische Position ein. Sie repräsentiert 23% der Weltwirtschaft, nur geringfügig weniger als die Europäische Union (25%). Mit Japan und anderen entwickelten Wirtschaften, wo insgesamt eine Milliarde Menschen lebt, teilen sie 80% des globalen Einkommens auf, während den „restlichen“ fünf Milliarden nur 20% desselben zur Verfügung stehen.

    Seit Mitte der 1980er Jahre begannen die USA, ein Handelsdefizit zu erzielen. Bis dahin bildeten sie eine relativ „geschlossene“ Wirtschaft, in der sich die Im- und Exporte auf 3-5% des BSP beliefen. Seither stieg der Import auf ca. 15-17% des BSP, und der Export auf etwa 10%. Die US-amerikanischen Exporte umfassen insonderheit Rüstungs- und Agrarprodukte sowie Technologien. Hinzu kommen große Kapitalbeteiligungen in Direktinvestitionen oder Spekulationsgeschäften. Seit den letzten 20 Jahren ist das Handelsdefizit konstant gewachsen.

    Die Finanzierung dieses Defizits verlief auf zwei Wegen. Von 1980 bis 1995 war die Ausgabe von Staatsanleihen die erste Quelle. Das implizierte einen starken Dollar und hohe Profitraten, um weltweite Sparguthaben anzulocken. Nach 1990 verschob sich die Politik in Richtung „strukturierter Noten“ („structured notes“) aller Arten. Die sogenannte „Finanzrevolution“ führte eine gewaltige Palette neuer Titel ein und wurde von der Explosion von Konsum und Hauskrediten in den USA begleitet.

    Der Immobilienboom fand nach 1998 statt (die Kredite erreichten 40% des BSP der USA). Er war verbunden mit der Übernahme des sog. „fridge-banking“-Markts4 – bei dem es sich um parallele Systeme von Mikro-Finanzdienstleistungen für die armen Schichten handelte, die keinen Zugang zum Bankensystem hatten und die auf 20% der amerikanischen Bevölkerung geschätzt werden – durch die Banken. Denn was die Aufmerksamkeit der Banken in der neuen Ära anzog, das waren die genau die höheren Profitraten dieser parallelen Systeme.

    Die Banken übernahmen diese hochriskanten Aktivitäten. Anschließend sicherten sie die Darlehen in Versicherungsgesellschaften, dann wurden diese Titel in kleinere Einheiten aufgesplittet, mit anderen Titeln aller Arten gemixt, und schließlich verkaufte sie die Wall Street auf US-amerikanischem und dem Weltmarkt. Von Athen bis Manila wurden Käufer durch die hohen Profitraten angelockt, die durch verschiedene Strukturfonds von Lehman Brothers offeriert wurden, wobei ihnen jegliche Kenntnis der Quellen dieser Raten abging. Als die Märkte wuchsen, waren die Banken zu Hause bereit, den armen Bevölkerungsschichten Darlehen zu geben, ungeachtet von deren (Un-) Fähigkeit, diese zurückzubezahlen, und zwar genau so lange, wie es weltweit eine Nachfrage nach diesen Titeln gab. In einer Periode geringer Inflation und Profitraten war das System bereit, in Titel zu investieren, die hohe Risiken bergen, eben so lange, wie es „Hochgewinn-Produkte“ anbieten musste.

    Die „Darlehen für Arme“ erreichten ein Billion Dollar. Eine andere Billion bestand aus kurzfristigen Anleihen der großen Unternehmen, die Direktkredite von Investoren, nicht von Banken erhalten. Eine weitere Billion bilden die Anleihen öffentlicher Institutionen (lokale Einrichtungen, Universitäten und andere). Diese drei Billionen waren Teil des Finanzialisierungsprozesses, der Titel aller Art hervorbrachte.

    Er stellte 25% des US-amerikanischen BSP dar, oder, in globalen Termini ausgedrückt, 5% des globalen Einkommens. Tatsächlich wurde er zum wichtigsten Export-Sektor der US-Wirtschaft.

    Parallel dazu wurden diese neuen Finanzinstrumente selbst in traditionellen Kreditbereichen verwendet. Viele Staaten Osteuropas erhielten beispielsweise kurzfristige Kredite von internationalen Banken, allerdings in Form von Swaps. Als, in der Mitte der Krise, ihre Währungen abgewertet waren, mussten sie ihre Darlehen in zuvor festgelegten Wechselkursen abzahlen, was praktisch unmöglich war.

    Die „Finanzrevolution“ schien jedermann Vorteile zu verschaffen. So lange, wie die Hauspreise stiegen, fanden sich die „Armen“ in einer Situation jährlichen Gewinns. Neben ihren traditionellen Aktivitäten fanden die Banken ein neues Gebiet wirtschaftlichen Handelns, nämlich das Handeln mit Anleihen und Versicherungen, und dafür forderten sie die Außerkraftsetzung der Gesetzgebung von 1933, welche ihr Engagement in Invest-Aktivitäten verboten hatte. Diese Gesetzgebung wurde zunächst unter Clinton revidiert, und zwar in Austausch mit der Provision von Darlehen für die „Armen“, und dann zwischen 2001 und 2003 durch die Bush-Administration praktisch abgeschafft. Die Wall Street befand sich auf dem Höhepunkt der größten Euphorie aller Zeiten.

    In seiner zweiten Amtszeit versprach Bush „ein neues Heim für jede amerikanische Familie“, ungeachtet der stagnierenden Löhne und des Kürzens der Sozialleistungen, und Greenspan stellte sich selbst in seinem Buch als denjenigen dar, der das neue „amerikanische Wunder“ geschaffen habe. Das Wirtschaftswachstum basierte mehr als ein Jahrzehnt lang auf Neubau und einem boomenden Konsum. Er verteidigte die endlose Ausweitung des Handelsdefizits, und wenig befasste er sich mit dem Haushaltsdefizit (welches den kostspieligen Krieg in Irak einschloss). In der Tat: So lange, wie der Rest der Welt durch diese „Finanzprodukte“ in Strömen Geld in die US-amerikanische Wirtschaft fließen ließ, schien das System ziemlich effizient zu arbeiten.

    Doch wie es in solchen Fällen so zugeht – es braucht nur ein Indikator zu fallen zu beginnen, und die Krise tritt ein. Es war das Sinken der Preise für Häuser Ende 2007, das den Umkehrprozess einläutete. Die „Spekulationsblase“ platzte neun Monate später. Greenspan sagte, möglicherweise seien „ein paar Fehler“ gemacht worden, als das System übermäßig von der Verfügbarkeit von Krediten zu extrem niedrigen Kosten abhing. Die Aktienmärkte fielen weltweit um 40 bis 45%. Die Krise bekam einen Namen, der dem sehr nahe kommt, was tatsächlich passierte, nämlich „Kreditklemme“ („credit crunch“). Und damit verflüchtigte sich auch die Idee von der Selbstregulierung der Finanzmärkte.

    Während die Kreditklemme als Erscheinungsform der „irrationalen“ Strategien betrachtet werden kann, die die Wall Street verfolgt, sind doch solche Strategien nur in Perioden realen Wirtschaftswachstums möglich, in Perioden, in denen die reale Wirtschaft, und in diesem Fall die Weltwirtschaft, sich in einer Wachstumsphase befindet. Anders herum ist das nicht möglich. So war der Spekulationsboom des letzten Jahrzehnts durch das reale Wachstum der globalen Kapitalakkumulation ermöglicht worden. Doch dieser Prozess findet unter sehr spezifischen historischen Bedingungen statt, wo die stärkste Wirtschaft nicht in der Lage ist, den internationalen Waren- und Geldstrom auszubalancieren, ja sie vielmehr aktuell den stärksten Faktor der Produktion neuer Ungleichgewichte darstellt. Die USA sind nicht in der Lage, das bestehende Weltwirtschaftssystem aufrecht zu erhalten.

     

    4. Die globale Rezession

     

    Die “Kreditklemme” führt zur “Verdunstung des Reichtums”, wie Marx dies bereits im 19. Jahrhundert unterstrich. Inhaber verschiedenster Formen von Reichtum, die mit der „Spekulationsblase“ verbunden waren (arabische Investmentfonds, russische Millionäre, die Bourgeoisie der Dritten Welt), sahen den Wert ihrer Investitionen schwinden. Die amerikanische Mittelklasse musste feststellen, dass ihr ganzer investierter Reichtum (Häuser, Aktien, private Versicherungen) innerhalb von zwei Monaten die Hälfte seines Werts verlor.

    Das corporate America – die Bankenkonglomerate, die großen Versicherungsgesellschaften und die 500 größten Untenehmen – musste dem Fall seines Aktienmarktwerts zusehen. Selbst „schlimme Banken“ und Versicherungsgesellschaften waren nicht in der Lage, ihrer Bücher auszubalancieren. Der Trouble des corporate America rührte von seiner tiefen Verstrickung in die „Spekulationsblase“ her.

    Eine Krise im Finanzsektor muss nicht unbedingt zu Rezession führen. In einer Reihe von Fällen blieb die Realwirtschaft relativ unbetroffen. Doch sobald die Finanzkrise 2008 begann, erhob sich der „Geist von 1929“. Das deutete bereits an, dass diese Krise nicht als eine normale „Blase“ angesehen würde.

    1929 erzeugte der Übergang vom Crash des Aktienmarkts zu demjenigen der Realwirtschaft die größte Rezession der modernen Geschichte (1930 bis 1933). In der Wirtschaftstheorie wurde1929 zu einem Meilenstein. Daraus erwuchs der Keynesianismus (1930 bis 1980). Die Monetaristen (Friedman u.a.) arbeiteten intensiv zu dieser Angelegenheit. Die Basisidee der monetaristischen Interpretation von 1929 ist, dass dies kein Fehlfunktionieren der privaten Märkte darstellte, wie Keynes behauptete, der vom Staat die permanente Regulation des Systems forderte. Vielmehr sei es die falsch ausgerichtete Politik der staatlichen Institutionen (der Finanzbehörden) gewesen, die zur Rezession führte. V.a. durch die Tatsache, dass diese die Banken hatten bankrott gehen lassen, auf diese Weise den Geldzufluss der Wirtschaft reduzierten und so die Schrumpfung der Realwirtschaft erzeugten.

    Die Relevanz von 1929 liegt auf der Hand. Viele Regierungen auf der ganzen Welt antworteten auf die Krise 2008, indem sie um jeden Preis versuchten, „die Banken zu retten“. Das in der neoliberalen Ära vorherrschende monetaristische Dogma scheint die Antworten auf die Krise vorzuschreiben, auf jeden Fall in Westeuropa, weniger möglicherweise in den USA, wo die Obama-Regierung offenbar bereit war, mittels Geld- und Finanzmaßnahmen die staatliche Intervention in die Wirtschaft auszuweiten, statt sich dem Dogma von der „Rettung der Banken“ und der Erhöhung der „Geldzufuhr“ zu unterwerfen.

    2009 kam die Rezession aus folgenden drei Gründen in Fahrt:

    a.) Die Größe der „Spekulationsblase“ beträgt drei bis vier Billionen Dollar, was fast fünf Prozent des globalen BSP entspricht. In der Tat ist für eine Reihe von Jahren ein Nullwachstum oder ein geringes Negativwachstum unumgänglich, bevor sich die fiktiven und die realen Werte des globalen Reichtums wieder ausbalancieren.

    b.) Das System flexibler Wechselkurse zwischen den Hauptwährungen (Dollar, Euro, Yen) erzeugt Instabilität, und es kann noch viel mehr Instabilität erzeugen. Um das internationale Finanzsystem zu stabilisieren, ist makroökonomische Koordination erforderlich, doch die einander folgenden Gipfel von G-8 und G-20 zeitigten nur geringfügige Resultate. In ihren Antworten auf die Krise scheinen die USA und China eher keynesianisch ausgerichtet zu sein, während die Europäische Union tief im neoliberalen Denken verhaftet bleibt. Praktisch ist es diesen beiden Wirtschaften überlassen, die Weltwirtschaft aus der Krise heraus zu führen.

    c.) Die Gefahr der Deflation bleibt hoch und hat schon starke Auswirkungen auf die Wirtschaften der Dritten Welt, die vom Rohstoffexport abhängen. Die Rezession in der Dritten Welt erzeugt enorme soziale Kosten. Die Rohstoffpreise zu stabilisieren und massive Hilfen für leidende Wirtschaften zur Verfügung zu stellen, das sind notwendige Bestandteile jeglicher Politik, die auf eine nachhaltige globale Nachfrage ausgerichtet ist.

     

    Aus dem Englischen von Effi Böhlke

     

     

    Notes

    1) Graham Burchell, Colin Gordon and Peter Miller (eds), The Foucault Effect. Studies in Governmentality. (The University of Chicago Press, 1991)

    2) John Bellamy Foster and Fred Magdoff, The Great Financial Crisis., (Monthly Review Press, 2009)

    3) Charles Kindleberger, Maniacs, Panics and Crashes. A History of Financial Crises (John Wiley, 1978)

     


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