Die globalisierungskritische Bewegung steht einer Krise der Globalisierung gegenüber, die als Krise der kapitalistischen Globalisierung in ihrer neoliberalen Phase bezeichnet werden kann. Diese Krise stellt für die Bewegung keine Überraschung dar: Sie wurde lange schon vorhergesehen und vorhergesagt. Verschiedene Analysen vertraten die Hypothese einer offenen Krise der Globalisierung. Nun sind wir mitten drin! Das ist eine strukturelle Krise: eine ökonomische und soziale, eine ökologische, geopolitische, politische und ideologische. Davon zeugt die derzeitige Sequenz finanzieller, monetärer, Immobilen-, Nahrungs- und ökonomischer Krisen.
Die Gefahren der Globalisierungskrise
Die altehrwürdigen chinesischen Schriftzeichen, die „Krise“ darstellen, assoziieren, wie es jeder guten Dialektik eigen ist, zwei gegensätzliche Eigenschaften: diejenige der „Gefahr“ und diejenige der „Chance“.
Die erste, die Gefahr, betrifft gegenwärtig die Armut. Der gesuchte Ausweg aus der Krise besteht darin, die Armen für die Krise zahlen zu lassen, angefangen bei den Diskriminierten und Kolonisierten. Er besteht des Weiteren darin, die Mittelklasse auszudünnen. Und, als ob das nicht genug ist, selbst einige Kategorien der Reichen werden zur Kasse gebeten. Ausgehend davon sind harte Widersprüche vorherzusehen.
Um solche Politiken durchzusetzen, werden Repression, die Kriminalisierung sozialer Bewegungen, die Bestrafung von Solidarität notwendig; die Benutzung von Terrorismus, Law-and-order-Ideologie und rassistischer, fremdenfeindlicher und nationalistischer Agitation zu politischen Zwecken; und das Ausnutzen von Sündenböcken, Migranten und Sinti und Roma. In manchen Regionen wird diese Entwicklung zu autoritären Unterdrückungsregimen führen, ja selbst zu faschistischem Populismus.
Ein anderer Ausweg aus der Krise betrifft Länder, die an den Rand und in den Ruin gedrängt werden. Auch das wachsende Kriegsrisiko ist eine klassische Folge großer Krisen. Wir sollten nicht vergessen, dass auf der Erde bereits zahlreiche Kriege stattfinden und eine Milliarde Menschen in Kriegsregionen lebt. Permanente Konflikte und systematische Destabilisierung! Mit der Militarisierung der Gesellschaften haben sich die Formen des Krieges gewandelt, die globale Apartheid, der Krieg der Starken gegen die Schwachen ist Gemeinplatz geworden.
Um diesen Gefahren zu begegnen, müssen wir unterschiedlichste Formen von Widerstand leisten und unsere Bündnisse und Koalitionen für Freiheit, Demokratie und Frieden ausweiten.
Die Chancen der Globalen Krise
Die Gefahren sind bekannt; weniger die Chancen. Doch, wie bereits Hölderlin schrieb (und E. Morin u.a. zitierten): „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Rufen wir uns sechs Chancen ins Gedächtnis, die durch die Krise eröffnet wurden: Zunächst befördert die ideologische Niederlage des Neoliberalismus den Aufstieg öffentlicher Regulierung. Sodann ermöglichen die Umverteilung des Reichtums und die Wiederkehr des Binnenmarkts eine Stabilisierung und Garantie der Einkommen, soziale Sicherheit und ein Wiedererstarken öffentlicher Dienste. Auf ähnliche Weise zwingt die ökologische Not zu einer Transformation in der Art gesellschaftlicher Entwicklung. Ebenso wie die Krise des politischen Modells der Repräsentation die Notwendigkeit einer sozialen und partizipatorischen Demokratie und einer neuen Reflektion über Macht verstärkt. Des Weiteren eröffnet das erneuerte Kräfteverhältnis zwischen Nord und Süd eine neue Phase von Dekolonialisierung und einer neuen globalen Geopolitik. Dies wird begleitet von neuen Formen von Urbanisierung und Migration – neuen Formen, unseren Planeten zu bevölkern. Schließlich ermöglicht es ein System globaler Regulierungen, soziale Transformation auf globalem Niveau zu denken und zu regulieren, und es eröffnet die Perspektive einer globalen Bürgerschaft. Die globalisierungskritische Bewegung bietet solche Möglichkeiten.
Dennoch: Keine dieser Möglichkeiten wird sich von selbst verwirklichen; zu einer besseren Situation zu gelangen gelingt nur dann, wenn sich der Widerstand verstärkt und die sozialen und ökonomischen Kämpfe, die Kämpfe für Freiheit und gegen Krieg, schärfer werden. Um so mehr, als die Krise auch den Management-Eliten neue Möglichkeiten eröffnet und diese sich in zwei Lager teilen werden: in jene, die zu neuen Formen der Unterdrückung tendieren, und jene, die zu einer radikalen Reform des Kapitalismus neigen. Diese radikale Reform ist nicht unumgänglich, aber sie ist nicht unmöglich. Sie wird erst dann glaubwürdig, wenn sich alle Pfade, die es den Eliten gestatten, die derzeitigen Machtformen beizubehalten, als unzureichend erwiesen haben. Insbesondere nach der Krise von 1929 und dem Rooseveltschen New Deal hat der Kapitalismus seine Fähigkeit bewiesen, die sozialen Beziehungen zu revolutionieren. Es ist immer noch Kapitalismus. Wie in Viscontis Film „Der Leopard“: „Alles muss sich ändern, damit die Dinge bleiben, wie sie sind.“
Die globalisierungskritische Bewegung wird herausgefordert werden durch Versuche radikaler Reformen, die um so herausfordernder sind, als die Frage nach Schritten, die aus der ersten, harten Phase der Krise führen, für die unteren Klassen drängend ist. Auch gibt es auf mittlere Sicht keine Äquivalenz zwischen den konservativen und den Reformtendenzen. Unbeantwortet bleiben auch die Fragen hinsichtlich der Angemessenheit der Reformen in Bezug auf die Krise und ihrer Unzulänglichkeit vis-à-vis echter Emanzipation. Zudem wird dies innerhalb der Bewegung auch durchaus unterschiedlich bewertet. Die Positionsbestimmung gegenüber denjenigen politischen Kräften, die hinter diesen Reformen stehen, die wir hier vereinfachend als „Green New Deal“ bezeichnen, wird in Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext und den unterschiedlichen Situationen in den verschiedenen Ländern und Regionen vorzunehmen sein. Zwei Fragen wurden bereits aufgeworfen: Wie können wir eine auf minimalen Reformen und grün-autoritären Regimen basierende Allianz zwischen den neoliberalen/konservativen Kräften einerseits und den Reformern andererseits verhindern? Wie können mögliche Reformbewegungen zugunsten der unteren Klassen radikalisiert werden?
Die globalisierungskritische Bewegung lehnt eventuelle, aus diesen Reformen resultierende Verbesserungen nicht ab und zögert nicht, Maßnahmen zu akzeptieren, die nichthinnehmbare Situationen verbessern. Gleichzeitig sind ihre Aktivisten an radikalen Transformationen interessiert und nutzen jede sich durch die Krise bietende Gelegenheit, über den Kapitalismus hinauszugehen. Dieses Hinausgehen über den Kapitalismus wird als langfristige Möglichkeit angesehen, als eine solche, die nicht vorherbestimmt ist. In der gegenwärtigen Gesellschaft gibt es bereits soziale Beziehungen, die darauf hinweisen, wie die kapitalistischen Beziehungen, die im Rahmen der feudalistischen Gesellschaft entstanden. Das sind keine neuen, fertigen Beziehungen; das sind Versuche zur Transzendenz, die jedoch nicht völlig frei sind von den herrschenden Verhältnissen. Der Bruch tritt nicht ein mit der Beseitigung der vormaligen sozialen Beziehungen, sondern fällt zusammen mit dem Zeitpunkt, an dem die neuen Beziehungen dominant werden, sich die vormaligen unterordnen und sie grundlegend transformieren. Die in der alten geborene neue Welt wird schrittweise gebaut: Sie beginnt mit gefühlten Widersprüchen und bringt neue hervor. Durch Widerstand und innovative soziale Praktiken wird die globalisierungskritische Bewegung zum Hervorbringer solcher neuer Beziehungen. Die Sozialforen bilden Räume, in denen experimentiert und das Neue sichtbar gemacht werden kann. Sie gestatten zudem die kritische intellektuelle Arbeit, die es ermöglicht, zwischen dem zu unterscheiden, was die Reproduktion der kapitalistischen Beziehungen konsolidiert, und dem, was neue Perspektiven verkündet.
Heute muss die globalisierungskritische Bewegung auf drei Ebenen agieren. Kurzfristig muss sie Widerstand gegen die drohenden Gefahren leisten und diesen verstärken. Mittelfristig muss sie Einfluss gewinnen – Einfluss auf die Strategien der Reformer. Langfristig muss sie transformieren – transformieren, um über den Kapitalismus hinauszugehen. Zunächst einmal ist festzustellen, was die Krise in den Mittelpunkt stellt und wogegen gekämpft werden muss, um eine Beibehaltung des Systems und der von ihm ausgehenden Gefahren zu verhindern. Dann sind die Vorhaben zu identifizieren, die daraus für die Reformer folgen, und die es zu radikalisieren gilt. Und schließlich muss es einen Entwurf dessen geben, was auf die Tagesordnung kommen soll, um so die Fristen und möglichen Ideen einer radikalen Transformation zu bestimmen.
Regulation durch Öffentlichkeit und Bürger
Der Aufstieg der Macht öffentlicher Regulation wird die ideologische Niederlage des Neoliberalismus beenden. Dieser ideologische Kollaps spaltet den neoliberalen hegemonialen Block und kündigt eine neue Phase der Globalisierung an. Noch ist der Neoliberalismus dominant, doch es wird ihm schwer fallen, wieder auf die Füße zu kommen. Nichtsdestotrotz ist die neoliberale Rationalität nach wie vor in Rechnung zu stellen. Auf der einen Seite sind neoliberale soziale Kräfte immer noch mächtig, Teil des führenden Blocks und beeinflussen sie stark die dominante Politik. Und selbst wenn sich, auf der anderen Seite, ein anderes System behauptet, bleiben doch die sozialen Verhältnisse des Neoliberalismus am Werk, und zwar im ökonomischen, sozialen, ideologischen und politischen Denken.
In der Perspektive eines möglichen Überschreitens des Kapitalismus treten drei Hauptfragen auf, und sie werden bereits von den Bewegungen gestellt. Das sind die Fragen nach dem Staat, dem globalen Markt und den Eigentumsformen. Die Frage des Staates tritt in unterschiedlicher Weise auf. Da ist zunächst einmal die Wahrnehmung der widersprüchlichen Natur des Staates, als Beschützer und Unterdrücker, Hervorbringer des Allgemeininteresses und Verteidiger von Privilegien zugleich. Demokratisierung und Kontrolle des Staates durch die Bürger, wie auch die Beziehung zu dem, was wir vereinfachend als „Bürgergesellschaft“ (civil society) bezeichnen, stehen im Zentrum der Realität der demokratischen Natur der Gesellschaft. Gerade jetzt wird die Natur der öffentlichen Politiken hinterfragt. Eine der Hauptfragestellungen wird die Verstaatlichung betreffen. Die Probleme des globalen Markts erzeugen das Bedürfnis nach einer Alternative zum freien Warentausch. Die Entstehung von Großregionen als politischer, ökonomischer, finanzieller und kultureller Räume eröffnet neue Perspektiven. Auch macht sie eine neue Art von Währung notwendig. Fundamental ist die Frage nach den Eigentumsverhältnisse und ihrer Transformation: Grundeigentum im Zentrum der Landwirtschaft und Kontrolle der Urbanisierung. Grundeigentum bildet immer noch das Herz des kolonialen Denkens, das vielerorts nach wie vor präsent ist. Die legalen und sozialen Eigentumsverhältnisse bestimmen die Vielfalt der Produktionsformen. Dieses Problem spielt eine Rolle in den Debatten über die Produktionsweise, die als sozial, non-profit-orientiert, auf Solidarität basierend bzw. lokal bezeichnet werden kann, ebenso wie in den Diskussionen über Verstaatlichung, Staatseigentum, Vergesellschaftung und demokratisches Management wie auch in jenen über die Formen kollektiven Eigentums von Stakeholdern, Angestellten und Verbrauchern, von Unterhändlern, Lieferanten, Aktionären und lokalen Institutionen.
Umverteilung von Reichtum und Einkommen
Die angesichts der neoliberalen (Ir-) Rationalität und ihrer Exzesse notwendige Umverteilung des Reichtums führt zur Versuchung neokeynesianischer Denkmuster. Sie bestärkt die Tendenz der Rückkehr zum Binnenmarkt, allerdings eher auf der Ebene von Großregionen denn auf nationaler. Sie könnte zur Wiederaufwertung sozialer Sicherungssysteme und einer relativen Lohnstabilität führen. Das Einkommensniveau und seine Progression würden zur Folge haben, dass die Konsumtion wieder eine Rolle als Motor des Wachstums spielt, das der durch die Immobilienkrise ausgelösten Überschuldung entgegen wirken könnte. Universaler Zugang zu den Rechten, wovon die Millenniums-Entwicklungsziele nur ein mattes Abbild sind, würde wieder hergestellt. Im Zusammenspiel mit lokalen Institutionen und einem starken Gewicht von Non-profit-Gesellschaften würde ein Wiedererstarken des öffentlichen Dienstes ermöglicht.
Dieses Projekt und die Hypothese, auf der es basiert, setzen zwei Bedingungen voraus, die es von einer simplen Rückkehr zum vor-neoliberalen Keynesianischen Modell unterscheiden. Die erste Bedingung ist eine notwendige Antwort auf die ökologischen Grenzen, die eine Ausweitung des Produktivismus als gefährlich erscheinen lassen. Es ist unumgänglich, den Gegensatz von Ökologie und sozialem Sektor zu überwinden. Die zweite Bedingung besteht in einer notwendigen Regulation auf globaler statt auf nationaler Ebene, wie es noch vom Bretton Wood System der 1960er Jahre vorgesehen worden war.
Im Mittelpunkt der Krise liegen die Ungleichheiten, Armut und die vielfältigen Formen von Diskriminierung. Das Austrocknen der Unter- und der Mittelklassen hat ein Ausmaß erreicht, welches das Gesamtsystem bedroht. Die Umverteilung des Reichtums impliziert den Übergang zu größerer sozialer Gerechtigkeit. Statt Kompensationen zu verteilen, handelt es sich eher darum, die durch Arbeit erzeugten Einkommen zu bewerten. Und, da die Krise global ist, muss die Antwort in der Festlegung eines Mindesteinkommens auf globaler Ebene bestehen. Vorschläge gibt es. Eine Komponente ist das Mindesteinkommen für Landarbeiter, wie wir in Indien sehen konnten. Zwei Jahre nach dem Sozialforum in Mumbai wurde ein noch nicht angewandtes Gesetz verabschiedet, das den indischen Landarbeitern 100 bezahlte Arbeitstage pro Jahr garantiert! In allen Wirtschaften müssen die Mindestlöhne in Industrie und im Dienstleistungssektor festgelegt und garantiert werden. Der mehrfach von der UNO vorgebrachte Vorschlag besteht darin, dass jede Person auf der Erde über ein Einkommen verfügt, das über der Armutsgrenze liegt. Diese wird von Land zu Land kalkuliert und liegt bei der Hälfte des Durchschnittseinkommens, d.h. dessen, was die Bevölkerung in zwei Teile teilt, in diejenigen, die mehr, und diejenigen, die weniger als das mittlere Einkommen verdienen. Dieses Maß hat große Vorteile; es setzt dem Kollaps der Realökonomie eine untere Grenze. Um das zu ermöglichen und zu finanzieren, ist eine Besteuerung auf internationalem Niveau notwendig. Zu bedenken ist aber auch die Frage nach einer Obergrenze für Einkommen. Diese Diskussion ist alt. Heute wird sie weniger auf die Ungleichheitsskala als auf das Prinzip der Grenzen bezogen. Globales Einkommens-Minimum und -Maximum – das sind Antworten auf die globale Krise.
Die globalisierungskritische Bewegung wird all ihr Gewicht in diese Umverteilung des Reichtums und deren Formen und Methoden werfen. Zwei Hauptfragen werden derzeit behandelt: diejenige nach dem Wert der Arbeit und diejenige nach dem Zugang zu Rechten. Zunächst einmal ist da der Wert der Arbeit, beginnend mit der Anerkennung des Werts, den Arbeit darstellt, und der die Realität und Vorherrschaft des Profits in Frage stellt. Dafür müssen die Einkommen an die Preise der Produkte der Arbeit gebunden werden statt an die Fluktuationen der spekulativen Arbeitsmärkte.
Der Zugang zu den Rechten ist als strategische Achse vorgeschlagen worden. Was das radikalere vom Keynesianischen Herangehen unterscheidet, ist der Nachdruck, der auf den gleichen Zugang zu Rechten gelegt wird, und zwar in einem Kontext, der Minimalrechte definiert, die ein soziales Netz ausmachen.
Das ökologische und soziale Problem
Das Klimaproblem und die Erschöpfung der Ressourcen machen eine auf Produktivismus und Vergeudung beruhende Entwicklung unmöglich. Das ökologische Problem drängt zu einem Bruch, zu einer Transformation der Gesellschaften, die die sozialen und ökologischen Aspekte mit Frieden und Freiheiten kombinieren. Das ist ein Zukunftsprojekt, das nicht in einer konkreten Utopie zusammengefasst werden kann.
Wir sind über das Stadium eines reinen Bewusstseins der ökologischen Gefahr hinaus. Es handelt sich nicht mehr um das einfache Wahrnehmen der Grenzen der gegenwärtigen Entwicklungsweise und der Notwendigkeit, diese neu zu definieren. Die politische Diskussion geht um die Natur des zu befördernden Modells. Die Verbreitung von Umweltindustrien und von schadstofffreien Produktionsprozessen ist möglicherweise unzureichend. Im Mittelpunkt beider Diskussionen stehen die Teilung des Reichtums zwischen den Klassen und Gesellschaften sowie die Kompatibilität zwischen ökologischem, sozialem Problem und Freiheiten.
Das ökologische Problem kann ein radikaleres Herangehen ermöglichen. Es unterstreicht die Notwendigkeit einer Neudefinition von Einkommen und einer internationalen Besteuerung. Es ermutigt das Herangehen über die Schiene von öffentlichen Gütern und öffentlichem Eigentum. Ferner führt es zu einer Neudefinition von Reichtum, seiner Produktion und Verteilung. Um das produktivistische Wachstum bei gleichzeitig unbefriedigt bleibenden Grundbedürfnissen zu reduzieren, müssen diese selbst verändert werden. Erforderlich ist eine Veränderung des individuellen und kollektiven Verhaltens, doch moralische Appelle zu freiwilligem Konsumverzicht sind nicht genug. Hier gibt es vielfältige Ideen. Die wichtigste ist diejenige der Annullierung merkantiler Kategorien, einer „Demerkantilisierung“. Diese Tendenz hatte in der Periode von 1945-1980 speziell im öffentlichen Bildungs- und Gesundheitssektor Fortschritte gemacht und wurde dabei beständig vom Neoliberalismus bekämpft, und zwar durch Privatisierungen und die Heiligsprechung des kapitalistischen Markts. Auch andere Ideen sind möglich. Die durch den gleichen Zugang zu Rechten erforderlich werdende (allgemeine) Befriedigung von Grundbedürfnissen muss von der Reduzierung der Militärausgaben profitieren, ebenso wie von einer aus der Umorientierung von Produktivität und der Neudefinition von Produktion resultierenden Reduzierung der Arbeitszeit. Sie würde ermöglicht durch eine aus dem Streben nach Lokalisierung und Relokalisierung resultierende Ökonomisierung des Transports, die dem wirtschaftlichen Zugang zu Ressourcen und Konsumtion entspricht, ohne dabei auf Dumpinglöhnen zu basieren.
Die Modelle und Vorstellungen von Freiheit(en)
Die Krise der Modelle von Repräsentation und Macht ist eine der Dimensionen der globalen Krise, die Infragestellung der Freiheiten eine der Hauptgefahren, die von ihr ausgehen. Ein „New Green Deal“ ist nicht an sich eine Garantie von Freiheit und Demokratie. Es kann sich dabei um staatliche Regulation und öffentliche Interventionen handeln, die in keiner Weise freiheitsfördernd sind. Ferner kann das ökologische Problem zur Rechtfertigung autoritärer Exzesse führen. Mittelfristig wird es die Mobilisierung von Bürgerbewegungen sein, die die Richtung der Evolution in den einzelnen Ländern und auf globaler Ebene bestimmt.
Unter den Chancen betreffen einige die Modelle der Repräsentation. Die Rekonstruktion der sozialen Bindungen könnte die legalen und formalen Aspekte einer von oben implementierten Demokratie in Frage stellen. Die Formbeziehungen zwischen partizipatorischer Demokratie – deren Stärke in der direkten Demokratie liegt – und repräsentativer Demokratie – die oftmals durch Bevollmächtigte und „Notablen“ ausgeübt wird – könnte fortschreiten und sich vervielfältigen. Der Zugang zu individuellen und kollektiven Rechten für alle würde eine soziale Demokratie ermöglichen, ohne welche die politische Demokratie viel von ihrer Bedeutung verlöre. Institutionelle und Wahlsysteme würden und müssten unabhängiger werden von den sozialen Bedingungen.
Die strategische Allianz zwischen lokalen Gemeinschaften und Bündnisbewegungen wird die Grundlage der Beziehungen zwischen lokalen Bevölkerungen und Gemeinschaften bilden und einer Residenzbürgerschaft größere Legitimität verleihen. Sie wird die Vorstellung von sozialem Wandel verändern, die heute ausnahmslos auf zwei Akteuren beruht: auf dem Business und dem auf Administration reduzierten Staat. Bei der die Form der Demokratie bestimmenden Beziehung zwischen ökonomischer und politischer Macht wird künftig die aktive Präsenz von Bürgern und lokalen Kräften zu berücksichtigen sein.
Ein radikaleres Herangehen wird der kulturellen Dimension großen Platz einräumen. Es wird eine Vielfalt an Identitäten legitimieren, was die Beziehung zwischen individuellem und kollektivem Körper erneuert. Es wird dem demokratischen Self-Management und der demokratischen Selbstorganisation großen Platz einräumen. Es wird, in Gramscis Sinne, den Formen der Zivilgesellschaft gestatten, Gegenkräfte zu mobilisieren, um die Bürgerkontrolle auszuweiten und Räume für Autonomie zu errichten. Durch die Verbindung von Rechten und Verantwortlichkeiten wird dieses Herangehen eine Grundlage für Freiheiten schaffen, beginnen doch Rechte mit dem Respekt der Rechte der Anderen.
Eine neue Phase der Entkolonialisierung
Das neue Kräfteverhältnis zwischen Norden und Süden eröffnet eine neue Phase der Entkolonialisierung und eine neue Geopolitik. Durch das Management der Schuldenkrise, die Kontrolle von Rohstoffen und militärischen Interventionen, die Etablierung neuer Formen des internationalen Austauschs könnte es die von 1979 bis 2008 währende Phase beenden. Zwischen 30 und 50 Entwicklungsländer, unter ihnen die drei bedeutungsvollsten – Brasilien, Indien und China –, können nunmehr ihren Standpunkt und ihre Interessen verteidigen. Dabei handelt es sich nicht um eine multipolare Welt, sondern um eine neues internationales geopolitisches System. Das könnte gravierende Folgen haben, insbesondere für die Formen des internationalen Austauschs und die Natur der Immigration.
Diese Evolution, die nicht ohne Umstürze stattfinden wird, hat zwei Voraussetzungen. Die erste besteht darin, dass die Entwicklungsländer in der Lage sind, ihr Wachstumsmodell zu ändern, indem sie dem Binnenmarkt und der Konsumtion der unteren und mittleren Klassen Priorität über den Export einräumen. Die zweite besteht darin, dass die Entwicklungsländer Formen der Einheit zwischen den Ländern des Südens aufbauen. Die erste Phase der Entkolonialisierung schlug zu einem großen Teil fehl, als, nach dem Ölschock 1977, die Ölstaaten die Entstehung von Differenzen zwischen den Ländern des Südens ermöglichten, was es den von IWF und Weltbank unterstützten G7 erlaubte, Strukturanpassungen durchzusetzen.
In diesem Stadium kann die soziale und Bürgerbewegung mehrere Vorschläge machen. Das sind, u.a., Schuldenerlass, die Stabilisierung der Preise für Rohmaterialien, Nahrungsmittelsouveränität und die Anerkennung der Rechte von Immigranten. Von einem geopolitischen Standpunkt aus betrachtet wird diese Entwicklung einer doppelten Transformation entsprechen: der Verstärkung einer der Gegentendenzen zur Globalisierung in ihrer derzeitigen Form, nämlich der Herausbildung von selbstständigen Großregionen; und der Überwindung der Widersprüche zwischen Norden und Süden durch die Schaffung eines ausgewogenen internationalen Systems und einer globalen öffentlichen Regulation.
Globale öffentliche Regulation
Das Fehlschlagen der internationalen Institutionen der Globalisierung ist offensichtlich. Die WTO rundete das Bretton Woods System ab, die NATO absorbierte alle Militärbündnisse. Das Projekt konnte letztlich nicht erfolgreich sein. Die Regulation via globale Kapitalmärkte mündete in die Krise des Neoliberalismus, die die Notwendigkeit globaler öffentlicher Regulation schlaglichtartig beleuchtete.
Die Suche nach Alternativen, um die Gesellschaften zu transformieren, impliziert ein anderes internationales System. Mit der Kontrolle von Ressourcen und Territorien verbundene Kriege sind immer noch an der Tagesordnung; es verschärft sich die identitäre Dimension von Konflikten, indem räumliche Segregation und sogenannte „ethnische Säuberungen“ miteinander kombiniert werden. Im Namen eines „Aufeinanderprallens der Zivilisationen“, das die Doktrin des Präventivkriegs, von rechtsfreien Räumen und Folter rechtfertigt, fährt die Dialektik von Netzwerk- und Staatsterrorismus die bürgerlichen und politischen Rechte zurück. Die Strategie des Krieges der Starken gegen die Schwachen verbindet sich mit dem Erstaunen über die Entdeckung der Fähigkeit der Schwachen, die wunden Punkte der Starken auszumachen.
Mit den Kämpfen um Demokratisierung im Rücken kann eine Reform des internationalen Systems vorgeschlagen werden. Sie beinhaltet: die Demokratisierung der Funktionsweise der Institutionen, die die internationale Regulation durchzusetzen haben; die Aufstellung wirksamer Entscheidungs- und Entschädigungsinstitutionen; ein internationales System der Anklagen/Beschwerden, die durch Bürgervereinigungen vorgebracht werden können; den Vorrang des Kampfes gegen Straffreiheit; die tatsächliche Integration internationaler Finanz- und Handelsinstitutionen – IWF, Weltbank, IFC und WTO – in das System der UNO; eine neue Architektur, die auf regionalen Gruppen der Kooperation beruhen könnte, und ein System der Repräsentation der Regionen auf globaler Ebene; und die Verpflichtung aller internationaler Vereinbarungen und Verträge aller internationaler Institutionen zur Anerkennung der UNO-Menschenrechtsdeklaration.
Ein neu zu definierendes System muss drei wesentliche Dimensionen umfassen: die Errichtung des Friedens und die Beilegung von Konflikten; die Reduzierung ökologischer Risiken; und das System internationaler Beziehungen, die die Transformation der Gesellschaften entlang der Linien von Freiheit, Gleichheit und Solidarität fördert. Das Herangehen über die Rechte und über die Gleichheit des Zugangs zu Rechten eröffnet die Perspektive eines globalen Gesellschaftsvertrags. Es erneuert die Konzeption sozialer Transformation.
Um bei der Definition einer Strategie voranzukommen, lassen Sie mich eine Richtschnur vorschlagen, die zwei Notwendigkeiten integriert: die Neuerschaffung der Welt auf der Basis von globaler Demokratie; einen globalen Gesellschaftsvertrag, der auf der Anerkennung und der Garantie der sowohl bürgerlichen und politischen als auch ökonomischen, sozialen und kulturellen Rechte basiert. Von dieser Richtschnur her gesehen ist die Entwicklung des internationalen Rechts heute der strategische Punkt der Konfrontation. Internationales Recht kann nur auf der Menschenrechtsdeklaration und der Charta der Vereinten Nationen beruhen. Das ist der Fixpunkt, um den herum das System der internationalen Beziehungen zu errichten ist, der Dreh- und Angelpunkt, um den Vereinten Nationen ihre Legitimation im globalen System zu verleihen.
Die unumgängliche globale Regulation macht eine Überholung des Systems der internationalen Beziehungen erforderlich, was eine radikale Reform der UNO und ein Fortschreiten des internationalen Rechts auf der Grundlage der Implementation der UNO-Menschenrechtsdeklaration und die Zurückweisung der Unterordnung der individuellen und kollektiven Rechte unter Handels- und Geschäftsgesetze voraussetzt. Diese globale Regulation könnte die Entstehung einer globalen Bürgerschaft befördern.
Aus dem Englischen von Effi Böhlke