• Die Krise und der neue Internationalismus

  • 11 Apr 11
  • Das diesjährige Weltsozialforum tagte im Jahr aller Gefahren. Wie Ecuadors Präsident Rafael Correa es am 29 Januar 2009 auf dem u. a. von der Landlosen-Bewegung und von der „Via Campesina“ organisierten Treffen der Sozialbewegungen mit progressiven lateinamerikanischen Präsidenten so gut ausgedrückt hat, „leben wir nicht in einer Zeit des Wandels, sondern in einer gewandelten Zeit“.

    Tatsächlich stehen wir vor einer Vielfalt von Krisen — der Finanzen, der Wirtschaft, der Energetik, der Ernährung, des Klimas, der Geopolitik —, die insgesamt und miteinander eine Systemkrise hervorrufen, wie es sie noch nie gegeben hat. Als Krise der „globalisierten“ Welt zwingt sie uns, den Radius unserer Analyse zu vergrößern, wenn wir gedenken, die Welt zu ändern. Es geht nicht mehr nur gegen die neoliberale Phase des Kapitalismus (die ohnehin endigt), sondern gegen den Kapitalismus selbst und seine Institutionen.

     

    Die Frage der Multipolarität

     

    Es wird dringend, die Frage der Multipolarität zu untersuchen, weil die jetzige Situation die internationalen Finanzinstitutionen (IFI) und insbesondere den Internationalen Währungsfonds (IWF) sowie die Weltbank disqualifiziert. Deren Politiken sind doch weitgehend dafür verantwortlich, dass die Welt an den Rand des Abgrunds getrieben wurde. Nicht vergessen sollten wir die Welthandelsorganisation (WTO), die der Welt das Freihandels-Dogma aufgenötigt hat. Wie wir wissen, ist die unbeschränkte Entwicklung des Welthandels und der weltweiten Geschäfte weder im Hinblick auf die Umwelt noch in sozialer Hinsicht „nachhaltig“.

    Dennoch sollten gerade diese Institutionen auf Wunsch der Regierungen eine Schlüsselrolle in der Behandlung der globalen Krise auf dem damals bevorstehenden Londoner Treffen der G 20 im April 2009 spielen. Wir rieten zu energischem Auftreten gegen diese Operation, die Verursacher der Krise um Schritte zum Abstoppen derselben zu ersuchen. Dieses Treffen der illegitimen G 20 bot den Sozialbewegungen eine wichtige Gelegenheit, mehreren Forderungen zu Gunsten einer realen Multipolarität Gehör zu verschaffen:

    a) Gründliche Reform der UN und b) Schöpfung eines neuen Demokratiesystems auf Grundlagen wie Achtung der Menschenrechte, Befriedigung der sozialen Bedürfnisse, anständige Arbeitsverhältnisse, Volkssouveränität, Nahrungsmittelkontrolle, Obacht auf die Umwelt und Kulturdiversität.

    Diese Perspektiven stehen in direktem Gegensatz zu dem Politikmodell, das der „Washington Consensus“ vorbrachte, der Global Governance.

    Ebenfalls 2009 in Davos von Regierungen, Multinationalen und den IFI wieder angepriesen, beruht dieses Modell auf der Vorstellung, dass Wirtschaftsgrößen und Regierungen die Sorge für das weltweite Geschäft übernehmen, ohne das Volk und unter dem hegemonialen Einfluss der Wirtschaften im Zentrum des Kapitalismus, speziell jener der USA.

    Dieses totalitäre Modell hat im Zug der globalen Krise erhebliche Schlappen erlitten, so durch das Scheitern der „Falken“politiken in Irak und Afghanistan, die Renaissance Asiens und Russlands, die neue Tendenz zur ökonomischen Regionalisierung, das Aufstreben politischer Machtzentren (wie der Bolivarischen Alternative für die Menschen unseres Amerikas — ALBA – in Lateinamerika), die von neoliberalen Modellen abgehen. In der Tat erschüttert das Aufkommen dieser neuen Pole, die eine neue internationale Rangfolge kreieren, die westliche Vormachtstellung. In diesem Kontext werden die Einstellung und das Verhalten der Obama-Administration sehr wichtig werden.

    Zugleich sind neue, von der Krise selbst relativ unabhängige Spannungen zu erwarten: Kriege im Mittleren Osten, Marginalisierung des Irans, Spannung in Südostasien, zwischen Indien und Pakistan, usw.

     

    Dringend gefragt: Multipolarität und Internationalismus

     

    Deshalb besteht mehr denn je dringender Bedarf an Multipolarität und gemeinsam verantwortungsbewusstem Internationalismus. Dafür muss die Bewegung für weltweite Gerechtigkeit wirken, unterstützt durch den Fakt, dass die ideologische Hegemonie des Neoliberalismus erheblich geschwächt ist, und zwar großenteils gerade durch die Bewegung für soziale Gerechtigkeit.

    Doch gleichzeitig muss das zur Entwicklung einer gemeinsamen Analyse der jetzigen Krise und wiederum zum Verwerfen eines neuen, gerade im Zusammenbau befindlichen kapitalistischen Paradigmas führen, desjenigen des „grünen Kapitalismus’“ und des weltweiten „Grünen New Deals“, das die Vereinigten Staaten und die Europäische Union vorantreiben. Unter dessen Namen werden die politischen und ökonomischen Eliten versuchen, Legitimität und Glaubwürdigkeit des Systems zu retten und neue ideologische Allianzen zu entwickeln zwischen ‚benebelten’ Neoliberalen, die (zeitweilig?) bereit sind, manche Fundamentalien des Neoliberalismus – Selbstregulierung des Markts – zurückzusetzen, um den Kern zu retten, und zum anderen Neo-Keysianern, die sich zwecks Bewahrung des Produktivismus anschließen.

    Schließlich, und das ist die größte Herausforderung, sollte die Bewegung für soziale Gerechtigkeit ihr Verhältnis zu ihrer praktisch-politischen Erfahrung mit Anfechtungen des kapitalistischen Systems speziell in Lateinamerika überprüfen und zur Konvergenz von sozialen und politischen Akteuren beisteuern; in noch zu bestimmender Weise wäre das Verhältnis zu Institutionen wie auch zu Regierungen zu prüfen.

    Quellen für Unterstützung des Handelns gibt es wie noch nie, namentlich in ALBA, wo in den sehr fortgeschrittenen Stellungnahmen von sozialen Bewegungen und Regierungen große Schritte getan wurden.i

     

    Aus dem Englischen von Joachim Wilke, Zeuthen