Die Mitgliedschaft
DIE LINKE hat gegenwärtig ca. 71.900 Mitglieder, davon 28.181 Frauen. Ihr Frauenanteil beträgt ca. 39 Prozent im Jahr 2007, im Jahr 2004 lag dieser Wert bei 45,3 Prozent1. Damit hat DIE LINKE im Vergleich zu den anderen im Bundestag vertretenen Parteien noch immer den höchsten Frauenanteil. Bedenklich ist jedoch, dass bei Neueintritten dieser Anteil nur bei 25,3 Prozent liegt.
Bemerkenswert ist die sich anbahnende Verschiebung der Ost-West-Gewichtung der Partei. Der Anteil der Mitglieder in den ostdeutschen Bundesländern an der Gesamtmitgliedschaft ging innerhalb eines Jahres von 75 Prozent auf 71 Prozent zurück, während der für die westdeutschen Länder von 21 Prozent auf knapp 29 Prozent stieg. Dies war mit einem Zuwachs von 5.629 Mitgliedern im Westen und einem Verlust von knapp 3.000 Mitgliedern in Ostdeutschland (vor allem durch Tod) verbunden.
Die Altersstruktur der Linkspartei stellt sich 2006 wie folgt dar: Der Anteil der unter 30jährigen liegt bei 4 Prozent, der Anteil der Mitglieder zwischen 31 und 60 Jahren liegt bei 28 Prozent und der Anteil der über 60jährigen bei 68 Prozent.2 Die sich abzeichnende, leichte Erhöhung des Anteils junger Mitglieder reicht noch nicht, um eine deutliche Verjüngung der aktiven Basis der Partei zu sichern. Dies aber ist eine der zentralen Herausforderungen der neuen Linken als Mitgliederpartei.
Die deutsche Partei DIE LINKE ist eine plurale Partei und muss es auch bleiben. Bei der Gründung der Quellpartei PDS gab es vier Gruppen, die sie wesentlich charakterisierten: a) Personen, die zur Gründergeneration der DDR gehörten wie Hans Modrow und die Mehrzahl der älteren Parteimitglieder, b) Personen aus dem Umkreis der SED-Reformintellektuellen wie Bisky und Gysi, die heute noch die Partei DIE LINKE maßgeblich auch in politischen Führungspositionen prägen, c) die reformorientierten Pragmatiker, die mittlerweile die Amts- und Mandatsträger der Linken in den ostdeutschen Landesverbänden darstellen und deren Großteil sich im „Forum demokratischer Sozialismus“ organisiert und d) die orthodoxen Sozialistinnen und Sozialisten, die sich in der Kommunistischen Plattform und dem Marxistischen Forum organisierten. Letztere haben in der neuen Partei mit der Herausbildung der „Antikapitalistischen Linken“ (AKL) eine Aufwertung erfahren. Neu herausgebildet haben sich mit der neuen Partei die „Sozialistische Linke“ – eine stark gewerkschaftlich geprägte Strömung – sowie die „Emanzipatorische Linke“ mit Traditionen in der Neuen Linken und autonomen Bewegungen. Alle diese Strömungen sind inzwischen ost-west-geprägt. Die damit verbundene Pluralität ist gegenwärtig noch stark auf innerparteiliche Auseinandersetzungen ausgerichtet.
Über die Sozialstruktur der Mitgliedschaft der neuen Linkspartei lassen sich derzeit nur vage Aussagen treffen. Klar ist, dass die Sozialstruktur der beiden Quellparteien sich völlig unterschiedlich darstellt. Die durchschnittlich eher geringen Beitragszahlungen in der Quellpartei WASG lassen eine soziale Zusammensetzung der Mitgliedschaft aus den mittleren und stärker noch unteren sozialen Schichten der Gesellschaft vermuten3. Die WASG verstand sich – im Unterschied zur PDS – hinsichtlich ihrer Mitgliedschaft auch eher als eine Partei der Arbeiter, vor allem Gewerkschafter und Betriebsräte und der mittleren Angestellten im öffentlichen Dienst. Die Sozialstruktur der Quellpartei PDS hatte sich in den letzten Jahren kaum verändert: 77 Prozent der Mitglieder waren Rentner, Vorruheständler oder Arbeitslose. Schüler, Studenten und Auszubildende stellten drei Prozent, Arbeiter acht Prozent und Angestellte 18 Prozent. Diese Zusammensetzung ermöglichte zunächst die Herausbildung und Stabilisierung der PDS als Kümmererpartei vor Ort, deren maßgebliches Potential die sozial und politisch engagierten Rentner bildeten.
Mit Oskar Lafontaine, Lothar Bisky, Gregor Gysi verfügt die Partei DIE LINKE über starke Führungspersönlichkeiten, die biographisch wie politisch völlig unterschiedlich geprägt sind und als Repräsentanten der gesamtdeutschen Linken in Ost und West wahrgenommen werden. Darüber hinaus gibt es bundespolitisch und landespolitisch kompetentes Fach- und Führungspersonal, das über langjährige politische Erfahrungen in Parlamenten, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen verfügt. Die Partei DIE LINKE ist damit eine bundespolitisch außerordentlich handlungsfähige Kraft geworden, die ihre parteipolitischen Konkurrenten stark unter Druck zu setzen vermag.
Die Wählerschaft
Die Wählerschaft der neuen Partei DIE LINKE ist im Unterschied zu den anderen beiden kleineren Parteien in Deutschland (Grüne und FDP) in allen gesellschaftlichen Schichten verankert. Die soziale Zugehörigkeit ihrer Anhänger verteilt sich nach den Angaben in der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zu den politischen Milieus in Deutschland wie folgt: 36 Prozent Oben, 31 Prozent Mitte und 33 Prozent Unten, wobei ihre Anhänger in oberen und mittleren Schichten vor allem aus den Gruppen der kritischen Bildungseliten und des engagierten Bildungsbürgertums mit sozial-libertären Orientierungen kommen. Gerade auch unter den Angestellten des öffentlichen Dienstes oder nachrangigen Einrichtungen im Bildungs- und vor allem auch im sozialen Bereich hat die Linke viele ihrer Anhänger. Sie erwarten eine solidarische Erneuerung des Öffentlichen.
Betrachtet man diese soziale Schichtung der Wählerschaft der Partei DIE LINKE, so ist sie nicht mehr nur Volkspartei in Ostdeutschland, sondern potentiell ebenso in den westdeutschen Bundesländern. Ihre bundesweite Akzeptanz belegen gegenwärtige Umfragen: Die Partei DIE LINKE liegt – mit Ausnahme von Bayern – in allen westdeutschen Bundesländern über 5 Prozent, in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist sie zweitstärkste Partei. DIE LINKE hat es geschafft, sich als Partei der Arbeiterschaft, der Gewerkschaften und Arbeitslosen und der subproletarischen Schichten aufzustellen und dabei zugleich ihren Rückhalt in Teilen sozial-orientierter Mittelschichten auszubauen. 75 Prozent ihrer Wähler sprechen der Partei DIE LINKE Kompetenz auf dem Gebiet sozialer Gerechtigkeit zu. Sie konnte in diesen Bereichen der SPD erfolgreich Konkurrenz machen und sie in Ostdeutschland sogar weit übertreffen. Bei den Landtagwahlen 2008 in Hessen, Niedersachsen und Hamburg konnte sie insgesamt 364.000 Wähler anderer Parteien für sich mobilisieren. Am stärksten ist der Zustrom ehemaliger SPD-Wähler (+120.000 = 33 Prozent der erreichten Stimmen) und aus dem Nichtwählerlager (+65.000 = 18 Prozent der erreichten Stimmen). 56.000 ehemalige Grüneund 46.000 ehemalige CDU-Wähler entscheiden sich für DIE LINKE. Aber bereits bei den Bremer Bürgerschaftswahlen 2007 wurde eine die neue Partei prägende Tendenz sichtbar: 12 Prozent der Arbeiter, 13 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und 21 Prozent der Arbeitslosen wählten sie.
Betrachtet man die wahlentscheidenden Themen der letzten vier Landtagswahlen, so entsteht für die Partei DIE LINKE das Bild einer politischen Kraft, die die Gerechtigkeitslücke nicht mehr nur in den ostdeutschen Bundesländern repräsentiert, sondern ebenso in den westdeutschen Ländern, geknüpft an Erwartungen und Lösungen für Probleme des Arbeitsmarktes, aber auch – und dies ist in dieser Dimension neu – in der Wirtschafts- und Bildungspolitik.
Das Parteiensystem in Deutschland wird transformiert
Die Linkspartei ist nach den letzten Wahlen in insgesamt zehn Landtagen vertreten, sie hat mehr als 200 Landtagsabgeordnete und damit mehr als Grüne und FDP. So verändern sich auch die Voraussetzungen für die Kommunalwahlen der nächsten Jahre. D.h., DIE LINKE muss nun ihre kommunalpolitische Verankerung bundesweit festigen und ausbauen. Dabei sollte sie die Erfahrungen der früheren PDS als „Kümmererpartei“ nutzen.
Eine der Ursachen für die Herausbildung der Linkspartei liegt „im Versagen der SPD, sich als soziale und demokratische Kraft dem Neoliberalismus entgegenzustellen“4. DIE LINKE ist kein Überbleibsel aus der vergangenen Epoche, sondern notwendige Folge von Widersprüchen neoliberaler Politik, die letztlich seine eigenen Grundlagen in Frage stellen. Sie ist eine Parteigründung, „die sich inmitten einer …. Hegemoniekrise des Neoliberalismus vollzieht“5. Michael Brie nennt u.a. folgende Gründe, die dafür sprechen, dass mit ihrem Aufschwung es zu einer grundlegenden Veränderung im Parteiensystem kommen wird. Erstens: Die SPD und DIELINKE konkurrieren auf Augenhöhe um die gleichen Kompetenzen wie Soziale Gerechtigkeit, Gleichheit, Überwindung des Gegensatzes zwischen Arm und Reich. Die Ergebnisse der Landtagswahlen von Hamburg, Niedersachsen und Hessen 2008 belegen diese These. Zweitens erfahren die Positionen der Linkspartei eine breite gesellschaftliche Zustimmung: 80 Prozent der Bevölkerung waren für eine armutsfeste Grundsicherung, der Mindestlohn ist in allen im Bundestag vertretenen Parteien in Deutschland Mehrheitsforderung ihrer Anhänger, darunter die Anhänger der Linkspartei mit 81 Prozent, 69 Prozent SPD, 66 Prozent Grüne, 56 Prozent CDU/CSU-Anhänger und immerhin 53 Prozent FDP-Anhänger.
„Im Januar 2008 betrachten sechs von zehn (62 Prozent) die sozialen Verhältnisse in der Bundesrepublik als ungerecht, darunter überdurchschnittlich viele Bürger, die einen niedrigen Bildungsabschluss haben (72 Prozent), über ein geringes Haushaltseinkommen verfügen (70 Prozent) und erwerbslos sind (76 Prozent). Von ungerechten Verhältnissen wird darüber hinaus weiterhin vor allem in den neuen Bundesländern (76 Prozent) ausgegangen sowie von den Anhängern der Linkspartei (93 Prozent).“
Drittens ist DIE LINKE in allen drei Dritteln der Gesellschaft verankert. Auch das wird durch die Wahlergebnisse bestätigt, ebenso dass sie damit eine vor allem erfolgreiche Partei der Arbeiterschaft, insbesondere ihres gewerkschaftlich organisierten Teils ist, überproportional Arbeitslose vertritt und – wenn auch etwas geringer – dennoch auch in der Lage ist, ihren Rückhalt in Teilen sozial-orientierter Mittelschichten auszubauen.
Der Aufstieg der Linkspartei hat das gesamte Parteiensystem der Bundesrepublik verändert. Das Parteiensystem mit der Linkspartei als gesamtdeutscher Kraft wurde nicht nur europäischer, sondern normaler – das Parlament präsentiert nun auf der Höhe der Zeit die realen gesellschaftlichen Gegensätze. Mit ihrem Einzug in die Landtage von zwei westdeutschen Flächenländern geht es aber nicht mehr nur um die Differenzierung der Parteiensysteme auf der Länderebene. Damit verändern sich grundlegend die bisherigen Koalitionsmöglichkeiten auf Länder- und Bundesebene. In Deutschland ist ein Fünf-Parteien-System entstanden. Bisherige Kooperationsbündnisse wie CDU/FDP oder SPD/Grüne oder andere sind nicht automatisch mehrheitsfähig, d.h. die Zweierbündnisse zwischen einer großen und einer kleineren Partei reichen für politische Mehrheiten oft nicht mehr aus. Mit Ausnahme der Großen Koalition von SPD und CDU sind für politische Mehrheiten immer häufiger parteipolitische Dreierbündnisse notwendig. Damit aber verändern sich die Spielregeln, und die Partei DIE LINKE wird über ihre eigene Wählerschaft hinaus zur strategischen Kraft, was es ihr ermöglicht, die von ihr vertretenen, gesellschaftlich verankerten Mehrheitspositionen stärker in die politischen Konstellationen einzubringen. Dieser Erkenntnisprozess setzt sich inzwischen auch in der SPD zumindest auf der Landesebene durch, wie die Wahlen in Hessen zeigten. Wenngleich dies letztlich gescheitert ist, so bemühte sich doch immerhin die SPD-Spitzenkandidatin, eine Minderheitsregierung von SPD und Grünen zu etablieren, und dies unter Duldung durch die Partei DIE LINKE. Ähnliches hatte es schon nach 1994 in Ostdeutschland, im Bundesland Sachsen-Anhalt gegeben. Gleichzeitig bildete die CDU in Hamburg eine Koalition mit den Grünen.
Für ein neues Bündnis des politischen Richtungswechsels
Will die Partei DIE LINKE dauerhaft eine starke Rolle als linke demokratische bundespolitische Kraft spielen, muss sie sich als Teil einer gesellschaftlich verankerten linken Kraft für einen Richtungswechsel der Politik entwickeln. Die erstarkenden gewerkschaftlichen Kämpfe und Streiks, eine breite gesellschaftliche Unzufriedenheit in der Bevölkerung, viele soziale Bewegungen und Initiativen, wie zum Beispiel im Protest gegen das Treffen der G8 in Heiligendamm im Juni 2007 deutlich wurden, sind dafür eine gute Voraussetzung.
Die Partei DIE LINKE muss klar definierte, durch breite Mehrheiten getragene Projekte aufgreifen und gemeinsam mit anderen entwickeln. Es sind Projekte, die gleichermaßen für mehr soziale Gerechtigkeit und Demokratie, für eine sozialökologische Transformation und eine aktive Friedenspolitik stehen, die attraktiv für verschiedene Gesellschaftsschichten sind. Die Linke muss dazu radikale Realpolitik umsetzen und
• dabei den Kampf um Hegemonie aus der Minderheit heraus, um gesellschaftliche Mehrheiten führen;
• Reformen einfordern, die die Macht- und Eigentumsverhältnisse nachhaltig sozial, demokratisch und ökologisch verändern;
• Projekte partizipativer Demokratie entwickeln und umsetzen und
• aus der Gesellschaft heraus Einstiegsprojekte entwickeln, die im Heute beginnen und zugleich über die heutige Gesellschaft hinausführen wie Mindestlohn, Grundsicherung, Grundeinkommen, Reduzierung der Arbeitszeit. Einstiegsprojekte eines Mitte-Links-Projekts müssen gerichtet sein auf die Neugestaltung des Öffentlichen und Kontrolle des Kapitals. Dazu gehört die Zurückdrängung des Finanzmarkt- Kapitalismus, die Erneuerung und der Ausbau des öffentlichen Sektors, eine neue Vollbeschäftigung auf der Basis eines neuen Produktivitätskonzepts und anderen Wachstums, die Umverteilung von oben nach unten, von privat zu öffentlich, eine ökologische Wende und die soziale und friedensorientierte Reform der Europäischen Union.
Sie braucht klare programmatische Aussagen, die eine Weiterentwicklung und konkrete Untersetzung ihrer programmatischen Eckpunkte darstellen vor allem auf den Gebieten der Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Sozialpolitik. Dazu aber muss sie die Potentiale ihrer Strömungen aus der Phase parteiinterner Machtkämpfe um die politische Hegemonie innerhalb der Linken zugunsten konstruktiver Zusammenarbeit zusammenführen, verbunden mit der Entwicklung einer linken Kultur, die ihrem demokratischen und emanzipativen Anspruch gerecht wird. Es sind in Deutschland Mehrheiten für eine demokratisch-sozialökologische Politik möglich, es gibt neuartige plurale, historische Netzwerke sozialer und politischer Kräfte für einen solchen Richtungswechsel, und es gibt mit der Partei DIE LINKE eine Partei. Noch sind dies erst die Vorbedingungen für eine neue Politik. Sie werden nicht reichen. Aber es gibt erstmals seit 1990 in Deutschland wieder die Chance für einen linken demokratischen Aufbruch.
Anmerkungen
1 Oskar Niedermayer (2007). Parteimitglieder in Deutschland: Version 2007. Arbeitshefte aus dem Otto-Stammer-Zentrum, Nr. 11. Berlin, Freie Universität Berlin 2007, www.polwiss.fuberlin. de/osz/dokumente/PDF/ AHOSZ11.pdf. S. 15.
2 Ebenda, S 16.
3 Tim Spier, S. 59.
4 Michael Brie: Segeln gegen den Wind. Bedingungen eines politischen Richtungswechsels in Deutschland. In: DIE LINKE. Wohin verändert sie die Republik?, S. 269.
5 Ingar Solty: Transformation des deutschen Parteiensystems und europäische historische Verantwortung der Linkspartei. In: Das Argument, Heft 271/2007, S. 343.
6 ARD Tagesschau\Infratest dimap – ARD DeutschlandTREND Februar 2008.htm. 28.2.2008.