Paris im Herbst 2007. Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise bricht sich Bahn. Mit Spannung folgen die Mitglieder der Linksfraktion im Europaparlament (GUE/NGL), die zu Studientagen anlässlich der Französischen EU-Präsidentschaft in Paris weilen, den Szenarien, die ein Berater von Sarkozy vor ihnen entwickelt.
Was wird möglicherweise eintreten, wenn bestimmte politische Entscheidungen zur Bekämpfung der globalen und europäischen Finanz- und Wirtschaftskrise durch die Regierenden in der EU und ihren Mitgliedstaaten getroffen oder nicht getroffen werden?
Das ist fünf Jahre her. Inzwischen zeichnet sich ab, dass die damals aufgezeigten "schwärzesten Szenarien" wahrscheinlicher werden: der Zerfall der EU oder ihr autoritärer Zusammenhalt, ihre Verkleinerung, wachsende Klüfte zwischen "Zentrum und Peripherie", Zunahme der Anzahl und Divergenzen "verschiedener Geschwindigkeiten" sind keine bloßen Gedankenkonstruktionen. Sozial- und Demokratieabbau, zunehmende soziale und politische Repressionen, wachsender politischer, ideologischer und religiöser Fundamentalismus, anschwellende Gewalt gegen "die Fremden" sind Tatsachen.
Sie sind auch Ausdruck der strukturellen gesellschaftspolitischen Defensive der Linken, die sich nur zögernd und halbherzig die EU-Ebene als politische Herausforderung und Handlungsebene anzueignen versuchen.
Viele machen sich die dramatische Tragweite eines Auseinanderbrechens oder des gewaltsamen Erhalts der EU und der Eurozone nicht ausreichend klar. Nicht wenige hoffen sogar auf den Zerfall und meinen, die Linke könne davon politisch profitieren. Wenn wir dies könnten, wären wir auch stark genug, die EU zu einem demokratischen und solidarischen Akteur zu machen, der soziale, ökologische und globale Probleme nachhaltig und gerecht löst. Wir sind es nicht – trotz oder auch wegen des Geißelns "imperialistischer Interessen und Gegensätze" und der Reduktion der EU auf eine Allianz reaktionärster politischer Kräfte.
Wir waren nicht einmal stark genug, zur letzten Europawahl so viel Wählerinnen und Wähler zu aktivieren, dass eine starke politisch intervenierende Linke im Europäischen Parlament vertreten, hörbar und erlebbar ist! Dort stellen die Linken jetzt die zahlenmäßig kleinste Fraktion – noch hinter der EFD, der Fraktion der Nationalisten und Rechtsextremisten.
Einst hatte die Abkehr von Krieg und Faschismus, die Leistung der Sowjetunion, der Kommunistinnen und Kommunisten bei der Zerschlagung der faschistischen deutschen Militärmaschinerie für Millionen Menschen in Osteuropa die durchaus ehrliche Motivation begründet, ein zum Kapitalismus alternatives Gesellschaftsmodell zu schaffen. Tragisch und verhängnisvoll war, dass ihnen dieses in Gestalt des Stalinismus gegenübergestellt bzw. von den sowjetischen Machthabern und ihren Verbündeten verordnet wurde. Dass dies von nachfolgenden Generationen nicht als "für immer gegeben" angesehen wurde, spricht nicht gegen die Motive, sondern gegen die herrschenden Parteien. Vieles spricht dafür, dass die Menschen sich mit dem sozialistischen Versuch identifizieren wollten, sich am Suchen und Versuchen aktiv beteiligen und sich mit Herz, Verstand und Schöpferkraft einbringen wollten. Aber sie sollten ja hinnehmen, dass eine Elite wusste, was gut für sie und was in der weltweiten Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus möglich und notwendig sei.
Die fehlende Attraktivität des "Staatssozialismus" und sein Scheitern wurden und werden von vielen Linken im Westen als Begründung für ihre Schwäche und ihre Probleme gesehen. Das ist sicher nachvollziehbar. Aber wäre dies der einzige Grund, hätten ja die verschiedenen "dritten Wege" erfolgreicher sein können. Und wieso erklären der "Staatssozialismus" und sein Scheitern die Arroganz und Unfähigkeit von manchen „Westlinken“, in der eigenen Organisation demokratisch zu sein und in der Gesellschaft demokratisches Links-sein zu leben? Auch Repression in unseren Gesellschaften erklärt nicht, warum die Linken im politischen Alltag kaum verschiedene gesellschaftliche Entwicklungsszenarien aufzeigen und diskutieren; warum sie viel zu selten Interessierte einladen, um gemeinsam nach Handlungsmöglichkeiten zu suchen, um heute demokratischer, solidarischer, sozialer und ökologischer zu leben. Würden sie dies, wären die Herrschenden nicht in der Lage, so wirkungsvoll Alternativlosigkeit zu predigen.
Der Europäischen Union könnte ein mit dem Staatssozialismus vergleichbares Schicksal drohen. Viele Menschen verlieren die Hoffnung darauf, dass die EU helfen könnte, ihre Probleme zu lösen und ihr Leben zu bereichern. Alte "national oder ethnisch begründete" Konflikte drohen aufzubrechen und neue zu entstehen. Die EU würde damit letztendlich ihre Existenzberechtigung verlieren. Sie wurde einst entsprechend den Wirtschafts- und Wettbewerbsinteressen führender Kapitaleliten gegründet. Die alte Bundesrepublik Deutschland sollte in ein westliches Bündnis integriert, politische Stabilität gesichert und ein Bollwerk gegen das neue sowjetisch-osteuropäische Modell geschaffen werden. Letztendlich hat die EU bzw. haben ihre Vorgänger aber sehr wohl auch geholfen, Frieden in Europa zu erhalten sowie nationalistische Tendenzen und Stimmungen zu bekämpfen. Letzteres entsprach den Interessen von Bevölkerungsmehrheiten, hat ihren Nerv getroffen, ihre Identifizierung mit dem widersprüchlichen Projekt, das aber immer für Millionen Menschen im globalen Süden Leid und Unterdrückung bedeutete, begründet.
Immer mehr EU-Bürgerinnen und Bürgern meinen, dass die EU und vor allem ihre ökonomisch stärksten Mitgliedstaaten hohen Anteil an den globalen Krisen haben und dass die eigenen Krisen sowie die des Euroraumes hausgemacht sind.
Das von der EU verfolgte Wachstumsmodell schien bis in die 1990er Jahre hinein den sozialen Ausgleich mehr oder weniger zu sichern. Aber zum einen war und ist es sozial und ökologisch zerstörerisch und zum anderen nehmen die Herrschenden nun die Krisen zum Anlass, den ungeliebten, "viel zu teuren" sozialen Konsens aufzukündigen. Es geht ihnen darum, die europäischen Sozialstaatsmodelle verschwinden zu lassen. Warum jedoch sollten die Bürgerinnen und Bürger den Euro und die EU engagierter verteidigen als die europäischen Sozialstaatsmodelle? Warum sollten die europäischen Sozialstaatsmodelle nicht solidarisch reformiert und ausgebaut sowie mit einer sozial und ökologisch nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung verbunden werden?
Und warum sollten parlamentarische Demokratien verteidigt werden, wenn die Wahlentscheidungen der Bürgerinnen und Bürger nur wenig am "Gang der Dinge" ändern? Wenn große Teile der Bevölkerungen die Erfahrung machen, dass soziale und ökologische Standards, demokratische Mitwirkungs- und Mitentscheidungsrechte wenig gelten, dass von ihnen gewählte oder tolerierte nationale Parlamente und das Europaparlament beim EU-Umbau von oben wenig gefragt sind? Warum sollen sie auf parlamentarische Demokratie vertrauen? Warum sollen sie ein Eurozonenparlament nach dem Willen der Regierenden, den Ersatz der europäischen Gemeinschaftsmethode durch die Unionsmethode à la Merkel, die forcierte Spaltung der EU in Eurozone und Nicht-Eurozone, in Kerneuropa und Peripherie im Interesse „globaler Wettbewerbsfähigkeit“ wollen?
Das Nicht-Wollen muss nicht in politische Aktivität und schon gar nicht in emanzipativ-solidarisches Handeln umschlagen.
Es muss schon sehr nachdenklich stimmen, dass sich unter den Regierenden die Stimmen jener mehren, die das "deutsche Modell" unter deutscher bzw. deutsch-französischer Führung zur Basis für die weitere EU-Entwicklung machen wollen. Das heißt die deutsche Agenda 2010 mit Hartz IV, Prekarisierung, Niedriglohnarbeit, Workfare, Erhöhung des Renteneinstiegalters und vieles mehr. Dieser Prozess hat schon lange begonnen. Die offene Methode der Politikkoordinierung hat den wirtschaftlich und wirtschaftspolitisch Führenden neue Wege eröffnet, um Beschäftigungs- und Sozialpolitik an globaler Konkurrenzfähigkeit auszurichten. Die Nöte der Menschen an den weniger konkurrenzfähigen Standorten werden nun genutzt, um mit Verweis auf „Solidarität“ die Agenda 2010 aggressiv neoliberal fortzuschreiben. Das wird im Übrigen auch von jenen Kräften forciert, deren Wirtschaft auf das engste mit der deutschen verflochten ist, wo die wirtschaftliche Integration am weitesten vorangeschritten ist.
Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sehen ihre in der EU sozial privilegierte Lage und ziehen meist ein „weiter so“ vor. Da nimmt man beim vergleichenden Blick auf die anderen auch soziale Verschlechterungen hin und pflegt das Bündnis mit den Herrschenden.
Wenn die Interessengegensätze in und zwischen den EU-Ländern wachsen, wird es für die Linken noch schwieriger, Solidarität zu stiften und gerechte Lösungen für globale Probleme zu suchen. „Die Linken“ sind ja auch sozial und politisch heterogen, leben in Ländern, wo Wahlergebnisse über parlamentarische und verwaltungspolitische Möglichkeiten bestimmen. Diese sollen den Status quo sichern. Sie sollen Interessenunterschiede so reproduzieren, dass die Menschen im „sozialen Unten“ und in der „sozialen Mitte“ kein Bündnis bilden. Vor allem sind sie gegen internationale Solidarisierung unter den Bevölkerungen gerichtet. Die Linken aber müssen darum ringen, diese Möglichkeiten zu nutzen, um andere gesellschaftliche Entwicklungen zu organisieren. Das gelingt nur, wenn sie all ihre intellektuellen und organisatorischen Fähigkeiten für eine auf Problemlösungen gerichtete Kooperation mobilisieren.
Erfolg setzt voraus, dass die Linken vier Herausforderungen annehmen. Die Reihenfolge bedeutet keine Rangfolge, denn es geht um Gleichzeitigkeit, Gleichrangigkeit und wechselseitige Zusammenhänge:
1) politische Handlungsspielräume aufspüren, verteidigen, ausnutzen und erweitern. Das ist zum einen eine Frage des Umgangs mit objektiven Widersprüchen und zum anderen eine Frage der Verteidigung und Nutzung demokratischer Errungenschaften bzw. Rechte, Standards, der Demokratisierung. Diese Fragen haben mit der Fähigkeit zur solidarischen Kooperation zu tun.
2) Sich bewusst in die Tradition der europäischen Aufklärungs-, Bürgerrechts- und Menschenrechtsbewegung stellen; sich und anderen immer wieder bewusst machen, dass fortschrittliche Bewegungen, die Arbeiterbewegung, der Feminismus, der Antifaschismus, der Antirassismus und Antikolonialismus als internationale Strömungen entstanden sind; dass LINKS sein in Europa immer zugleich EUROPÄISCH und SOLIDARISCH-SEIN mit den Opfern von Unterdrückung, von Kolonial- und Aggressionspolitik bedeutet.
3) Die nachhaltige Verbesserung der sozialen und ökologischen Lebensbedingungen der Menschen. Die Lebensbedingungen und die Rechte der Schwächsten in den eigenen Gesellschaften, in der EU und weltweit müssen dabei vor allem in den politischen Fokus gestellt werden. Dabei geht es wieder um Gleichzeitigkeit: nicht erst an die „eigenen“ Armen und dann an die global Hungernden denken und entsprechend handeln, sondern gleichzeitig!
4) Der Vision einer Gesellschaft der Freien, Gleichen, Solidarischen und Ökologischen folgend auf handelnde Akteure setzen, auch politisch „passive“ Bürgerinnen und Bürger als potenzielle Akteure sehen.
Wie sind die Linken in Europa auf die genannten Probleme, Entwicklungen und Herausforderungen eingestellt? Über welche Ressourcen verfügen sie und wie nutzen sie diese? Wer sind aus ihrer Sicht die Akteure des notwendigen gesellschaftlichen Wandels; was können sie tun, um Kräfteverhältnisse zu beeinflussen; wie intervenieren sie und wie überzeugend sind ihre Alternativen bei der Bekämpfung der Krisen, nicht zuletzt der EU- und Eurokrise? Inwiefern gibt es überhaupt eine real existierende und handelnde EU-Linke und darüber hinaus eine Europäische Linke?
Um aus der gesellschaftspolitischen Defensive herauszukommen, müssen die Linken neue politische Bündnisse schaffen. Das setzt voraus, untereinander kooperieren zu können. Schließlich gilt es, lokale, regionale, europäische und globale Entwicklungen zu verfolgen, Entwicklungsmöglichkeiten und Handlungsräume zu analysieren, in gesellschaftliche Transformationsprozesse zu intervenieren.
Kooperationen unter den linken Parteien und ihren Fraktionen, ihrer Partei- bzw. ihrer parteinahen Bildungseinrichtungen sind die elementare Voraussetzung für erforderliche Lernprozesse, Strategiefähigkeit und wachsende Politikwirksamkeit. Die Europäische Linkspartei, die linke Fraktion im Europäischen Parlament und das Netzwerk transform! sind bereits Ausdruck von Kooperationsfähigkeit und zugleich Chance für ihre weitere Qualifizierung und für Gewinn an gesellschaftspolitischem Einfluss. Diese drei internationalen Zusammenschlüsse tragen eine besondere Verantwortung für die Entwicklung der Linken und ihrer Bündnisfähigkeit.
Die Funktion der linken konföderalen Fraktion im Europaparlament GUE/NGL besteht vor allem darin, die Spielräume parlamentarischen Handelns zu nutzen, um die Rolle des Europaparlaments in der Auseinandersetzung mit den anderen europäischen Institutionen zu stärken. Sie muss versuchen, Vorschlägen, die in enger Kooperation mit den sozialen, ökologischen und Friedens- und Demokratiebewegungen entstehen, parlamentarisches Gewicht zu geben. Sie ist auch gefordert, einen Beitrag zur engeren Kommunikation und Kooperation zwischen den nationalen Parlamenten und dem Europaparlament leisten.
Allen Beteiligten ist klar, dass die GUE/NGL ein breites Spektrum linker Parteien in der EU repräsentiert. Ihre Stärke besteht gerade darin, dass es kein anderes Projekt der Kooperation linker Parteien mit derartig großen Unterschieden im Selbstverständnis der Beteiligten, mit sich so dramatisch unterscheidenden politischen Erfahrungen und politischen Kulturen gibt. Gleichzeitig liegt darin aber auch die größte Schwäche der GUE/NGL. Die einzelnen in ihr vertretenen Parteien zeigen bisher kaum Ambitionen zu einem Mehr an europäischer Kooperation und Integration der Linken. Die Vorstände der Parteien tun sich schwer, sich gleichzeitig als lokal, regional, staatlich, europäisch und global Handelnde zu verstehen. Wollten die Parteien dies aber lernen, würden sie alles tun, um die GUE/NGL zu erhalten, sie als Chance für die europäische Integration der Linken gestalten und nutzen. Sie würden nur kommunikations- und kooperationsfähige Kandidatinnen und Kandidaten für das Europäische Parlament benennen.
Die Parteien müssen also an einen Tisch, nicht zuletzt auch, um neu zu definieren, wie Konföderalität unter den heutigen Bedingungen aussehen kann und soll. Da müssen sie sich sehr wohl mit dem notwendig und völlig zu Recht abgelehnten Lissabonner Vertrag neu beschäftigen. Schließlich hat dieser dem Europaparlament mehr Rechte, Aufgaben und legislative Verantwortung zugewiesen. Hier geht es darum, alle Handlungsmöglichkeiten auszuschöpfen!
Da ist eine Position wie: „entscheidend ist die Wahl zum Bundestag, die Europa-Wahl ist weniger wichtig“, wie sie den letzten Europa-Wahlkampf der Partei DIE LINKE. prägte, politisch wenig verantwortungsvoll.
Der gemeinsame Verständigungsprozess zu politischen Strategien darf nicht zu einer Unterordnung von Parteien unter andere, nicht zu einem Verlust an Vielfalt führen. Es muss möglich werden, ein Mehr an gemeinsamer linker Politik in der Europäischen Union und in Europa mit allen Interessierten und für die Bevölkerungsmehrheiten zu entwickeln. M. E. können die Linken sehr wohl auf der Basis der oben formulierten vier Herausforderungen ihre Dissense und Widersprüche diskutieren, können sich lebhaft streiten und zugleich solidarisch miteinander Politik entwickeln und betreiben.
Von der GUE/NGL in ihrer jetzigen Konstruktion zu erwarten, dass sie die mitgebrachten und gepflegten unterschiedlichen Politikansätze zu neuer Gemeinsamkeit zusammenbringt, also Grenzen und Schranken zwischen den verschiedenen politischen Kulturen überwindet, ist realitätsfern. Das ist auch nicht Aufgabe der Abgeordneten, die von ihren Parteien nominiert werden und auf der Basis beschlossener Wahlprogramme handeln sollen. Manche Parteien wollen im Europäischen Parlament nur zusätzliche Ressourcen in nationalen Auseinandersetzungen sehen. Die Heterogenität der Auffassungen, die die in der GUE/NGL vertretenen Parteien gerade zur EU und zur Bekämpfung der EU-Krise vertreten, lässt sich kurz bei einem Vergleich von vier Delegationen beschreiben, die dabei nicht einmal die am weitesten auseinanderliegenden Positionen einnehmen: Vänsterpartiet (Schweden), Bloco Esquerda (Portugal), KSCM (Tschechien) und Folkebevægelsen mod EU (Dänemark). Alle vier Parteien sind selbstverständlich gegen die autoritären Austeritätsmaßnahmen und die neoliberale Politik der EU. Aber: Die schwedischen Freunde wollen zurück zu souveränen Nationalstaaten und fordern die EU auf, die Verantwortung für eine geordnete Auflösung der Eurozone zu übernehmen. Bloco will das Gegenteil. Die Genossen setzen auf mehr EU-Vergemeinschaftung und Demokratisierung, direkte Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank, Schuldenstornierung und einen größeren EU-Haushalt für mehr sozialen Ausgleich in der EU. Die KSCM will den Sozialismus des 21. Jahrhunderts, aber in der aus ihrer Sicht wirklichen Tradition von Marx, Engels und Lenin. In ihrer Analyse gehen sie von einem Kapitalismus aus, der sich in „seinem fortschreitenden Todeskampf“ befinde, und fordern deshalb den Zusammenschluss der kommunistischen Kräfte in Europa und der Welt. Die auf dem letzten Parteikongress der KSCM verabschiedete Resolution nimmt zwar die Krise in der Europäischen Union zum Ausgangspunkt, behandelt dann aber vor allem innenpolitische Positionen und nimmt europäische Bezüge lediglich unter der Überschrift „Schutz nationaler Interessen“ auf.
Unsere dänischen Freunde, die bei der letzten Wahl einen sehr EU-kritischen Wahlkampf führten, verweigern auch im Europaparlament jeder gemeinsamen EU-Einnahmepolitik die Zustimmung. Sie lehnen eine gemeinsame Generierung von Einnahmen aus einer Finanztransaktionssteuer für den EU-Haushalt strikt ab. Das gilt aus ihrer Sicht auch für die Verwendung für mehr Entwicklungskooperation zwischen der EU und den global Ärmsten. Die Einnahmen sollen den nationalen Haushalten zufließen, die dann die nationalen Parlamente beschließen und kontrollieren.
Allein diese Fragen, die Positionen in der Auseinandersetzung um die Rolle der Europäischen Zentralbank, die Vergemeinschaftung von Staatsschulden, die Bildung einer Banken- und Finanzunion, die Übertragung bisheriger nationaler Haushaltssouveränität auf die EU-Ebene oder auch die Durchführung von Volksentscheiden zur weiteren europäischen Integration offenbaren einen enormen Klärungsbedarf.
Hinter all den verschiedenen Positionen und Auseinandersetzungen stehen gravierende Differenzen in der Einschätzung der gesellschaftspolitischen Kräfteverhältnisse auf der nationalen und auf der EU-Ebene wie in den Wegen zu ihrer Veränderung. Das führt weiter zu der Frage: Reicht es aus, dass sich die Linken in Europa auf den aktuellen Widerstand gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die sozial Schwächsten konzentrieren, wenn sie sich an Demonstrationen, Protesten gegen die Austeritätspolitik beteiligen, an der Seite der prekär Beschäftigten, der Arbeiterklasse, der Arbeitslosen und der sozial Ausgegrenzten stehen?
M. E. reicht das nicht, denn die Geschichte zeigt, dass Menschen sich engagieren, wenn sie damit die Hoffnung auf ein besseres Leben, eine bessere Gesellschaft verbinden. Wir brauchen also die kollektive Arbeit an einer gemeinsamen Vision von einem demokratischen, sozialen, ökologischen und friedlichen Europa. Sie gelingt aber nur mit einem „Ja!“ als Antwort auf die Frage: Streben die Linken eine tiefer gehende europäische Integration an, setzen sie auf mehr und engere Kooperation zur Lösung sozialer, ökologischer und menschheitlicher Probleme, wollen sie dafür eine an den Menschenrechten ausgerichtete europäische Föderation?
Das Netzwerk transform! Europe, das immerhin aus 22 europäischen linken Forschungs- und Bildungseinrichtungen aus 16 Ländern besteht, kann viel dafür tun, dass die Linken kooperieren lernen und damit auch europäisch „sehen“ und europäisch linke Politik betreiben.
So brauchen die Abgeordneten der europäischen linken Parteien im EP den engen Austausch in den Stiftungen und mit den Stiftungen wie innerhalb und mit transform!. Sie brauchen Impulse, geschützte Diskussionsräume, Moderation und Mediation, Beratung, neue Kenntnisse, Einsichten, Erfahrungen, Training.