Das EuroMemo 2022 befasst sich nicht nur mit dem Scheitern der EU bei der Suche nach multilateraler Zusammenarbeit zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie. Der Einmarsch Russlands in der Ukraine markiert ebenfalls einen drastischen Wendepunkt für die politische und wirtschaftliche Entwicklung der EU. Was ist der richtige Ansatz für diese Fragen?
Auch 2021 war – wie bereits das Jahr zuvor – durch die Corona-Pandemie geprägt. Mittlerweile hat die Welt drei große SARS-CoV-2-Infektionswellen durchlebt. Während das diesjährige EuroMemorandum verfasst wird, grassiert in Europa eine vierte Infektionswelle, verursacht durch die neue Omikron-Variante mit ihren kürzlich entdeckten Untervarianten. Die Corona-Pandemie zieht tiefgreifende Folgen für die Lebensbedingungen weltweit und die europäische Wirtschaft nach sich. Während das BIP der EU 2020 um 5,9 Prozentpunkte abfiel, besserten sich 2021 die makroökonomischen Bedingungen ein wenig und alle Mitgliedstaaten konnten wieder positive BIP-Wachstumsraten verzeichnen. Dennoch blieben Beschäftigung und Reallöhne hinter den Produktivitätsentwicklungen zurück. Die Arbeitslosigkeit, die im September 2019 noch bei 7,4% gelegen hatte, erreichte im September 2020 mit 8,6% einen Höchststand, ist jedoch seither wieder rückläufig. Auch wenn die Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit mit der weithin verbreiteten Umsetzung von Programmen zur Arbeitsplatzsicherung und ähnlichen Maßnahmen abgefedert werden konnten, kam es dennoch zu erheblichen Einkommensverlusten. Im Jahr 2020 ging das Median-Arbeitseinkommen auf EU-Ebene um 7,2 Prozentpunkte zurück, wobei es zwischen den Mitgliedstaaten große Unterschiede gab und ungleiche Auswirkungen auf vulnerable Gruppen festzustellen waren. Diese Erkenntnis bestätigt das allgemeine Muster, dass die Pandemie verschiedene Regionen und Sektoren mit unterschiedlicher Wucht getroffen hat. Dadurch sind innerhalb der EU neue Divergenzen entstanden, bereits bestehende Divergenzen wurden verschärft.
Die EU hat es auf dramatische Weise versäumt, eine multilaterale Zusammenarbeit zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zu erreichen. Stattdessen haben führende Industriestaaten und auch die EU bei der Versorgung2 mit Impfstoffen ihrer eigenen Bevölkerung Priorität eingeräumt. Die von Ursula von der Leyen im Juni 2021 angekündigte EU-Unterstützung in Höhe von einer Milliarde Euro für den Aufbau von Kapazitäten zur Impfstoffproduktion in Afrika bleibt hingegen weitgehend symbolischen Charakters. Das Scheitern einer effektiven multilateralen Zusammenarbeit beschränkt sich jedoch nicht auf die Corona-Pandemie, sondern betrifft auch andere wesentliche Bereiche, darunter nicht zuletzt die überaus dringliche Klimafrage. So hat die Konferenz der Vertragsparteien des Rahmenübereinkommens über Klimaänderungen (COP 26, die von 31. Oktober bis 11. November 2021 in Glasgow stattfand) lediglich bescheidene Ergebnisse hervorgebracht. Der jüngste IPCC-Bericht, der Ende Februar 2022 veröffentlicht wurde, verweist hingegen darauf, dass das entscheidende Ziel, die Erderwärmung bis zum Jahr 2100 auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, nicht erreicht werden kann, wenn die Länder ihre Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise in den nächsten Jahren nicht deutlich verstärken. Hinzu kommt, dass wesentliche Fortschritte durch das Greenwashing wichtiger Maßnahmen bedroht sind, wie u.a. der jüngste Vorschlag der Europäischen Kommission (EK), Erdgas und Kernenergie als grüne Brückentechnologien einzustufen, gezeigt hat.
Der Einmarsch Russlands in die Ukraine ab dem 24. Februar 2022 markiert einen drastischen Wendepunkt für das internationale System und insbesondere für die politische und wirtschaftliche Entwicklung der EU. Die gegen Russland verhängten harten Wirtschaftssanktionen und die massiven Militärhilfen der USA, der EU und anderer Akteur:innen für die Ukraine mögen angesichts des eklatanten Bruchs des Völkerrechts durch die russische Regierung zwar gerechtfertigt erscheinen, könnten aber zu einer Eskalation des Krieges beitragen und das Risiko der Ausweitung des militärischen Konflikts auf NATO-Länder erhöhen. Um ein solches Szenario zu verhindern, ist es dringend erforderlich, das Sanktionskonzept neu abzuwägen und vor allem die diplomatischen Bemühungen um eine Deeskalation des Konflikts zu intensivieren.
Die EU sollte ihre strategische Ausrichtung grundsätzlich überdenken und dem Drang nach Aufrüstung und Militarisierung widerstehen. Angesichts der aktuellen Konstellation mehrerer Krisen und des Klimanotstands müssen sowohl die EU als auch die internationale Gemeinschaft im Ganzen ihr politisches und wirtschaftliches Kapital darauf konzentrieren, eine effektive internationale Zusammenarbeit und Friedenskonsolidierung zu fördern.
Mehr als 100 Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler:innen aus ganz Europa und darüber hinaus haben ihre Unterstützung für das neue EuroMemorandum erklärt (klicken Sie hier für die Liste der Unterzeichner:innen).
Das EuroMemorandum 2022 ist rechts/unten (Mobilversion) unter „Dokumente“ zu finden (Englisch, PDF).
Das EuroMemorandum 2022 ist auch erhältlich in:
Englisch: Caught Between the Covid-19 Crisis and the War in Ukraine: the EU in 2022
Zusammenfassungen des EuroMemorandums finden Sie auch in:
Französisch: Prise entre la crise du Covid-19 et la guerre en Ukraine: l’UE en 2022
Griechisch: Παγιδευμένη ανάμεσα στην covid-19 και στον πόλεμο στην Ουκρανία: η ΕΕ το 2022
Polnisch: Kryzys Covid-19 i wojna w Ukrainie: UE w 2022 r. między młotem a kowadłem
Italienisch: Tra Covid-19 e guerra in Ucraina: l'Unione Europea nel 2022
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