Možemo! – politička platforma, ein breit angelegtes Bündnis aus grünen und linken Parteien, erhielt bei den kroatischen Parlamentswahlen 7 % der Stimmen. Dr. Katarina Peović, Mitglied der Radnička fronta (RF, Arbeiterfront) und neugewählte Abgeordnete von Možemo!, im Interview.
transform! europe: Die Wahlen vom 5. Juli waren für die kroatische Linke ein historischer Moment. Zum ersten Mal überhaupt hat sie den Einzug ins Parlament geschafft. Warum ist die parlamentarische Vertretung für ein Bündnis wie Možemo!, das größtenteils aus Aktivist_innen (auch von sozialen Bewegungen) besteht, so wichtig?
Katarina Peović: Der kroatische Premierminister hat die Mitglieder der grün-linken Koalition als „politische Aktivist_innen“ bezeichnet, um uns zu beleidigen, und damit unterstellt, dass der Begriff eine negative Konnotation haben würde. Wir sind aber politische Aktivist_innen. Als Mitglied der Arbeiterfront, einer der sechs Parteien, aus denen sich die Koalition zusammensetzt, kann ich sagen, dass die parlamentarische Vertretung nie unser Hauptziel war. Die Arbeiterfront ist fortlaufend auf der Straße präsent, wo sie etwa demonstriert und Streiks unterstützt. „Politischer Aktivismus“, das heißt Ablehnung des politischen Opportunismus, den man in der „großen Politik“ so häufig findet.
Aber jetzt sind wir im Parlament vertreten. Damit können wir die Interessen der arbeitenden Mehrheit noch besser vertreten, derjenigen, die von ihrer Arbeit leben ebenso sehr wie Arbeitslosen und Rentner_innen.
Die Kroatische Demokratische Union (HDZ, konservativ) und ihr Vorsitzender sind deutlich gestärkt aus der Wahl hervorgegangen. Gleichzeitig haben die mit der Koalitionsliste Neustart angetretenen Sozialdemokrat_innen (SDP) eine Niederlage erlitten und vier Sitze abgeben müssen. Neben Možemo! sind sechs weitere Parteien neu ins Parlament gewählt worden. Wie würden Sie das Kräftegleichgewicht und seine parlamentarische Abbildung beschreiben?
Das Ergebnis verschleiert die Tatsache, dass die HDZ gar nicht so sehr viele Stimmen gewinnen konnte – es ist ihr zweitschlechtestes Ergebnis in der Geschichte des kroatischen Parlaments. Die niedrige Wahlbeteiligung führte zu einer vergleichsweise hohen Anzahl an Sitzen für die HDZ. Gleichzeitig besiegelt das Ergebnis der SDP eindeutig den Sieg über ihre kompromittierende neoliberale Politik. Die niedrige Wahlbeteiligung ist ein Indikator dafür, dass viele das Vertrauen in die Politik insgesamt verloren haben. Diese Unzufriedenheit führt entweder zu einem Rückzug aus der Politik (wo Wähler_innen es ablehnen, sich am politischen Geschehen zu beteiligen) oder zur Entstehung neuer politischer Kräfte, wenn diese stark genug sind, um viele Menschen dazu zu motivieren, gemeinsam den politischen Kurs des Landes zu verändern.
Welche Probleme sieht Možemo! als die derzeit wichtigsten sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme Kroatiens an und wie organisiert Možemo! seine Bemühungen, dagegen aufzutreten?
Wir betonen die schlechten materiellen Lebensbedingungen der Mehrheitsbevölkerung. Kroatien war eines der EU-Länder mit den niedrigsten Stundenlöhnen. Zwar sind in allen osteuropäischen Ländern die Löhne gesunken, am dramatischsten war diese Entwicklung aber in Kroatien: von 43 % der westeuropäischen Durchschnittslöhne auf 37 %.
Die Arbeiterfront warnt außerdem davor, dass Kroatien den höchsten Anteil prekärer Beschäftigungsverhältnisse in der EU hat: 6,5 % aller Arbeitnehmer_innen waren 2018 prekär beschäftigt (2017 waren es 6,9 %), gegenüber einem EU-Durchschnitt von 2,1 %. 90 % der 2019 geschlossenen Arbeitsverträge sind befristet. Damit sind 25 % aller angestellt Beschäftigten prekär beschäftigt.
Zusätzlich sind viele Renten niedrig und 14 % der arbeitenden Bevölkerung, insbesondere junge Leute, sind ausgewandert (das sind mehr als 300.000 Menschen). Der EU-Durchschnitt liegt bei 4 %.
Was waren die Schwerpunkte ihres Wahlkampfes und -programmes und wie kam dieses unerwartet hohe Ergebnis zustande?
Wir haben die Notwendigkeit von Solidarität und das Bedürfnis, die regierenden Eliten davon abzuhalten, die Bürden der Krise wieder einmal auf die Schultern der entrechteten Mehrheit abzuwälzen, in den Mittelpunkt gestellt. Der Schwerpunkt unseres Wahlprogramms lag auf der Bedeutung der grünen Reindustrialisierung (einer Produktion mit hoher Wertschöpfung, die gleichzeitig grundlegende Bedürfnisse erfüllt), Gesundheitsversorgung für alle, Ernährung, medizinischem Bedarf sowie Wohnraum für alle (während der Corona-Krise wurde Zagreb, die größte Stadt des Landes, sogar von einem Erdbeben erschüttert).
In der Corona-Krise haben wir erlebt, wie verheerend die Unterversorgung mit Medizinprodukten und Nahrungsmittelproduktion sein kann. In Zagreb sind viele Menschen obdachlos geworden.
Der Großteil der Linken in Europa war angesichts dessen, was Sie erreicht haben, sehr erfreut und beeindruckt. Bestehen Kooperationen mit Genoss_innen, Parteien und Organisationen anderswo in Europa und wie wichtig ist der Internationalismus Možemo!?
Für die Arbeiterfront ist der Internationalismus von hoher Bedeutung. Wir arbeiten eng mit der slowenischen Linkspartei Levica zusammen. Diese Kooperation bestand auch schon lange vor den Wahlen. Während des Wahlkampfs haben Levicas Koordinator Luka Mesec und ich einen Runden Tisch zur Situation der Linken auf dem Balkan organisiert. Außerdem arbeiten wir mit der serbischen Sozialdemokratischen Union (SDU) zusammen. Die italienische Rifondazione Comunista hat uns bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen unterstützt. Auch die Partei der europäischen Linken hat uns ihre Unterstützung ausgesprochen.
Die Krise der europäischen Integration scheint noch lange nicht gelöst. Seit Jahren verharrt die europäische Linke in einer ambivalenten Haltung zur europäischen Integration. Welche Zukunft wünscht sich Možemo! für Europa und ihre Bevölkerung?
Sollte die Corona-Krise die Ungleichheit zwischen den reichen Ländern in der Mitte Europas und den armen Ländern an der Peripherie noch verstärken, könnte es mit der Europäischen Union zu Ende gehen. Die Brüsseler Bürokrat_innen haben diese Ungleichheit mit dem Konzept eines „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ offen eingeräumt. Die Debatte um Eurobonds hat die Büchse der Pandora geöffnet und wir sehen jetzt dieselben Konflikte zwischen „nördlichen“ und „südlichen“ Ländern wie in der letzten Krise.
Die Linke in Europa hat die Pflicht, vor Nationalismus und dem Erstarken rechtsgerichteter Bewegungen zu warnen und darauf aufmerksam zu machen, dass und wie diese Dynamiken mit ungleichen Entwicklungen zusammenhängen, die die Menschen entlang einer künstlichen Trennlinie spalten.
Vielen Dank für das Gespräch!