Analyse unserer Mitgliedsorganisation „Naprzód“ über die politische Landschaft in Polen.
Lesen Sie hier exklusiv die Ankündigung der Unterstützung der ehem. MP Anna Grodzka für Lewica-Razem.
In Polen findet die Wahl für das Europäische Parlament im Vorfeld der polnischen Parlamentswahl statt, die für Oktober dieses Jahres angesetzt ist. Somit erhält die Europawahl eine besondere Bedeutung, da sich die politischen Parteien schon jetzt für die Wahl im Herbst positionieren. Die polnische Parteienlandschaft wird auch weiterhin von zwei rechten Parteien dominiert: einerseits von der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (Prawo i Sprawiedliwosc, PiS) und zum anderen von der „Bürgerplattform“ (Platforma Obywatelska, PO). Um die Regierungspartei PiS herauszufordern, hat die PO ihr Bündnis aus den Regionalwahlen des letzten Jahres (die Bürgerkoalition, KO), das auch verschiedene Teile der Linken einschloss, weiter ausgebaut. Außerdem werden bei dieser Wahl eine neue liberale linke Partei und ein linkes Bündnis antreten.
Polen wird seit 2015 von der rechtskonservativen Partei PiS regiert, die eine Reihe kontroverser Reformen der Gerichte und Medien umgesetzt hat. Die polnische Politik ist hauptsächlich zwischen der PiS und einer von der PO dominierten Gegenbewegung zu diesen Reformen gespalten. Mit der Umsetzung anderer Reformen, die unter anderem neue Leistungen für Kinder und eine Anhebung des Mindestlohns umfassten, ist es der PiS jedoch in der Zwischenzeit gelungen, sich wieder ein sozialer ausgerichtetes Image zu geben. Aus diesem Grund beschränkt sich die „demokratische Opposition“ tendenziell eher auf die wohlhabendere Wähler_innenschaft in den Städten, während die Unterstützer_innen der PiS eher in kleineren Orten und auf dem Land zu finden sind.
Auch Themen wie Abtreibungsrechte und Geflüchtete wurden kontrovers diskutiert und spalten die polnische Politik in unterschiedliche Lager. Um ihre konservativen Wähler_innen zu mobilisieren, hat die PiS in den letzten Kampagnen im Vorfeld der Parlaments- und Regionalwahlen bewusst darauf gedrängt, keine Geflüchteten in Polen aufzunehmen. Im Vorfeld der anstehenden Europawahl hat sie sich nun einem neuen Thema verschrieben, nämlich den Rechten von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen und Transgender-Personen (LGBT+), und kritisiert den neuen Bürgermeister von Warschau (Rafał Trzaskowski von der PO), weil dieser eine Erklärung zur Stärkung der Rechte dieser Menschen unterzeichnet hat. Wie es scheint, wird sich also die polnische Politik auch im Wahlkampf 2019 zwischen dem liberalen und dem konservativen Lager aufspalten.
Die PiS-Regierung steht wegen ihrer Justizreformen mit der Europäischen Union in Konflikt, da Polen damit zum einzigen Land in der EU geworden ist, gegen das ein Artikel-7-Verfahren zum Schutz der Grundwerte der EU ausgelöst wurde. Theoretisch könnte dies dazu führen, dass Polen sein Stimmrecht in der EU einbüßt. Allerdings hat die Regierung unter dem Druck der EU in den letzten Monaten einige Zugeständnisse hinsichtlich ihrer Reformen gemacht. Auch wenn das von Oppositionsseite gern behauptet wird, will die PiS Polen keineswegs aus der EU nehmen, und in der polnischen Bevölkerung ist die Unterstützung der Mitgliedschaft des Landes in der Europäischen Union weiterhin sehr groß. Allerdings hat sich die PiS-Regierung mit einigen der rechtskonservativsten Regierungen in Europa (wie Italien und Ungarn) verbündet und würde der EU gern eine nationalistischere und konservativere Richtung geben. Vorstöße von Politiker_innen wie Macron, die EU föderalistischer zu gestalten, lehnt sie ab und spricht sich unter anderem auch gegen die Bildung einer europäischen Armee aus (stattdessen plädiert sie für die Stärkung der NATO und ihrer Allianz mit den USA). Außerdem ist die Partei dagegen, dass Polen in die Eurozone eintritt, was auch von der PO unterstützt wird.
Auch der Brexit stellt die PiS vor große Herausforderungen, weil Großbritannien in der EU ein enger Verbündeter Polens war und die Partei demselben europäischen parlamentarischen Ausschuss wie die britische Conservative Party angehört. Wenn Großbritannien die EU verlässt, müsste die PiS wahrscheinlich in einen anderen parlamentarischen Ausschuss gehen. Aus der Europäischen Volkspartei EVP wurde sie ausgeschlossen und es wäre politisch unklug, wenn sie sich offiziell mit Gruppierungen der extremen Rechten verbünden würde. Eine weitere wichtige Entwicklung im rechten politischen Lager ist die Ankündigung der Anti-Establishment-Bewegung Kukiz’15 (seit 2015 im polnischen Parlament), sich der europäischen parlamentarischen Gruppe um die italienische 5-Sterne-Bewegung anzuschließen.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist das Bündnis der Demokratischen Linken (Sojusz Lewicy Demokratycznej, SLD) die wichtigste Mitte-Links-Partei in Polen. Zwar hat sie derzeit im polnischen Parlament keinen Sitz, im Europäischen Parlament ist sie jedoch, nachdem sie in den vergangenen Wahlen 9 Prozent der Stimmen gewinnen konnte, mit fünf MdEPs vertreten. Seit den Parlamentswahlen von 2015 versucht die SLD, sich wieder als ernstzunehmende dritte Kraft in der polnischen Politik zu etablieren. Nun hat sie angekündigt, in der Europawahl als Teil des Wahlbündnisses KO anzutreten. Dies ist ein weiteres deutliches Zeichen für den anhaltenden politischen und organisatorischen Zerfall der SLD, die nun nicht länger vorgeben kann, in der polnischen Politik eine starke linke Alternative aufbauen zu wollen.
In den Regionalwahlen sind bereits andere Gruppen aus dem Mitte-Links-Spektrum der KO beigetreten, wobei besonders die Politikerin Barbara Nowacka mit ihrer Initiative Polen für Schlagzeilen sorgte. Auch die Grünen haben angekündigt, in der Europawahl als Teil von KO anzutreten. Diese Entscheidungen beruhen auf dem rationalen Gedanken, dass sich alle „prodemokratischen“ Kräfte zusammenschließen sollten, um die PiS zu entmachten. Allerdings zeigt sich allein schon im Hinblick auf das Thema der LGBT+-Rechte, wie gespalten diese Koalition in Wirklichkeit ist, wenn der konservativere Flügel der PO die Entscheidung von Trzaskowski kritisiert, die Warschauer Erklärung zu unterzeichnen. Im Grunde genommen ist die PO eine konservative Partei, und die Aufnahme von liberaleren Mitte-Links-Kräften in das Bündnis wird die internen politischen Spannungen wahrscheinlich weiter verschärfen.
Um den ehemaligen Bürgermeister der Stadt Słupsk, Robert Biedroń, formiert sich seit einiger Zeit die neue linksliberale Partei „Wiosna“ (Frühling). Sie wurde Anfang dieses Jahres gegründet und liegt in den Meinungsumfragen bei derzeit 7-8 Prozent. Die Partei wird in der Europawahl unabhängig antreten und hat reale Chancen auf einige Sitze im Europäischen Parlament. Sie unterstützt in erster Linie eine linksliberale Politik und widmet sich Themen wie der Verteidigung von Frauenrechten, der Trennung von Kirche und Staat, der Unterstützung von LGBT+-Rechten usw. Auch wenn sie höhere Sozialausgaben vorgeschlagen hat, spricht sie sich nicht offen für eine wahre Umverteilung des Wohlstands durch eine stärkere Steuerprogression oder höhere öffentliche Investitionen aus. Bisher hat die Partei nicht verlauten lassen, wem sie sich im Europäischen Parlament anschließen wird, wenn sie Sitze gewinnt. Intern ist die Partei zwischen ihrem liberaleren und ihrem sozialdemokratischeren Flügel gespalten, versucht jedoch, interne Unstimmigkeiten bis nach den Wahlen zu verhindern. Im Februar war Biedroń in Madrid bei der Eröffnung der Europawahlkampagne der Europäischen Sozialisten zugegen.
Die andere wichtige linke Partei in Polen ist Razem („Gemeinsam“), die in der Parlamentswahl 2015 auf 3 Prozent kam, was ihr einige staatliche Mittel verschaffte. In den Regionalwahlen im vergangenen Jahr erzielte sie allerdings nur 1 Prozent der Stimmen und konnte ihren verhältnismäßigen Erfolg von 2015 nicht ausbauen. Im vergangenen Jahr kündigte Razem an, in der Europawahl als Teil des Wahlbündnisses Europäischer Frühling um Yanis Varoufakis anzutreten. Nach den Regionalwahlen hatte sie erklärt, in der Europawahl eine breite linke Koalition bilden zu wollen. Da sich aber nun große Teile von Mitte-Links der KO angeschlossen haben, ist sie mit den kleinen linken Parteien „Bewegung für Soziale Fairness“ (unter Piotr Ikonowicz) und der Arbeitsunion (Unia Pracy, UP) ein neues Linksbündnis eingegangen. Auch wenn dieses Bündnis kaum Chancen auf Sitze im Europäischen Parlament hat, ist es derzeit die einzige politische Kraft, die ein unabhängiges linkes Programm aufrechterhalten hat und sich treu geblieben ist. Sein Wirtschaftsprogramm ist deutlich links geprägt und unterscheidet sich damit von anderen Parteien und Bündnissen, die in der Europawahl antreten. Es sollte deshalb von der Linken einhellig unterstützt werden.