Die LINKE im Aufbruch: feministisch und ökologisch-sozial!

Mehrfach wegen Corona verschoben, fand am 26./27.2.2021 der Parteitag der LINKEN letztlich doch digital statt. Von den 580 gewählten Delegierten beteiligten sich mehr als 560 am ersten Online-Parteitag in der Geschichte der LINKEN – die Hälfte von ihnen satzungsgemäß Frauen. Der Parteitag hatte die Aufgabe, mit dem Leitantrag die politische Orientierung für die nächsten zwei Jahre zu beschließen und den Parteivorstand neu zu wählen, einschließlich der Parteiführung, denn Katja Kipping und Bernd Riexinger konnten nach acht Jahren nicht erneut antreten. Beides ist diesmal partizipativ und digital gelungen. Ein Orientierung gebender Leitantrag wurde beschlossen und der Generationswechsel im Parteivorstand vollzogen. Dieser ist nun jünger, feministischer und stärker im Westen verankert.

Völlig anders als zuvor beim digitalen Parteitag der konservativen CDU meldeten sich die Delegierten der LINKEN diskussionsfreudig zu Wort und machten Dissenspunkte innerhalb der Partei sichtbar, um anschließend mit großer Mehrheit den Leitantrag als gemeinsame Grundlage für die kommenden Kämpfe zu beschließen.

Zu den gewählten Personen und wofür sie stehen

Erstmals gibt es eine weibliche Doppelspitze, die zugleich für unterschiedliche Herkünfte, Biografien und Strömungen stehen: die westdeutsche Janine Wissler war bisher Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Hessischen Landtag und gehörte zur innerparteilichen Strömung marx21 – eine Strömung, die eher für eine linksradikal-antikapitalistische Ausrichtung der Partei steht. Die ostdeutsche Susanne Henning-Welsow war bisher Fraktionsvorsitzende der LINKEN in Thüringen und agierte an der Seite des bisher einzigen linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, der sich auf eine über 30 Prozent starke LINKE in Thüringen stützen kann. Beide wissen also um die Potenziale und Grenzen linker parlamentarischer Politik. Beide stehen darüber hinaus für breite gesellschaftliche Bündnisse, für einen Richtungswechsel der Politik, der gesellschaftlich getragen sein muss und nur mit rot-rot-grünen Mehrheiten zu schaffen ist.

Die Wahl ihrer Stellvertreter*innen und letztlich des gesamten 44-köpfige Parteivorstandes zeigt deutliche Verschiebungen der innerparteilichen Kräfteverhältnisse: Die traditionellen innerparteilichen Strömungen wie die Antikapitalistische Linke (AKL), zu deren Vertreter*innen in der Vergangenheit auch Sarah Wagenknecht gezählt hatte, und die Sozialistische Linke (SL) mit ihrem einstmals starken IG-Metall-Gewerkschaftsflügel, haben sichtbar an Bedeutung verloren. Das gilt auch für jene, die als Reformer*innen aus der früheren PDS kamen. Sie haben bei der Wahl gerade noch den Sprung in den Vorstand geschafft.

Alles in allem: die Partei ist jünger, akademischer, westlicher und queerer geworden. Auffällig  viele Kandidat*innen zum Parteivorstand hoben  die ökologisch-sozialen Aufgaben der Partei  hervor. Die Partei  ist stark verbunden mit Klima- und Umweltbewegungen – eine „BewegungsLINKE“ mit neuen Verbindungen zu Vertreter*innen und Engagierten vor allem der Dienstleistungsgewerkschaft. An Gewicht gewonnen haben auch jene Vertreter*innen im Parteivortand, die sich kommunalpolitisch engagieren und so immer wieder den Blick von der gesellschaftlichen Basis der Partei in die Vorstandsarbeit einbringen.

Gut ist auch, dass mit Martin Schirdewan nunmehr der Co-Fraktionschef der Linksfraktion im Europäischen Parlament (EP) im Parteivorstand vertreten ist und so die europapolitischen Kompetenzen der Partei verstärken kann. Auch die Grußworte von Waltraud Fritz-Klackl, Mitglied des Sekretariats der Partei der Europäischen Linken (EL), die die Bedeutung und Verantwortung der LINKEN gegenüber der EL betonte, wurden mit großem Interesse aufgenommen.

All das ist gut! Denn eine Linke, die die Gesellschaft grundlegend verändern will, braucht neben den konkreten Utopien eines demokratischen Sozialismus auch strategische, politische und gesellschaftliche Bündnisse und Personen, die authentisch die Bedeutung dieser Bündnisse verkörpern. Linke Politik braucht auch einen den Blick über die Grenzen Deutschlands hinaus, sie braucht einen realistischen Blick auf sich ausdifferenzierende und auseinanderdriftende Lebenswelten, und sie braucht einen Blick, der auf die Bewältigung von Alltagsproblemen gerichtet ist – also dort, wo Politik unmittelbar auf Lebenswirklichkeiten  trifft. Bei all dem braucht es einen politischen Kompass, wie er vom Parteitag mit seinem Leitantrag beschlossen wurde.

Zum Leitantrag als Grundlage für kommende Kämpfe

Auf 27 Seiten beschreibt sich darin die LINKE als sozialistische und feministische Partei, die das Profitstreben überwinden und den Menschen in den Mittelpunkt stellen will, als eine Partei, die radikale Realpolitik umsetzen will, die an die Wurzeln geht. Sie beschreibt sich damit als eine Partei  die einen sozial-ökologischen Politikwechsel herbeiführen will, bei dem auch die Eigentumsfrage gestellt wird und bei dem große Konzerne und Banken in öffentliches Eigentum, und damit unter demokratische Kontrolle und ausgerichtet am Gemeinwohl, überführt werden.

DIE LINKE steht für ein neues „soziales Wohlstandsmodell“, bei dem Menschen über ihre Arbeits- und Lebensbedingungen solidarisch verfügen mit einem garantierten Schutz vor Armut, Zugang zu Bildung und beruflichen Aufstieg, gesunde Lebensbedingungen für alle und mit Zeitwohlstand, d.h. eine Vier-Tage- bzw. 30-Stunden-Woche, so dass es für alle genügend Zeit für Beziehungen, für Familie, für Partizipation und Erholung gibt.

Dieses Wohlstandsmodell wird konzeptionell verbunden mit einem linken Green New Deal und mit einem Ausbau öffentlicher Daseinsvorsorge. Dazu gehören kommunale Gesundheitsversorgung, Kindertagesstätten, Schulen, ein öffentlich geförderter Wohnbau und eine klimaneutrale Mobilität für alle durch den Ausbau eines kostenfreien öffentlichen Personennahverkehrs. Um das zu finanzieren, kämpft die LINKE für ein gerechteres Steuer- und Sozialversicherungssystem mit Vermögenssteuern, einer Reform der Erbschaftssteuer und einem Solidarpakt zur Bewältigung des Strukturwandels früherer Kohle-Regionen.

DIE LINKE kämpft für einen Mindestlohn von 13 Euro pro Stunde und die Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich und notwendigem Personalausgleich. Sie fordert für alle im Carebereich Arbeitenden – einschließlich Leiharbeiter*innen –  die Anhebung ihrer Löhne um 500 Euro. Sie fordert hier außerdem eine andere Personalbemessung[1] und die Abschaffung der Fallpauschalen im Gesundheitsbereich.

DIE LINKE fordert bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen, einen besseren Schutz migrantisch Beschäftigter in der Pflege, auf dem Bau, im Transportwesen, in der Landwirtschaft und in der Lebensmittelindustrie. Das gilt auch für die Beschäftigten in Logistik-Unternehmen wie bei Amazon. Notwendig ist gerade auch angesichts der Corona-Pandemie die Absicherung von Solo-Selbständigen, von Künstler*innen und Studierenden während der Pandemie und danach. DIE LINKE steht für eine Reform der Arbeitslosenversicherung – für eine Erwerbstätigenversicherung in die alle Arbeitenden einzahlen.

Ja, die DIE LINKE profiliert sich als Partei, die soziale und ökologische Fragen zusammendenkt und sich dabei vor allem jenen zuwendet, die gerade unter den Corona-Bedingungen unter prekären Bedingungen leben und arbeiten müssen – soweit sie überhaupt noch Arbeit haben.

Die LINKE wird niemals Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln akzeptieren. Sie tritt dafür ein, die Auslandseinsätze der Bundeswehr zu beenden, stellt sich gegen eine Militarisierung der EU, lehnt die Rüstungskooperationen auf Europäischer Ebene und die Beschaffung europäischer Kampfdrohnen ab. Sie lehnt den europäischen Verteidigungsfonds, der auf sieben Milliarden Euro dotiert ist (!), ab. Statt die Rüstungsausgaben auf zwei Prozent zu erhöhen, sollen diese drastisch gesenkt werden. Der konkrete Vorschlag, diese auf ein Prozent zu reduzieren und das andere Prozent zur finanziellen Stärkung der Entwicklungspolitik zu verwenden, wurde von der Mehrheit des Parteitags zugunsten einer grundsätzlichen Absage an jedes Militärbudget abgelehnt.  Ebenso abgelehnt wurde der Vorschlag unter bestimmten Bedingungen Blauhelmeinsätze mit UNO-Mandat zuzulassen.

Europapolitische Eckpunkte

Darüber hinaus bestätigte der Parteitag Positionen, wie sie sich seit 2011 im Parteiprogramm wiederfinden: Auflösung der NATO und stattdessen die Etablierung eines Systems kollektiver Sicherheit unter Beteiligung Russlands, Auflösung der Grenzschutzagentur Frontex und die Wiederherstellung des Rechts auf Asyl.

Europapolitisch wird die vollständige Revidierung der EU-Verträge gefordert. Eine Billion Euro wird für ein europäisches Investitions- und Ausgabenprogramm gefordert und hierzu die Finanzierung über gemeinschaftliche Anleihen als Euro- bzw. Coronabonds, die gezielt wirtschaftlich schwächeren Staaten und Regionen zur Verfügung gestellt werden sollen, insbesondere für eine sozial-ökologische Industriepolitik und Stärkung des Gesundheitswesens, der digitalen Infrastruktur, Bildung, Forschung und für eine Energie- und Verkehrswende in den Ländern der EU. Bis 2030 soll der Kohleausstieg erfolgen, bis 2035 Klimaneutralität erreicht werden.

Schwerpunkte für den Bundestagswahlkampf

Auch organisationspolitisch soll es mit der LINKEN weiter vorangehen – in Abstimmung mit den Kreisverbänden und der LINKEN in den Kommunen. Sie werden eingeladen, im Vorfeld der im September 2021 stattfindenden Bundestagswahlen die Kampagnen mitzugestalten. Dazu schlug der Parteitag folgende Schwerpunkte vor:

–          den Pflegenotstand stoppen,

–          die Mietsteigerungen stoppen,

–          eine Offensive für Bus und Bahn und einen kostenfreien öffentlichen Nahverkehr,

–          den Kampf um den Erhalt von Arbeitsplätzen, um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen.

DIE LINKE und ihr Führungsteam zeigten sich als Partei für einen sozial-ökologischen Umbau kämpferisch und auch offen für eine rot-rot-grüne Koalition – wenn die Inhalte stimmen. Für diesen Ansatz steht mit mehr als 80 Prozent die große Mehrheit der Delegierten dieser Partei. „Lasst uns nicht mehr warten, wir müssen bereit sein!“, forderte Susanne Henning-Welsow bei ihrer Bewerbung und formulierte so, worauf die Mehrheit der Mitglieder der LINKEN seit Monaten wartet – auf einen Aufbruch. Ein Aufbruch, der sich hoffentlich auch bei den vielen Wahlen in diesem Jahr, darunter auch die Bundestagswahl im September, widerspiegeln wird in einer politisch und gesellschaftlich gestärkten Linken.

 
Anmerkung

[1] Die Personalbemessung erfasst die Anzahl der Pflegenden im Verhältnis zur Anzahl der zu pflegenden Menschen.