Was für ein Journalismus für ein anderes Europa?

Die Konferenz, die von der ACJJ (Association Culturelle Joseph Jacquemotte) organisiert und von transform! unterstützt wurde, fand am 7. Dezember an der Brüsseler Hochschule für Kommunikation und Journalismus (IHECS) statt.
JournalistInnen aus Frankreich, Griechenland, Italien, Spanien, Finnland, Belgien und Irland nutzten die Chance, sich über Perspektiven europäischer Informationskultur auszutauschen und Wege zu finden, wie Medien beitragen könnten

  • europäische Entscheidungen mit lokalen und nationalen Problemstellungen in Beziehung zu setzen,
  • den BürgerInnen Schlüssellektüre zum Verstehen europäischer Politikfelder zur Verfügung zu stellen und
  • BürgerInnen bewusst in eine öffentliche europäische Debatte einzubinden.

Sitzung 1: Einleitung
Moderatorin: Laura Leprêtre, Kulturreferentin von ACJJ
“Europa, weitgehend abwesend“: Panorama der europäischen Nachrichtenkultur in den Mainstream-Medien – Lorenzo Consoli, Journalist aus Italien und ehemaliger Präsident der International Press Association (IPA), betonte, dass die seit 2010 stagnierende Zahl akkreditierter JournalistInnen in der EU auf veränderte Arbeitsbedingungen und eine sich ändernde soziale Situation hinweist (Interims-Verträge, JournalistInnen werden jünger, prekäre Arbeitsbedingungen). Darüber hinaus verlangten die Redaktionen von den JournalistInnen immer mehr und schnellere Ergebnisse, was sich nicht mit breiter Recherche und tiefgehendem Investigativjournalismus verbinden lässt.
Pluralismus in der europäischen Medienlandschaft – Esther Durin, Koordinatorin des Europa-Pols der IHECS Kommunikationsschule, beleuchtete das Problem der Medienkonzentrierung durch Finanzmonopole, die sowohl den Medienpluralismus in Europa wie auch den Ideenpluralismus allgemein stark ausgehöhlt haben.
Europäischer Journalismus im Alltag: Das Fallbeispiel Griechenland im Lichte der durch die Troika eingeschränkten Souveränität – Laut Maria Aroni, griechische Journalistin und EU-Korrespondentin für die Athens News Agency und ANT1 TV, lenkte die Krise in Griechenland das Interesse der Medien auf ein Land, das es nicht gewohnt war, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Die Darstellung der Krise habe je nach Medium und dessen Herkunftsland stark variiert. Die eigene Schuld der Griechen an ihrer Situation sei in den Medien Nordeuropas vorherrschendes Topos, während südeuropäische Zeitungen Griechenland eher Solidarität zuteil werden ließen.  
Sitzung 2: Teilen für einen anderen Journalismus
Runder Tisch: “Welche Medien braucht es, um die Herausforderungen der Information europäischer BürgerInnen zu meistern?“

  • Moderatorin: Esther Durin, Koordinatorin des Europa-Pols der IHECS Kommunikationsschule
  • Medien allgemein: Griselda Pastor, spanische Journalistin, Korrespondentin für Radio Cadena SER in Brüssel
  • Kooperative Medien: Andres Perez, Kooperative Agentur SanchoPanza
  • Alternative Medien: Gérard de Selys, Journalist, Gründer von Indymedia
  • Internet-Medien: Ben Berges von der Website Indignez-vous!
  • Online-Zeitungen: Jean-Sébastien Lefebvre, europäischer Journalist

Der Zugang zu Information war noch nie so einfach wie heute. Dank Internet und sozialen Medien können BürgerInnen auf den riesigen Informationsschatz der EU zugreifen und auch direkt mit den Institutionen kommunizieren. Neue Formen der Informationsvermittlung sind etwa Blogs, Online-Magazine uvam. Paradoxerweise wird die Distanz zwischen den europäischen Institutionen und den BürgerInnen trotzdem immer größer. Das demokratische Defizit der EU scheint durch einen Mangel an Informationen bezüglich europäischer Machtstrukturen und der damit verbundenen Herausforderungen verstärkt zu werden. Dieser Mangel benachteiligt die EU-BürgerInnen in hohem Ausmaß, da ein Großteil der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen auf EU-Ebene gefällt wird.
Die Rolle der JournalistInnen ist es, die europäischen Nachrichten für die BürgerInnen verständlich zu machen, Hintergründe durch Treffen mit Abgeordneten, Lobbyisten und Kommissions-Beamten zu recherchieren und dem mittäglichen Pressespiegel der Kommission beizuwohnen. Leider gibt es nicht genügend akkreditierte JournalistInnen (nur etwa 1000 für die 28 Mitgliedsstaaten), und die HerausgeberInnen der Mainstream-Medien diktieren ihren JournalistInnen jene Nachrichten, die sie über die Union verbreitet sehen wollen.
BürgerInnen und ehemalige Mainstream-JournalistInnen haben an der Schaffung alternativer und spezialisierter Medien gearbeitet, um europäische und internationale Politik zu analysieren und mit breiteren öffentlichen Problemfeldern in Beziehung zu setzen, beispielsweise Indymedia. Viele andere solcher Initiativen wurden vorgestellt: context.com, eine online-Zeitung mit dem Schwerpunkt europäische Politik; spezialisierte Kooperativ-Agenturen oder Assoziationen mit Schwerpunkt Soziales und Gemeinschaft (SanchoPanza coop); Radio-Sender, die sich mit europäischen Nachrichten umgelegt auf regionale Themen auseinandersetzen (BXFM radio); Gemeinschaftsradios, die den BürgerInnen die Möglichkeit bieten, eigene Sendungen zu gestalten (Radio Panik); und online-Nachrichten (indignez-vous!). Diese Medien sind essentiell für den Pluralismus in der europäischen Nachrichtenkultur.
Sitzung 3: Europawahlen – Wie beginnt man eine echte Debatte unter den BürgerInnen? 

  • Solange Hélin, Pressesprecherin der S&D im EU-Parlament
  • Myriam Djegham, Comité Action Europe
  • David Lundy, Pressesprecherin der GUE/NGL im EU-Parlament
  • Mikael Carpelan, freier Journalist

Die Europawahlen zu politisieren ist schwierig. Zweifellos ist es eine Herausforderung, in einer Union mit 28 Mitgliedsstaaten, die sehr unterschiedliche Kulturen und politische Ausrichtungen haben, eine gemeinsame Politisierung voranzutreiben. Institutionen ‚neutralisieren‘ Entscheidungen quasi. Diese ‚Neutralität‘ ist aber verfänglich, weil sie unter dem Deckmantel der Objektivität die Vorherrschaft der ultra-liberalen und kapitalistischen Politik verschleiert. Im Mai 2014 gibt es mit den Wahlen zum Europäischen Parlament die Chance, diesen Trend umzukehren. Die Herausforderung für die Medien wird es sein, lokale Problemfelder europäischer Machtstrukturen wahrzunehmen, deren Auswirkungen auf das tägliche Leben der BürgerInnen darzustellen und diesen zu helfen, bewusst und gut informiert an den Wahlen teilzunehmen.