Was am 27. September in Katalonien geschah

Aufgrund der starken Ja/Nein-Polarisierung in der Debatte zur Unabhängigkeit Kataloniens wurde sozialen und demokratischen Themen bei den jüngsten Parlamentswahlen nur wenig Beachtung geschenkt. Das katalanische politische System befindet sich nun in einer Pattsituation, bis Katalonien und eine spanische Regierung, die dem politischen Dialog aufgeschlossen gegenübersteht, eine demokratische Lösung finden können.

Im Folgenden möchte ich die Wahlergebnisse vom 27. September kommentieren und unsere politische Plattform namens Catalunya Sí Que es Pot (etwa „Katalonien, ja wir können“) vorstellen – eine Allianz aus alternativen, ökologischen, linken und sozialen Bewegungen: Podemos („Wir können“), ICV („Initiative für Katalonien“), EQUO und EUiA („Vereinte und Alternative Linke“, Mitglied der Europäischen Linkspartei).
Die Pro-Unabhängigkeitsparteien konnten einen Zugewinn an Sitzen (nicht jedoch an Stimmen) verzeichnen, da sie versuchten, die Wahl zu einer Volksabstimmung über die katalanische Unabhängigkeit zu machen. Junts pel Sí („Gemeinsam für das Ja“), eine Koalition aus konservativen Unabhängigkeitsbefürworter_innen der CDC („Demokratische Konvergenz Kataloniens“) und linken Befürworter_innen der Unabhängigkeit der ERC („Republikanische Linke Kataloniens“), konnte 39,54% der Stimmen für sich gewinnen, während die CUP (Liste der linken Wahlbündnisse, Liste der sogenannten unidad popular: Unabhängigkeitsbefürworter_innen und Antikapitalist_innen) 8,2% der Stimmen erhielt. 47,74% der Wähler_innen sprachen sich also für die Unabhängigkeit aus, was sich schließlich aufgrund der unverhältnismäßigen territorialen Verteilung nach dem katalonischen Wahlrecht in 53,33% der Sitze übertrug. Die 72 gewählten Abgeordneten, die die Unabhängigkeit befürworteten (darunter 62 von Junts pel Sí und 10 von CUP) sind zwar für eine Regierungsbildung genug, jedoch deutlich zu wenige, um Änderungen auf Verfassungsebene durchzusetzen oder gar einseitig die katalanische Unabhängigkeit zu erklären.
Als gegensätzliche Folge der Nationalismus-Debatte fuhr auch eine andere Partei einen Wahlsieg ein: Ciutadans („Bürger_innen“, eine neue konservative Partei, deren Hauptziel die Verteidigung eines vereinigten Spanien ist). Ciutadans gewann mehr als 734.000 Stimmen (25 Mandate) und ist somit die zweitstärkste Kraft im katalanischen Parlament. Zu ihren Hochburgen zählen Barcelona und Tarragona.
Diese extreme Polarisierung, die sich am stärksten bei den Arbeiter_innen äußert, ist äußerst besorgniserregend. Die unverantwortlichen Handlungen von Artur Mas und Mariano Rajoy haben dazu geführt, dass sich die beiden Seiten in einer großen Anzahl von nationalen Projekten diametral gegenüberstehen. Besonders die Debatte um die nationale Identität ist emotional hoch aufgeladen, was den Dialog sowohl innerhalb Kataloniens als auch zwischen Katalonien und Spanien erschwert.
Das Ergebnis von Catalunya Sí Que es Pot blieb unter unseren Erwartungen zurück und stellt nun mit 11 Sitzen und 366.494 Stimmen (oder 8,94%) die viertgrößte Partei im Parlament dar. Dies bedeutet zwar einen Zuwachs von 6.000 Stimmen im Vergleich zu 2012, stellt jedoch trotzdem ein Minus von 0,96% dar. Eine erste Analyse dieses enttäuschenden Ergebnisses ergab eine komplexe Datenlage, die vielfältige Schlüsse zulässt. Tatsache ist jdoch, dass Catalunya Sí Es Pot eine Teilnahme an dieser polarisierten Debatte nicht vermeiden konnte. Unsere Wahlkampagne konzentrierte sich darauf, eine Gesellschaft mit mehr sozialen Rechten, ein neues demokratisches System und eine politische und demokratische Lösung für Katalonien zu befürworten. Unsere Vision würde auch ein Referendum (ähnlich jenem in Schottland) im Einvernehmen mit der spanischen Regierung beinhalten und eine Neuverhandlung der Beziehung zwischen Katalonien und Spanien vorsehen. Aufgrund der nationalistischen Ja/Nein-Polarisierung der Unabhängigkeitsdebatte wurde jedoch dem Referendum und anderen politischen Debatten über soziale Rechte, Korruptionsbekämpfung und Austeritätsmaßnahmen nur wenig Beachtung geschenkt. 
Die Polarisierung des katalanischen politischen Systems wird schließlich als Fehlschlag und in großer Frustration enden, da keine der beiden Seiten stark genug ist, um allein zu gewinnen. Im Falle des Scheiterns wird ein politisches Programm wie jenes von Catalunya Sí Que es Pot eine Lösung bieten, das auf Dialog, Versöhnung und Demokratie beruht, anstatt auf Identitätskämpfen: Eine freundschaftliche föderalistische Beziehung zwischen Katalonien und Spanien mit erweiterten sozialen Rechten und einem neuen demokratischen System. Dies ist das Programm, mit dem wir bei den Parlamentswahlen am 20. Dezember antreten werden, um Mariano Rajoys Regierung abzusetzen.

 

Die katalanische Republik, ein nationales Projekt der EUiA
Video mit englischen Untertiteln