Wir müssen auf den Straßen wieder sichtbarer werden

Artikel von den Organisator_innen Reiner Braun, Lucas Wirl und Kristine Karch

Mehr als 2500 Teilnehmer_innen auf dem internationalen Peace Event Sarajevo 2014.
Wir müssen intensiver und gemeinsamer der Kriegsgefahr in der Welt begegnen und uns mit größerer Energie und mit mehr internationalen Aktionen in die Menschheitsfrage Krieg-Frieden einmischen. Dies war sicher das einheitliche Votum aller Teilnehmer_innen des größten internationalen Friedensereignisses 2014, das über Pfingsten mit mehr als 190 Workshops und vielen Kulturveranstaltungen sowie einem großen Jugendcamp in Sarajevo stattfand.
Dieses Peace Event brach einige Tabus. Ein großes Tabuthema war, dass in Sarajevo erstmals seit 20 Jahren eine Konferenz als zentraler Bestandteil des Events über die Abschaffung der NATO diskutierte. Die große Mehrheit der Bevölkerung  und der gesamten politischen Klasse des Landes unterstützt die Mitgliedschaft; auf dem Kongress wurde die NATO von internationalen Redner_innen wie Friedensnobelpreisträgerin Mairead Maguire, dem Programmdirektor von American Service Committee Joseph Gerson und dem Vorsitzenden der Kampagne für nukleare Abrüstung David Webb einer grundlegenden Kritik unterzogen und ihre Abschaffung wurde  gefordert. Ein weiteres Tabuthema, das zwar kontrovers, aber immer mit dem Ziel der Veränderung hin zu einer sozialen und demokratischen Union diskutiert wurde, war die Rolle und die Bedeutung der Europäischen Union. Einheitlich wurde die weitere Militarisierung der EU abgelehnt.
„Frieden ist möglich“ – dies war die gemeinsame Stimmung auf der Eröffnungszeremonie des internationalen Peace Events 2014  am Freitag, dem 6. Juni 2014 in Sarajevo. Wir wollen „nie mehr Krieg und Konflikte sind friedlich zu lösen“, so die Botschaft der mehr als 900  Menschen und Friedensaktivist_innen aus insgesamt 32 Ländern.
Die von namhaften internationalen und nationalen Gästen besuchte Veranstaltung prägte die gemeinsame Sorge um den Frieden angesichts zunehmender internationaler Konfrontationen, aber auch die Gewissheit – als eine Lehre aus der Geschichte: Friedliche Konfliktlösungen sind möglich und der einzige Ausweg, Kriege zu vermeiden. Dies muss politisch gewollt und von den Menschen, die sich weltweit nach Frieden sehnen, durchgesetzt werden.
Die Friedensbotschaften von Friedensnobelpreisträgerin Mairead Maguire, Noam Chomsky, Hildegard Goss-Mayr, Verdiana Grossi, Chico Whitaker, Jasmila Zbanic mit ihrem tiefen inhaltlichen Impact, emotionaler Geladenheit und einzigartiger Expressivität, verbanden sich im Programm mit den ausdrucksstarken Peace Messages vieler bosnischer Schüler_innen und Student_innen, die gemeinsam nach Frieden streben und sich aktiv dafür einsetzen. Der traditionelle Gesang des Sarajevo-Chors „Pontamina“ und die lebendigen Rhythmen der jungen Musikanten aus der Gruppe „Balsica“ voller Kraft, Lebensfreude und positiver Energie haben das nationale und internationale Publikum begeistert.
„We need to accept and celebrate diversity and otherness“ waren auch die Worte von Mairead Maguire, die an alle Teilnehmenden des Peace Events appellierte: „Let the Sarajevo, where peace ended, be the starting point for the bold beginning of a universal call for peace through the wholesale abolition of militarism“. Immer wieder wurde die Bedeutung des UNESCO Programms “Kultur des Friedens” als alternatives Programm zu Krieg und Militarisierung betont. Oder wie es Ingerborg Breines vom International Peace Bureau (IPB) ausdrückte: „Ohne non-violent actions geht es gar nicht“.  
Alle Diskussionen fanden in der Atmosphäre großer Solidarität, gegenseitigen Verständnisses und des Lernens statt. Beispielhaft wurde das friedliche Zusammenleben vorgelebt und auf der großen Kulturveranstaltung gefeiert. Intensiv wurde über Alternativen zum Militarismus nachgedacht. Die Diskussion hatte eine beeindruckende Spannbreite: von der Systemfrage, über non-violent actions, Aktionen der Zivilcourage bis hin zu zivilen Konfliktlösungen, Prävention, Abrüstung und gemeinsamer Sicherheit im gemeinsamen Haus Europas. Selten wurden diese Überlegungen einander gegenübergestellt, es überwiegt ein eher holistischer Ansatz. Es fehlt sicher nicht an antimilitaristischen Vorschlägen und Überlegungen – diese müssen aber politisch umgesetzt und gegen eine Politik, die Krieg für geostrategische Interessen führt, durchgesetzt werden.
Eine besondere Bedeutung hatte sicher auch die Solidaritätsveranstaltung für die Flutopfer in der Region, an der mehrere Gruppen aus Bosnien-Herzegowina, aber auch Manfred Maurenbrecher aus Deutschland teilnahmen. Beeindruckend war auch das Erinnerungskonzert an Pete Seeger, das am Sonntagabend als Open Air Konzert durchgeführt wurde.
Viele Überlegungen für gemeinsame Aktionen, unter anderem gemeinsame Aktionen für 2015 (70 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges), eine weitere internationale Frauenkonferenz, grenzüberschreitende Aktionen gegen die Festung Europa, Aktionen für den Frieden in Syrien, Demonstrationen gegen die Kriegsgefahr in Europa wurden auf der Peace Assembly am Montag diskutiert.
Vieles muss noch aufgearbeitet und zugestellt werden. All das und auch Fotos dieses beeindruckenden Peace Events finden sich auf der Webseite www.peaceeventsarajevo2014.eu .
Die über 1,5 Jahre dauernde Vorbereitung war angesichts der unterschiedlichen kulturellen und sozialen Rahmenbedingungen alles andere als einfach, aber letztendlich erfolgreich. Alle Probleme – auch die finanziellen – konnten gelöst werden. Dabei mussten auch die lokalen Bedingungen berücksichtigt werden.
Alle aktiven Friedensgruppierungen, wie fast alle zivilgesellschaftlich engagierten Gruppierungen in Bosnien-Herzegowina und in den anderen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens leben davon, dass sie von USAID oder der Europäischen Union finanziell unterstützt werden. Ob uns das gefällt oder nicht – es ist Realität. Wenn wir mit ihnen zusammenarbeiten wollen, müssen wir dies berücksichtigen. Betonen möchten wir die vollständige Unabhängigkeit und Eigenständigkeit aller Entscheidungen im Zusammenhang mit dem großen Ereignis.
Es bleibt dabei: Ein hochspannendes Pfingstwochenende mit vielen Impulsen liegt hinter uns – und vor uns die Einsicht: Wir sehen uns alle wieder auf den großen Demonstrationen gegen den Krieg.

Reiner Braun, Geschäftsführer der IALANA, Co-Präsident des IPB
Lucas Wirl, Geschäftsführer NatWiss, Programm Direktor INES
Kristine Karch, internnationales Netzwerk No to war – no to NATO.