Zu Europa sagen wir: Vermischt Kritik an Israel nicht mit Antisemitismus

Im Kontext ihres EU-Ratsvorsitzes wird die österreichische Regierung am 21. November eine hochrangig besetzte Konferenz unter dem Titel „Europa jenseits von Antisemitismus und Antizionismus – Sicherung jüdischen Lebens in Europa“ abhalten.

Wir unterstützen voll und ganz den kompromisslosen Kampf der EU gegen Antisemitismus. Das Erstarken des Antisemitismus erfüllt uns mit Sorge. Aus der Geschichte wissen wir, dass dies oft Vorbote von Katastrophen für die gesamte Menschheit war. Das Erstarken des Antisemitismus ist eine reelle Gefahr und sollte der gegenwärtigen europäischen Politik ernsthaft zu denken geben.

Die EU steht aber auch für Menschenrechte ein und muss diese genauso energisch schützen wie sie den Antisemitismus bekämpft. Die Bekämpfung des Antisemitismus sollte nicht dafür instrumentalisiert werden, legitime Kritik an der israelischen Besatzung und an schweren Verletzungen palästinensischer Menschenrechte zu unterdrücken.

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu hätte auf der Konferenz in Österreich sprechen sollen, bis er seine Reise absagte, um seine Regierung zu stabilisieren. Er hat hart daran gearbeitet, Kritik am israelischen Staat mit Antisemitismus zu vermischen.

Zu unserer tiefen Besorgnis sehen wir diese Vermischung auch in der offiziellen Ankündigung der Konferenz durch die österreichische Regierung. Dort heißt es: „Antisemitismus findet seinen Ausdruck sehr oft in übertriebener und unverhältnismäßiger Kritik am Staat Israel.“

Diese Worte geben die Antisemitismusdefinition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA) wieder. Mehrere Beispiele für zeitgenössischen Antisemitismus, die sich der Definition anschließen, beziehen sich auf harsche Kritik an Israel. Im Ergebnis kann die Definition gefährlich instrumentalisiert werden, um Israel Immunität gegen Kritik an schwerwiegenden und verbreiteten Menschen- und Völkerrechtsverletzungen zu verschaffen – Kritik, die für legitim erachtet wird, wenn sie sich gegen andere Länder richtet. Das schreckt jedwede Kritik an Israel ab.

Die Ankündigung setzt außerdem Antizionismus mit Antisemitismus gleich. Wie allen modernen jüdischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts widersetzten sich jedoch auch dem Zionismus viele Jüdinnen und Juden heftig, ebenso wie Nichtjuden, die nicht antisemitisch waren. Zahlreiche Opfer des Holocaust waren gegen den Zionismus. Es ist unsinnig und unangemessen, Antizionismus automatisch mit Antisemitismus gleichzusetzen.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass der Staat Israel seit über 50 Jahren eine Besatzungsmacht ist. Millionen von Palästinenserinnen und Palästinensern unter Besatzung entbehren ihrer Grundrechte, Freiheit und Würde. Gerade in Zeiten, in denen die israelische Besatzung sich in Annexion verwandelt, ist es notwendiger denn je, dass Europa alle Versuche entschieden ablehnt, die freie Meinungsäußerung anzugreifen oder Kritik an Israel durch die falsche Gleichsetzung mit Antisemitismus zum Schweigen zu bringen.

Europa muss dies auch für die eigene Glaubwürdigkeit und die Wirksamkeit seiner Bekämpfung des Antisemitismus tun. Die Ausweitung dieses Kampfes zum Schutz des israelischen Staates vor Kritik trägt zu der Fehlwahrnehmung bei, dass Jüdinnen und Juden mit Israel gleichzusetzen seien und deshalb verantwortlich für die Handlungen dieses Staates wären.

Als israelische Gelehrte, deren Mehrheit jüdische Geschichte erforscht und lehrt, sagen wir zu Europa: Bekämpft den Antisemitismus unnachgiebig, um jüdisches Leben in Europa zu schützen, und ermöglicht, dass es zur Blüte gelangt. Erhaltet dabei die klare Unterscheidung zwischen Kritik am Staat Israel, so harsch sie auch sein möge, und Antisemitismus aufrecht. Vermischt nicht Antizionismus mit Antisemitismus. Und schützt die Rede- und Meinungsfreiheit derjenigen, die die israelische Besatzung ablehnen und darauf bestehen, dass sie endet.

Professor Gadi Algazi, Department of History, Tel Aviv University.

Dr. Yael Berda, Department of Sociology and Anthropology, Hebrew University of Jerusalem.

Professor Jose Brunner (emeritus), Cohn Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas, and Buchmann Faculty of Law, Tel Aviv University. Former director of the Minerva Institute for German History and founding academic supervisor of Israel’s first legal clinic for the rights of Holocaust survivors, Tel Aviv University.

Professor Alon Confino, Pen Tishkach Chair of Holocaust Studies, University of Massachusetts Amherst.

Professor Arie M. Dubnov, Max Ticktin Chair of Israel Studies, Department of History, George Washington University.

Professor Rachel Elior, John and Golda Cohen Professor of Jewish Philosophy and Jewish Mystical Thought, Hebrew University of Jerusalem.

Professor David Enoch, Rodney Blackman Chair in the Philosophy of Law, Faculty of Law, Philosophy Department, Hebrew University of Jerusalem.

Dr. Yuval Eylon, Senior Lecturer in Philosophy, Department of History, Philosophy and Judaic Studies, Open University of Israel.

Professor Gideon Freudenthal (emeritus), Cohn Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas, Tel Aviv University.

Dr. Amos Goldberg, former Chair Department of Jewish History and Contemporary Jewry, Hebrew University of Jerusalem.

Professor David Harel, Weizmann Institute of Science; Vice-President of the Israel Academy of Sciences and Humanities; Israel Prize recipient (2004); EMET Prize recipient (2010).

Professor Hannan Hever, Department of Comparative Literature and the Judaic Studies Program, Yale University.

Professor Eva Illouz, Department of Sociology, Hebrew University Jerusalem; former president of Bezalel Academy of Art and Design, Jerusalem.

Daniel Karavan, sculptor, creator of the Memorial to Sinti and Roma Victims of National Socialism in Berlin (2012) and the Way of Human Rights at Germanisches Nationalmuseum in Nuremberg (1989-93); Israel Prize recipient (1977).

Professor Hannah Kasher (emerita), Department of Jewish Thought, Bar-Ilan University.

Professor Michael Keren (emeritus), Department of Economics, Hebrew University of Jerusalem.

Professor Yehoshua Kolodny (emeritus), Institute of Earth Sciences, Hebrew University of Jerusalem; Israel Prize recipient (2010).

Miki Kratsman, former Head of Photography Department at Bezalel Academy of Arts and Design; EMET Prize recipient (2011).

Nitzan Lebovic, Associate Professor, Apter Chair of Holocaust Studies and Ethical Values, Lehigh University.

Alex Levac, Israel Prize recipient (2005).

Dr. Anat Matar, Department of Philosophy, Tel Aviv University.

Professor Paul Mendes-Flohr (emeritus), Department of Jewish Thought, Hebrew University of Jerusalem.

Professor Jacob Metzer (emeritus), former president of the Open University Israel; Alexander Brody Professor of Economic History, Hebrew University of Jerusalem.

Michal Naaman, artist, Israel Prize recipient (2014).

Professor Yehuda Judd Ne’eman (emeritus), Faculty of Arts, Tel Aviv University; Israel Prize recipient (2009).

Professor Dalia Ofer (emerita), Max and Rita Haber Professor of Contemporary Jewry and Holocaust Studies, Avraham Harman Institute of Contemporary Jewry, Hebrew University of Jerusalem.

Professor Ishay Rosen-Zvi, Head Talmud and Late Antiquity section, Department of Jewish Philosophy, Tel Aviv University.

Professor David Shulman (emeritus), Department of Asian Studies, Hebrew University of Jerusalem; EMET Prize recipient (2010); Israel Prize recipient (2016).

Dr. Dmitry Shumsky, Department of Jewish History and Contemporary Jewry, former Director Bernard Cherrick Center for the Study of the Zionism, the Yishuv and the State of Israel, Hebrew University of Jerusalem.

Professor Zeev Sternhell (emeritus), Department of Political Science, Hebrew University of Jerusalem; Israel Prize recipient (2008).

Professor David Tartakover, Israel Prize recipient (2002).

Professor Idith Zertal, Hebrew University of Jerusalem; Institute for Jewish Studies University of Basel; author of ‘Israel’s Holocaust and the Politics of Nationhood’.

Professor Moshe Zimmerman (emeritus), former Director Koebner Center for German History, Hebrew University of Jerusalem.

Professor Moshe Zuckermann (emeritus), Cohn Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas, Tel Aviv University.