Der Aufstieg der Extremen Rechten in Griechenland

Am 6. Mai entschieden sich 440.000 Menschen dafür, der Neonazi-Partei Goldene Morgenröte ihre Stimme zu geben. Sie entschieden sich dafür, eine politische Gruppe zu unterstützen, die nicht nur offen nazistisch ist, sondern darüber hinaus für blutrünstige Angriffe auf MigrantInnen und Mitglieder linker und anarchistischer Organisationen verantwortlich zeichnet. Eine Gruppe, deren Existenz als solche verboten gehörte. Nicht etwa deshalb, weil das Verbot einer politischen Ideologie die griechische Demokratie in irgendeiner Form stärken würde, sondern weil viele ihrer Führungspersönlichkeiten für diverse Verbrechen schon allein strafrechtlich verfolgt gehören. Nach dem Angriff eines Mitglieds der Goldenen Morgenröte auf zwei linke Parlamentsmitglieder der KKE und der SYRIZA haben sich die Fernsehstationen entschlossen, ihr Schweigen zu brechen und die Rolle dieser Partei, die schon lange von der Linken angeprangert wurde, zu hinterfragen.
Die vielschichtige Debatte, die dieser Tage als Konsequenz dieses neuen Phänomens stattfindet, verschleiert den wahren Charakter der WählerInnen dieser Partei mit Aussagen wie „Lasst uns das nicht überbewerten; diese 440.000 WählerInnen sind keine Nazis“. In diesem Beitrag möchte ich daher versuchen, die eigentlichen Beweggründe für die Unterstützung dieser Partei aufzudecken: nicht ihre Wahl als eine Reaktion auf ein zusammenbrechendes System, sondern als eine bewusste Wahlentscheidung an sich. In dieser Hinsicht mache ich folgende Beobachtungen:

1.  Im Gegensatz zu den anderen Ländern in Westeuropa konnten die Meinungsforschungsinstitute in Griechenland die Wahlergebnisse für die extreme Rechte sehr gut voraussagen, weil sich ihre WählerInnen, anders als etwa in Frankreich, nicht für ihre Wahlentscheidung schämen.

2.  Die Wahlgeographie der Goldenen Morgenröte zeigt, dass die Partei in ganz Griechenland präsent ist, jedoch etwas stärker in urbanen Zentren mit einem traditionell konservativen Wahlverhalten. Den größten Stimmerfolg konnte sie in den „rechten“ Gebieten des Peloponnes, genauer gesagt in Regionen, die keine größeren Probleme mit Immigrant­Innen haben, einfahren. Umgekehrt war sie in der „demokratischen“ Gegend Kretas am erfolglosesten, obwohl es dort in den letzten Jahren einige Fälle rassistisch motivierter Gewalt gab.

3.  Während die beiden an der Macht befindlichen Parteien hauptsächlich an klientelpolitischen Netzwerken gebastelt haben, wurden die Kräfte der extremen Rechten integriert, ohne größere Forderungen. Schlussendlich war es die Unfähigkeit der beiden Parteien, ihren Versprechen nachzukommen, die den Rechtsaußen-Ideen den Weg bereitet hat.

4.  Die 440.000 WählerInnen der Goldenen Morgenröte sind keine Nazis. Nichtsdestotrotz sind sie in einem sozialen und ideologischen System verhaftet, in dem die offene Unterstützung der Goldenen Morgenröte nicht verurteilenswert ist. Das liegt daran, dass Rassismus viel weiter verbreitet ist als lediglich in der rechten KernwählerInnenschaft. Die Einstellung gegenüber ImmigrantInnen konstituierte ein wichtiges Moment bei den Wahlen und wurde auch von den Parteien des früheren Zweiparteien-Systems und den großen Medien bewusst forciert. Die Verlagerung der programmatischen Schwerpunktsetzung von Arbeitslosigkeit, Austerität und Rezession hin zu Sicherheit und Angst vor den „verunreinigenden Auswirkungen“ illegaler Immigrant­Innen ist in diesem Kontext zu verstehen.

5.  Rassismus ist jedoch nicht das einzige Element, das die WählerInnenbasis der Goldenen Morgenröte verbindet. Jede Stimme für diese Partei ist auch Ausdruck einer existierenden und sichtbar gewordenen ideologischen Hinwendung von Teilen der griechischen Gesellschaft zum Antiparlamentarismus. Oder – in anderen Worten – eine Hinwendung zu der Frage, ob bürgerliche parlamentarische Institutionen überhaupt eine adäquate Möglichkeit bieten, sozialen und politischen Antagonismus zu artikulieren. Dieser Antiparlamentarismus findet – zumindest öffentlich – Ausdruck in der zur Schau gestellten Extravaganz der Führungspersonen der Goldenen Morgenröte vor den Kameras, aber auch in ihren Aktivitäten gegen Teile der Gesellschaft. Morgen schon werden wir jedoch sehen, wie sich dieser Antagonismus in ein ausgereifteres politisches Vorhaben umwandeln wird, das auf ideologischem Wege sogar „modernisierende“ und „reformatorische“ Teile der griechischen Gesellschaft integriert, wie es im Faschismus der Zwischenkriegszeit der Fall war.

6.  Unter diesen Umständen stehen Linke und extreme Rechte auf ideologischer Ebene für einander diametral gegenüberstehende Auswege und Ansätze für das Verstehen dieser Krise der politischen Repräsentation. Die Linke muss sich daher in erster Linie auf die gegenwärtige faschistische Gefahr konzentrieren, um ihr vorzubeugen, darf jedoch dabei nie ihre grundlegende Intention vernachlässigen. Sie muss immer wieder ihr Erbe als Treuhänderin der Demokratie hochhalten und bestätigen.

7.  Die Stimmen für die Goldene Morgenröte sind nicht nur ein Anzeichen für die Ausbreitung von Rassismus und Antiparlamentarismus in Griechenland. Sie bezeugen auch die Ausweitung einer neuen Form des defensiven Sexismus. Junge Männer gaben der Partei ungleich häufiger ihre Stimme. Die politische Umstellung (Metapolitefsi) war ein großer positiver Einschnitt (was wir gerne vergessen) hinsichtlich der sozialen und wirtschaftlichen Stellung der Frau in Griechenland. Die Wirtschaftskrise stellt die Rolle der Geschlechter in den Vordergrund. Der Wertewechsel, der sich während der Metapolitefsi vollzogen hat, hat griechischen Männern die Möglichkeit genommen, das männliche Ideal des Ernährers und Familienoberhaupts zu verkörpern. Die gegenwärtige Krise unterstreicht diesen Wechsel; selbst wenn die Männer es wollten – Arbeitslosigkeit sowie Gehaltskürzungen verunmöglichen es ihnen, diese autonome und gänzlich dominante Rolle in der Machtverteilung innerhalb der Familie einzunehmen. Anknüpfend an die Analysen der Frankfurter Schule bezüglich der „autoritären Persönlichkeit“, die den Faschismus überhaupt erst ermöglicht, schlägt sich die wirtschaftliche und soziale „Kastration“ des griechischen Mannes in seinen extrem gewaltbereiten und maskulinen Ansichten nieder (bis vor kurzem in kultureller Hinsicht, erst seit kurzer Zeit auch politisch). Gewalt im Stadion, der Anstieg von Body-Building als eigenes ästhetischen Ideal und die ästhetischen „Codes“, die seit Jahren im Nachtleben zur Schau gestellt werden, zeugen von der Entstehung dieses neuen defensiven Sexismus. Die Goldene Morgenröte ist der authentische politische Ausdruck dieser neuen Form des Sexismus, eine Art Aufforderung, jene soziale Ordnung  wiederherzustellen, in der Frauen in der Küche und paranoide Homophobie (die überall sexuelle Perversion entdeckt, um eigene „Unzulänglichkeiten“ zu verschleiern) an der Tagesordnung stehen.

Dieser Trend spiegelt sich auch klar in der Neonazi-Attacke gegen zwei Parlamentskandidatinnen der Linken wider (der Angreifer schien sich vor allem durch die Tatsache, dass er verbal von Frauen angegriffen wurde, gedemütigt zu fühlen) sowie in den unterstützenden Kommentaren dazu, wie sie derzeit in privaten Gesprächen vielerorts in Griechenland artikuliert werden.