Der „rote Faden“ einer alternativen Geschichtsschreibung

Für den 14. Februar 2014 organisierte das AKADEMIA-Netzwerk von transform! europe einen Workshop zur Geschichte Europas. Es war dies das Nachfolgetreffen der Gründungsversammlung im April 2013. Der Arbeitskreis brachte Historiker_innen verschiedener Mitgliedsorganisationen des transform! Netzwerkes zusammen und wurde von MEP Marie-Christine Vergiat von der GUE/NGL-Parlamentsgruppe (Linksfront, Frankreich) unterstützt.

Marie-Christine Vergiat stellte die Arbeit von zwanzig Wissenschaftler_innen vor, die sich 2013 in Paris getroffen hatten und nun das Komitee bilden, in dem in den nächsten fünf Jahren die Grundlage der EU-finanzierten Programme zum historischen Gedächtnis Europas diskutiert wird. Sie erläuterte die insbesondere von konservativen EU-Abgeordneten aus Deutschland und Osteuropa unaufhörlich betriebene Offensive, mit der sie die Inhalte der offiziellen Programme zu hegemonisieren versuchen – wie am Beispiel des Migalski Reports zum historischen Gedächtnis in Bildung und Kultur in der EU ersichtlich, der im Dezember 2013 von einer knappen Mehrheit abgelehnt wurde.
Es folgte ein Beitrag des Ehrenabgeordnetem Francis Wurtz über die Entwicklung des Projekts Haus der Europäischen Geschichte (HEH) in den letzten Monaten. Als Vorstandsmitglied dieser Einrichtung bestätigte Wurtz einerseits die Offensive von Konservativen in diesem Projekt, das erneut bis Mitte 2015 verschoben wurde, und andererseits den begrenzten Einfluss fortschrittlicher Vertreter_innen im HEH-Vorstand wie seinesgleichen hinsichtlich einer Korrektur der unausgewogenen, unwissenschaftlichen und parteiischen Darstellung europäischer Geschichte.
Jean-Numa Ducange, Lektor an der Universität Rouen und Experte zur Geschichte der Linken in Europa, legte die Möglichkeiten einer Erforschung des Beitrags der Linken zum Aufbau und zur Integration Europas dar. Gilles Pecout, Vorstand des Geschichteinstituts der École normale supérieure in Paris, setze sich mit den Beiträgen seiner beiden Vorredner auseinander und unterstrich die Ähnlichkeit des HEH mit dem Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland als Versuche europäischer Konservativer unter deutscher Führerschaft, die offizielle Lesart der Vergangenheit zu hegemonisieren.
Wie letzten Juni beschlossen, war der Nachmittag einem ersten Versuch gewidmet, eine alternative Erzählung zu jener zu erarbeiten, die vom wissenschaftlichen Komitee des HEH zur Geschichte von Entstehung und Integration Europas lanciert wird – ein Beitrag, den Sia Anagnostopoulou von der Athener Panteion Universität vorbereitet hatte. Dem gingen Überlegungen von Serge Wolikow von der Universität Bourgogne voraus, die sich mit Ideen von Europa befassten, wie sie von nationalen Gedächtnisinitiativen anlässlich des 100. Jahrestages des Ersten Weltkriegs verwendet werden.
Die Debatte endete mit einer Reihe von Schlussfolgerungen und Initiativen. Als organisierte Kraft hinter der unausgewogenen Lesart der Geschichte Europas machten wir die bestehende Platform of European Memory and Conscience aus, die von extrem konservativen Regierungen Osteuropas ins Leben gerufen wurde und sowohl von öffentlich finanzierten Forschungsinstitutionen als auch von der Reconciliation of European Histories Group (Gruppe zur Versöhnung Europäischer Geschichten) nahestehenden Mitgliedern des Europäischen Parlaments unterstützt wird.
Um diesem Einfluss zu begegnen, wollen wir einen Appell fortschrittlicher Historiker_innen, archivarischer Zentren, Museen, Gedenkbewegungen und Regierungen initiieren, in dem wir fordern, den öffentlichen Gebrauch von Geschichte, wie er vom HEH propagiert wird, einer Prüfung zu unterziehen. Wir wollen versuchen, alle fortschrittlichen Kräfte Ende 2014 im Rahmen einer großen Konferenz zusammenzubringen und dort den Grundriss einer alternativen historischen Interpretation weiter zu entwickeln. Dieser soll dann die Grundlage einer virtuellen Ausstellung zu Aufbau und Integration Europas vom 19. Jahrhundert bis heute bilden. Wir kamen überein, für 2015 eine Konferenz zum Beitrag der Linken (dem „roten Faden“) zu diesem langfristigen Prozess einzuberufen.