Die griechischen Neonazis von der Goldenen Morgenröte: No pasarán?

Interview mit dem griechischen Journalisten Dimitris Psarras, dem Autor des “Schwarzbuchs Goldene Morgenröte (Chrysi Avghi)”.

Der bekannte griechische Journalist Dimitris Psarras ist Gründungsmitglied der IOS ("Virus"), der unabhängigen Wochenendbeilage der Tageszeitung ELEFTHEROTYPIA, die seit 20 Jahren einen Hafen für guten und gründlichen Journalismus darstellt. Er ist auch Kritiker und derzeit Redakteur der selbstverwalteten Tageszeitung Efimerida ton Sindakton (Journal of Editors) sowie Autor des Werkes Schwarzbuch Chrysi Avgi . Die französische Online-Zeitung Mediapart veröffentlichte vor einigen Monaten ein Interview mit ihm.
Das Interview wurde von Eleni Varikas und Michael Löwy durchgeführt und aus dem Griechischen ins Französische übersetzt. Übersetzung ins Deutsche von Veronika Peterseil.


1. Kannst du uns kurz den Ursprung der griechischen Neonazi-Organisation Chrysi Avgi (CA) skizzieren?
Seit ihrer Gründung zu Beginn der Achtziger Jahre wird die Richtung der CA immer von den gleichen Personen vorgegeben; ihr unumstrittener Chef ist Nicolaos Michaloliakos. Zur Zeit der griechischen Militärdiktatur war Michaloliakos Mitglied der Neonazi-Organisation "Partei des 4. August" des Nationalsozialisten Constantin Plevris. Nach dem Fall der Diktatur wurden zahlreiche Attentate seitens der AnhängerInnen der ehemaligen Militärjunta verübt, die in Zusammenarbeit mit den italienischen Neo-FaschistInnen des Ordine Nuovo durchgeführt wurden. Michaloliakos wurde wegen Handels mit Sprengstoff angeklagt, verurteilt und saß eine einjährige Gefängnisstrafe ab. Die Goldene Morgenröte wurde im Dezember 1980 als geschlossene nationalsozialistische Diskussionsgruppe gegründet. Im Jahr 1984 ernannte Papadopoulos, der inhaftierte Diktator, Michaloliakos zum Anführer der Jugendorganisation der Partei EPEN (Nationale Politische Union), die er gegründet hatte. Er blieb jedoch nicht lange im Amt, da diese Organisation von Junta-AnhängerInnen für seinen Geschmack nicht streng genug und vor allem nicht antisemitisch genug  war. Danach wurde er wieder bei der Chrysi Avgi aktiv und setzte die Nazi-Propaganda fort. Nach dem Beginn der Neunzigerjahre nützte die Organisation die Welle des Nationalismus, die nach der Konfrontation Griechenlands mit der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien wegen der Verwendung des Namens "Mazedonien" aufkam, für erste öffentliche Auftritte (z.B. im Zuge von nationalistischen Massendemonstrationen), während Übergriffe, die ihr zuzuschreiben waren, immer häufiger wurden.
2. Wo liegen die Unterschiede zwischen der CA und den anderen rechtsextremen Gruppierungen in Griechenland?
Der Großteil der rechtsextremen Gruppierungen, die seit dem Sturz der Diktatur 1974 aktiv sind, zeichnet sich durch eine starke nationalistische und traditionalistische Tendenz aus und heißt militärische Interventionen gut, möchte die Monarchie wieder einführen und verbindet Staat und Kirche. Im Gegensatz dazu hatte und hat die CA eine klar nationalsozialistische Ausrichtung – sie hängt sozusagen einer Nazi-Weltanschauung an – was weder den Visionen der Diktatur noch denen der anderen rechtsextremen Parteien entspricht. Alle früheren Tendenzen, besonders die Beziehungen zu den Relikten der Diktatur, den MonarchistInnen und der Kirche benutzt die CA als zusätzliche Elemente; jedoch nur aus taktischen Gründen. 
3. Welche sind die konkret neonazistischen Eigenschaften der CA? Was ist ihre Beziehung zum Dritten Reich und dessen Anführer, und unter welchen Gesichtspunkten stellt sie eine Nazi-Tradition in Griechenland dar oder lässt eine solche wieder aufleben?
Von ihrem ersten Auftritt an hat sich Chrysi Avgi mit dem deutschen Nationalsozialismus identifiziert. Sie ist weder eine der rechtsextremen Parteien, die zur so genannten "dritten Welle" des europäischen Rechtsextremismus gehört, noch eine einfach "neofaschistische" politische Gruppierung. Rassismus und Gewalt stellen die wesentlichen Elemente der Partei dar. In ihren Publikationen nach 1980 ließ die CA klassische Nazi-Literatur wie Hitler und Rosenberg, aber auch Freisler und Darré übersetzen; außerdem arbeitet sie von Zeit zu Zeit mit anderen europäischen Neonazi-Bewegungen zusammen. Die spanische Partei CEDADE und der belgische Offizier der Waffen-SS Léon Degrelle spielten ursprünglich eine wichtige Rolle auf der europäischen Ebene der CA. Die ideologischen Überschneidungen spielen jedoch nicht die wichtigste Rolle. Die CA orientiert sich in ihrer politischen Tätigkeit an der ehemaligen deutschen NSDAP; besonders mit der Einrichtung ihrer eigenen „Sturmtruppen“, die Teile von größeren Städten „einnehmen“, Läden von Geschäftsleuten mit Migrationshintergrund zerstören und massive Übergriffe auf diese verüben. Die Anwendung von Gewalt stellt ein grundlegendes Merkmal der Parteiaktivitäten dar, und keine gelegentliche Tendenz ihrer extremsten Mitglieder.
4. Wer ist der "Feind" gemäß der CA-Ideologie? Die JüdInnen, die Homosexuellen, die MuslimInnen, die linken AktivistInnen, die FeministInnen?
Natürlich fallen alle Menschen, die zu diesen Gruppen gehören, gemäß der CA-Ideologie unter die Kategorie "Untermenschen", und sind deshalb Feinde und Angriffsziele. Aber die CA stellt sicher, dass sie ihre Ziele nach der aktuellen politischen "Mode" wählt. Zu Beginn der Neunziger Jahre war in Griechenland eben die nationalistische Hysterie um den Namen Mazendoniens "modisch". Zu diesem Zeitpunkt stellten die AktivistInnen der internationalen und libertären Linken das hauptsächliche Angriffsziel für die CA dar, die sie als "VerräterInnen" bezeichnete und im Namen des Staates heftig angriff. Im Laufe der letzten Jahre gerieten die MigrantInnen in ihren Fokus, nachdem sich im Land wieder ein politisches Klima des Fremdenhasses verbreitet hatte – ein Klima, auf das die CA ihre blutige Propaganda stützt. 
5. Kannst du die Entwicklung des Wahlverhaltens bezüglich der CA in den letzten Jahren beschreiben?
Die CA trat erstmals 1994 zu den Europawahlen an und erreichte 7.242 Stimmen (0,11%).  Seitdem nimmt sie an ausgewählten Wahlen teil und fährt relativ niedrige Ergebnisse ein. Ein ziemlich bedeutendes Ergebnis erreichte sie in den Europawahlen 1999, als die CA mit Kostas Plevris zusammenarbeitete und 48.532 Stimmen erhielt (0,75%). Bei den Lokalwahlen 2002 machte die Partei gemeinsame Sache mit Georges Karatzaferis, der eine rechtsextreme Partei nach dem Vorbild von Le Pen gegründet hatte. Bei den Europawahlen 2009 trat die CA wieder unter ihrem eigenen Namen an und bekam 23.609 Stimmen (0,46%), während sie bei den Parlamentswahlen im selben Jahr nur 19.624 Stimmen erreichte (0,29%).
Ein deutliches Plus in den Wahlergebnissen konnte die Organisation bei den Kommunalwahlen 2010 verzeichnen, als die Krise bereits ausgebrochen war. Die CA schaffte es in der Gemeinde Athen auf 5,29% der Stimmen, und stellte im Zuge dessen mit Michaloliakos erstmals einen Gemeinderat. In einigen Stadtteilen von Athen erzielte die CA noch höhere Ergebnisse. Bei den Wahlen im Mai 2012 erreichte die Partei schließlich 441.018 Stimmen (6,97%). Einen Monat später kam sie auf 425.990 Stimmen (6,92%), und stellte damit 18 Abgeordnete.
6. Wie lässt sich der spektakuläre Wahlerfolg der CA im Jahr 2012 erklären?
Ohne die Wirtschaftskrise wären die Dinge zweifellos anders gelaufen. Aber auch die Krise ist keine ausreichende Erklärung für die Anziehung, die eine derart extreme Gruppierung auf die BürgerInnen ausübt. Wäre die Krise nicht von einem Zusammenbruch des politischen Systems begleitet worden, wäre so etwas nie passiert. Der Großteil der CA-WählerInnen möchte sich mit der Wahl einer extremen Partei an den PolitikerInnen, den Parteien und den Regierenden rächen. Die völlige Verzweiflung führt zu der Überzeugung, dass das einzige Mittel, das den BürgerInnen bleibt, um sich zu rächen, eine Stimme für diese rechtsextreme Organisation ist. Dabei handelt es sich um einen beispielhaften Fall von kollektiver Verbitterung.  Man darf jedoch die Tatsache nicht unterschätzen, dass sich viele Themen der CA – besonders das Thema MigrantInnen – auf ein fremdenfeindliches Klima stützen. Die Medien und insbesondere die privaten Fernsehkanäle haben seit längerem einige nationalistische und rassistische Stereotypen übernommen; letztere lassen keine Gelegenheit aus, um die "Nazi-TV-Stars" auf die Bildschirme einzuladen, solange diese für hohe Einschaltquoten sorgen. Als sie auf den Erfolg der CA aufmerksam wurden, machten die beiden bis dato stärksten Parteien, die Neue Demokratie und die PASOK, außerdem den Fehler, deren migrantInnenfeindliche Rhetorik großteils zu übernehmen, in der Hoffnung damit diese WählerInnenschaft für sich gewinnen zu können. 2011 stellten diese beiden Parteien die Regierung in Zusammenarbeit mit der Partei LAOS ("Volk") – gegründet von Kostas Plevris, dem früheren Verbündeten der CA – und legitimierte damit die Machtteilhabe einer rechtsextremen Partei zum ersten Mal seit dem Fall der Diktatur 1974.  
Ich möchte unterstreichen, dass bestimmte Medien – die Fernsehkanäle, aber auch die Wochenzeitung Proto Thema mit der größten landesweiten Sonntagsauflage – dazu beigetragen haben, die propagandistischen Mythen der CA zu verbreiten, indem sie die Lüge erzählen, die Nazis würden ein „soziales Werk“ vollbringen, indem sie älteren und invaliden Personen helfen würden. Wie ich in meinem Buch ausführe, war diese journalistische Reportage großteils vorgefertigt.  
7. Wie ist es möglich, dass das schreckliche Leid, das Griechenland unter der Nazi-Besetzung zugefügt worden war, den aktuellen Erfolg des Neonazismus nicht verhindert hat? Fehlt es an historischem Gedächtnis?
Es scheint, als ob historisches Gedächtnis nicht ausreicht, wenn Verzweiflung und blindes Rachegefühl zum Massenphänomen werden.  Man muss jedoch auch etwas anderes bedenken. Während der deutschen Besetzung gab es in Griechenland Nazi-KollaborateurInnen. Da der Bürgerkrieg (1946-1949) auf die Besetzung folgte, wurden viele Nazi-KollaborateurInnen zu AnhängerInnen des "Nationalstaates". Im Zuge ihrer Arbeit dafür brachten sie ihre Erfahrungen im antikommunistischen Aktivismus ein. Menschen, die gestern noch gemeinsame Sache mit den deutschen BesetzerInnen gemacht hatten, wurden nach dem Krieg zu den HenkerInnen der WiderstandskämpferInnen. Wir sprechen hier nicht von nur einem Mangel an Entnazifizierungsmaßnahmen, wie das in mehreren Staaten Europas der Fall war. In Griechenland stellten die KollaborateurInnen den sichtbaren Parteikader, während die wirklichen WiderstandskämpferInnen (also die Linke) von den MachthaberInnen der Nachkriegszeit als VerräterInnen denunziert wurden und ins Gefängnis oder Exil geschickt wurden. Die Beziehungen zwischen dem griechischen Staat und dessen Apparat einerseits und den KollaborateurInnen der Nazi-Besetzung im Land andererseits haben eine dunkle (und versteckte) Vergangenheit.
8. Welche sozialen Gruppen spricht die CA am stärksten an? Hängt diese Tendenz von Geschlecht, Alter, sozialer Zugehörigkeit, Bildung oder städtischem/ländlichen Lebensraum ab? 
Was das WählerInnenprofil der WählerInnen von Chrysi Avgi angeht, überwiegen die Männer die Frauen (8,5% zu 5,1%) und die Partei spricht eher junge Menschen an (8,1% der WählerInnen sind zwischen 18-24 Jahre alt, 9,9% zwischen 25-34 Jahre, 11,9% zwischen 35-44, 6,7% zwischen 45-54, 3,8% zwischen 55-64 und 2,5% über 65 Jahre). Die CA-WählerInnen verteilen sich auf die urbanen, semi-urbanen und ländlichen Zentren mit jeweils 6,8%, 7,4% und 6,9%. Nach Berufen überwiegen nicht-spezialisierte Teilzeit-ArbeiterInnen (24,5%) und Arbeitslose (23,5%), gefolgt von ArbeitgeberInnen/Geschäftsleuten (20,3%), mittleren Angestellten aus dem Privatsektor (12,6%), FacharbeiterInnen (11,1%), Angestellten aus dem Privatsektor (10,2%), HandwerkerInnen (9,1%), FreiberuflerInnen (8,7%), freiberuflichen LandwirtInnen, ViehzüchterInnen und FischerInnen (7,5%), BeamtInnen (4,7%), Hausfrauen (3,6%), SchülerInnen/StudentInnen/Soldaten (3,6%), RentnerInnen aus dem Privatsektor (2,8%), mittleren Angestellten aus dem öffentlichen Sektor (2,3%) und RentnerInnen aus dem öffentlichen Sektor (1,7%).
Die Wahlen im Juni 2012 zeigten, dass weniger CA-WählerInnen aus den bürgerlichen Stadtteilen mit höheren Einkommen stammten – zwischen 3,67% und 2,94% in Athen und zwischen 2,28% und 4,00% in Thessaloniki. In den Stadtteilen mit mittleren Einkommen waren die Anteile größer und lagen zwischen 4,94% und 5,18%. In den von Angestellten und ArbeiterInnen bewohnten Stadtteilen waren die Zahlen empfindlich höher und rangierten zwischen 7,78% und 12,54%. Demnach ist dieses Wahlergebnis als Ausdruck der "einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten" zu verstehen, wonach sich die CA von früheren rechtsextremen Parteien in Griechenland wie der LAOS unterscheidet, die ihre AnhängerInnen eher in den Bezirken mit mittleren und höheren Einkommen rekrutierten.
9. Du sagst, die Aktivitäten der CA zeichnen sich durch "Pogrome und Lynchjustiz" aus. Kannst du uns Beispiele nennen, die eine solche Bezeichnung rechtfertigen?
Die Arbeitsweise der Organisation kann mit diesen historisch aufgeladenen Konzepten beschrieben werden. Ein Pogrom ist von organisierten Übergriffen auf MigrantInnen charakterisiert – etwas, das sich im Mai 2011 zwei Wochen lang im Zentrum Athens abspielte. Als Vorwand diente damals der Mord an dem Griechen Manolis Kandaris. Dutzende MigrantInnen wurden verletzt, einige davon schwer, und es gab auch einen Toten. Solche von Nazis initiierten Pogrome gegen MigrantInnen fanden in den letzten Jahren in ganz Griechenland statt; auch 2004 nach einem Fußballspiel zwischen Albanien und Griechenland. Dutzende in Griechenland lebende albanische MigrantInnen mussten für die griechische Niederlage bezahlen. Und was die Lynchjustiz angeht; diese manifestiert sich gewöhnlich abends, wenn Gruppen von CA-Mitgliedern (die "Phalangen" oder "Sturmtruppen") umherziehen und eineN oder zwei MigrantInnen festhalten und sie bewusstlos schlagen. Ein typischer Fall, der aufgeklärt werden konnte, geschah im Juni 1998. Die damalige Nummer 2 der Organisation, Antonios Androutsopoulos, griff an der Spitze einer Gruppe von zehn mit Knüppeln bewaffneten CA-Mitgliedern am helllichten Tag drei gewerkschaftlich organisierte Studierende an, die in einem Café saßen. Sie ließen nicht ab von ihnen, bis einer tot zu sein schien. Der Student überlebte schließlich, nachdem er viele Tage mit dem Tod gerungen hatte. Solche Übergriffe finden heute fast jeden Tag statt und richten sich stets gegen MigrantInnen. Allerdings erfährt man davon nur, wenn sich die Opfer ins Krankenhaus wagen.
10. Wie ist es möglich, dass solche Vorfälle und Angriffe auf Abgeordnete der Linken unbestraft bleiben? 
In Wahrheit landen nur sehr wenige solcher Übergriffe vor dem Gericht. Der stellvertretende Anführer der CA wurde außergewöhnlicher Weise für den Vorfall von 1998 zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Er hatte es jedoch geschafft, sich sieben Jahre lang zu verstecken, bis er sich selbst den Behörden stellte. Der Grund für die häufige Straflosigkeit ist, dass Chrysi Avgi spezielle Beziehungen zur Polizei und besonders der MAT, die griechischen Spezialeinsatzkräfte, pflegte. Die Polizei nutzte die Organisation für die "Drecksarbeit" beim Niederschlagen von Demonstrationen. Bei den letzten Wahlen stellte sich heraus, dass ein großer Teil der PolizistInnen für die CA gestimmt hatte. Das ist auch der Grund dafür, warum die Behörden in diesen Nazi-Übergriffen so zögerlich ermitteln. Ich möchte auch hinzufügen, dass es kein soziales Netzwerk gibt, das den Opfern solcher Übergriffe Unterstützung bietet, sodass diese davor zurückschrecken, diese Vorkommnisse der Polizei zu melden, da sie Angst haben, dadurch in Schwierigkeiten zu geraten – besonders wenn sie keine Papiere besitzen. Die Behörden haben erst kürzlich damit begonnen aktiv zu werden, besonders nach einigen speziell provokanten Aktionen – Übergriffe auf VerkäuferInnen mit Migrationshintergrund – die von CA-Abgeordneten angeleitet wurden. Das Parlament hob sofort ihre Immunität auf und das Ministerium für Öffentliche Ordnung zog die PolizistInnen ab, die den Parlamentsabgeordneten der Chrysi Avgi als LeibwächterInnen dienten.
11. Wie schätzt die griechische Linke die heutige neonazistische Bedrohung ein?  Was sind die Reaktionen seitens der Syriza (Koalition der radikalen Linken), der KKE (griechische kommunistische Partei), der Dimar (demokratische Linke), der extraparlamentarischen Linken – Andarsia (Rebellion), die AnarchistInnen, die antiautoritäre Linke – und der feministischen Bewegungen? Ist eine gemeinsame Strategie möglich?
Leider gibt es bis heute keine Anzeichen dafür, dass eine gemeinsame antifaschistische Strategie für die Linke eine Option darstellt. Diese Parteien und Organisationen nehmen die Unterschiede zueinander auf der Ebene ihrer allgemeinen politischen Programme wichtiger. Zum Beispiel verweigert die KKE jede Kooperation mit Syriza, da sie ihr eine "pro-europäische" Position vorwirft, während Syriza nichts mit Dimar zu tun haben will, da letztere Teil der unpopulären Regierung von A. Samaras war. Natürlich versucht jede dieser Parteien und sozialen Bewegungen die faschistische Bedrohung auf ihre Weise zu bekämpfen; es ist jedoch klar, dass das nicht reicht. Ich befürchte, dass sie die Gefahr grob unterschätzt hatten und wahrscheinlich überrascht waren, dass es nicht reicht, den Charakter der CA "ans Licht zu bringen" um die Unterstützung der letzteren durch die Öffentlichkeit zu reduzieren. Die Annahme einiger AkteurInnen der Linken – wie beispielsweise des Generalsekretärs der KKE – dass es für die CA reichen würde, ins Parlament zu kommen, um sich im politischen System zu integrieren, hat sich als falsch erwiesen. Wie wir festgestellt haben, ist genau das Gegenteil der Fall. Nach ihrem Wahlerfolg ist die Partei noch provokanter und aggressiver geworden.
12. Welche Maßnahmen sollen getroffen werden, um die Propaganda der Chrysi Avgi und ihre straflos bleibenden kriminellen Aktivitäten zu bekämpfen?
Es gibt schon erste Ansätze von antifaschistischen Aktionen, die sich an der Basis der Gesellschaft entwickeln. Die Frage ist, inwieweit auch organisierte soziale Kräfte, wie politische Parteien und Gewerkschaften, aktiv werden können. Ich kann Ihnen einige Vorschläge nennen, die wir unter JournalistInnen diskutiert haben:
– Informationen über den tatsächlichen Charakter der Organisation, auf Basis von Auszügen aus ihren Publikationen, ihren Plakaten und Websites sollen verbreitet werden;
– Die kriminelle Natur der CA-Aktionen soll durch Veröffentlichung der Gerichtsentscheidungen nachgewiesen werden;
– Medien sollen kritisiert werden, die vorgeben, "Enthüllungen" über die Nazis anzustellen, diese aber in Wirklichkeit verharmlosen;
– Der Mythos über den sozialen Charakter dieser Organisation soll anhand von konkreten Beispielen zu ihren Aktivitäten in den „Problemvierteln“ entlarvt werden;
– Alle Arten von gewalttätigen Konfrontationen sollen verurteilt werden, gleichzeitig sollen antifaschistische Initiativen und Demonstrationen verteidigt werden;
– Es soll die Angst überwunden werden, die bereits unter einigen öffentlichen Persönlichkeiten – wie FernsehsprecherInnen oder PolitikerInnen – verbreitet ist, die, um ihre Ruhe haben, sich mit dieser nazistischen Gruppierung verbrüdern.