[Translate to German:] The EU’s ‘Fit for 55’ Climate Package – Insufficient and Unbalanced

Das Paket EU Fit for 55 ist nur ein Vorschlag und muss in den nächsten Monaten zwischen den europäischen Ko-Gesetzgebern Europaparlament und Rat der EU (Regierungen der Mitgliedstaaten) verhandelt werden. Dies bedeutet, der nun vorliegende Vorschlag kann noch verwässert oder verbessert werden, je nachdem, wie sich die politischen Mehrheiten im Europaparlament und im Rat bilden.

Treibhausgasemissionen und erneuerbare Energien

Beginnen wir mit dem Augenfälligsten: das EU-Klimaschutzziel von 55 Prozent weniger Treibhausgasemissionen gegenüber dem Niveau von 1990bis zum Jahr 2030 ist im Vorschlag EU Fit for 55 nicht angehoben worden. Dabei reichen die vereinbarten 55 Prozent bei Weitem nicht aus, um die 1,5-Grad-Grenze des Pariser Klimaabkommens von EU-Seite zu erreichen. Unter Wissenschaftler*innen herrscht Einigkeit darüber, dass das Reduktionsziel für die EU mindestens bei 65 Prozent liegen müsste, wenn nicht sogar bei 70 Prozent.

Auch die vorgeschlagenen europäischen Ausbauziele für erneuerbare Energien bis 2030 im EU Fit for 55-Paket werden zwar von bisher 32 Prozent auf 40 Prozent angehoben (immerhin!), aber dies reicht ebenso wenig aus, um das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen. Denn wir brauchen mindestens 50 Prozent Erneuerbare im europäischen Energiemix, um den sozial-ökologischen Umbau unserer Wirtschaft zu erreichen. Schon allein die begrüßenswerten Pläne, die europäische Stahlindustrie auf klimafreundlichen, grünen Wasserstoff umzustellen, erfordern einen viel stärkeren Ausbau der Erneuerbaren, um damit ausreichend grünen Wasserstoff produzieren zu können.

Die europäische Kommission hat es im EU Fit for 55-Paket auch verabsäumt,national bindende Ausbauziele für Erneuerbare vorzuschlagen. Damit hätten die Mitgliedstaaten stärker auf die europäischen Ziele verpflichtet werden können.

Treibhausgasemissionen nach aggregierten Sektoren

kt: Kilotonne; LULUCF: Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft
Diese Grafik zeigt die Menge der emittierten Treibhausgase nach Sektoren. Besonders CO2-intensiv sind die Sektoren Energieversorgung, Industrie und Verkehr. Der Verkehrssektor weist seit 2014 einen deutlichen Anstieg der Emissionen auf.

Landwirtschaft

Die Landwirtschaft spielt im Paket kaum eine Rolle. Die europäische Kommission hat es verabsäumt, ein verbindliches Ziel zur Senkung der Treibhausgase bei der Lastenteilungsverordnung (effort sharing regulation) einzuführen. Dies ist kontraproduktiv, denn die Landwirtschaft muss im Klimaschutz eine wichtige Rolle spielen: Die Senkung von Treibhausgasemissionen ist ebenso erforderlich wie der Erhalt unversiegelter Böden (sie stellen einen wichtigen CO2-Speicher dar), und auch die Nahrungsmittelproduktion muss grundsätzlich verändert werden.

CO2-Flottenlimits

Etwas positiver zu bewerten ist der Vorschlag der europäischen Kommission, die CO2-Flottengrenzwerte für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge zu erhöhen und bis 2035 quasi das Ende des Verbrennungsmotors auszurufen. Aber viel besser wäre es natürlich gewesen, eine klare CO2-Obergrenze vorzuschlagen, die möglichst schnell in Kraft tritt – und nicht erst ab 2030. Auch ein früheres Auslaufen des Verbrenners (schon ab 2030) wäre wichtig gewesen. Der Verkehrssektor ist der einzige Sektor, in dem in den letzten Jahren die Emissionen gestiegen sind und der dringend im Sinne einer sozial gerechten Mobilitätswende umgebaut werden muss. Dabei muss dann auch klar sein, dass der Bau von kleinen, effizienten Elektroautos Vorrang haben muss, um die Probleme von Flächengerechtigkeit in unseren Städten zu lösen (Staus, Parkplätze) und den Rohstoffverbrauch (Stahl, Lithium, Nickel etc.) für den motorisierten Individualverkehr zu senken.

Die Interessen der Beschäftigten in der europäischen Automobilindustrie dürfen dabei natürlich nicht vergessen werden: hier brauchen wir einen „gerechten Übergang“ (just transition; so wie von der IG Metall und IndustriALL gefordert), der Gute Arbeit (gute Bezahlung, soziale Sicherheit, Mitspracherecht der Beschäftigten) und Tarifbindung garantiert, Weiterbildungsmöglichkeiten (für den Umstieg auf die Produktion von Elektroautos und Fahrzeugen für den ÖPNV und Schienenverkehr und Weiterbildung für die Arbeit in anderen Sektoren) sowie die Einbindung der Gewerkschaften bei der Gestaltung dieser Transformation.

Schienennetze

Der notwendige Ausbau des Schienenverkehrs, auch grenzüberschreitend, und des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) spielen im EU Fit for 55-Paket leider gar keine Rolle (obwohl 2021 zum Europäischen Jahr der Schiene erklärt wurde). Dies ist umso bedauerlicher, als dass hier in großem Umfang Treibhausgase eingespart werden könnten, und tausende Jobs in der Produktion von Infrastruktur, Schienenfahrzeugen und Fahrzeugen für den ÖPNV geschaffen werden könnten. Für Deutschland allein wären dies 200.000 Jobs in den nächsten zehn Jahren im Fahrdienst und in der Instandhaltung der Verkehrsbetriebe und zusätzlich noch einmal 200.000 Jobs durch Investitionen des Bundes in Bahninfrastruktur und öffentlichen Personennahverkehr (siehe: das Linke Klima-Job-Programm).[1] Für Frankreich gibt es ähnliche Vorschläge: „One Million Jobs for Climate“ (Un Million D’Emplois pour le Climat) rechnet detailliert vor, wie durch die notwendige sozial-ökologische Transformation tausende Jobs geschaffen werden könnten.

Die Eisenbahnverbindungen zwischen europäischen Städten, die in den letzten Jahren gekappt worden sind, müssen reaktiviert werden, ebenso wie ein flächendeckendes, zuverlässiges europäisches Nachtzugsystem. Auch müssten einheitliche Parameter für Bahnverbindungen auf europäischer Ebene etabliert werden, um den grenzüberschreitenden Ausbau voranzubringen.[2]

Luftfahrt und Schifffahrt

Das Verkehrsaufkommen muss nicht nur auf der Straße reduziert werden, sondern auch in der Luft. Wenngleich es zu begrüßen ist, dass die europäische Kommission im EU Fit for 55-Paket endlich eine Kerosinsteuer für innereuropäische Flüge vorschlägt, aber es soll eine Ausnahme für Frachtflüge geben. Dies ist völlig kontraproduktiv. Bisher verlieren die EU-Mitgliedstaaten jedes Jahr rd. 27 Milliarden Euro durch die fehlende Kerosinsteuer – Geld, das für die sozial-ökologische Transformation verwendet werden könnte.

Die europäische Kommission schlägt im EU Fit for 55-Paket die Nutzung nachhaltiger Schiffskraftstoffe und emissionsfreier Technologien vor. Dies klingt zunächst positiv, aber in dieser Ausgestaltung droht ein regelrechter Boom von problematischen Biokraftstoffen und fossilem Flüssiggas. Biokraftstoffe sind insofern problematisch, als sie eine Konkurrenz zur landwirtschaftlichen Nutzung des Bodens darstellen („Tank versus Teller“) und durch den Anbau in Monokulturen die biologische Vielfalt bedrohen. Allerdings ist der Ansatz, die Schifffahrt in den Emissionshandel zu inkludieren, als positiv zu bewerten, denn dadurch werden sich die Kosten für die Nutzung von fossilen Kraftstoffen erhöhen.

Emissionshandel

Kritisch zu bewerten ist der Vorschlag im EU-Fit for 55-Paket, den Verkehrssektor und den Wärmesektor auch dem Emissionshandel zu unterwerfen. Dies bedeutet, dass auch in diesen Sektoren überall in der EU CO2-Preise eingeführt werden und es zu Preissteigerungen kommen wird. Dies ist zum einen ungerecht, denn energieintensive Industrien in der EU werden weiterhin kostenlose CO2-Zertifikate erhalten und damit de facto bei ihren CO2-Preisen entlastet. Darüber hinaus ist die Kaufkraft in den verschiedenen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich, so dass sich ein einheitlicher CO2-Preis sehr unterschiedlich auf die Menschen vor Ort auswirkt. Es drohen noch größere soziale Ungleichheiten und finanzielle Belastungen für die Bürger*innen.

Wenn auch der Vorschlag der europäischen Kommission einen (viel zu gering budgetierten) sozialen Ausgleichsfonds enthält (Social Climate Fund), mit dem die Menschen entlastet werden sollen, obliegt es den Mitgliedstaaten zu entscheiden, wie sie diesen Fonds verwenden, so dass es unklar ist, ob die Gelder tatsächlich bei den Bürger*innen ankommen, die bspw. unter Energiearmut und/oder unter den gestiegenen Spritkosten leiden. In Deutschland bspw. tragen allein die Mieter*innen die gestiegenen Kosten durch den CO2-Preis fürs Heizöl und Gas, obwohl doch die Entscheidung, welche Heizungsanlage im Haus verwendet wird, nicht bei ihnen, sondern bei den Vermieter*innen liegt. Dies ist sozial ungerecht. Ähnlich sieht es im Verkehrsbereich aus: ein EU-weiter CO2-Preis wird die Spritkosten erhöhen, die besonders jene belasten, die aufs Auto angewiesen sind (Pendler*innen), und nicht einfach auf ein Elektroauto umsteigen können. Wir brauchen hier also einen Ausbau der klimafreundlichen Alternativen: flächendeckender, zuverlässiger ÖPNV und Schienenverkehr.

Abschließend kann man sagen, dass im Paket EU Fit for 55 die vorgeschlagenen Regeln zur Verschärfung der CO2-Grenzwerte für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge positiv zu bewerten sind, aber das Paket insgesamt zu wünschen übrig lässt – gerade, was das europäische Klimaziel und die Ausbauziele für erneuerbare Energien angeht. Hier müssen die europäischen Ko-Gesetzgeber Europaparlament und der Rat der Mitgliedstaaten dringend nachbessern. Allein die Überschwemmungen in Westeuropa in den letzten Wochen sollten jedem und jeder klargemacht haben, wie dringend die Europäische Union und die Mitgliedstaaten ihre Klimaschutzanstrengungen erhöhen müssen.

Referenzen:

  1. Siehe Das Linke Klima-Job-Programm, 26 Juli 2021, https://www.die-linke.de/start/nachrichten/detail/das-linke-klima-job-programm/ (abgerufen am 27 Juli 2021).
  2. Siehe Manuela Kropp and Stephan Schindler, Konferenzbericht, Weichen stellen für den grenzüberschreitenden Schienenverkehr, 18 März 2021 https://www.rosalux.eu/de/article/1901.weichen-stellen-f%C3%BCr-den-grenz%C3%BCberschreitenden-schienenverkehr.html (abgerufen am 27. Juli 2021).

 

Dieser Artikel wurde in gekürzter Fassung auch bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel veröffentlicht.