Rückkehr zur Drachme ist keine Lösung

Die griechische Regierung hat den Grexit, das Ausscheiden aus der Euro-Zone, mit Mühe verhindern können, indem sie sich am Euro-Gipfel in der Nacht auf den 13. Juli mit den anderen Euro-Staaten auf Verhandlungen über ein drittes Hilfsprogramm geeinigt hat.
Die Empörung innerhalb der bundesdeutschen und europäischen Linken über die beinharte neoliberale Sanierungskonzeption und den erpresserischen Druck auf die griechische Linksregierung ist groß. Die Einigung vom Euro-Gipfel ist auf der Basis von Erpressung zustande gekommen. Alexis Tsipras hat dies mehrfach betont. Sie setzt die neoliberale Austeritätspolitik fort und beschneidet die Souveränität der griechischen Regierung und die Rechte des griechischen Parlaments.
Zu Recht macht Tsipras seine inhaltliche Distanz zu dem erreichten Ergebnis deutlich: »Ich übernehme die Verantwortung für einen Text, an den ich nicht glaube, aber den ich unterzeichnet habe, um ein Desaster für das Land zu vermeiden«. Es sei ein »schmerzhafter Kompromiss, sowohl auf der wirtschaftlichen als auch auf der politischen Ebene. Kompromisse sind Teil der politischen Realität und revolutionären Taktik.« Und: »Wir sahen uns mit einem Dilemma unter Gewaltandrohung konfrontiert.« Die Zustimmung zur der Vereinbarung vom 13. Juli beruhte auf der Einschätzung, dass die Alternative zur Zustimmung des Grexit – noch schlimmer und verheerender wäre als das Diktat vom 13. Juli.

Warum Kompromiss?

Nach Auffassung der Mehrheit im Linksbündnis SYRIZA ist die Zustimmung zur Vereinbarung bei aller Kritik notwendig. So argumentiert Giorgos Stathakis, Minister für Wirtschaft, Infrastruktur, Handelsmarine und Tourismus, die Vereinbarung beseitige die Gefahr des Grexit, sehe eine mildere Anpassung der öffentlichen Finanzen vor und beinhalte darüber hinaus ein Paket mit Entwicklungsprogrammen von 35 Milliarden Euro. Ebenfalls enthalten sei ein neues langfristiges Kreditprogramm – über 30 Jahre – vom ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus), das die langfristigen Kredite vom IWF und der EZB ablöst. Es handele sich also um eine Umstrukturierung der griechischen Schulden.
Diese Entwicklung eröffne die Aussicht auf eine beträchtliche Entlastung der griechischen Schulden, wie sie der IWF seit einiger Zeit fordert. Obwohl viele der Maßnahmen, die die neue Vereinbarung vorsieht, einen rezessionsverstärkenden Charakter haben, könne man die Vereinbarung auf keinen Fall mit den Memoranden 1 und 2 vergleichen, die Haushaltseinsparungen in Höhe von 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts über vier Jahre sowie die Kürzung von Renten und Löhnen um 30 bis 40 Prozent vorsahen.
Stattdessen sehe dieses 3. Memorandum niedrigere Primärüberschüsse (des Staatshaushalts, Schuldendienst ausgenommen) vor, die schrittweise bis 2018 ansteigen werden, wobei eine gewisse Flexibilität eingeräumt wird. Das bedeute, dass die geforderte Anpassung der Haushaltszahlen (sprich: der weitere Defizitabbau) pro Jahr bei etwa einem Prozent des BIP liegen werde.
Ob diese Annahmen stabil bleiben, ist derzeit nicht vorher zu sagen, und deshalb ist es auch völlig offen, ob die Gefahr des Grexit wirklich vorüber ist.
Ministerpräsident Alexis Tsipras ist sich des Risikos bewusst: »Das Ergebnis ist sicher äußerst schwer umzusetzen, andererseits aber ist die Eurozone unbestritten an ihre Grenzen hinsichtlich ihrer Beharrungsfähigkeit und ihres Zusammenhalts gebracht worden. Die nächsten sechs Monate werden entscheidend sein, aber ebenso kritisch wird das Kräfteverhältnis sein, das in diesem Zeitraum aufgebaut werden kann. Gegenwärtig sind Schicksal und Strategie der Eurozone in Frage gestellt. Es gibt nun mehrere Möglichkeiten. Diejenigen, die gesagt haben «keinen einzigen Euro mehr», haben letztendlich ihre Zustimmung nicht nur zu einem Euro, sondern zu 83 Milliarden Euro gegeben. So sind wir von 10,6 Milliarden Euro für fünf Monate auf 83 Milliarden Euro für drei Jahre gekommen, mit der zusätzlich wichtigen Zusage einen Schuldennachlass betreffend, über den im November diskutiert werden soll. Das ist die Schlüsselfrage, die darüber entscheidet, ob Griechenland einen Weg beschreiten kann, der das Land aus der Krise führt.«

Die Gegenposition …

Die Gegenposition innerhalb von SYRIZA und Teilen der europäischen Linken lautet: Die Kapitulation vor den internationalen Gläubigern war falsch. Die Regierung muss sich von den Memoranden befreien, sie darf kein neues (Memorandum) unterschreiben, darf gegenüber den Gläubigern keine Verpflichtungen eingehen, die ihr Programm außer Kraft setzen, und sie muss eine alternative Lösung ausarbeiten und vorantreiben, die viele in der SYRIZA unentwegt und ständig in den Parteigremien vorbringen.
Mit einem koordinierten, im Rahmen eines umfassenden Alternativplans gut vorbereiteten Kurs, der nicht nur die (neue) nationale Währung vorsieht, sondern auch die Anzweiflung und Abschreibung des größeren Teils der Staatsschulden, die Nationalisierung der Banken, die Besteuerung der hohen Gewinne und der großen Vermögen, die Kontrolle der systemischen Massenmedien, eine Diversifizierung der Energiequellen, multilaterale internationale Beziehungen, Wirtschaftsabkommen innerhalb und außerhalb der EU, die Finanzierung von Entwicklungsplänen zum Wiederaufbau der Produktionsbasis des Landes und vor allem die Beendigung der Austerität und die Wiederherstellung der sozialen und Arbeiterrechte, die von den Memoranden abgeschafft wurden.
All das ist auch der Inhalt der programmatischen Aussagen der SYRIZA, die besagen, dass sie den Kampf in den Verhandlungen innerhalb der Eurozone führen wird – aber auch dass sie, sollte sie zur Fortsetzung der Memoranden erpresst werden, das Volk nicht innerhalb der Eurozone zugrunde gehen lassen werde (wörtlich: … nicht ausrotten wird).
Beim Vorantreiben dieser alternativen Lösung wird es natürlich auch Schwierigkeiten geben. Aber es gebe viele Studien, die bestätigen, dass schon nach wenigen Monaten folgende Wirkungen eintreten werden: ein Zunahme der Exporte, eine Abnahme der Importe, eine Erhöhung der Produktion im Primärsektor (Rohstoffe oder zum Beispiel Landwirtschaft), eine explosionsartige Zunahme des Tourismus und die (Wiederherstellung der) notwendige Liquidität in der Wirtschaft, damit große öffentliche und private Investitionen getätigt werden, die wiederum die Entwicklung und die Beschäftigung verstärken.

… des »befreienden« Grexit

Ist der Plan B – ein befreiender Grexit – eine bessere Entwicklungsperspektive? Die Gefahren liegen auf der Hand: Die »Rückkehr zur Drachme« würde einen schlagartigen Absturz des Wertes der nationalen Währung bedeuten, sie würde den Wert der Bankguthaben der Bürger um mindestens die Hälfte beschneiden. Zudem würde sie die Kaufkraft sowohl der Lohnempfänger als auch der Rentner drastisch absenken. Eine Argumentationskette der Grexit-Befürworter lautet so: » Athen erhält keine neuen Kredite und stellt alle Zahlungen ans Ausland ein. Finanziell ist das Land jetzt auf sich allein gestellt und muss eine eigene Währung einführen, da ihm die Euros ausgehen. Das ist verkraftbar, schließlich werden die Auslandsschulden nicht mehr bedient; zuletzt erzielte Griechenland einen Primärüberschuss. Die neue Währung wertet kräftig ab. Importe werden teuer, und das gibt der inländischen Produktion den dringend benötigten Schub. Griechenland wird auf einen Schlag billig, Kapital kehrt deshalb ins Land zurück. Internationale Hilfe, etwa bei der Versorgung mit zu importierenden Medikamenten, bleibt allerdings für eine Übergangszeit nötig. Wenn sich Griechenland dann nach zwei, drei Jahren berappelt hat, kommt ein Schuldenmoratorium mit Schuldenschnitt.«
Griechenland behielte damit den Rest seines Staatsvermögens, denn die weitere Privatisierung entfiele: Die bereits im Juli 2011 mit wenig Erfolg durch die konservative Vorgängerregierung eingeleitete Privatisierung öffentlichen Vermögens (über den »Hellenic Republic Asset Development Fund«, HRADF) wird in der Agenda des dritten Hilfsprogramms verbindlich festgeschrieben. Geplant ist ein Treuhandfonds für Anteilsverkäufe und komplette Privatisierungen im Umfang von 50 Milliarden Euro. Dabei soll die Hälfte der Einnahmen für Bankenkapitalisierung eingesetzt werden. Die verbleibenden 25 Milliarden Euro sollen jeweils zur Hälfte für den Schuldenabbau und Investitionen in Unternehmen und Infrastruktur genutzt werden.
Außerdem der zweite Aspekt: Griechenland wurde als Preis für das dritte Hilfspaket ein massiver Teilverlust der parlamentarisch-demokratischen Souveränität zugemutet. Bei einem selbstverantworteten Ausstieg aus dem Eurosystem entfalle die Beschneidung der Souveränität.
Prüfen wir die Argumente:

1. Rückkehr zur Drachme

Ein Austritt Griechenlands aus dem Euro bedeutet einen Währungswechsel. Der starke Euro würde in allen anderen Ländern erhalten bleiben und die griechische Drachme würde nach der Einführung deutlich abwerten. Eine Einführung der Drachme müsste also möglichst schnell erfolgen, um einen Kapitalabfluss in Grenzen zu halten. Die bestehenden Kapitalverkehrskontrollen würden weitergeführt.
Per Parlamentsbeschluss würde – begleitend zu Bankfeiertagen – eine neue Währung eingeführt und realisiert. Zugleich würde die neue Währung der griechischen Zentralbank unterstellt. Verbunden würde dies mit einer Umstellung aller Geld- und Vermögenskonten. Die bestehenden Konten und das vorhandene Geld würden zu einem vorher bestimmten Wechselkurs, der zum Beispiel 1 Drachme = 0,60 Euro betragen könnte, umgestellt. Die im europäischen Ausland bestehenden Bankguthaben und Schulden müssten gleichfalls angepasst werden.
Die Währungsumstellung wäre mit einer massiven Abwertung verbunden. Die Vermögenswerte in Drachmen ausgedrückt würden verlieren, die Schulden und Vermögenswerte in Euro würden deutlich zulegen. Mit dieser Operation soll die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft zurückerlangt werden. Aber die Finanzmärkte hätten vermutlich wenig Vertrauen in eine neue Drachme. Die massiv aufgewerteten Schulden könnten in Drachmen nicht getilgt werden. Die Währungsumstellung wäre mit einer Insolvenz, Einstellung der Bedienung von Auslandskrediten und letztlich einer Umschuldungsverhandlung in einer internationalen Konferenz verbunden.
Denkbar wäre zunächst eine Umschuldung über den »Pariser Club« – ein informelles Gremium, in dem staatliche Gläubiger zu Verhandlungen über Schuldenerlasse zusammenkommen. Eine Schlüsselrolle dabei hätte allerdings der IWF, denn Hilfe wird auch im Pariser Club nur gewährt, wenn IWF-Programme erfolgreich umgesetzt werden. Das aber bedeutet Reformen nach Art der bisherigen Memorandumpolitik – Griechenland wäre also keinen Schritt weiter als heute, aber noch um einiges ärmer. Die möglichen Verhandlungen könnten in einem international anerkannten »haircut« enden; bis zum Abschluss wäre der Zugang zum internationalen Kredit- und Kapitalmarkt sowohl für öffentliche Institutionen wie für private Unternehmen extrem schwierig und mit hohen Zinsforderungen verbunden.
Für Deutschland betrüge der maximale Ausfall 87 Milliarden Euro. (Selbst in diesem Fall bliebe Deutschland Krisengewinner: Dank stark gesunkener Zinsen auf deutsche Staatspapiere habe der Bund seit 2010 insgesamt etwa 100 Milliarden Euro gespart, so das IWH in Halle.) Bei einem Austritt aus der Eurozone kann Griechenland eine Umschuldung erzwingen. Außerdem bleiben die 110 bis 115 Milliarden Euro, die sich die griechische Zentralbank über ELA-Notkredite beschafft hat, in der Hand griechischer Banken oder Privatleute. Wenn Griechenland austritt, kommt man an dieses Geld nicht mehr heran.
Da die griechischen Banken unterkapitalisiert sind – zuletzt durch die massiven Abzüge der Bankeinlagen –, müssten unter finanzieller Beteiligung der verbliebenen Unternehmen und Sparer (»bail-in«) ein größerer Teil fusioniert und neu aufgestellt werden. Die vorgesehene Verstaatlichung der maroden Banken wäre eine schwierige Gratwanderung zwischen Ausweitung der nationalen Verschuldung und Wertberichtigung der auf ca. 50 Prozent geschätzten notleidenden Kredite. Die Vorstellung, mit einer Verstaatlichung seien per Federstrich alle innergriechischen Schieflagen beseitigt, teilen wir nicht.

2. Die Exporte

Die meisten Drachmen-Anhänger unterschlagen die Wirkung einer inflationären Währung für ein Land, das 48 Prozent seiner Lebensmittel und 82 Prozent seiner Energie importiert. Auch die Preise für unentbehrliche Produkte wie Arzneimittel oder industrielle Ersatzteile würden sich laufend erhöhen. Die Drachmen-Befürworter erwarten einen Rückgang der Importe, aber dieser müsste, um volkswirtschaftlich Vorteile zu bringen, im schlimmsten Fall eben auch solche wesentlichen Einfuhren wie Arznei- oder Lebensmittel betreffen. Dass diese Einfuhren tatsächlich zurückgefahren würden, ist möglich. Die Verteuerung dieser Waren kann zu einem Rückgang aufgrund der mangelnden zahlungsfähigen Nachfrage im Inland führen. Aufgrund der mangelnden Produktionsstrukturen und des mit einem Grexit verbundenen wirtschaftlichen Einbruchs ist aber nicht mit einer raschen Importsubstitution (Ersetzung importierter durch einheimische Produkte) zu rechnen. Statt die Zahlungsbilanz durch Exporte zu sanieren, würden steigende Importpreise daher das Defizit nur noch vertiefen. Bei der hohen Importquote Griechenlands droht zudem eine (importierte) Hyperinflation und damit eine Minderung der Realeinkommen, eine Schwächung der Binnenwirtschaft und steigende Arbeitslosenzahlen.
Richtig ist, Exporte (Waren und touristische Dienstleistungen) würden preiswerter. Aber von Oliven, Feta und Tourismus alleine kann Griechenland nicht leben, selbst wenn sie um 50 Prozent billiger würden. Griechenlands Exportpotential ist in der ganzen Periode seit dem Beitritt des Landes zur Europäischen Gemeinschaft im Jahre 1981 nur schwach ausgeprägt gewesen. Abgesehen von geringfügigen Anpassungen haben sich die Strukturschwächen der griechischen Wirtschaft seither eher verfestigt.
Die griechischen Wirtschaftsstrukturen lassen nicht erwarten, dass Griechenland in kurzer Frist seine Krise mit einem exportgeleiteten Wachstum überwinden kann. Mit Ausnahme des Tourismus und des Seetransports hat es die griechische Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten versäumt, sich auf den Weltmärkten mit wettbewerbsfähigen Angeboten zu etablieren.
Entsprechend gering ist traditionell die Exportintensität der griechischen Volkswirtschaft. Der Anteil der Exporte von Gütern und Dienstleistungen liegt bei 33 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP); mit 17,3 Prozent befinden sich die reinen Warenexporte in Griechenland allerdings auf dem drittletzten Platz unter den EU-Ländern. Wichtig der Hinweis, dass Griechenland als ein kleines Land mit einem nur kleinen Binnenmarkt wesentlich intensiver Außenhandel betreiben müsste als die größeren europäischen Volkswirtschaften.
Auch die Lohnkürzungen von durchschnittlich 40 Prozent in den letzten fünf Jahren haben die griechischen Exporte wenig angekurbelt. Sie haben die griechischen Exporte nicht explodieren lassen, wie es in der neoliberalen Ideologie aber schulmäßig angenommen wird. Die Lohnstückkosten sind zwischen 2011 und 2014 um fast 13 Prozent gesunken und Exporte gingen sogar noch um 3 Prozent zurück. Das legt nahe, dass eine schnelle Ausweitung der Exporte aufgrund einer weiteren Verbilligung griechischer Waren durch der Einführung einer neuen Drachme unwahrscheinlich ist.
Griechenland verfügt über durchaus konkurrenzfähige Exportprodukte wie z.B. Erdölprodukte, Nahrungsmittel, chemische Erzeugnisse, NE-Metalle und Rohstoffe. Bei Bauvorprodukten ist Griechenland sogar europäischer Marktführer. Das nützt aber alles wenig, wenn die griechische Binnenkonjunktur lahmt oder gar zusammenbricht.
Griechenland ist nämlich kein klassisches Exportland wie zum Beispiel Deutschland. 75 Prozent der Konjunktur hängen von der Kaufkraft der Menschen im griechischen Binnenmarkt ab. Griechenland hat im Jahr 2014 mit 11 Prozent einen deutlichen Anstieg des Exports von Dienstleistungen erreicht, wobei nicht nur das Schwergewicht »Tourismus« einen Beitrag leistete. Diese Zuwächse im Export waren allerdings zu gering, um das Leistungsdefizit Griechenlands substantiell abzubauen. Entscheidend war vielmehr der seit 2008 jeweils um fast 35 Prozent gesunkene Import von Gütern und Dienstleistungen, der das griechische Leistungsbilanzdefizit 2014 auf etwa 2 Prozent begrenzte.
Der Dienstleistungsexport wird stark von Reiseverkehrsdienstleistungen (Tourismus) und Transportdienstleistungen, die zu fast 90 Prozent aus Seetransporten bestehen, dominiert. Der im Jahr 2014 wieder stark gewachsene Export (im Sinne des Verkaufs an ausländische Käufer) touristischer Dienstleistungen ist vornehmlich auf sinkende Preise und Steuersenkungen zurückzuführen.
Ohne Zweifel hat Griechenland im Tourismus ein großes Potential, jedoch zeigen Analysen über die griechische Tourismusbranche, dass in den letzten Jahren zu wenig in moderne Strukturen und Angebote investiert wurde – im Gegensatz zu anderen Mittelmeerländern, die im Qualitätswettbewerb erfolgreicher als Griechenland bestehen können. Ohne eine Investitionsoffensive wird es keinen Exportboom geben können. Und die Beschaffung von Finanzmitteln bleibt unter den Grexit-Bedingungen schwierig.

3. Die Importe

Importe würden dagegen voraussichtlich um das Doppelte teurer. Das betrifft Produkte, die in Griechenland selbst nicht oder kaum produziert werden wie zum Beispiel Maschinen, Fahrzeuge, IT-Technik u. a. Eine dringend nötige Modernisierung der griechischen Industrie und damit verbunden die Schaffung neuer Arbeitsplätze in diesem Sektor wären so gut wie nicht finanzierbar. Griechenland kauft fast so viel Lebensmittel im Ausland ein, wie es selbst produziert, und muss über 90 Prozent seiner fossilen Brennstoffe im Ausland einkaufen. Das würde alles erheblich teurer. Auch die Versorgung mit Arzneimitteln und medizinischen Geräten würde weiter hoch problematisch bleiben.
Unter dem Strich: Eine inflationäre Preisentwicklung wegen der teuren Importe, die am Ende die Binnenwirtschaft weiter schwächen könnte, ist nicht auszuschließen.

4. Die Schulden

Nur auf der Basis eines langfristigen Schuldenmanagements in Griechenland lässt sich finanzieller Spielraum für den Aufbau der Infrastruktur und die Stärkung der Wirtschaftsstruktur mit »frischem Geld« gewinnen.
Mit einem Grexit wären die Schulden Griechenland aber nicht gemindert. Kein Gläubiger der Welt würde die Schulden Griechenlands nun einfach in Drachmen umrechnen, also halbieren. Damit würde sich der Schuldenstand in Prozenten ausgedrückt aber verdoppeln: nicht mehr 180 Prozent sondern 360 Prozent betrüge der Schuldenstand Griechenlands nach Einführung der Drachme. Die Chancen Griechenlands, sich auf den Finanzmärkten noch Geld zu leihen, sind selbst zu horrenden Zinssätzen bescheiden. Ein Schuldenschnitt würde dieses Problem womöglich lösen (wobei man nicht annehmen sollte, dass ein solcher Schritt von Griechenland einseitig leicht durchzusetzen wäre). Aber auch danach wäre das Land auf Kapitalzuflüsse aus dem Ausland angewiesen, um die eigene wirtschaftliche Infrastruktur aufzubauen und zu modernisieren. Nach einem Schuldenschnitt würden internationale Geldgeber im Umgang mit Griechenland aber sehr zurückhaltend agieren. Eine zügige Verfügung über Mittel zur Rekonstruktion des öffentlichen Kapitalstocks und zur Erneuerung des privatkapitalistischen Produktionspotenzials wird es nicht geben.
Noch dramatischer für eine wirtschaftliche Erholung Griechenlands wäre allerdings die Schuldensituation der Unternehmen. Auch sie würde sich in Prozenten ausgedrückt verdoppeln. Damit würden sowohl die Kreditwürdigkeit der Unternehmen als auch die Vertragsbeziehungen zu Zulieferern und Abnehmern extrem beeinträchtigt. Die Finanzierung von Investitionen und Warenlieferungen wären erheblich erschwert, wenn nicht unmöglich. Und wer will schon mit einem hochverschuldeten Unternehmen Geschäfte machen, dem dadurch täglich die Pleite droht.
Selbst für die Unternehmen, die unter diesen Bedingungen noch überleben, werden die realen Kreditzinsen sofort wieder in den zweistelligen Bereich gehen. Zusätzlich sind bei aufgenommenen Geldern, die im Euro- oder Dollarraum verwendet werden, teure Versicherungen zur Währungsabsicherung notwendig (nun nicht mehr als spekulatives Moment, sondern wegen dem drohenden weiteren Verfall der Währungskurse).

5. Die sozialen Folgen

Die »Rückkehr zur Drachme« würde einen schlagartigen Absturz des Wertes der nationalen Währung bedeuten: nicht nur die Löhne und Renten würden um die Hälfte reduziert, auch die Sparguthaben halbiert. Nach Lohnkürzungen von rund 40 Prozent und Rentenkürzungen von rund 44 Prozent in den letzten fünf Jahren stellt sich die Frage: wovon sollen die Menschen dann leben. Umfassende Sozialprogramme aus Europa wären nötig, um die schlimmsten humanitären Folgen zu lindern. Experten halten diesen Weg für erheblich teurer als zum Beispiel eine Umschuldung oder die Entlastung Griechenlands von Zinsen und Tilgungsraten. Und ein Investitionsprogramm in einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung sind solche Hilfsprogramme auch nicht.
Was den Unternehmenssektor betrifft, würden die Beziehungen von Tausenden Firmen mit dem Ausland schwer beeinträchtigt. Hinzu kommt, dass für das normale Funktionieren der Wirtschaft – zumindest bis zu einer Erholung und Erneuerung der Produktionsstruktur – reale Währungsreserven vonnöten sind. Es ist so gut wie sicher, dass Griechenland angesichts des (Staats-)Bankrotts und der alten Kredite einen neuen Kredit brauchen würde und sich deshalb wohl an den IWF oder eine ähnliche internationale Organisation wenden müsste.
Für die Griechen hätte ein »Default« verheerende Folgen, für die Euro-Zone insgesamt wären die kurzfristigen Auswirkungen wohl begrenzt. Auf mittlere Sicht droht aber auch ihr ein enormer politischer und ökonomischer Schaden.

6. Die Finanzmärkte

Kleine und schwache Währungen haben kaum Chancen, sich gegen die Spekulation der Finanzmärkte zu wehren. Um eine Währung vor Abwertung und spekulativen Attacken zu schützen, braucht man umfangreiche Devisenreserven. Über diese verfügt Griechenland als Land mit langanhaltenden hohen Leistungsbilanzdefiziten nicht. Die griechische Zentralbank wäre also nicht in der Lage, spekulative Angriffe auf eine neue Drachme abzuwehren.
Selbst Deutschland und Großbritannien konnten sich in den 1990er Jahren gegen Spekulationen gegen Pfund und D-Mark nur mit Mühe wehren, den Zusammenbruch des damaligen europäischen Währungssystems EWS aber nicht verhindern. Heute ist die Macht der Finanzmärkte durch die seit 40 Jahren anhaltende Umverteilung von unten nach oben noch um ein Vielfaches größer. Täglich werden Billionen Euro an spekulativen Geldern weltweit gehandelt. Nur rund 1,5 Prozent davon dienen der Finanzierung von realen Produktions-, Handels- oder Dienstleistungsgeschäften. Griechenland wäre infolge der Insolvenz und der langwierigen Umschuldungsverhandlungen auf Jahre dem Diktat der Finanzmärkte unterworfen. Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass die EZB die Schutzfunktion für die griechische Währung übernehmen wird – wie es in den Szenarien für einen »geordneten« und »verhandelten Grexit« angenommen wird –, da sie damit ihre eigene Grundlage untergraben würde.

7. Die Souveränität Griechenlands

Ein politisch wichtiges Thema ist die Frage der Souveränität. Griechenland wurde entmündigt, ist de facto kein selbständiger Staat mehr. Ausländer, und konkreter noch die deutsche Regierung bestimmen künftig alles. Das ist weitgehend richtig. Griechenland muss infolge des dritten Memorandums mit eingeschränkter Souveränität den Rekonstruktionsprozess durchkämpfen.
Aber auch hier ist die Gegenfrage zu stellen: Wie sähe es um die Souveränität eines Staates wie Griechenland außerhalb der Eurozone und der Europäischen Union aus? Dabei geht es nicht einmal um den Traum mancher Linker, die auf chinesische oder russische Gelder hoffen und dafür einen Teil der griechischen Souveränität aufgeben würden. Ein Grexit würde in Wahrheit die Kapitulation vor der »Souveränität« der realen Märkte bedeuten. Der Wiederaufbau eines öffentlichen und privaten Kapitalstocks würde Jahrzehnte beanspruchen. Die Marktkräfte würden dem Land einen noch brutaleren Sparkurs diktieren als denjenigen, den die meisten Griechen zu recht als Erpressung empfinden. Es ist eine gefährliche Illusion, davon auszugehen, dass im Kapitalismus eine chronische Krise ohne einen handlungsfähigen Staat überwunden werden kann.

8. Chancen trotz des 3. Memorandums?

»Wenn einige Leute nun meinen, dass sich der Klassenkampf linear entwickelt, dass er mit einer einzigen Wahl gewonnen werden kann und nicht ständigen Kampf erfordert, sowohl innerhalb der Regierung als auch in der Opposition, sollen sie uns das bitte erklären und Beispiele nennen, wie das geht. Wir stehen vor der gänzlich neuen Erfahrung einer radikal linken Regierung innerhalb eines neoliberalen Europa. Wir können aber aus linken Regierungserfahrungen früherer Perioden lernen und wissen, dass Wahlen zu gewinnen nicht bedeutet, dass man von einem Tag auf den anderen Zugang zu den Schalthebeln der Macht bekommt. Den Kampf nur auf der Ebene der Regierung zu führen, ist nicht genug. Er muss auf dem Feld der sozialen Kämpfe ausgetragen werden«, so der griechische Premier.
Diese Aussage von Tsipras ist alles andere als eine Kapitulationserklärung, sondern die Ankündigung, dass die Auseinandersetzung nach dem Rückschlag vom 13. Juli weitergeht – und zwar nicht nur in der Regierung, sondern auch auf dem sozialen Feld. Die offensichtlichen Probleme des Landes, zu denen auch ein verkrusteter Staatsapparat gehört, der jahrzehntelang von den früheren Regierungsparteien missbraucht wurde, um Günstlinge zu versorgen, oder die krasse soziale Ungleichheit, die das Land schon lange vor Einbruch der Krise plagte, werden sich nur in Griechenland lösen lassen. Dieser Kampf um die Erneuerung des Landes muss das zentrale Projekt der griechischen Linken bleiben – ein Austritt aus dem Euro mag radikal erscheinen, weil er Protest gegen die Machthaber in der EU zum Ausdruck bringt. Eine Lösung der Probleme der griechischen Bevölkerung bedeutet er nicht.
Welche Spielräume unter den Bedingungen des 3. Memorandums erkämpft und erweitert werden können, ist eine Frage der politischen Auseinandersetzung und Kräfteverhältnisse sowohl in Griechenland selbst als auch auf der europäischen Ebene. Ob die Chance zu einer Wiederbelebung der griechischen Wirtschaft besteht, hängt entscheidend davon ab, ob die restriktiven Effekte des 3. Memorandums begrenzt und die Investitionen in moderne Strukturen gestärkt werden können. Ob der geplante Treuhandfonds zum Ausverkauf öffentlichen Eigentums führt, oder ob er – wie vom griechischen Finanzministerium gefordert – eine »völlig andere Logik und Funktionsweise« als der bisherige Finanzierungsfonds Taiped haben wird und ein »Fonds für öffentliche Investitionen«, vergleichbar mit den Staatsfonds in Norwegen oder Australien sein wird, das alles ist gegenwärtig Auseinandersetzungs- und Diskussionsgegenstand in den laufenden Verhandlungen um die Ausgestaltung der Vereinbarung vom 13. Juli. SYRIZA in dieser real stattfindenden Auseinandersetzung zur Erweiterung der politischen und gesellschaftlichen Spielräume zu unterstützen, sollte die Aufgabe der deutschen und europäischen Linken sein.

Erstveröffentlichung in Neues Deutschland, 12. August 2015