Marxismus feministisch umschreiben

„Brücken bauen – Visionen verrücken und stärken – Alternativen entwickeln“ lautete die Klammer der 2. marxistisch-feministischen Konferenz, die von 7.-9. Oktober 2016 im Atelier der Akademie der bildenden Künste Wien durchgeführt und maßgeblich von transform! europe materiell getragen wurde.

Realisiert werden konnte die Tagung aber nur durch Mithilfe zahlreicher unterstützender Organisationen (siehe Programmheft) und ehrenamtlicher helfender Hände aus dem österreichischen Netzwerk „Plattform 20000Frauen“.

Über 500 TeilnehmerInnen aus 29 Nationen und 6 Kontinenten zeigt die beindruckende Breite der Zugänge, wobei Europa mit 22 Nationen vertreten war. Im Gegensatz zur Berliner Konferenz war es gelungen, den Osten und Süden Europas einzubinden.

Die Abstracts sind im nebenstehenden Programmheft (PDF) downloadbar. Audio- und Videomitschnitte hier

Folgend ein Bericht der Journalistin Brigitte Theissl, der in der Online-Ausgabe von „diestandard“ erschien. 

Marxismus feministisch umschreiben

Von Brigitte Theißl

Die zweite internationale Marxismus-Feminismus-Konferenz brachte linke Theoretikerinnen und Aktivistinnen aus aller Welt nach Wien.

Begriffe wie "Frauenbefreiung" und "Unterwerfungsverhältnisse" sind in Texten der modernen Gender Studies äußerst selten anzutreffen. "Eine marxistische Feministin zu sein, bedeutet in meinem Umfeld, ein Dinosaurier zu sein", so formulierte es eine schwedische Aktivistin im Schlussplenum der Wiener Konferenz. Ihre Sorge um ein gänzliches Verschwinden des marxistischen Feminismus – bzw. feministischen Marxismus – erschien zumindest angesichts des Interesses an der Veranstaltung unbegründet: Rund fünfhundert Personen, darunter viele junge Studierende, registrierten die Veranstalterinnen an drei Konferenztagen im Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste. Ähnlichen Andrang verzeichnete man schon im vergangenen Jahr in Berlin, wo der Kongress auf Initiative von Frigga Haug zum ersten Mal stattfand.

Theorie und Praxis

Das dicht gedrängte Konferenzprogramm teilte sich in die beiden Themenstränge marxistisch-feministische Theoriebildung und Organisierung, in den parallellaufenden Streams präsentierten Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen aus Europa, aber auch aus Argentinien, Brasilien, den USA, Südafrika und Australien ihre Analysen, darunter so bekannte Denkerinnen wie Gayatri Chakravorty Spivak, postkoloniale Theoretikerin und Professorin an der New Yorker Columbia University, und die Londoner Universitätsprofessorin Nira Yuval-Davis. TeilnehmerInnen, die mit den Werken von Karl Marx, Rosa Luxemburg, Antonio Gramsci und Denkern der Frankfurter Schule nicht im Detail vertraut waren, bot das hohe Niveau der theoretischen Reflexionen wenig Anschlussmöglichkeiten – Diskussionen, die auf konkretes politisches Handeln abzielten, standen ohnehin nicht im Zentrum des Kongresses.

Kritik an einem Zuviel an Theorie war schon in Berlin laut geworden, Kritik, der Frigga Haug die Notwendigkeit einer Stärkung marxistisch-feministischer Theorie als Werkzeug gesellschaftlicher Transformation entgegenstellte. Der Arbeitsbegriff und Care-Arbeit, Fragen der Intersektionalität, Neuer Materialismus und Ökofeminismus wurden im Rahmen der Konferenz ebenso diskutiert wie marxistisch-feministische Analysen von Mutterschaft, Anti-Fundamentalismus und Anti-Rassismus, Illegalität, Bildung, und sexistischer Islamophobie. Gerade im Stream "Feminist Organising beyond Europe", in dem Aktivistinnen etwa über feministische Kämpfe in der Türkei und gewerkschaftliche Organisation in Brasilien berichteten, fehlte die Zeit, im Anschluss länderübergreifenden Gemeinsamkeiten nachzuspüren. Feride Eralp, Teil des Istanbuler Feministischen Kollektivs und während des Kriegs in Kobane als Freiwillige in der Grenzstadt Suruç im Einsatz, fragte in ihrem brandaktuellen Vortrag danach, wie Krieg und Männlichkeit sich gegenseitig formieren und wie frauenbewegter Widerstand in einer von "grenzüberschreitenden Hasspolitiken" geprägten Gesellschaft aussehen kann.

Marxistisch-feministisches Manifest

Frigga Haug, ehemalige Professorin für Soziologie, Vorsitzende des Berliner Instituts für kritische Theorie und Mitglied der Linkspartei, arbeitet seit über vierzig Jahren daran, Marxismus und Feminismus miteinander zu versöhnen – oder anders formuliert: deren Spannungen produktiv zu machen. Feminismus ist ohne eine Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise für sie ebenso wenig denkbar wie ein Marxismus, der keine Kritik der Geschlechterverhältnisse miteinschließt. "Es leuchtet ein, dass Geschlechterverhältnisse Produktionsverhältnisse sind und nicht zusätzlich hinzukommen", lautet These drei eines Manifests, das von Haug formuliert und auf der Wiener Konferenz zur Diskussion gestellt wurde.

Das Manifest soll Basis einer zünftigen Zusammenarbeit und einer Verständigung dienen und machte deutlich, dass der marxistische im Gegensatz zum postmodernen Feminismus weder Scheu vor einem vereinnahmenden "Wir" noch vor einem – zumindest strategisch gefassten – essentialistischen Frauenbegriff hat. Bei dieser Frage wurde dennoch eine Trennlinie sichtbar, die innerhalb feministischer Kontexte häufig entlang der unterschiedlichen Generationen verläuft. Der Vorschlag einer jungen Theoretikerin, die formulierten Thesen zu erweitern ("Marxismus-Feminismus verwehrt sich gegen ein naturalisierendes Verständnis von Geschlecht wie gegen ein Postulieren von Zweigeschlechtlichkeit als überhistorische ontologische Gegebenheit") erhielt viel Applaus im Saal, stieß jedoch auf wenig Gegenliebe bei Frigga Haug, die schon in ihrem einleitenden Vortrag einen polemischen Seitenhieb auf die "sechzehn Geschlechter", die man mittlerweile einnehmen könne, unterbrachte.

Berlin – Wien – Lund

Auch wenn der Austausch zwischen Generationen und ihren spezifischen Erfahrungen zu kurz kam, wie eine Aktivistin kritisierte, hatten auf der Konferenz AktivistInnen und TheoretikerInnen sämtlicher Altersstufen zusammengefunden, wie das auf feministischen Veranstaltungen nur noch selten der Fall ist. Von Frigga Haug, Nora Räthzel, Heidi Ambrosch und anderen an der Wiener Konferenz beteiligten Organisatorinnen wird die Staffel nun voraussichtlich an Aktivistinnen in Lund weitergeben, um dort 2018 die dritte internationale Marxismus-Feminismus-Konferenz auszurichten.

Schon die Organisation selbst bietet die Möglichkeit, sich an neoliberalen Verhältnissen abzuarbeiten: Hinter der Initiative steht keine finanzkräftige Organisation, es liegt an den verschiedenen einzelnen UnterstützerInnen, abermals eine so große, international ausgerichtete Veranstaltung zu stemmen. "Einen marxistisch-feministischen Kongress zu organisieren und darin unterschiedliche Umgänge mit Kooperation und Konflikt zu finden, ist ein Mittel unserer Aufgabe, unseren Widerstand in eine beständige marxistisch-feministische Bewegung zu übersetzen", gibt These zwölf die Marschroute vor.

Quelle: http://derstandard.at/2000045658367/Marxismus-feministisch-umschreiben