Manolis, du bleibst unvergessen!

Manolis Glezos ist tot. Dieser nüchterne Satz braucht eine Weile bevor ich ihn verstehe, er tief in mein Hirn dringt. Akzeptieren kann ich ihn noch nicht. Manolis Glezos ist das Gedächtnis an die Untaten der Faschisten. Er ist aber vor allem das Symbol an den Widerstand gegen die Faschisten, aber auch der tiefen Liebe zu den Menschen. Jede Nacht, so erzählte er, sprach er mit seinem Bruder, der von den Faschisten ermordet wurde. Was würdest Du heute tun, wenn Du statt meiner überlebt hättest?

Manolis Glezos wurde während des Krieges, nach dem Krieg, vor und während der Zeit des faschistischen Putsches in Griechenland mehrfach verhaftet, gefoltert, und insgesamt 28 Mal wegen seines Kampfes gegen Faschismus verurteilt, darunter 3 Mal zum Tode. Gemeinsam mit Apostolos Mantas erklomm er 1941 die Akropolis und riss die verhasste Hakenkreuzfahne herunter.

Ich lernte ihn in Athen kennen, noch bevor er 2014 für Syriza in das Europäische Parlament gewählt wurde. Er engagierte sich seit vielen Jahren dafür, dass Entschädigungszahlungen der Bundesrepublik Deutschland an Griechenland für die begangenen Verbrechen an der griechischen Bevölkerung und die auferlegten Zwangskredite, geleistet würden. Ich lernte ihn dort inmitten der Menschen kennen, die aus Naxos, seiner Heimatinsel, nach Athen kamen und dort gemeinsam feierten.

Ich war stolz, als er als Mitglied meiner Fraktion der GUE/NGL klar seinen Anspruch formulierte, den Opfern des Faschismus im Europäischen Parlament eine Stimme zu geben und den Kampf für Entschädigungszahlungen auf die europäische Ebene zu heben. Er war selbstbewusst, ließ sich weder vom Präsidenten des EP noch von Regularien daran hindern, seine Meinung klar und bestimmt zu äußern, wann immer er es für notwendig hielt. Er wusste um den hohen Respekt, der ihm gezollt wurde, und er nutzte ihn für sein Anliegen. Das Anliegen eines Humanisten und Widerstandskämpfers, der nicht aufgibt und sich nicht von Niederlagen unterkriegen lässt.

Vor fünf Jahren erklärte er mir, dass er jetzt nach Deutschland müsse. 70 Jahre nach dem Sieg über den deutschen Faschismus wolle er mit vielen Menschen darüber sprechen, was damals geschah. Alles müsse dafür getan werden, um zu verhindern, dass neue und alte Nazis, Faschisten und Rassisten wieder Einfluss bekämen. Er wolle den Deutschen ins Gewissen reden. Sie sollten Druck auf die Bundesregierung ausüben, damit sie endlich fair gegenüber den Griechen seien. Es gehe ihm nicht um Rache. Er habe viele deutsche Freunde. Unsere Fraktion und insbesondere die Delegation der Linken aus Deutschland organisierten gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung, und antifaschistischen Organisationen aus Berlin, Hamburg, Frankfurt zahlreiche Veranstaltungen, Gespräche, Begegnungen. Viele Menschen kamen, um ihn zu hören, ihn kennenzulernen. Er ging bis an die Grenzen seiner körperlichen Belastbarkeit. Diese Treffen erschöpften ihn. Aber niemals ließ er zu, dass wir sie reduzierten, einkürzten. Er warb für die Menschen in Griechenland, er rief die Geschichte ins Gedächtnis zurück. Er forderte von der deutschen Bundesregierung, die Erpressung und Nötigung der Menschen in seinem Land angesichts der Schuldenkrise zu stoppen. Niemals aber hat er seinen Zorn gegen die Menschen in Deutschland gerichtet.

2015 verabschiedeten wir ihn aus unserer Fraktion. Ich sehe noch die Bilder des tanzenden Manolis, der einfach eine unbändige Lebensfreude ausstrahlte.

Nun ist er 75 Jahre nach dem Sieg über den Nationalsozialismus gestorben. Wenn wir sein Vermächtnis wirklich umsetzen wollen, dann heißt das ganz klar: Auseinandersetzung mit allen Formen des neuen Faschismus, solidarisch für die Menschenrechte einstehen und nicht zuletzt neue Initiativen starten, um faire Entschädigungszahlungen gegenüber den Menschen in Griechenland zu erreichen.

Ich trauere um ihn. Ich werde ihn nicht vergessen. Ich bin stolz, ihn kennengelernt zu haben, mit ihm gekämpft zu haben. Ich bedaure, dass ich seine Einladung, ihn auf Naxos zu besuchen, nicht wahrnehmen konnte. Sein von Bewohnerinnen Naxos‘ handgefertigtes Tuch hat bei mir zu Hause einen Ehrenplatz.

Lebe wohl, Manolis!