Make Europe Great Again! Junckers „Lage der Union“-Rede 2018

Am 12. September hat Juncker, Präsident der Europäischen Kommission (KOM) und Mitglied der christdemokratischen Parteifamilie EVP, seine Rede zur „Lage der Union“ gehalten. Solche Reden sind deswegen bedeutsam, weil ihr vorgeben, woran die KOM in den nächsten Jahren arbeiten soll, und woran eben nicht. Dabei zeichnen sich wichtige Änderung ab.

Was war die zentrale Annahme von Juncker? Junckers frohe Botschaft lautete: Die Krise ist vorbei! In einem parallel zur Rede veröffentlichten Brief an das Europäische Parlament und den Rat (der Regierungschefs) heißt es: „Dank Ihrer vereinten Bemühungen der letzten Jahre haben wir es hinbekommen, dass die finanzielle und ökonomische Krise hinter uns liegt.“

Die schlechte Nachricht: Nur Juncker und seine Minions glauben sowas.

Die gesamte Rede war von Migration und Asylfragen dominiert, bei dem nur ein Thema mithalten konnte: Außenpolitik. Nichts konnten wir zu Fragen der Sozialpolitik, Arbeitslosigkeit, De-Industrialisierung hören, nicht einmal zur Eurokrise (ups, ich vergaß, ist ja erledigt). Umweltfragen wurden auch nur so nebenher erwähnt. Die Außenpolitik hat sich zum neuen „Star“ der KOM entwickelt. Handelsabkommen sind einfach super, und weil die so großartig funktionieren wird nun ein neues Riesenabkommen mit Afrika angestrebt, und … Verteidigung, Verteidigung und nochmals Verteidigung wurden erwähnt.

In einem internen Treffen mit den Direktoren der verschiedenen Abteilungen der KOM am Tag nach seiner Rede hat Juncker sich verwundert gezeigt, dass die Medien das wichtigste Wort in seiner Rede gar nicht begriffen hätten: „Afrika“. „Renn, Afrika, renn!“, möchte man nur rufen…

Diese EVP-Position wurde von Merkel am gleichen Tag in Berlin wiederholt: „Eine gemeinsame europäische Lösung zur Migrationsfrage war zentral für die Zukunft der EU … Diese Herausforderung ist sogar größer als die Finanz- und Eurokrise, die vor zehn Jahren ausgebrochen ist.“

Also Militarisierung, die Festung Europa und der nächste wirtschaftliche Angriff auf Afrika sind die großen Themen. Ein souveränes Europa ist für Juncker so bedeutend, dass er Mehrheitsabstimmungen in der Außenpolitik einführen will. Diese Obsession mit der EU als „Global Player“ ist so stark, dass sogar Reformvorschläge für das bessere Funktionieren der Eurozone mit der Rolle der EU auf internationalem Parket begründet werden: „…wir müssen zuerst unser eigenes Haus in Ordnung bringen, indem wir die Wirtschafts- und Währungsunion stärken, so wie wir es bereits begonnen haben. Ohne dies haben wir keine Mittel, die internationale Bedeutung des Euros zu erhöhen.“

Es müsste allerdings mit dem Teufel zugehen, wenn Mehrheitsabstimmungen in der Außenpolitik durchgesetzt werden würden. Ein Stichwort als Hinweis zu den unterschiedlichen Interessen der EU-Staaten mag genügen: Russland. Um dauerhaft mit Mehrheitsabstimmungen arbeiten zu können muss die sogenannte Passerelle Klausel angewandt werden. Hierbei müssen die Regierungschef aller Mitgliedstaaten einmal einstimmig festlegen, dass sie in Zukunft gerne überstimmt werden würden. Und kann sich das jemand mit Hard-Core-Nationalisten wie Orbán und Salvini vorstellen? – Nein, was Juncker tut ist etwas anderes: er schlägt den liberalen Macrons und Verhofstadts ein nicht umzusetzendes Programm vor, während er bei Aufrüstung und Abschottung mit den Orbáns und Salvinis praktisch zusammen arbeitet – eine innoffizielle Koalition.

Der Fokus auf die internationale Ebene passt perfekt zu den letzten Entwicklungen beim Personalkarussell der EU. Denn Merkel will nicht mehr die Europäische Zentralbank vom deutschen Kapital leiten lassen (Krise ist ja gemeistert), sondern die Präsidentschaft der KOM unter Kontrolle bringen, und damit den zentralen Dreh- und Angelpunkte für internationale Beziehungen und Handelspolitik.

Die Rede Junckers mit anschließender Diskussion sind hier online verfügbar.