Klimakrise und Kolonialismus in Puerto Rico

Image: Yuisa Rios via picryl

Paul Lippert Figueroa, Chef der Puerto Rico Independence Party (Unabhängigkeitspartei von Puerto Rico – PIP), spricht über die Verflechtungen des puerto-ricanischen Unabhängigkeitskampfes mit dem Kampf gegen die Klimakrise.

Paul Lippert Figueroa war unter den Redner:innen der internationalen Klimakonferenz im März 2022 mit dem Titel Planet Emergency – Warum die Bekämpfung des Klimawandels einen Systemwandel erfordert, die von transform! danmark organisiert worden war.

Puerto Rico ist ein Staat, dessen Existenz massiv bedroht ist: Wenn die Klimakrise das Land nicht auslöscht, so wird dies dem Kolonialismus des 21. Jahrhunderts gelingen. Puerto Rico leidet derzeit unter den schlimmsten Auswirkungen der kapitalistischen Klimakrise. Eines der großen Probleme der Inselgruppe ist die Tatsache, dass Puerto Rico kein vollwertiger Staat ist. Wirtschaftlich wird das Land von der US-Finanzaufsichtsbehörde PROMESA (Puerto Rico Oversight, Management and Economic Stability – Aufsicht, Verwaltung und wirtschaftliche Stabilität Puerto Rico) kontrolliert. PROMESA hat unsere Stromversorgungsunternehmen privatisiert und überantwortete damit 100% der Strom- und 50% unserer Trinkwasserversorgung einer US-amerikanischen Firma.

Dieses Unternehmen weigert sich, grüne Energiealternativen zu erschließen und richtet sich nicht nach den geltenden Klimastandards. Im Zuge der COP26 in Glasgow im November 2021 lehnten die USA es ab, ihre Kohlekraftwerke außer Betrieb zu nehmen, was sich negativ auf Puerto Rico auswirkt, da Kohlenasche aus solchen US-Kraftwerken in den Tälern im Süden der Insel entsorgt wird. Das hat eine vielfältige Gesundheitskrise zur Folge. Neben diesen Umweltgefahren führen die USA gleichzeitig eine moderne Form von Siedler:innenkolonialismus ein. Reiche US-Amerikaner:innen nutzen Puerto Rico als Steuerparadies und kaufen das Land in den bedrohten Lebensräumen an der Küste auf. Gleichzeitig wird intensiv gegen Vorschläge zum Umweltschutz an den Küsten lobbyiert. Diese Lobbyist:innen ignorieren die Tatsache, dass der Anstieg des Meeresspiegels pro Zentimeter in Puerto Rico den Verlust eines Meters Küstenlandes bedeutet.

Die „kommunistischen Meeresschildkröten“

In Puerto Rico sind sämtliche Strände öffentlich zugänglich. Als also ein privates Schwimmbad an einem öffentlichen Strand gebaut werden sollte, fanden Proteste dagegen statt. Bei den Protesten ging es nicht nur darum, dass keine privaten Baulichkeiten auf öffentlichem Land errichtet werden sollten; das betroffene Gebiet war ein Brutplatz für Meeresschildkröten, die vom Aussterben bedroht sind, daher musste der Bau verhindert werden. Der Bau des Pools stand außerdem im Widerspruch zu den Umweltschutznormen, die für Bauprojekte in den Küstenbereichen gelten. Danach machte man sich über die Umweltschützer:innen lustig und nannte sie „kommunistische Meeresschildkröten“.

Seit dem Jahr 2015 versucht die PIP Aufmerksamkeit für die Lebensräume der Meeresschildkröten zu schaffen – die Behörden schalteten sich jedoch erst jetzt ein. Dies ist ein Beispiel dafür, wie die Klimakrise mit dem Kampf nach Selbstbestimmung verbunden ist. Die USA zeigen mit ihrer Kolonialmentalität, dass sie kein verantwortungsvoller Partner im Kampf gegen den Klimawandel sind, sondern im Gegenteil eine direkte Existenzbedrohung für uns darstellen. Die USA sollten die Kontrolle über das Land und seine natürlichen Ressourcen an die Puerto-Ricaner:innen selbst zurückgeben. Wir Puerto-Ricaner:innen müssen für unser Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit aufstehen, wenn wir die Klimakrise überleben wollen.

Wirbelstürme, Klimaflüchtlinge und Wasserknappheit

Im September 2017 erreichten innerhalb von zwei Wochen zwei Wirbelstürme der Kategorie 5 die Insel. „Irma“ und „Maria“ töteten fast 5000 Menschen. Mehr als 500.000 Binnenvertriebene auf einer Insel von nur 9.104 km2 waren eine weitere Folge der Stürme.

(Redaktionelle Anmerkung: Mitte September 2022 traf der Wirbelsturm „Fiona“ mit Windstärken von bis zu 140 km/die südwestliche Küste von Puerto Rico. Katastrophale Überschwemmungen und große Schäden an der Infrastruktur waren die Folge.)

Die Zerstörung, die „Maria“ angerichtet hatte, kann auch als etwas Symbolisches gesehen werden. Denn als die Menschen nach zwei Tagen endlich ihre Häuser verlassen konnten, fanden sie draußen nichts als Holzreste, Beton und Vegetationsreste vor. Genauso hinterlässt uns auch der zügellose Kapitalismus, der noch vom Status der Insel als amerikanische Semi-Kolonie weiter verschärft wird. Die Regierung ist durch ihre Abhängigkeit von den USA völlig gelähmt. Heute, fünf Jahre nach „Maria“, sind viele Häuser noch immer nicht wiederaufgebaut. Gleichzeitig fehlt es der Regierung an Macht, um die Klimakrise wirksam zu bekämpfen.

In Puerto Rico erleben wir bereits heute die Zerstörung der Ökosysteme an der Küste, das Verschwinden der Strände und die Auslöschung ganzer Gemeinden, die durch Küstenerosion zur Abwanderung gezwungen werden. Unregelmäßige und exzessive Regenfälle sorgen dafür, dass es immer häufiger zu Überschwemmungen, Erdrutschen und Dürreperioden kommt. Seit dem Jahr 2015 musste die puerto-ricanische Regierung einige Male das Trinkwasser rationieren, weil es zu Engpässen kam. Der Klimawandel hat sich bereits nicht nur direkt auf das Leben aller Puerto-Ricaner:innen ausgewirkt, sondern hat uns traumatisiert und ist ein tiefsitzender Teil unseres Bewusstseins geworden.

Als Puerto Rico 2017 von diesen Wirbelstürmen zerstörte wurde, kam der damalige US-Präsident Donald Trump ins Land, um Toilettenpapier in die Menschenmengen zu werfen. Puerto Rico muss seine eigene Antwort auf die Klimakrise finden, die nicht auf die unfähige US-Regierung angewiesen ist.

Die Grausamkeiten des Kolonialismus

Ein besonders niederschmetterndes Beispiel für das Zusammenspiel von Kolonialismus, Kapitalismus und Klimakrise stellt die aktuelle Situation auf Vieques und Culebra dar, zweier Inseln abseits der Hauptinsel.

Vieques hat die Auswirkungen des amerikanischen Kolonialismus in besonderem Ausmaß gespürt. Die US Navy nutzte die Insel mehr als 60 Jahre lang als Militärspielplatz und sprengte dort auch eine große Menge abgereicherter Uran-Munition. Es kam zu bis zu 180 solcher Detonationen im Jahr und die Folgen sind verheerend. Es gab zahllose Proteste seitens der Bevölkerung und führenden Parteimitgliedern der PIP gegen die Aktivitäten der US Navy; viele dieser PIP-Mitglieder wurden wegen der Besetzung von zu Militärbasen gehörenden Gebieten zu politischen Gefangenen. Als das US-Militär 2003 ihre Basen verließ, blieb ein äußerst fragiles Ökosystem zurück und die Uran-Verschmutzung durch ihre Waffen wirkt sich bis heute – zwanzig Jahre danach –  katastrophal auf das Leben der lokalen Bevölkerung aus.

Heute ist die Insel ein nationales Naturschutzgebiet, aber große Gebiete sind aufgrund der Umweltverschmutzung und nicht detonierter Munition gesperrt. Für die rund 10.000 Einwohner der Insel sind die Folgen schrecklich; auf der Insel herrscht eine Gesundheitskrise. Studien der University of Puerto Rico’s Graduate School of Public Health haben gezeigt, dass das Risiko der Einwohner:innen von Vieques an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben achtmal höher ist, als jenes der übrigen Einwohner:innen Puerto Ricos; ihr Risiko, an Diabetes zu sterben ist siebenmal höher. Die Krebsrate von Vieques ist auch die höchste Rate von ganz Puerto Rico. Unabhängige Wissenschafter:innen und Forscher:innen wiesen auf der Insel außerdem hohe Konzentrationen giftiger Schwermetalle nach.

Die US-Bundesbehörde Agency for Toxic Substances and Disease Registry behauptet jedoch, keinen kausalen Zusammenhang zwischen toxischen Substanzen und der Häufung von Krankheiten auf Vieques gefunden zu haben. Die US-Regierung weigert sich daher, Geldmittel für die Beseitigung der Verschmutzung bereitzustellen.

Viele Kranke – aber keine Krankenhäuser

Das Krankenhaus von Vieques wurde von Wirbelsturm Maria zerstört und bisher noch nicht wiederaufgebaut. Die für Vieques bereitgestellten Bundesmittel für den Katastrophenfall wurden noch nicht ausgezahlt. Wenn Einwohner:innen von Vieques also ein Krankenhaus benötigen, müssen sie die Fähre zur Hauptinsel nehmen. Das Fährensystem wurde jedoch privatisiert und die Fährtarife stiegen seit dem Wirbelsturm Maria um 700%.

Diese Umstände machen es vielen Einwohner:innen unmöglich, auf der Insel wohnen zu bleiben, da ihnen damit eine essentielle Dienstleistung verweigert wird. Dies hat die Insel zu einem günstigen Ort für ausländische Investitionen gemacht, und Vieques in eine Spielwiese für Immobilienhaie und Risikokapital-Anleger:innen verwandelt, die bereits große Teile der Insel aufgekauft haben.

Es liegt offensichtlich im Interesse der US-Regierung, den von ihr auf der Insel angerichteten Schaden zu beheben und es liegt auch im Interesse der Großkapitalist:innen und der Elite, die unglaublichen Einfluss und Kontrolle auf die Kolonialregierung ausüben, um die Situation für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Vieques ist ein kleines Beispiel für das große politische Kolonialprojekt Puerto Ricos, das in Puerto Rico stattfindet und darauf abzielt, die Inseln für die Puertoricaner unbewohnbar zu machen.

Der Klimaplan der PIP

Um dem Klimawandel etwas entgegenzusetzen, müssen wir als Puerto Rico Independence Party selbst aktiv werden. Die PIP hat daher einen Plan vorgelegt, wie der Treibhausgasausstoß in den nächsten Jahren um 25% gesenkt werden kann. Die Partei spricht sich auch für das Verbot von Gas-Pipelines aus, für die Einrichtung eines Klimaministeriums und ein Abfallentsorgungsgesetz, das Anreize zu Wiederverwertung und Kompostierung schafft, wodurch etwa 40.000 neue Jobs geschaffen werden könnten. Die Partei will 700.000 Hektar Land biologisch bewirtschaften lassen, um so weiter den CO2-Fußabdruck zu senken.

Gleichzeitig soll ein aktualisiertes Küstenschutzgesetz eingeführt werden, sowie ein Prozess zur Einbindung der lokalen Gemeinschaft, um sicherzustellen, dass die Einwohner:innen von Puerto Rico in Projekte eingebunden werden können, die sich positiv auf die Umwelt auswirken. Schließlich will die PIP auch das Energienetz wieder vergemeinschaftlichen, um den Übergang zu grüner und erneuerbarer Energie zu beschleunigen.

Dies sind nicht nur die Ideen und Wünsche unserer Partei. Wir haben auch viele Basisbewegungen hinter uns, die sich aktiv in den Klimakampf einbringen wollen. Trotz dieser Unterstützung schränkt uns unsere fehlende Souveränität stark in unserem Handlungsspielraum bezüglich unseres Klimaplans ein.

Es ist immer wieder die starke Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten, die der Entwicklung Puerto Ricos im Wege steht. Da wir kein souveräner Staat sind, sind wir kein gesondertes Mitglied der UN. Daher sind wir von der internationalen Politik vollständig abgeschnitten und haben keine Möglichkeit, unseren Beitrag zu globalen Entscheidungen der Klimapolitik zu leisten. Das ist für einen kleinen Inselstaat, der die Auswirkungen der globalen Klimakrise stark spürt, sehr entmutigend.

Die Kolonialvergangenheit Puerto Ricos steht politischer Autonomie im Wege
400 Jahre lang war die winzige karibische Inselnation Puerto Rico eine spanische Kolonie. 1897 wurde Puerto Rico ein gewisser Grad an Autonomie zugesprochen, aber nur ein Jahr später wurde die Insel im Zuge des Spanisch-Amerikanischen Kriegs von den USA eingenommen und kolonialisiert.
1917 wurde allen Puerto-Ricaner:innen die US-Staatsbürger:innenschaft verliehen und ihre Möglichkeiten, das Land selbst zu regieren, weiter eingeschränkt. Erst 1947 bekamen die Puerto-Ricaner:innen das Recht, eine:n Gouverneur:in zu wählen; 1952 bekam die Insel ihre eigene Verfassung.
Puerto Rico hat nun den Status eines „frei assoziierten Staates“. Das ermöglicht den USA Kontrolle über die Wirtschafts- und Außenpolitik der Insel auszuüben. Puerto Rico hat eine Repräsentantin im US-Kongress, aber diese kann nur an Abstimmungen in den Ausschüssen teilnehmen, nicht im gesamten Kongress.
Joe Biden ist auch Präsident von Puerto Rico – und das obwohl er keine einzige Stimme von Puerto-Ricaner:innen erhielt. Denn obwohl Puerto-Ricaner:innen US-Staatsbürger:innen sind, haben sie dennoch nicht das Recht, an Präsidentschaftswahlen teilzunehmen.