Käthe Leichter (1895 – 1942)

Geboren als Marianne Katharina Pick in einem wohlhabenden, liberalen jüdischen Haushalt in Wien aufgewachsen, entschied sie sich als eine der ersten Frauen dazu, gegen erhebliche Widerstände ein Studium der Staatswissenschaften an der Universität Wien aufzunehmen. Unter den geistigen Impulsen, die sie dort erhielt, stechen zwei hervor: wie bei vielen austromarxistischen Theoretiker_innen führte der intellektueller Weg über die Auseinandersetzung mit der Wiener Schule der Nationalökonomie, dem wohl anspruchsvollsten Versuch des Bürgertums, der marxistischen Politischen Ökonomie ein geschlossenes System  der Ökonomie gegenüberzustellen; zum anderen öffnete ihr Carl Grünberg, der spätere Gründungsdirektor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, den Zugang zu Karl Marx‘ Soziologie und entwicklungstheoretischer Geschichtsphilosophie.   

Im Herbst 1917 inskribierte Käthe Leichter in Heidelberg, da sie die Abschlussprüfungen nicht an der Wiener Universität ablegen konnte, und promovierte mit Auszeichnung bei Max Weber. 

Neben dem Studium arbeitete sie während des Krieges als Erzieherin in einem Proletarierviertel in Wien Döbling, was sie auf radikale Weise mit der Not der Kinder und Arbeiter_innen konfrontierte. Ihrer Entfremdung von der bürgerlichen Frauenbewegung folgte die Annäherung an die sozialdemokratische Arbeiterbewegung.

Der große Streik der Arbeiterklasse im Jänner 1918 sah sie in den Reihen der Linksradikalen, die sich in Opposition zum Parteivorstand befanden. In der revolutionären Bewegung, nach dem Zusammenbruch des Habsburger-Staats schloss Käthe Leichter sich der Rätebewegung an, in der sie auch ihren späteren Mann, den bekannten sozialistischen Publizisten Otto Leichter kennenlernte.

Im April 1919 berief Otto Bauer sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in die Staatskommission für  Sozialisierung. Nachdem die weitreichenden Sozialisierungspläne der Sozialdemokratie 1919 zum Scheitern gebracht worden waren, und ein Jahr später die Partei aus der Regierung ausschied, schied endete auch Käthe Leichters Arbeit in der Sozialisierungskommission. Sie wechselte in die Arbeiterkammer Wien und übernahm es, das neu gebildete Frauenreferat aufzubauen. Bereits ein Jahr später erschien die Studie Wie leben die Wiener Hausgehilfinnen? Im Herbst 1928 folgte die Studie Wie leben die Wiener Heimarbeiter? Eine Erhebung über die Arbeits- und Lebensverhältnisse von tausend Wiener Heimarbeitern. Im Mai 1930 erschien das Handbuch der Frauenarbeit, eine von der AK-Wien herausgegebene 700 Seiten starke, von einem prominenten Autorinnenkollektiv unter der Leitung von Käthe Leichter erstellte Studie. 1932 erschien schließlich die auf der Befragung von 1320 Frauen basierende Studie über das Leben der Wiener Industriearbeiterinnen So leben wir.  

Anfang der 30er-Jahre sprach Käthe Leichter wieder für den linken Flügel der Partei. Früher als die Parteiführung erkannte sie die für die österreichische Sozialdemokratie dräuende Katastrophe.  Bereits auf dem Parteitag im November 1931 forderte sie, die Taktik der vergangenen Jahre einer kritischen Revision zu unterziehen, um zu verhindern, dass „aus der Wirtschaftskrise eine Vertrauenskrise der Partei“ würde. Auf dem Parteitag 1932 stellte sie fest, dass „nur die Politik, die bewusste Machtpolitik, die immer wieder bereit ist, alle Kampfmittel, auch revolutionäre Kampfmittel anzuwenden, imstande ist, den Kampfboden der Demokratie zu sichern.“

Nach dem austrofaschistischen Staatsstreich im Februar 1934 wurde Käthe Leichter in der illegalen sozialistischen Bewegung aktiv und schloss sich den Revolutionären Sozialisten an, an deren Bildungsarbeit sie führend beteiligt war.

In den ersten Wochen nach der Annexion Österreichs im März 1938, 70.000 Österreicher_innen waren von der Gestapo verhaftet worden, wurde der weitere Aufenthalt der Jüdin, revolutionären Sozialistin und herausragenden Intellektuellen Käthe Leichter im Land lebensgefährlich.  Durch einen Spitzel, der sich ihrem engsten Freundeskreis bewegte, war die Gestapo über jeden ihrer Schritte informiert. Otto Leichter und die beiden Söhne Heinz und Franz konnten in die USA flüchten. Käthe Leichter zögerte ihre Abreise mit Rücksicht auf ihre in Wien lebende Mutter aber hinaus und wurde am 30. Mai 1938 von der Gestapo verhaftet. Nach zweijähriger Haft wurde sie trotz internationaler Interventionen in das Konzentrationslager Ravensbrück deportiert. Im März 1942 wurde sie in der Tötungsanstalt Bernburg gemeinsam mit 1.500 Mithäftlingen ermordet. Als Todestag wurde von Schergen der 17. März angegeben.

Der kommunistische Historiker Herbert Steiner, der 1973 einen repräsentativen Band über Käthe Leichter vorlegte, schreibt am Beginn seiner Biographe: „Historische Vergleiche sind immer gewagt und berechtigter Kritik ausgesetzt. Der Lebensweg Rosa Luxemburgs, einer der großartigsten Frauen der internationalen Arbeiterbewegung, weist jedoch manche Ähnlichkeit auf, so dass man der Versuchung unterliegt, daran zu erinnern.“

Literaturempfehlung zu Käthe Leichter:

Steiner, Herbert: Käthe Leichter Leben und Werk, Wien, Europaverlag 1973, Wien 1973

Hauch, Gabriele: Käthe Leichter, geb. Pick (1895-1942). Spuren eines Frauenlebens, in: Hauch, Gabriella: Frauen bewegen Politik. Österreich 1848–1938. Innsbruck, Wien, Bozen: Studien-Verlag 2009 (Studien zur Frauen- und Geschlechterforschung, Bd. 10), S. 225-247

Duma, Veronika: Engagierte Wissenschaft. Die Sozialwissenschafterin Käthe Leichter, in: Kranebitter, Andreas/Reinprecht, Christoph (Hg.): Die Soziologie und der Nationalsozialismus in Österreich. Bielefeld: transcript Verlag 2019, S. 328–342