Inflationäre Härte: Teuerung, Militarisierung und Autoritarismus

Gabriele Michalitsch zeigt am Beispiel Österreichs, wie die neoliberal induzierten Entwicklungen gegenwärtig voranschreiten und Autoritarismus befördern.

Europa steht im Zeichen von Krieg und Inflation. Das politisch wie medial gehegte Narrativ vom Krieg „der Demokratien“ gegen ihre „Feinde“ – ein Kampf, der eben auch seinen Preis fordere – täuscht über den zunehmenden Autoritarismus europäischer Gesellschaften hinweg. Inflation und Krieg stärken autoritäre Tendenzen auch im „freien Westen“. Indem sie soziale Polarisierung und gesellschaftlichen Ausschluss fördern, treiben sie Ent-Demokratisierung voran, während Freund-Feind-Dualismus und „männliche Härte“ zu Leitlinien von Politik avancieren.

Historische Erfahrungen: Hyper-Inflation

Österreich verzeichnete im Jahresschnitt 2022 mit 8,6 Prozent eine Rekordinflationsrate, wie sie seit dem Ölpreisschock 1974 nicht mehr erreicht worden war. Da die Inflation seit 1992 stets unter der 4-Prozent-Marke blieb, wird nun mancherorts das gerade 100 Jahre alte Gespenst der Hyperinflation wachgerufen. Eine Vielzahl aktueller Publikationen zur 1922 in Österreich und 1923 in Deutschland ihren Höhepunkt erreichenden Hyperinflation warnt vor politischer Radikalisierung als mögliche Konsequenz eines galoppierenden Preisanstiegs, denn Hyperinflation und Hitler-Putsch im November 1923 gingen Hand in Hand.

So sehr sich die Hyperinflation mit ihren desaströsen sozialen und politischen Folgen auch ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben hat, der historische Vergleich scheint doch fehl am Platz. Schließlich lag die die monatliche Inflationsrate damals in Österreich bei etwa 130 Prozent, in Deutschland bei an die 30.000 Prozent. Der Preis eines Hühnereis etwa stieg in der zweiten Jahreshälfte 1923 von einigen Hundert auf etliche Milliarden Mark. Am Höhepunkt der Inflation vervielfachten sich die Preise in Deutschland selbst innerhalb eines Tages. Die Finanzierung des Kriegs und der Reparationszahlungen mittels Druckerpresse und die nach der militärischen Niederlage katastrophale ökonomische Situation in den sich neu konstituierten Staaten hatten die Geldentwertung zunehmend beschleunigt.

Doch auch wenn von Hyperinflation gegenwärtig keine Rede sein kann, die sozialen und demokratiepolitischen Folgen sind auch angesichts der aktuellen Teuerung gravierend. Armut, Ungleichheit und sozialer Ausschluss nehmen zu, die sich vertiefenden gesellschaftlichen Spaltungen höhlen die nach Jahrzehnten neoliberaler Transformation ohnehin fragilen Grundlagen von Demokratie weiter aus.

Preis und Profit

Vor allem der Ukraine-Krieg und die EU-Sanktionen gegenüber Russland, die den bereits seit 2020 anhaltenden Anstieg der Energiepreise beschleunigten, hohe Ersparnisse während der Covid-Lockdowns und ein entsprechender post-pandemischer Nachfrageschub, dazu Lieferkettenprobleme und die anhaltende EZB-Politik des billigen Geldes werden häufig als Ursachen der Inflation diskutiert. Dabei ist die aktuelle Inflationsdynamik – jedenfalls auch – ein „Prozess der Bereicherung“, liegen die Preiserhöhungen von Unternehmen doch vielfach über ihren Kostensteigerungen. So nahmen etwa die Preise von Milch und Milchprodukten, deren Energiekosten weniger als 5 Prozent des Gesamtaufwands ausmachen, um bis zu 50 Prozent zu. Neben Rohstoffen und Nahrungsmitteln treiben zudem seit geraumer Zeit Immobilien und Mieten die Inflation an und verteuern gerade das Lebensnotwendige: „Wohnen, Strom, Gas, Treibstoffe und Nahrungsmittel. Genau wegen deren Unverzichtbarkeit lassen sich Extraprofite durch Preissteigerungen besonders leicht erzielen.“ Die Teuerung ist deshalb auch Mittel des Klassenkampfes – mit wenigen Gewinnern und vielen Verlierer:innen.

Ungleicher Ausgleich

Da Energie- und Nahrungsmittelpreise am meisten zulegten, sind die Bezieher:innen der höchsten Einkommen am wenigsten, der niedrigsten Einkommen am stärksten von der Inflation betroffen. Für die untersten 20 Prozent der Einkommen lag die Teuerung im Oktober 2022 beispielsweise bei 11,8 Prozent, für die obersten 20 Prozent hingegen bei 10,7 Prozent. Staatliche Politik setzt zum Teuerungsausgleich weitgehend auf vorübergehende Streichung von Energiesteuern und einkommensunabhängige Transfers, besonders einkommensschwache Haushalte erhalten zusätzlich Einmalzahlungen. Zwar stützen die diversen Ausgleichsmaßnahmen das unterste Einkommensdezil deutlich und begünstigen die unteren Einkommensgruppen insgesamt relativ stärker als die oberen, doch ist ein Teuerungsausgleich für das oberste Einkommensdrittel sozial notwendig und ökonomisch sinnvoll?

In einem krassen Missverhältnis stehen zugleich Unterstützungszahlungen an Haushalte und Unternehmen. Die mit Abstand größte Einzelmaßnahme im Rahmen des Teuerungsausgleichs stellen, mit sieben Milliarden im Budget veranschlagt, grundsätzlich aber nach oben offen, Transfers an Unternehmen dar. Ohne Gegenleistung – selbst eines Verlustnachweises bedarf es nicht – werden damit Zuschüsse von bis zu vier Millionen Euro pro Unternehmen vergeben. Unter bestimmten Bedingungen können es bis zu 150 Millionen sein. Wie schon vielfach im Zuge der Covid-Hilfsmaßnahmen ist Überförderung vorprogrammiert – und „Teuerungsausgleich“ schlicht Subvention für Profite.

Trotz Übergewinnsteuer profitieren Energieunternehmen besonders, zumal die österreichische Besteuerung von Übergewinnen, die je nach weiterer Preisentwicklung zwei bis vier Milliarden an öffentlichen Einnahmen bringen soll, weit hinter den von der EU-Kommission eröffneten Möglichkeiten zurückbleibt: Die Übergewinnsteuer mit einem Steuersatz von maximal 40 Prozent greift erst ab dem um 20 Prozent erhöhten Durchschnittsgewinn der letzten drei Jahre.

Das Gesamtentlastungsvolumen im Bereich der Haushalte liegt 2022 und 2023 – vorläufig – bei über elf Milliarden, im Bereich der Unternehmen bei etwa neun Milliarden Euro. Die Verteilungswirkungen der zahlreichen Transfers hängen letztlich auch von deren Finanzierung ab. Nun tragen die Beschäftigten über die Einkommensteuer und einen erheblichen Teil der regressiv wirkenden Umsatzsteuer rund zwei Drittel zu den gesamten (Bundes-)Steuern bei, während der Anteil der vom Unternehmenssektor geleisteten Körperschaftsteuer mit etwa 10 Prozent gering ausfällt. Mit der schrittweisen Senkung der Körperschaftsteuer von 25 auf 23 % seit Jahresbeginn wird sich dieser Beitrag weiter verringern, sodass die Erwerbstätigen, aber letztlich auch Arbeitslose oder Pensionist:innen nicht nur ihren eigenen Teuerungsausgleich, sondern auch den für Unternehmen bezahlen.

Armut und Ausschluss

Gleichzeitig bedeutet die Inflation hohe Reallohnverluste, die 2022 in Österreich bei über 4 Prozent, in Deutschland bei knapp 3 Prozent liegen.[1] Auch die für 2023 abgeschlossenen Tarifverträge mit Lohnerhöhungen von meist 7 bis 8 Prozent gleichen die Teuerung nicht aus. Von derart gesunkenen Reallöhnen profitiert letztlich wieder der Unternehmenssektor.

Zu den Reallohnverlusten kommt die Entwertung von Sozialtransfers. Pensionen werden 2023 um 5,8 Prozent erhöht und büßen damit besonders an Kaufkraft ein. Zudem wurden zwar etliche – vorrangig familienbezogene – Sozialtransfers valorisiert, nicht aber Arbeitslosengeld und Notstandshilfe. Gerade (Langzeit-)Arbeitslose zählen jedoch schon bisher zu den besonders von Armut Betroffenen.

Dabei zeigte sich bereits im Herbst 2022 mehr als die Hälfte der Österreicher:innen besorgt, ihre Wohnung nicht warm halten zu können, über 40 Prozent fürchteten zudem Verschuldung bei weiteren Preissteigerungen.[2] Obwohl die Inflation erst heuer voll auf die Zahl an Privatinsolvenzen durchschlagen wird, ist diese bereits 2022 um fast ein Viertel gegenüber dem Vorjahr gestiegen, die Zahl an Insolvenzanträgen um über 28 Prozent.[3]

Dass Armut immer weiter um sich greift, lässt sich auch an den Lebensmittelausgaben der Caritas ablesen, Österreichs größter privater, von der Kirche getragener Wohlfahrtsorganisation. Sie verteilte 2022 um etwa die Hälfte mehr Lebensmittel als noch im krisenhaften Pandemiejahr 2021: 26 statt 17 Tonnen pro Woche. Aufgrund des großen Andrangs musste die Ausgabemenge pro Haushalt im Herbst reduziert und der Neuzugang von Erstbezieher:innen gestoppt werden.

Zinspolitik und Stagflation

Reallohnverluste, die Entwertung insbesondere von Renten und Arbeitslosenunterstützung und Umverteilung von unten nach oben gehen mit einem entsprechenden Nachfragerückgang einher und hemmen so auch die Wachstumsdynamik.[4] Gleichzeitig reagieren die US-Notenbank und in deren Gefolge[5] die Europäische Zentralbank mit Zinserhöhungen auf die Inflation. Da Zinserhöhungen Investitionen verteuern und folglich reduzieren, drücken sie ebenso auf die Konjunktur, sodass – wie zuletzt in der Ölkrise der 1970er Jahre – Stagflation zu erwarten ist: fehlendes Wirtschaftswachstum samt steigender Arbeitslosigkeit bei hohen Inflationsraten.[6]

Spaltung und Ent-Demokratisierung

Inflation und Inflationspolitik verstärken demnach bestehende Asymmetrien von Arbeit und Kapital, materielle Geschlechterhierarchien und rassifizierte ökonomische Spaltungen. Sie bedeuten erhebliche Umverteilung von unten nach oben, verfestigen soziale Ungleichheit und treiben soziale Polarisierung voran. Der sich abzeichnende Anstieg der Arbeitslosigkeit im Zuge der Stagflation wird erneut die wirtschaftlich Schwächsten am stärksten treffen: Arbeitslose, prekär Beschäftigte, Geringverdiener:innen – überproportional Frauen und Migrant:innen. Bestehende Disparitäten, Armut und Exklusion und somit Klassen-, Geschlechter- und rassifizierte Spaltungen werden sich nochmals vertiefen und so demokratische Grundlagen weiter aushöhlen.

Aufrüstung und Militarisierung

Doch während sich soziale Ungleichheit und wirtschaftliche Not radikal verschärfen, steigen einmal mehr die weltweiten Rüstungsausgaben. Deutschland strebt wieder nach militärischer Größe, aber auch im formal „immerwährend neutralen“, de facto jedoch der NATO zuzurechnenden Österreich wird aufgerüstet. Das Militärbudget steigt 2023 um 680 Millionen Euro auf 3,3 Milliarden, um letztlich – bei Hinzurechnung der Renten ehemaliger Heeresbediensteter – ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erreichen. Für die kommenden Jahre sind, legistisch durch ein eigenes Finanzierungsgesetz abgesichert, kontinuierlich weitere Erhöhungen geplant, sodass die Militärausgaben ab 2027 zumindest 1,5 Prozent des BIP erreichen.

Die Regierung nützt die Gunst der Stunde, schließlich fühlt sich längst nicht nur angesichts des Krieges in der Ukraine nur etwa die Hälfte der österreichischen Bevölkerung „sehr“ oder „eher sicher“, 2021 waren es noch mehr als 70 Prozent. Doch seit geraumer Zeit beherrschen politisch wie medial lancierte Konstruktionen äußerer und innerer Feinde den öffentlichen Diskurs: Terroristen, Flüchtlinge und „Fremde“, nun auch Klimaschützer:innen, Russland und China. Der Sicherheitsbegriff wurde längst seiner wohlfahrtsstaatlichen Bedeutungsgehalte entleert und in polizeilich-militärische Kontexte eingebettet. Wenig verwunderlich erreicht die Zustimmung zum Bundesheer aktuell lichte Höhen. 63 Prozent der Befragten (+ 8 %-Punkte gegenüber 2021) sprechen sich in einer aktuellen Umfrage für die Ausweitung der Heeresausgaben aus, 56 Prozent (+ 13 %-Punkte gegenüber 2021) – und damit erstmals eine Mehrheit – sogar für eine Erhöhung der Zahl der Soldat:innen.[7]

Neoliberale Härte und rechte Kämpfer

Überall lauert scheinbar Gefahr. Und tatsächlich vertieft sich nicht nur die Kluft zwischen dem wachsenden Reichtum weniger und der zunehmenden Armut vieler, alltäglich erschweren sich Überlebenskämpfe. Mit der neoliberalen Dominanz etablierte sich eine „Kultur der Härte“[8], die gnadenlose Wettbewerbsfähigkeit und rücksichtslose Selbstverantwortung zu gesellschaftlichen Grundprinzipien avancieren ließ. Neoliberales „survival of the fittest“ machte ebenso widerstandslose wie asoziale Anpassung an Marktbedingungen zum Wohle des Profits zur Überlebensfrage. Mit dem die gesamte Lebensführung bestimmenden Konkurrenzprinzip wurden Schwäche und Leiden der Anderen zu positiven Signalen, die im universellen Wettbewerb eigene Stärke und die Verbesserung der eigenen Lebenschancen verheißen.[9]

Da Wettbewerb aber per definitionem nur wenige „Sieger“ kennt, mehren sich Frustration und Aggression. Rechte Führer bieten den angestauten destruktiven Affekten der Ohnmacht Ventile: die sozial Schwächeren, stets abgewerteten „Anderen“, die „Feinde“. Sie erlauben es, sich ganz zu Recht zu erheben und die eigene Überlegenheit zu beschwören – zumal im Wir-Gefühl der nationalen Gemeinschaft –, die nicht nur den vor Krieg und ökologisch-ökonomischer Zerstörung Schutz Suchenden, sondern auch den „Feinden der Demokratie“ in den „Autokratien des Ostens“ entgegengehalten wird. Umgeben von Feinden aber braucht es kampfbereite „Männer der Tat“, die „die Anderen“ in ihre Schranken weisen – hinter elektrifizierte Zäune, mit Stacheldraht beschlagene Mauern oder auch heimische vier Wände, um die Grenzen des Territoriums unüberwindbar zu markieren und ein für alle Mal klar zu machen, wer die Herren sind.

– Vielleicht also haben die Reminiszenzen an die Hyperinflation des vorigen Jahrhunderts durchaus ihre Berechtigung.

Quellenverweise/Anmerkungen:
[1] Lübker, Malte/Janssen, Thilo (2022): Europäischer Tarifbericht des WSI – 2021 / 2022. Tarifpolitik im Zeichen von Krise, Krieg und Inflation, WSI Report, Nr. 77, August 2022, 13. Die Daten für 2022 beruhen auf einer Prognose der Europäischen Kommission. Für Tschechien sind Reallohnverluste von über 8 Prozent prognostiziert.
[2]
Dass ein Drittel der Eltern bei der Förderung ihrer Kinder (zB Ausgaben für Nachhilfe) spart, zeigt die langfristigen Ausgrenzungseffekte über Generationen hinweg. Im Zuge der Befragung hat das SORA-Institut von September bis Anfang Oktober 2022 1.011 persönliche Interviews durchgeführt.
[3] Der massive Anstieg erklärt sich partiell auch durch Nachholeffekte gegenüber 2020 und 2021 und mit der 2021 in Kraft getretenen Insolvenzrechtsreform
[4]
Bezieher:innen geringer Einkommen haben eine höhere Konsumneigung als Bezieher:innen hoher Einkommen, denn sie geben zwangsweise (nahezu) ihr gesamtes Einkommen aus. Ein großer Teil dieser Ausgaben geht an Immobilien- oder sonstige Rentiers, deren zusätzliche Einnahmen kaum in den Konsum fließen.
[5]
Um größere Kapitalabflüsse in den Dollar zu vermeiden, ist die EZB geradezu gezwungen, die Politik der US-Notenbank nachzuvollziehen.
[6]
Heiner Flassbeck, langjähriger Chef-Ökonom der UNCTAD, warnt eindringlich vor Zinserhöhungen, die neben Stagflation vor allem im globalen Süden auch eine schwere Schuldenkrise zur Folge haben werden.
[7]
Das Bundesheer erzielte damit die höchsten Zustimmungswerte seit Beginn der vom Market-Institut durchgeführten und vom Verteidigungsministerium in Auftrag gegebenen Studienreihe 2019.
[8] Fach, Wolfgang (2000): Staatskörperkultur. Ein Traktat über den „schlanken Staat“, in: Bröckling, Ulrich/Krasmann, Susanne/Lemke, Thomas (Hg.): Glossar der Gegenwart, Frankfurt am Main, 121.
[9] Vgl. Ottomeyer, Klaus (2004): Ökonomische Zwänge und menschliche Beziehungen. Soziales Verhalten im Kapitalismus, Münster, 71f.