Selbstbestimmung und die Zukunft Europas

Zum 100. Jahrestag der polnischen Unabhängigkeit werden viele Emotionen wachgerüttelt. In den vergangenen zwei Jahren dominierte der rechte Diskurs historische und zeitgenössische Themen sowie die Frage der Zukunft Polens in einem von Krisen erschütterten Europa.

Das „Social Forum for Exchange of Ideas“ organisierte dieses Treffen am 4. Februar 2018 in Warschau gemeinsam mit transform! europe und der Stiftung Naprzód , um diesem aktuellen Trend entgegenzuwirken. Während der Veranstaltung versuchten die Teilnehmer_innen die Frage zu beantworten, ob es im heutigen Europa ein Recht auf Selbstbestimmung gäbe.

Unter den Diskussionsteilnehmer_innen waren Mickey Brady, Parlamentsabgeordneter der irischen Sinn Féin, Marga Ferré, Sekretärin für politische Entwicklung der spanischen Izquierda Unida und Vorstandsmitglied von transform! europe sowie Tomasz Truskawa, sozialistischer Aktivist in Polen und Vorstandsmitglied des Verbands für Meinungsfreiheit.

Die Diskussionen fanden im Rahmen von drei Sessions statt. Während des ersten Teils stellten die Podiumsgäste ihre Meinungen zu den Veränderungen dar, die im Bereich der Selbstbestimmung bisher erreicht wurden und äußerten sich insbesondere zur Situation in ihren Herkunftsländern. Im zweiten Teil stellten die Teilnehmer_innen Reflexionen über die Faktoren an, die die Entwicklung von separatistischen Tendenzen beeinflussen sowie über die Schwierigkeit, dahinterliegende Konflikte zu lösen. Sie debattierten auch das Thema des grassierenden Autoritarismus, den Aufschwung der extremen Rechten sowie die mangelnde internationale Solidarität. Die letzte Session konzentrierte sich auf das Thema, ob sich Europa derzeit in Richtung verbesserter Integration oder verstärktem Zerfall entwickle.

Die Podiumsgäste legten ein besonderes Augenmerk auf die Unterschiede innerhalb der separatistischen Bewegungen und zu welchem Ausmaß diese linke Tendenzen aufweisen. Dies ist etwa in Irland, teilweise auch in Katalonien und dem Baskenland der Fall. Auffällig ist, dass diese linken separatistischen Bewegungen im Gegensatz zu den rechten Bewegungen sehr egalitär funktionieren und sich neben ihren Unabhängigkeitsforderungen auch für andere soziale und politische Themen einsetzen. Die Diskussion kreiste um die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf separatistische Bewegungen sowie die ungeeignete Politik der nationalen Regierungen und der internationalen Finanzinstitutionen. Es wurde auch festgestellt, dass transnationale Institutionen und Kartelle einen äußerst starken Einfluss auf das Schicksal Europas haben. Die EU steht der Einrichtung neuer juristischer Personen des Völkerrechts kritisch gegenüber und lenkt die Aufmerksamkeit auf die wirtschaftlichen Konsequenzen, die damit verbunden sind (das beste Beispiel dafür ist ihre Haltung im Fall Kataloniens).

Auch den historischen Gründen für die aktuelle Lage, in der das Recht auf Selbstbestimmung nicht existiert, und der Beziehung zwischen lokalen und europäischen Institutionen wandten sich die Teilnehmer_innen zu. So wurde etwa die Frage aufgeworfen, warum Macht auf europäische Ebene übertragen werden sollte. Hierzu müsste die Linke in der europäischen Politik gestärkt und die EU reformiert werden, damit letztere in der Folge zu einer Organisation werden könnte, die auf den sozialistischen Prinzipien der sozialen Fairness beruht. Es wurde diskutiert, wie schwierig die Richtung tatsächlich auszumachen ist, in die sich die EU bewegt, und dass es derzeit sowohl Anzeichen für verstärkten Zerfall als auch verbesserte Integration gäbe.

Die Beiträge der Podiumsgäste wurden von anderen Teilnehmer_innen vielfach kommentiert. Dies umfasste kritische Bemerkungen zur aktuellen EU-Politik und dem Aufstieg des Nationalismus und der extremen Rechten. Es wurde angemerkt, dass die EU an ihre Bürger_innen zurückgegeben und die Linke aktiver werden müsse. Immer wieder wurde die Forderung laut, dass die Linke zu ihren Wurzeln zurückkehren müsse, um sich neu zu formieren.

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