Hoffnung kontra Angstparolen

Vor den Wahlen am 6. Mai schien es sehr wahrscheinlich, dass sich eine Koalition aus der Neuen Demokratie (Konservative) und PASOK (Sozialdemo­kratInnen) bilden würde. Der Slogan „eine Regierung der Linken“, der von Alexis Tsipras in die politische Arena getragen wurde, führte dazu, dass SYRIZA nicht nur als Protestpartei, sondern auch als eine Partei mit der Perspektive wahrgenommen wurde, in Regierungsverantwortung die Krise überwinden zu können. Was zuvor nur als guter Wahlslogan einzuschätzen war, scheint nun, nach dem Ergebnis des ersten Wahlgangs, realisierbar.

Am Beginn der letzten Woche vor den Wahlen hat sich der Modus des politischen Konflikts in Griechenland verändert: Er findet zwischen zwei Polen des politischen Spektrums statt. Auf der einen Seite steht die Neue Demokratie, die dominante Kraft auf Seiten der BefürworterInnen des Memorandums, auf der anderen Seite SYRIZA als stärkste politische Gegnerin des Austeritäts-Kurses. Es ist bezeichnend, dass SYRIZA im letzen Wahlgang bei Privatangestellten, BeamtInnen, neuen Selbstständigen, Arbeitslosen sowie bei den unter 55-Jährigen und in den größten urbanen Zentren den ersten Platz erreichte. Durch die öffentliche Präsentation der Positionen der Partei kam noch zusätzlich Schwung in die Wahlauseinandersetzung. In dieser hatte SYRIZA den Vorteil, dass sie als neue politische Kraft wahrgenommen wurde, während das Personal der beiden früheren Großparteien als korrumpiert angesehen wird. So scheint SYRIZA im Moment auf einer großen Welle zu reiten. Diese Welle ist die Notwendigkeit einer griechischen Renaissance, das allgemeine Verlangen nach einer Veränderung des Landes, das seit dem Ende der Diktatur 1974 von denselben beiden Parteien regiert wurde.
Auch wenn das Programm von SYRIZA der breiteren Öffentlichkeit nicht bekannt ist, scheint die Partei die Wähler­Innen damit zu überzeugen, dass sie sich immer gegen das Memorandum ausgesprochen und eine Koalition mit der Neuen Demokratie und der PASOK ausgeschlossen hat. Weit verbreitet ist die Wahrnehmung, dass SYRIZA die einzige wirkliche Hoffnung für einen politischen und moralischen Fortschritt in Griechenland darstellt. Die Hegemonie, welche die Partei zu erringen scheint, zeichnet sich dadurch aus, dass die Unterstützung seitens der Bevölkerung auch im Bewusstsein darüber erfolgt, dass nicht alle Forderungen der Partei umsetzbar sein werden. Die Hoffnung auf eine Wiedergeburt ist so stark wie die Notwendigkeit dazu besteht.

Von Traurigkeit zu Wahnsinn

Auf der anderen Seite ist die Neue Demokratie unfähig, hoffnungsvolle politische Vorschläge zu artikulieren. Die Ursachen hierfür liegen sowohl in der Akzeptanz der politischen Rahmenbedingungen des Memorandums, als auch im Glaubwürdigkeitsverlust, der sich durch häufige Veränderungen in der politischen Positionierung des Parteichefs eingestellt hat. Antonis Samaras spricht von der Notwendigkeit, das Memorandum „neu zu verhandeln“. In Kontrast zu dessen „Streichung“, zu der sich SYRIZA bekennt, bedeutet das, ein paar Details zu verändern. Hauptsächlich jedoch bietet die Partei keine Visionen, sondern nur Angstszenarien. Das grundlegende und fast einzige Argument der Neuen Demokratie ist, dass Griechenland wegen SYRIZA aus der Eurozone fliegen wird. Seit allgemein bekannt wurde, dass es keine rechtliche Möglichkeit gibt, ein Land gegen seinen Willen aus der Europäischen Währungsunion auszuschließen, verlautet die Propaganda der Neuen Demokratie, dass das Land keine weiteren Kredite erhalten werde, wenn das Memorandum gestrichen wird, was in weiterer Folge zu einem erzwungenen Austritt aus der Währungsunion und zur Implementierung einer eigenen Währung führen würde. Dieser Effekt würde sich also durch die Zurückweisung der Bedingungen einer linken Regierung seitens der Troika (EU, EZB, IWF) ergeben. Wenn aber die VertreterInnen der Neuen Demokratie gefragt werden, wie sie auf ein Nein der Troika zu ihren Vorschlägen der „Neuverhandlung“ reagieren würden, werden nur Ausflüchte gesucht, um Antworten zu vermeiden.
Die Neue Demokratie befindet sich in einer ausweglosen Sackgasse. Daher wird mit Angst-Propaganda gearbeitet. Sie verbreitet halblegale Werbespots (http://www.youtube.com/watch?v=j24Tphmp-00&feature=related), in denen ein Bild der Zukunft gemalt wird, in der zehnjährige SchülerInnen ihren Lehrer fragen, warum Griechenland aus der Eurozone geflogen sei (hier wurden Vorwürfe des inakzeptablen Umgangs mit Kindern laut). Der Spot endet mit dem Slogan „Wir spielen nicht mit der Zukunft unserer Kinder“. Die Jugendorganisation der Partei hat ein anonymes Video veröffentlicht (http://www.youtube.com/watch?v=RcgBlQlLQ3w&feature=related), in dem Alexis Tsipras als machoider Gast in einem teuren Restaurant dargestellt wird, der sich weigert zu zahlen, woraufhin die Kellner ihn hinaus werfen. Eine klare Botschaft, dass Griechenland aus der Währungsunion geworfen wird, wenn es seine Schulden nicht bezahlen kann. Eine extrem provozierende und verletzende Werbung, weil – wie wir alle wissen – die Menschen in Griechenland in den letzten Jahren in keinster Weise luxuriös gespeist haben. Verdeutlicht wird hier vor allem die Distanz der Führung der Neuen Demokratie zu den Bedürfnissen der Bevölkerung. Um das Bild zu komplettieren, hat die Partei einen populistischen und (früher) extrem populären Politiker zum Wahlkampfleiter gemacht, der nun wegen Finanzskandalen vor Gericht steht.
Resultat aller bisher genannten Zustände ist, dass der Parteichef der Neuen Demokratie jegliche absurde Ausrede ins Treffen führt, um an TV-Debatten nicht gemeinsam mit Alexis Tsipras teilnehmen zu müssen. Grund dafür ist die Einsicht, dass eine derartige Konfrontation jede Chance bei den Wahlen zunichtemachen würde. So werden auch keine öffentliche Reden organisiert, was für das politische Leben in Griechenland eine beispiellose Situation darstellt – die Furcht vor zu geringer Beteiligung an einer solchen Veranstaltung ist zu groß. Zur selben Zeit hält Alexis Tsipras auf überfüllten Plätzen überall in Griechenland öffentliche Gespräche ab, in denen das Programm von SYRIZA mit den BürgerInnen diskutiert wird und Fragen beantwortet werden. Diese Veranstaltungen dauern manchmal mehr als drei Stunden!
Wenige Tage vor den neuerlichen Wahlen wird in Griechenland also eine gewaltige Schlacht zwischen Gehorsam und Widerstand, zwischen Kompromiss und Konflikt, zwischen Erniedrigung und Würde ausgetragen. Eine Auseinandersetzung zwischen Angst und Hoffnung. Was denken Sie, wer wird am Ende den Kampf gewinnen?