Vom 15. September zum 5. Oktober: Protest und Alternativen in Portugal

Die Mobilisierung übertraf sogar die überraschend große Demonstration von vor eineinhalb Jahren, am 12. März 2011. An diesem 15. September war der Appell deutlich, insofern er die Ursache des laufenden Verarmungsprozesses benannte: „Zur Hölle mit der Troika, wir wollen unser Leben zurück!“ war das Motto des Aufrufs von ca. 40 Persönlichkeiten aus sozialen Bewegungen, aus der Bewegung der Prekarisierten, aus dem Kulturbereich – und hunderttausende in sozialen Netzwerken miteinander verbundene Menschen folgten ihm.
In Lissabon, Porto, Coimbra und anderen Städten wurde die Demonstration als die größte seit dem sagenhaften Aufmarsch am 1. Mai 1974, wenige Tage nach der Revolution, die dem portugiesischen Volk die Freiheit zurückbrachte, angesehen. Über eine Million nahmen an den September-Demonstrationen teil. Eine beeindruckende Menge wurde also von diesem Protest erfasst, von der Empörung und dem Aufstand gegen die Spaßmaßnahmen, die binnen Kürze dazu geführt haben, Armut, Arbeitslosigkeit und einen Abbau der öffentlichen Dienstleistungen in bisher ungekanntem Ausmaß zu produzieren. Die jüngsten Maßnahmen, durch die die Beiträge der Arbeitenden zur Sozialversicherung erhöht, die Beiträge der Arbeitgeber_innen hingegen gesenkt wurden, stellen die größte direkte Umverteilung von Arbeit zu Kapital dar, die das Land je erlebt hat. Und eben diese Maßnahmen führten schließlich zum Aufstand, der das ganze Land ergriff. In der Folge sah sich die Führung der Sozialistischen Partei – die zwar das Memorandum unterzeichnet, sich aber dem Staatshaushalt der rechtsgerichteten Regierung nicht angeschlossen hatte – gezwungen, eine Oppositionshaltung gegen diese Entscheidung und den nächsten Staatshaushalt einzunehmen. Nach der Großdemonstration zitterte sogar die Regierung davor, ihre Legitimation und die Unterstützung der Bevölkerung zu verlieren. Unter den Regierungsmitgliedern taten sich öffentlich Brüche und Unstimmigkeiten auf.
In einer Situation, wo in eindrucksvollen Demonstrationen der Sturz der aus rechtsgerichteten Parteien bestehenden Regierung gefordert wird, bekommt die Initiative, den Demokratischen Kongress der Alternativen zu organisieren, noch größere Bedeutung. Diese Initiative wurde von einer Gruppe sozialer und politischer Akteur_innen – aus dem Bereich der Gewerkschaften, der sozialen Bewegungen, und unter Beteiligung der Kommunistischen Partei und Parlamentsabgeordneter von Linksblock und Sozialistischer Partei – ins Leben gerufen. Sie hat einen klar definierten Ausgangspunkt und ein ehrgeiziges Ziel. Der gemeinsame Ausgangspunkt all jener, die zum Kongress aufrufen, ist die Ablehnung des (von den Parteien der Rechten und der Sozialistischen Partei unterzeichneten) Memorandums mit der Troika, das für die Härtepolitik und die Verarmung verantwortlich ist. Ziel ist zu zeigen, dass es konkrete und glaubwürdige Alternativen zum politischen Programm der Troika und dem Schuldendiktat gibt. Der Kongress möchte einen Prozess der Annäherung und der Suche nach gemeinsamen Nennern jener Kräfte in der Gesellschaft in Gang bringen, die diese Politik ablehnen. Die Initiative hat mittlerweile im ganzen Land Treffen abgehalten, bei denen die Hauptthemen der Diskussion folgende waren: Wie kann das Memorandum aufgekündigt werden? Wie kann Arbeit jene Würde zurückgegeben werden, die sie verdient? Welche wohlfahrtsstaatliche Politik ist nötig, um Diskriminierung zu bekämpfen? Welcher ist der Platz Portugals in der Welt, und welche Rolle kommt dem Land bei der Entwicklung einer europäischen Alternative zu?
Am 5. Oktober feiern wir die Revolution, die uns 1910 die Republik gebracht hat. 2012 wird das letzte Jahr sein, in dem dieser Tag ein Feiertag ist: Die Regierung hat beschlossen, ihn aus Gründen der Sparpolitik mit dem Jahr 2013 abzuschaffen. Der 5. Oktober 2012 wird durch die Abhaltung eines wichtigen Kongresses gekennzeichnet sein, auf dem die Alternativen zur Sanierungspolitik diskutiert und entwickelt werden sollen. Und das ist ein wichtiger Schritt dazu, die Empörung zu einer wirklichen Alternative werden zu lassen