„Nein zum Dauersparen. Lehnen wir die Budgetvereinbarung ab – Eröffnen wir die Debatte in Europa!”

Der Präsident der Republik möchte, dass das Parlament so schnell wie möglich den Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Eurozone (SKS-Vertrag) ratifiziert, der besser unter dem Namen „Stabilitätsspakt“ bekannt ist und von Nicolas Sarkozy am 25. März unterzeichnet wurde. Allerdings bilden die schwachen „Wachstums“-Mechanismen, die am 29. Mai angekündigt wurden, keine Grundlage für seine „Neuverhandlung“, wie von François Hollande im Wahlkampf versprochen, wodurch einmal mehr „Austerität auf Austerität folgt“.

Dieser Stabilitätspakt wird die neoliberale Politik, die nun schon seit Jahren verfolgt wird und zu den gegenwärtigen Problemen der Eurozone geführt hat, nur noch verschlimmern. Es handelt sich dabei in erster Linie um eine ökonomische Absurdität. Mit der vertraglichen Vereinbarung, dass das „Strukturdefizit“ eines Landes weniger als 0,5 % betragen müsse, wird er dazu führen, dass die Staaten drastische Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben vornehmen. Er wird somit die Staatsmacht jener Möglichkeiten berauben, die für die Herbeiführung eines sozialen und ökologischen Wandels unentbehrlich sind. Stattdessen müssen wir die öffentlichen Dienstleistungen und den sozialen Schutz ausbauen und erneuern, um auf die vielen unbefriedigten Bedürfnisse zu reagieren, soziale Ungleichheiten zu verringern und um Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern zu schaffen. Wir benötigen beträchtliche öffentliche Investitionen, um den Wandel in der Energiepolitik zu finanzieren, die Umweltverschmutzung zu verringern, die Umstellung von Produktions- und Konsumtionsweisen nach ökologischen Kriterien zu gewährleisten und um Millionen Arbeitsplätze zu schaffen. Die Verpflichtung, laufend ausgeglichene Budgets zu erreichen, wird einen großen Hemmschuh bei der Bewältigung der sozialen und ökologischen Krise darstellen.

In einem Europa, in dem die Konsument_innen in dem einen Land die Zulieferer des anderen sind, führt der vor zwei Jahren eingeschlagene Weg zu einer allgemeinen Rezession. Die Schwierigkeiten bei PSA (der Peugeot-Citroën-Gruppe) und anderen Unternehmen resultieren direkt aus dem Zusammenbruch der Nachfrage in Südeuropa. Heute stagniert die Kaufkraft oder geht zurück, und Unternehmen und Gemeinden reduzieren ihre Investitionen: In einem solchen Kontext kann die Kürzung öffentlicher Ausgaben nur die Arbeitslosigkeit verschärfen. Laut einer vom IWF selbst vorgenommenen Studie wird die von der Regierung angekündigte Beschränkung des französischen Budgetdefizits auf 3 % mit Beginn des Jahres 2013 automatisch 300.000 mehr Arbeitslose zur Folge haben. Der daraus folgende Rückgang bei den Steuereinnahmen wird seinerseits die Verringerung der Schulden – darin besteht ja der angebliche Zweck des Sparprogramms – noch weiter erschweren, womit dann wiederum das nächste Anziehen der Schraube „gerechtfertigt“ werden wird.

Ungeachtet der Dummheit aus wirtschaftlicher Sicht ist dieser Stabilitätspakt auch in sozialer Hinsicht untragbar, da – wie man aktuell an Griechenland und anderen Ländern in Schwierigkeiten sehen kann – die „Strukturanpassungsprogramme“ nur die soziale Sicherheit unterminieren, zu einer Zunahmen illegaler Praktiken führen und die prekär lebenden Teile der Bevölkerung – Frauen, Jugendliche, Arbeiter_innen und Migrant_innen – am härtesten treffen. Weit davon entfernt, die weiter nördlich gelegenen Länder davor zu schützen, dasselbe Schicksal wie jene im Süden zu erleiden, zieht dieser Pakt die ganze Union in eine depressive Spirale, die Armut zu verbreiten droht. Das bedeutet einen im ganzen Zeitraum seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr da gewesenen wirtschaftlichen und sozialen Rückgang.

Schließlich stellt der Fiskalpakt auch eine Gefährdung der Demokratie dar. Nicht nur sieht er gleichsam automatische Sanktionen für den Fall seiner Nichteinhaltung vor, sondern er marginalisiert auch die nationalen und europäischen Parlamente und macht die Kommission und den Europäischen Gerichtshof – nicht-gewählte Organe – zu Richtern über nationale Budgets. Er etabliert einen autoritären Föderalismus, der die Souveränität der jeweiligen Völker leugnet. Er unterstellt die Wirtschaft einem Selbststeuerungsmechanismus, der jenen Normen gehorcht, die die Finanzmärkte befriedigen sollen, deren Macht nicht in Frage gestellt wird. Wir akzeptieren das nicht.

Die weltweiten Krisen des Sozialen, der Ökologie und der Finanzen verschärfen sich. Sie bergen viele Gefahren, was an der wachsenden Stärke extrem fremdenfeindlicher und nationalistischer rechter Gruppen abgelesen werden kann. Diese Krisen machen eine europaweite Mobilisierung notwendig, in einem Europa, das auf Solidarität und Demokratie beruht, einem Europa, das sich aus dem Würgegriff der Finanzmärkte befreit. Der Fiskalpakt wird jedoch nur die in der Eurozone existierenden Widersprüche verschärfen und könnte sogar zu ihrem Zerfall führen. Die Weigerung Frankreichs, ihn zu ratifizieren, wäre ein starkes Signal auch an die anderen Völker Europas, die Diskussion um den Aufbau eines anderen Europas zu eröffnen.

Das ist der Grund, warum wir, die unterzeichnenden Organisationen dieses Textes, diesen Budgetsanierungspakt ablehnen, der Auswirkungen auf die Zukunft jedes/jeder Einzelnen hat. Wir fordern, dass eine breite, demokratische Debatte eröffnet wird, damit die Bürger_innen sich dieses entscheidenden Themas annehmen und dazu äußern können. Wir möchten, dass sich der Präsident der Republik, seine Regierung und die Parlamentarier_innen ihrer Verantwortung stellen.

Um diese demokratische Debatte zu schaffen, fordern wir die Stärkung bereits bestehender kollektiver Strukturen auf lokaler Ebene – insbesondere jener, die in einer Initiative der Bürger_innen zum Thema Staatsverschuldung involviert sind – und die Schaffung neuer Strukturen, falls erforderlich; zusammen werden wir eine Reihe öffentlicher Debatten in ganz Frankreich organisieren; wir werden mit jedem/jeder Abgeordneten und Senator_in der Mehrheitsparteien im Parlament sprechen und Bürger_innen dazu einladen, dasselbe zu tun; und wir werden Demonstrationen organisieren, einschließlich einer großen Bündnisdemonstration am Sonntag, den 30. September, in Paris. Ein Organisationskomitee hat bereits damit begonnen, den Erfolg dieser Initiativen zu gewährleisten.

 

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