Elisabeth Gauthier – Französin, Österreicherin, Europäerin, Weltbürgerin

Am 9. Februar verstarb Elisabeth Gauthier nach kurzer, schwerer Krankheit. Sie war Gründungsmitglied und Direktorin von Espaces Marx, Mitglied des Nationalkomitees der Kommunistischen Partei Frankreichs und Gründungs- und Vorstandsmitglied von transform! europe. Im Folgenden Walter Baiers Abschiedsrede bei Elisabeths Begräbnis am 17. Februar in Corbeil-Essonnes.

Es fällt mir sehr schwer, offizielle Abschiedsworte zu sprechen, weil ich Elisabeth – oder Liesl, wie sie bei uns in Österreich hieß – seit mehr als 40 Jahren kenne. Gemeinsam sammelten wir – sie, die junge antifaschistische Lehrerin, aktiv im Bund Demokratischer Lehrer, und ich, der Vorsitzende des Kommunistischen Studentenverbands – die ersten Erfahrungen beim Bilden breiter politischer Allianzen. 
Als Elisabeth nach Frankreich übersiedelt und in das Zentralkomitee der PCF gewählt worden war, rissen die politische Verbindung zur alten Heimat und unsere persönliche Verbindung nicht ab.
Es gibt politische und ethische Themen, die uns in immer wandelnder Form durch das ganze Leben begleiten. Elisabeth Gauthiers Lebensthema war die in Österreich im Zeichen des Kalten Kriegs und des Antikommunismus abgebrochene Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Durch die Affäre Waldheim wurde dies zur europäischen Affäre. So sehr sie die Indolenz des offiziellen Österreich empörte, so sehr überraschten und begeisterten sie die Demonstrationen, in denen im Jahr 2000 hunderttausende Österreicher_innen gegen die Bildung der schwarz-blauen Regierung protestierten. Unermüdlich berichtete sie in ihrer Wahlheimat über dieses „andere Österreich“, organisierte Begegnungen von Schüler_innen und Student_innen, sprach auf Symposien und hielt Vorträge.
Elisabeth war Französin, Österreicherin, Europäerin und Weltbürgerin: Auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre begegneten wir einander wieder, wo sie den Geist der Solidarität in der Vielfalt auf eine Weise lebte, wie dies wenige schaffen. Es folgten die Europäischen Sozialforen in Florenz, Paris und Athen, zu deren Erfolgen sie durch die Klarheit ihres eigenen Standpunkts und die Fähigkeit, andere Meinungen zu respektieren und zu einer Synthese zu vereinigen, entscheidend beitrug.
In Porto Alegre war es auch, wo sie mich, damals Herausgeber einer linken Wochenzeitung, in die Gründung des Netzwerks transform! einbezog.
Als Direktorin von Espaces Marx hatte Elisabeth Gauthier auch einen nicht geringen Anteil an der Gründung der Partei der Europäischen Linken, doch ihr bedeutendster europäischer Beitrag bestand in der Beteiligung an der Schaffung des Netzwerks transform!, dessen Vorstand sie bis zu ihrem Lebensende angehörte.
Als Autorin beschäftigte sie zuletzt das Thema des alarmierenden Aufstiegs des Rechtspopulismus in Europa, dem sie ein mit Joachim Bischoff und Bernard Müller gemeinsam verfasstes Büchlein widmete. Die Schlussfolgerung, zu der sie gelangte, war keine bequeme. Im Rechtstrend erkannte sie die Unzulänglichkeiten der politischen Linken bei der Beantwortung der enormen gesellschaftlichen Widersprüche in den entwickelten kapitalistischen Gesellschaften.
Sie begrüßte Syrizas Erfolg mit großem Enthusiasmus und zeigte sich trotz aller Schwierigkeiten und offenen Fragen mit der griechischen Linken solidarisch.
Ihre Aufmerksamkeit – und dies war das Thema des großen Artikels, den sie in ihren letzten Lebenstagen fertigstellte – widmete sie zuletzt einer Strategie der radikalen Linken, die an die heutige Herausforderung angepasst ist. Mit diesem Artikel, den sie unter den Bedingungen ihres sich verschlechternden Gesundheitszustandes auf Französisch und Deutsch fertigstellen konnte, hinterließ sie uns ein politisches Testament.
Ich hatte das Privileg mit Elisabeth bis zu den letzten Momenten ihres wachen Lebens in Kontakt zu sein. Es waren ernste politische und persönliche Gespräche, die wir am Telefon führten, bisweilen aber auch leicht und heiter. Obwohl sie bis zuletzt gegen ihre Krankheit kämpfte, war es doch ein vorsichtiger, langer Abschied.
Wir alle fühlen uns durch ihr Weggehen einsamer und ärmer. Es bleibt das Werk, und es bleibt die Erinnerung.
Liebe Elisabeth, als Kollegin, als Genossin und als Freundin wirst Du uns immer in Erinnerung bleiben.
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Nachrufe und Kondolenzschreiben siehe hier.