Die Wahl in Frankreich

Hollandes Wahl ist vor allem eine klare Absage an den „Präsidenten der Reichen“ und an die von ihm verkörperte Macht der Oligarchie, die sich in der Krise verstärkt hat.
Trotz der Erleichterung über die Abwahl Sarkozys ist die Stimmung keineswegs mit 1981 (Mitterrands Wahl) zu vergleichen. Zu unsicher ist, worin Hollandes Politik bestehen wird, ob er gegen die Krisenursachen agieren und dem neoliberalen Kurs in Europa entgegentreten wird. Unsicher ist auch, welche Mehrheit die Legislativwahlen am 10. und 17. Juni bringen werden. Im Falle einer linken Mehrheit wird das Gewicht der Front de Gauche-Abge­ordneten dafür entscheidend sein, ob die politische Orientierung sich nach links verschiebt.
Im ersten Wahlgang erhielt Hollande 28,7% der Stimmen, alle linken Kandidaten kamen gemeinsam auf 43,6% (im Vergleich 2007: 36%). Die gesamte „Linke der Linken“ kommt 2012 auf 13% (2007: 8%), wobei der Front de Gauche (11,11%) einen Pol mit neuer politischer Qualität darstellt. Der Front National (FN) bekommt 17,9% (im Vergleich 2007: 10,44%; 2002: FN 17% und eine Abspaltung 2,5%). Das (rechte) Zentrum von Bayrou wurde geschwächt, die Polarisierung Links-Rechts hat insbesondere unter Einfluss der offensiven Kampagne des FG wieder zugenommen.
Insgesamt hat sich das Gewicht im Vergleich zu 2007 von rechts nach links verschoben, und zugleich wurde Sarkozy selbst „rechter“ und der FN stärker.
Viele Stimmen für Hollande wurden ohne Enthusiasmus abgegeben, einerseits gegen Sarkozy und gleichzeitig, um Le Pen zu verhindern. Dies ging, wie Umfragen zeigten, zum Teil zu Lasten Mélenchons, da viele potentielle WählerInnen sich im letzten Augenblick entschlossen, eine „nützliche Stimme“ abzugeben.
Mit ihrem Stimmergebnis im Rücken hat Le Pen angekündigt, dass „der Kampf um Frankreich erst beginne“, dass sie in Zukunft die „Partei der Patrioten auf Seite der Rechten wie der Linken“ sein wolle. Im Bestreben, die erste Kraft auf der Rechten zu werden, empfahl sie im zweiten Wahlkampf, nicht für Sarkozy zu stimmen, sondern ungültig zu wählen.
Obwohl in Umfragen die Mehrheit der Franzosen als ihre Hauptsorgen die Arbeitslosigkeit, den Verlust der Kaufkraft und die abnehmende Qualität des Gesundheits- und Schulwesens angeben, und nur eine Minderheit von 15 % die Probleme der Integration, nehmen diese in der politischen Debatte einen überproportionalen Stellenwert ein, was ausschließlich dem Front National nützt. Solchermaßen wird die äußerste Rechte instrumentalisiert, um das Zweiparteiensystem aufrecht zu erhalten.
Der Front de Gauche (FG) hatte in seiner Kampagne eine neue und weiterreichende politische Ambition präsentiert. Einerseits, indem er aufrief, Sarkozy abzuwählen, gleichzeitig verknüpfte er dies mit einer Perspektive eines Politik- anstatt eines einfachen Mehrheitswechsels. Dies, so wurde argumentiert, stelle auch das wirksamste Mittel zur Zurückdrängung des Front National dar. Mit dieser Positionierung eröffnete der Front de Gauche eine breite Diskussion, eine weit über seine eigenen Reihen hinausreichende Debatte, worin in einer Zeit der Großen Krise linke Politik bestehen könne.
Interessant ist zu beobachten, wie sehr Le Pens ideologischer Diskurs nur funktioniert, solange sie nicht auf präzise Argumente zu antworten hat. Wenn das der Fall ist (und nur Mélenchons nimmt diese offensive Position ein) wird sichtbar, dass sie sich tatsächlich weit rechts befindet.
Die französische Gesellschaft ist heute tief zerklüftet: Die Arbeitslosigkeit stieg während der Amtszeit Sarkozys von 7,8 auf 10,5%, die Jugendarbeitslosigkeit auf 23%, und die der MigrantInnen liegt bei 15,3%. Frankreich zählt heute acht Mio. Arme. Darauf versucht das Bündnis um Mélenchon zu antworten mit einer neuen Konzeption einer solidarischen und gemischten Gesellschaft („société métissée“), der Forderung nach Teilhabe eingebettet in die Forderung nach einer sechsten Republik, nach einer sozialen Neugründung des Staates, in dem das Volk selbst die Macht ergreift – so ein Plakat.
Mit gut 11% gelang es der Linksfront, das einst zerfallene Lager von KommunistInnen, GlobalisierungsgegnerInnen, LinkssozialistInnen und Linksradikalen erstmals politisch zu einen. Die PS und Hollande werden bei den Parlamentswahlen in diesem Frühsommer vermutlich keine eigene Mehrheit stellen können und sind damit auf die Linksfront angewiesen. Der Front de Gauche steht damit vor einer großen politischen Herausforderung: Welche Wege führen zu einer Linken, die sich als Aufgabe stellt, die Finanzmärkte zu entwaffnen und einen Politikwechsel einzuleiten?
Mit dem Front de Gauche (11,11% und fast 4 Millionen Stimmen) präsentiert sich eine neue politische Kraft, in der sich die konstruktive und radikale Linke sammelt. Es ist ein Bündnis, das sich nicht als Koalition von Parteien, sondern vielmehr als eine Partnerschaft zwischen linken Parteien und gesellschaftlichen Bewegungen versteht, in der auch unorganisierte BürgerInnen mitarbeiten können. Die politische Tradition und Kultur reichen vom linken Flügel der Sozialdemokratie bis zu linksradikalen Bewegungen. „Wir sammeln sechs Parteien und noch mehr Strömungen. Keiner der Verbündeten musste auf etwas verzichten, was für ihn identitätsstiftend ist. Unser Diskurs gibt jedem eine gemeinsame Perspektive“ (Mélenchon in Humanité, 20.4.12).
 Die europäischen Konsequenzen von Hollandes Wahlsieg, zu dem die Linksfront entscheidend beigetragen hat, sind noch nicht zu übersehen. Wie ernst zu nehmen seine im Wahlkampf abgegeben Versprechen sind, wird zu testen sein. Ziel des Front de Gauche ist jedenfalls, den Fiskalpakt in Frage zu stellen und gleichzeitig in Frankreich und europaweit zu mobilisieren.