Die Vergangenheit Europas korrekt erinnern

Aus Anlass der Resolution „Die Bedeutung des europäischen Gedenkens für die Zukunft Europas“, die am 19. September mit großer Mehrheit vom Europäischen Parlament angenommen wurde – geschlossen abgelehnt einzig durch die GUE/NGL – verfasste der Vorstand von transform! europe den folgenden offenen Brief.

Durch die Annahme dieser Resolution hat das Europäische Parlament ein falsches politisches und kulturelles Zeichen gesetzt. Sie muss daher entschieden abgelehnt werden.

Erstens ist es nicht die Aufgabe einer institutionellen oder politischen Organisation, mittels Mehrheitsentscheidung eine bestimmte Lesart der Geschichte festzuschreiben. Die Instrumentalisierung durch das Dekretieren einer revisionistischen Interpretation der wichtigsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts kann nicht die Methode einer ehrlichen Demokratie sein. Wenn die bisherige Interpretation dieser Ereignisse überarbeitet werden soll, so kann dies nur nach wissenschaftlicher Forschung und einer breiten Debatte in der Gesellschaft geschehen.

Zweitens enthält die Resolution inakzeptable Fehler, einseitige Sichtweisen und Verzerrungen. So die Behauptung, es sei der Molotow-Ribbentrop-Pakt zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjetunion vom 23. August 1939 gewesen, der den Weg zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs geebnet habe. Diese Behauptung klammert aus, dass es die liberalen westlichen Demokratien waren, die durch ihr Verhalten die Nazi-Expansion erlaubten, so bei der Invasion Äthiopiens (1935), dem Spanischen Bürgerkrieg, in dem Deutschland und Italien den rechtsextremen Staatsstreich des General Franco unterstützten (1936), dem „Anschluss“ Österreichs (1938) und der Politik des Appeasement in München, die die Zerstörung und Zerstückelung der Tschechoslowakei, nicht nur durch Deutschland, sondern auch durch Polen und Ungarn zur Folge hatte.

Darüber hinaus wird in der Resolution der enorme Anteil der Sowjetunion (mit mehr als 20 Millionen Toten) am Sieg über den Nationalsozialismus, der für das Schicksal Europas und der Menschheit maßgeblich war, verschwiegen, ebenso wie der Beitrag derjenigen Menschen, die für die Ideale und unter den Symbolen der unterschiedlichen Strömungen der internationalen kommunistischen Bewegung Hitler und seine Helfer_innen in Europa und überall auf der Welt und bekämpft haben. Die Resolution „vergisst" Altiero Spinelli, italienischer kommunistischer und politischer Gefangener zwischen 1927 und 1943, Mitautor des Manifests von Ventotene, der als einer der Gründerväter der europäischen Integration als Namensgeber eines Gebäudes des Europäischen Parlaments geehrt wird.

Die Resolution bringt zustande, Auschwitz zu nennen, ohne zu erwähnen, dass es die Sowjetarmee war, die es befreite und die zur Vernichtung bestimmten Häftlinge rettete.

Bewusst unterschlagen wird, dass in vielen Ländern, Italien, Frankreich, Jugoslawien, Griechenland und anderen, die Kommunist_innen die Hauptkomponente des Widerstandes gegen Nationalsozialismus und Faschismus bildeten und einen wesentlichen Beitrag zur Wiedergeburt der Demokratien ihrer Länder leisteten, womit die politischen, gewerkschaftlichen, kulturellen und religiösen Freiheiten wiederhergestellt wurden.

Diese Tatsachen in Erinnerung zu bringen, bedeutet nicht, die schändlichen Aspekte des Stalinismus, die Fehler und Schrecken, die in seinem Namen verübt wurden, zu ignorieren oder zu verschweigen. Doch es bleibt ein fundamentaler Unterschied bestehen: Der Nationalsozialismus verwirklichte durch seine schonungslose Diktatur, die jegliche Demokratie, Freiheit, ja Mitmenschlichkeit außer Kraft setzte, und die Ausrottung religiöser, ethnischer und sexueller Minderheiten plante, seine offen deklarierten Ziele, während die kommunistischen Regierungen, die sich schwerwiegender und unannehmbarer Verletzungen der Freiheit und der Demokratie schuldig machten, damit ihre eigenen Ideale, Werte und Versprechungen verrieten. Das wirft ernste Fragen auf, die weitere Untersuchung und Überlegung erfordern – aber angesichts des Beitrags, den die Widerstandskämpfer_innen und die UdSSR zum Sieg über den Faschismus geleistet haben, ist die Gleichsetzung von Nazismus und Kommunismus, die Hauptaussage der Resolution, genauso unzulässig wie es, angesichts der Vielfalt seiner unterschiedlichen Strömungen, ist, den Kommunismus mit dem Stalinismus zu identifizieren.

Solche Verfälschungen und Auslassungen können niemals Grundlage für ein "gemeinsames Gedächtnis", noch weniger einen gemeinsamen Lehrplan für die Geschichte in Schulen bilden, wie der Antrag empfiehlt. Sie können auch nicht die Plattform für einen europäischen Gedenktag für die Opfer totalitärer Regime abgeben. Noch weniger dürfen sie die Rechtfertigung für die Entfernung von Denkmälern und Erinnerungsstätten im Namen des Kampfes gegen einen unbestimmten Totalitarismus sein, der in der Realität einen Vorwand abgibt, die eindeutigen Lehren der Geschichte auszuradieren und die Erinnerung an diejenigen auszulöschen, die sich für den Sieg über den Faschismus aufopferten.

Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Resolution des Europaparlaments im Bemühen, ihre Stoßrichtung auszugleichen, einige unvermeidliche Gesten setzt, wie, dass sie sich für einen Kampf gegen das Wiederaufleben des Faschismus, des Rassismus, der Fremdenfeindlichkeit und anderer Formen der Intoleranz ausspricht. Aber dieser notwendige Aufruf zum Kampf gegen Faschismus und Rassismus kann nicht von einer Verdrehung und Verfälschung der Geschichte ausgehen und darauf zielen, die Wurzel einer fundamentalen Kraft des Antifaschismus, die Kommunist_innen, abzutrennen. Die Völker Europas dürfen das nicht zulassen.

Unterzeichner_innen

Last name Name Institution Country
Baier Walter Political Coordinator transform! europe AT
Edlinger Fritz   AT
Mugrauer Manfred Alfred Klahr Society AT
Nikolic Alexander BOEM*.AT AT
Artinian Arto  member of the Institute for Critical Theories of Supermodernity; Borough of Manhattan Community College – City University of New York BG / USA
Deyanov Deyan Institute for Critical Theories of Supermodernity, Sofia BG
Deyanova Liliana Sofia University St. Kliment Ohridski BG
Tsoneva Jana Centre for Collective Intervention, Sofia BG
Arsenijević Damir University of Tuzla BiH
Grigorov Emil Laval Universtiy Quebec CA
Birač Dimitrije     CRO
Čakardić  Ankica  University of Zagreb CRO
Đurašković Stevo University of Zagreb CRO
Horvatinčić Sanja University of Zagreb CRO
Hromadžić Hajrudin  University of Rijeka CRO
Gužvica Stefan University of Regensburg, Germany CRO/SRB
Jović Dejan University of Zagreb, former Croatian President advisor CRO
Kapović Mate University of Zagreb CRO
Klasić Hrvoje  University of Zagreb CRO
Mikulić Borislav  University of Zagreb CRO
Peović Katarina University of Rijeka CRO
Hudeček Jiří Charles University of Prague CZ
Keller Jan former MEP SD; University of Ostrava CZ
Švihlíková  Ilona    CZ
Bidet Jacques philosopher; University of Paris-Nanterre FR
De Cock Laurence historian FR
Larrère Mathilde historian; University of Parix XIII FR
Laurent Pierre senior Secretary General of the French Communist Party (PCF) FR
Le Hyaric Patrick Chairman of the board and Director of L’Humanité FR
Martelli Roger historian and Director of Regards FR
Popovic Milica Sciences Po Paris FR
Sève Lucien philosopher FR
Wurtz Francis senior Chairman of the group of the European United Left – Nordic Green Left (GUE/NGL) FR
Azzellini Dario Cornell University GER/USA
Buden Boris  Bauhaus University, Weimar GER
Dahn Daniela writer GER
Demirović Alex University of Frankfurt GER
Deppe Frank University of Marburg GER
Dörre Klaus University of Jena GER
Ernst Cornelia MEP, Party of the European Left GER
Gysi Gregor President of the Party of the European Left GER
Kessler Mario University of Potsdam GER
Rilling Rainer University of Marburg GER
Wolf Frieder Otto Free University of Berlin GER
Athanasiou Athina Panteion University of Athens GR
Benveniste Rika University of Thessaly GR
Douzinas Costas Director Birkbeck Institute for the Humanities, Birkbeck University GR / UK
Golemis Haris Scientific and Strategic Advisor of transform! europe GR
Karpozilos Kostis Director Contemporary Social History Archives (ASKI) GR
Spourdalakis Michalis Dean School of Economics & Politics, National and Kapodistrian University of Athens GR
Vaiou Dina National Technical University of Athens  GR
Krausz  Tamás Eötvös Loránd University Budapest HU
Artner Annamaria Academy of Sciences HU
Tamás Gáspár Miklós Central European University Budapest/Vienna HU / AT
Tóth Karoly Central European University Budapest HU
Acerbo Maurizio Secretary Partito della Rifondazione Comunista IT
Abramo Cinzia University of Perugia IT
Attardi Giuseppe University of Pisa IT
Attardo Elda University of Milano IT
Bertinotti  Fausto  former President of the Italian parliament IT
Boscaino  Marina    IT
Carella Donata Maria University of Rome IT
Castellina  Luciana  journalist, former MP and MEP IT
Ciofi  Paolo  Honorary President of Futura Umanitá. Associazione per la Storia e la Memoria of the Italian Communist Party (PCI) IT
Collotti Enzo  historian IT
Conti  Davide  historian IT
Cutrufelli Rosa Maria author IT
Di Luzio Flavia University of Bologna IT
Di Quarto Francesco University of Palermo IT
Falà Leila University of Bologna IT
Favilli  Paolo    IT
Ferrara  Gianni  former MP IT
Ferrero  Paolo  Vice President of the Party of the European Left IT
Forenza  Eleonora  former MEP IT
Fratoianni  Nicola  MP and Secretary of Sinistra Italiana IT
Gagliasso Elena University of Rome IT
Gianni  Alfonso  former MP IT
Lavenia Vincenzo University of Bologna IT
Levi Giovanni University of Venezia IT
Licausi Luciano University of Siena IT
Liguori Guido  University of Calabria, President of the International Gramsci Society IT
Mariani Giorgio University of Rome IT
Maselli  Citto  film director IT
Melandri  Lea    IT
Menapace  Lidia  former Senator and member of the Italian resistance IT
Mencarelli Fabio University of Pisa IT
Micheli Maria Rita University of Perugia IT
Mincer Aleksander (Olek) University of Genova IT
Modonesi  Massimo  Universidad Nacional Autónoma de Mexico IT
Mordenti Raul University of Rome IT
Morea Roberto board member of transform! europe IT
Musacchio  Roberto  former GUE/NGL MEP IT
Napoletano  Pasqualina  former GUE/NGL MEP IT
Natoli Claudio University of Cagliari IT
Okić Tijana  University of Pisa IT
Petrella  Riccardo  economist and political scientist IT
Pomeranzi  Bianca    IT
Previtali Franco University of Milano IT
Punzo Luigi University of Cassino IT
Quercioli Mincer Laura University of Genova IT
Rinaldi  Rosa  National Secretary Partito della Rifondazione Comunista IT
Riolo Claudio University of Palermo IT
Rodano  Giulia  former regional councilor  IT
Romitelli Valerio University of Bologna IT
Ruggieri Franca University of Rome III IT
Rui Marina University of Geneve IT
Sampaolo Giovanni University of Rome IT
Soliani Riccardo University of Geneve IT
Spagnolo Luigi University of Siena IT
Spinnler Hans University of Milano IT
Suvin Darko  McGill University  IT
Tortorella  Aldo  Honorary President Associazione per il Rinnovamento della Sinistra IT
Violante Francesco University of Foggia IT
Vitiello Ondina University of Padova IT
Voza  Pasquale University Aldo Moro, Bari IT
Zunino Franco Associazione Ricreativa Culturale Italiana (Arci), Associazione Nazionale di Amicizia Italia-Cuba IT
Kolozova Katerina Institute for Social Sciences and Humanities, Skopje NMK
Cardina Miguel Researcher at the Centre for Social Studies (CES), University of Coimbra PT
de Sousa Santos Boaventura sociologist, Emeritus Professor at Economy Faculty and Emeritus Director of the Centre for Social Studies (CES), University of Coimbra; Distinguished Legal Scholar at the University of Wisconsin-Madison; Global Legal Scholar at the University of Warwick PT
Flunser Pimentel Irene historian and researcher at the Institute of Contemporary History (IHC), Universidade Nova de Lisboa PT
Loff Manuel historian, Professor at the Department of History and Political Studies, University of Porto PT
Breznik Maja University of Ljubljana and Peace Institute SLO
Kirn Gal University of Dresden SLO/GER
Kržan Marko Institute for Workers‘ Studies SLO
Mesec Luka party coordinator Levica SLO
Močnik Rastko University of Ljubljana SLO
Piškur Bojana Modern Galery, Ljubljana SLO
Tomić  Violeta party coordinator Levica SLO
Vrečko Asta University of Ljubljana SLO
Alonso Montero Xesús former President of the Royal Galician Academy, University of Santiago SP
Andrade Blanco Juan Universidad de Extremadura (Extremadura University) SP
Aragón Mariano Associació Catalana D’Investigacions Marxistes  SP
Barrio Alonso  Ángeles Profesor of Contemporary History, University of Cantabria SP
Bueno Lluch Manuel Trabajador Del Archivo Histórico De Ccoo De Andalucía, Excoordinador Sección De Historia Fim SP
del Arco Blanco  Miguel Ángel Profesor Titular de Historia Contemporánea, Universidad de Granada SP
Duarte Montserrat Ángel Profesor of Contemporary History, University of Córdoba SP
Erice Sebares Francisco Profesor of Contemporary History, University of Oviedo SP
Ferrer González Cristian Profesor of Contemporary History, Autonomous University of Barcelona SP
Gallego Margaleff Ferran Professor of Contemporary History, Autonomous University of Barcelona SP
Gálvez Biesca Sergio archivero, doctor en historia, Madrid  SP
García Carmen University of Oviedo SP
Ginard I Feron David Profesor Titular De Historia Contemporánea, Universitat de les Illes Baleares SP
Gómez Alén José Catedrático Jubilado De Historia De Enseñanza Media SP
Hernández Sánchez Fernando Profesor of Contemporary History, Universidad Autónoma de Madrid SP
Hernández Sandoica Elena Profesor of Contemporary History, Complutense University of Madrid SP
Hinojosa Durán José Profesor De Historia De Enseñanza Media, Doctor En Historia, Extremadura SP
López López Pedro Profesor of Contemporary History, Complutense University of Madrid SP
Mainer Baqué Juan Catedrático Jubilado, Coordinador De La Federación Icaria SP
Molinero Carme Profesor of Contemporary History, Autonomous University of Barcelona SP
Núñez Díaz-Balart Mirta Profesor of History of Social Communication, Complutense University of Madrid SP
Puig Valverdú Guillem Profesor de Historia Contemporánea, Universitat Rovira i Virgili SP
Martín Ramos Josep Lluís  Professor of Contemporary History, Autonomous University of Barcelona SP
Robledo Hernández  Ricardo Professor of Contemporary History, University of Salamanca/ Pompeu Fabra University SP
San Francisco  Matilde Eiroa Profesor Titular de Historia Contemporánea, Universidad Carlos III de Madrid SP
Sánchez Pérez  Francisco Profesor Titular de Historia Contemporánea, Universidad Carlos III de Madrid SP
Santidrián Arias Víctor Profesor De Historia De Enseñanza Media, Doctor En Historia, Galicia SP
Sanz Hoya Julián Professor of Contemporary History, University of Valencia SP
Saz Ismael Professor of Contemporary History, University of Valencia SP
Suárez Cortina Manuel Professor of Contemporary History, University of Cantabria SP
Vadillo Muñoz Julián Profesor De Historia Contemporánea, Universidad Carlos III SP
Vega Sombría Santiago Profesor De Historia Contemporánea, Complutense Universidad of Madrid SP
Viñas Martín Ángel  Catedrático Jubilado De Economía Aplicada Y De Historia Contemporánea, Complutense Universidad de Madrid SP
Ysàs Solanes  Pere Professor of Contemporary History, Autonomous University of Barcelona SP
Bakić Jovo  University of Belgrade SRB
Balunović Filip faculty for Media and Communication, University of Belgrade SRB
Kuljić Todor University of Belgrade SRB
Manojlović Pintar Olga historian at the Institute for Recent History of Serbia, President of the Reconstruction Women’s Fund Managing Board SRB
Matković Aleksandar Regional Science Center, Novi Sad and University of Belgrade SRB
Pantić Rade faculty of Media and Communication, Singidunum University, Belgrade SRB
Samardžić Miroslav Zrenjanin Social Forum SRB
Štiks Igor faculty for Media and Communication, Belgrad SRB
Fraser Nancy New School NYC USA