„Die Linke bleibt fest vereint in ihrem Ziel, ein Europa zu schaffen, das sich für die Menschen und den Planeten einsetzt!“

Photo: Martin Schirdewan speaks at the 7th Congress of the European Left

Das betonte Martin Schirdewan, Ko-Vorsitzender der Partei DIE LINKE sowie Ko-Vorsitzender der Linksfraktion im Europäischen Parlament, in seiner Rede am 7. Parteitag der Europäischen Linken (EL) in Wien im Dezember 2022. Seine vollständige Rede kann hier nagelesen werden.

Liebe Freund:innen und Genoss:innen, es ist mir eine große Freude, heute nach drei langen Jahren hier bei euch sein zu dürfen. Es ist schön, dass wir uns hier in Wien wiedersehen. Vieles hat sich in Europa in der Zwischenzeit geändert. Ich bin nicht nur hier, um euch die Grüße der Linksfraktion im EP zu überbringen, sondern auch, um von unseren politischen Kämpfen und Errungenschaften zu berichten.

Die Pandemie und die Privatisierung des Gesundheitssystems

Die Covid-19-Pandemie demonstrierte auf radikale Weise, wie sich Jahrzehnte der Austeritäts- und Privatisierungspolitik auf die Fähigkeit unserer Gesundheitssysteme, eine Pandemie zu bewältigen, in allen Mitgliedsstaaten ausgewirkt haben: Tausende vermeidbare Todesfälle in ganz Europa sind das Ergebnis. Gleichzeitig zeigten sich Kapitalismus und Korruption in ihren gierigsten Ausformungen.

Unternehmen und Regierungen in ganz Europa gingen in der Beschaffung von Masken und Impfdosen dubiose Deals ein. Ich freue mich, dass einer unserer Kolleg:innen heute hier bei uns in Wien ist; Marc Botenga aus Belgien. Er leistete bei diesem Thema Pionierarbeit und setzte sich für die Veröffentlichung dieser Verträge ein. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula Von der Leyen, hat noch viele Fragen zum Vertrag mit Pfizer zu beantworten. Für Europa, Europäer:innen und die Europäische Linke gab es nur eine kurze Verschnaufpause. Denn nun haben wir es mit einer Energiekrise von nie dagewesenem Ausmaß zu tun, dem höchsten Inflationsanstieg seit Jahrzehnten, einer starken extremen Rechten und einem Krieg vor unserer Haustür.

Die Konservativen brechen den Cordon Sanitaire gegen die extreme Rechte

Es besteht wenig Zweifel, dass die extreme Rechte in Europa im Vormarsch ist. In den italienischen Parlamentswahlen erreichte die extreme Rechte 44% der Stimmen und konnte somit eine Rechtsregierung stellen, die von Giorgia Meloni geführt wird.

Die neue schwedische Regierung baut auf einem Bündnis mit der Neonazi-Partei Die Schwedendemokraten auf, was illustriert, wie schnell die Konservativen dazu bereit sind, sich mit Faschist:innen zusammenzutun.

Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind seit Jahren auf dem Rückzug. In Ungarn greift Viktor Orbán schamlos die Rechte der arbeitenden Bevölkerung, der Frauen und Minderheiten an. Sein System baut auf Korruption, Unterdrückung der freien Medien und der Zivilgesellschaft auf.

Wenig überraschend ist, dass die Menschen, die ich gerade genannt habe, eng mit anderen Populist:innen wie Morawiecki aus Polen im Europäischen Rat zusammenarbeiten und etwa dringend benötigte Hilfsleistungen an die Ukraine oder die Einführung eines Mindeststeuersatzes für Unternehmen blockieren.

Die extreme Rechte – halten wir uns das klar und deutlich vor Augen – ist in Europa bestens vernetzt. Wir können es nicht zulassen, dass sie die EU in Geiselhaft nimmt. Solange es eine linke Fraktion im EU-Parlament gibt, kann ich euch mit Sicherheit sagen, dass wir ihnen stets ein „No Pasarán“ entgegenhalten werden!

Die Linke ist die einzige politische Kraft mit praktischen Antworten auf die Energiekrise

Die Energiekrise hat die Bürger:innen hart getroffen; teilweise sind die Strom- und Gasrechnungen auf das Vierfache angestiegen. Die Bürger:innen sind völlig verzweifelt. Für viele von ihnen bedeutet das, dass sie sich gegen Monatsende entscheiden müssen, ob sie ihre Wohnung heizen oder Essen kaufen – und das ist untragbar! In Zeiten, in denen Menschen leiden, machen Öl- und Gasunternehmen wie Shell Profite in Rekordhöhe. Wir müssen diese Zufallsgewinne besteuern; wir wollen den Unternehmen dieses Geld abnehmen und den Menschen geben, die es brauchen.

Zufallsgewinnsteuer und einen öffentlichen Energiesektor

Eine Zeit lang waren wir mit dieser Forderung im Europaparlament allein. Zu Beginn der Energiekrise waren die rechte Mitte und die extreme Recht noch damit beschäftigt, der Energiewende die Schuld an den hohen Kosten zu geben.

Die Sozialdemokrat:innen und die Grünen gaben dem mangelhaften Ausbau der erneuerbaren Energiequellen die Schuld. Wir jedoch setzten uns für eine grundlegende Reform des Energiemarktes ein. Seit mehr als einem Jahr fordern wir gemeinsam mit der Europäischen Linkspartei eine Gaspreisdeckelung und eine Zufallsgewinnsteuer und verlangen, dass der Energiesektor wieder unter staatliche Kontrolle gestellt wird. Immer und immer wieder haben wir in Plenarsitzungen und in Nachrichtensendungen unsere Forderungen dargelegt.

Der Energiemarkt braucht ein neues Konzept

Im August 2022 konnte es Ursula Von der Leyen nicht länger leugnen: Sie gab zu, was wir alle schon lange sagten: „Der Energiemarkt ist seinen Anforderungen nicht gewachsen“. Nun wird die Europäische Kommission eine Reform des Energiemarktkonzepts präsentieren. Wir werden jeden Schritt genau beobachten, damit die Menschen in Europa nicht an der Nase herumgeführt werden. Wir werden erst zufrieden sein, wenn wir einen Strukturwandel erreicht haben – und für uns bedeutet das, dass niemand unter Energiearmut leidet und dass wir den Energiesektor unter öffentliche Kontrolle stellen.

Die EU folgt der Forderung der Linksfraktion: Raus aus dem Vertrag über die Energiecharta

Ich bin stolz, dass es uns gelungen ist, der Kommission einen weiteren Schlag zu versetzen, der wahrscheinlich ziemlich schmerzhaft war. Wir können es als unseren Erfolg verbuchen, die EU dazu gebracht zu haben, aus dem Vertrag über die Energiecharta auszusteigen. Dieser Vertrag schützt die Interessen der fossilen Brennstoffunternehmen in einer heutigen Welt, die mit den Folgen des Klimawandels kämpft. Das Europaparlament stimmte kürzlich mit überragender Mehrheit für diesen Ausstieg. Wir im Europaparlament forderten dies schon seit geraumer Zeit. Ohne die Unterstützung des Europäischen Rates oder des Europaparlaments hat die Kommission nun keine andere Wahl, als sich für einen koordinierten Ausstieg einzusetzen. Das sind wirklich gute Neuigkeiten für die Energiewende und den Klimaschutz.

 Diese Herausforderungen, der Aufstieg der extremen Rechten, die Energiekrise, die Krise der steigenden Lebenskosten und der Klimawandel zeigen uns eines ganz deutlich: Eine starke Linke in Europa ist notweniger denn je. Nur wenn wir zusammenhalten, werden wir Erfolg haben. Ich habe nur einige wenige Beispiele genannt.

Keine Toleranz für Menschenrechtsverletzungen durch Frontex

Wir haben uns jahrelang dafür eingesetzt, Frontex für ihre Menschenrechtsverletzungen an den EU-Grenzen vor dem Europaparlament zur Verantwortung zu ziehen. Vor drei Monaten sperrte das Parlament erstmals die Ausschüttung des Frontex-Budgets. Ein historisches Ereignis. Diese Diskussion sendet die klare Botschaft, dass wir keine weiteren Menschenrechtsverletzungen durch Frontex tolerieren.

Ride Hailing Plattformarbeiter:innen brauchen gute Jobs

Wir waren auch die ersten, die Ride Hailing (Personenbeförderungen durch Apps) Plattformarbeiter:innen im Parlament eine Stimme gegeben haben. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Arbeiter:innen, die bisher außer Acht gelassen worden war. Wir machten unzählige Male im Plenum auf die schweren Lebens- und beruflichen Umstände der Plattformarbeiter:innen aufmerksam. Schließlich präsentierte die Kommission auf Druck der linken Fraktion im EP hin erstmals eine Richtlinie zu Plattformarbeiter:innen.

Wir können diese Siege für uns verbuchen

Liebe Genoss:innen, liebe Freund:innen, wir können diese Siege für uns verbuchen. Wir können diese Siege verbuchen, weil uns weiterhin das Ziel eint, ein Europa zu schaffen, das sich für die Menschen und den Planeten einsetzt. Wir stehen auf für die Arbeiter:innen, die Minderheiten, LGBTQI+-Menschen und gemeinsam bekämpfen wir den Neoliberalismus, Faschismus und den Klimawandel. Es besteht kein Zweifel, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben. Aber machen wir uns an die Arbeit und schaffen wir das gemeinsam.

Danke noch einmal, dass ihr Manon (Aubry) und mich eingeladen habt. Ich freue mich auf den Austausch mit euch und darauf, neue Wege der Zusammenarbeit zu finden, um ein besseres Europa zu schaffen.

Vielen Dank.