Islands „anderer“ Weg: Was würde ohne Rettungsschirm passieren?

Die Ökonomin und ehemalige isländische Parlamentsabgeordnete präsentierte in ihrem Vortrag eine Reihe von Argumenten, warum der „isländische Weg“ – mit all seinen Vor- und Nachteilen – eine Alternative zum neoliberalen Krisenmanagement aufzeigen kann.

Der Vortrag wurde von Maria Karamesini, Professorin für Wirtschaft an der Panteion Universität und Mitarbeiterin des Sekretariats des Nicos Poulantzas Instituts, eingeleitet. Zunächst illustrierte sie den akademischen Werdegang der Vortragenden, die bis 2008 Wirtschaft an der Bifrost Verwaltungsschule in Island unterrichtet hatte und im Anschluss als Forschungsvorstand an der isländischen Universität tätig war.
Obwohl sie vor der Krise keine politische Aktivistin war, wurde Lilja Mósesdóttir 2009 als Vertreterin der linksgrünen Bewegung ins Parlament gewählt, wo ihre Fraktion die erste linksgerichtete Koalition Islands mit den Sozialdemokrat_innen einging. Bald darauf hat sie die linksgrüne Bewegung jedoch verlassen, weil sie nicht mit deren Haltung hinsichtlich ausländischer Gläubiger_innen zufrieden war – sie hätte sich mehr Bestimmtheit und weniger Verhandlungen gewünscht. Während ihrer Amtszeit als Parlamentarierin war sie Vorsitzende jenes Parlamentsausschusses, der mit der Regulierung des isländischen Finanzsystems nach dem Zusammenbruch betraut war. Sie war auch Vorsitzende des Sozialausschusses und hat im Jahr 2010 als Vizepräsidentin des Europarates fungiert. Lilja Mósesdóttirs politische Aktivitäten sind eng mit den bedeutendsten Aspekten der isländischen Krise verschränkt, von der Icesave-Affäre über die internationalen Schuldenverhandlungen und die Regulierung der Haushaltsschulden bis hin zum wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung.
Zu Beginn ihres Vortrages hat Lilja Mósesdóttir brachte die Solidarität der isländischen Bevölkerung mit den Menschen in Griechenland zum Ausdruck, die sie auch dazu motiviert hatte, Griechenland zu besuchen und die Erfahrungen ihres Landes mit der Krise zu teilen.
Sie wies darauf hin, wie wichtig es ist, den isländischen Weg aus der Krise zu analysieren. Dieser beruht insbesondere auf der Weigerung, die sozial Schwachen für die Krise bezahlen zu lassen, und setzte stattdessen auf Massenmobilisierungen und Einkommensumverteilung zugunsten von Niedrigverdiener_innen.
Nach dem Ausbruch der Krise 2008 war Island gezwungen, die Icesave-Affäre zu regeln, also den Schadensersatzforderungen der ausländischen Kontoinhaber (hauptsächlich britische und niederländische) der bankrott gegangenen Landesbank nachzukommen. Dies hätte jedoch zu einer dramatischen Wertminderung der öffentlichen Finanzen und folglich einer Ausweitung der Staatsschulden auf Kosten der isländischen Steuerzahler_innen geführt. Die Bürger_innen haben diese Perspektive abgelehnt, indem sie sich zweimal gegen die vorgeschlagenen Verhandlungen mit den ausländischen Gläubiger_innen aussprachen. Großbritannien konterte sofort mit der Anwendung des Anti-Terror-Gesetzes, um Kontrolle über die Finanzbestände der Bank zu gewinnen. Großbritannien und die Niederlande haben ihre internationale Machtposition ausgenutzt, um jenen Druck auf Island aufzubauen, der folglich zum Zusammenbruch sämtlicher Transaktionen des Landes mit der EU und den USA geführt hat. Auch die Darlehen des IWF haben sich dadurch kontinuierlich verzögert und es entstand ein Unwille bei den ‚freundlich gesinnten‘ nordischen Ländern, Island wirtschaftlich beizustehen.
Trotz dieser ungünstigen internationalen Situation hat Island einen anderen Weg eingeschlagen, um die Bankenkrise in den Griff zu bekommen. Es wurde entschieden, die alten Pleite-Banken von den restlichen loszulösen und sämtliche Finanzmittel – etwa inländische Kredite und Spareinlagen – in den neuen Banken aufgehen zu lassen. Island hat bis dato auch seine Verhandlungen mit dem IWF fortgesetzt, um zu einer Übereinkunft hinsichtlich einer reibungslosen Finanzverwaltung zu kommen.
Darüber hinaus hatte es sich die linke Regierung zum Ziel gesetzt, einen Weg aus der Krise zu finden, der gleichzeitig Islands Wirtschaft Aufschwung verleiht und den Wohlstand gleichmäßiger verteilt. Nachdem Island mit einem starken Abfall des BIP konfrontiert war, schaffte es die Regierung, wieder positive Wachstumsraten zu produzieren – hierfür wurde der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Aktivität vom Finanzsektor in den Tourismus- und Fischereisektor verlagert. Bei gleichzeitiger Reduktion der Arbeitszeit schaffte sie es auch, die Arbeitslosigkeit von 9% (2009) auf 5% (2012) zu senken. Parallel dazu hat die Regierung Maßnahmen ergriffen, um die Schuldenlast der Krise gerecht zwischen den sozialen Klassen aufzuteilen. Durch Änderungen im Steuersystem, durch die Großverdiener_innen stärker belastet wurden, wurde es der linken Regierung möglich, auch andere Maßnahmen zur Entlastung der ärmeren Schichten zu ergreifen: So konnte etwa die Armut gesenkt werden, schwer verschuldete Haushalte wurden entlastet, Arbeitslosenbeihilfe gibt es nunmehr für vier anstatt wie bislang nur für drei Jahre, und Teilzeitarbeitnehmer_innen werden mit Zuschüssen unterstützt.
Laut Lilja Mósesdóttir ist Island aber trotz aller Umverteilungs- und Entwicklungsinitiativen der linken Regierung noch nicht aus dem Schneider. Das Land steht nach wie vor in Verhandlungen mit den ausländischen Gläubiger_innen und sieht sich mit mehreren wirtschaftspolitischen Herausforderungen konfrontiert, etwa der Kontrolle des Kapitalflusses mit Blick auf die Inflation, dem Schuldenerlass der Haushalte und der Stärkung des Wirtschaftswachstums. Darüber hinaus hat Island seine 2008 begonnene politische Instabilität noch immer nicht überwunden. Viele Bürger_innen sind der Meinung, dass die Regierung bezüglich der Forderungen der ausländischen Gläubiger_innen zu nachgiebig ist – eine Ansicht, die Lilja Mósesdóttir teilte, als sie die Linksgrünen verlassen hat. Außerdem zeigt sich die Mittelklasse unzufrieden, da sie ihrer Meinung nach eine unverhältnismäßig hohe Steuerlast auf sich nehmen musste. Diese Punkte könnten den Zusammenbruch der linken Regierung sowie den sich abzeichnenden Sieg der Zentrumsparteien in den anstehenden Wahlen erklären.
Zum Schluss ihres Vortrags hat Lilja Mósesdóttir einmal mehr darauf hingewiesen, dass der isländische Weg mit all seinen Vor- und Nachteilen eine Alternative zum neoliberalen Krisenmanagement aufzeigen kann. Ein genauerer Blick auf die isländische Alternative könnte für all jene hilfreich sein, die einen Weg aus der Krise abseits von gnadenlosen neoliberalen Kürzungen suchen.

Das Video des Vortrags findet sich auf der Website des Nicos Poulantzas Instituts und rechts unter Multimedia.