Spanien verpasst Versammlungsfreiheit einen Maulkorb und verschärft Asylrecht

Trotz heftigen Widerstands seitens der Zivilgesellschaft, aller Oppositionsparteien, der spanischen Öffentlichkeit sowie harscher Kritik durch die Vereinten Nationen und den Europarat wurde am 26. März in Spanien das Grundgesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit verabschiedet. Dieses Datum wird von vielen als schwarzer Tag für die Demokratie erachtet.

Das Euro-Mediterrane Netzwerk für Menschenrechte (EMHRN), die Weltorganisation gegen Folter (OMCT), die Internationale Liga für Menschrechte (FIDH), die Europäische Vereinigung zum Schutz der Menschenrechte (AEDH) und ihre Mitgliedsorganisationen verurteilen das Gesetz, das treffend als „Maulkorbgesetz“ bezeichnet wurde, streng. Sie äußerten ernste Bedenken über die zunehmende Beschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Spanien.
Unter dem Vorwand,  öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, führt das „Maulkorbgesetz“ zum Teil sehr strenge Verwaltungssanktionen ein, die Bürger_innen davon abhalten sollen, ihre Anliegen in der Öffentlichkeit durch Demonstrationen auszudrücken. Das Gesetz kriminalisiert neue Formen kollektiver Aktionen, die im Laufe der vergangenen Jahre entstanden sind. Dies beinhaltet sogenannte „escraches“ (Demonstrationen, die auf öffentliche Denunziation abzielen), Sit-Ins, Besetzungen von öffentlichem Raum („occupying“), friedliches „Umstellen“ von Parlamenten sowie „Pfannen- und Topfkonzerte“.
Das Grundgesetz für den Schutz der Öffentlichen Sicherheit sieht Geldstrafen für das Organisieren unangekündigter öffentlicher Versammlungen und Demonstrationen vor, was spontane Treffen ungeachtet ihres friedlichen Charakters unmöglich macht. Sogar friedliche Versammlungen in der Nähe des Kongresses, des Senats oder der Gesetzgebenden Versammlungen der Autonomen Regionen können als „schweres Vergehen“ geahndet werden, das mit bis zu 30.000 Euro bestraft werden kann. Die Verbreitung von Bildern von Polizeibeamt_innen und staatlichen Sicherheitskräften wird ebenso als „schweres Vergehen“ erachtet, wodurch die Dokumentation von Polizeiübergriffen verhindert und das Klima der Straflosigkeit verstärkt werden könnte.
Das Gesetz festigt auch die Praxis kollektiver Ausweisungen von Migrant_innen aus den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla nach Marokko, wodurch das Asylrecht eingeschränkt und das Prinzip der Nichtzurückweisung sowie das Verbot kollektiver Ausweisungen gebrochen wird. Es setzt Migrant_innen zudem einem ernstzunehmenden Risiko von Folter und Misshandlungen aus, weil ihnen die Möglichkeit verwehrt wird, in Fall eines Übergriffs eine Beschwerde gegen Sicherheitskräfte zu erheben.
Am 23. Feburar 2015 forderten fünf UN-Menschenrechtsexpert_innen Spanien dazu auf, das Grundgesetz über den Schutz der Öffentlichen Sicherheit zu verwerfen, da es „die Essenz des Versammlungsrechts verletzt, indem es ein weites Spektrum an Aktionen und Verhaltensweisen unter Strafe stellt, die für die Ausübung dieses Grundrechts entscheidend sind, und somit seine Ausübung massiv einschränkt“. Der Rat des Europäischen Kommissars für Menschenrechte, Nils Muiznieks, äußerte zudem Bedenken angesichts der Bedrohung, die das Gesetz für die Ausübung des Versammlungsrechts darstellt. Er erklärte, dass die im Entwurf vorgesehene Legalisierung der automatischen und kollektiven Ausweisungen von Migrant_innen, die in Ceuta und Melilla ankommen, vor dem Völkerrecht „ungerecht und illegal“ sei.
Unsere Organisationen fordern Spanien dazu auf, dieses Gesetz, das die Spanische Verfassung, internationale und europäische Menschenrechts- und Flüchtlingsgesetze verletzt, aufzuheben. Übereinstimmend mit unseren Forderungen, die wir in einem Brief an die Europäischen Kommissar_innen und die Mitglieder des Ausschusses des Europäischen Parlaments für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) schon zu einem früheren Zeitpunkt formuliert haben, rufen wir zudem die Institutionen der EU dazu auf, klare Position zu beziehen, um die Grundwerte der EU zu verteidigen und Handlungen zu setzen, die sicherstellen, dass diese in den EU-Mitgliedsstaaten nicht verletzt werden. Die Europäische Kommission hat als Hüterin der Verträge insbesondere die Einhaltung der Grundrechte und -freiheiten zu gewährleisten, die durch das EU-Recht, einschließlich der Europäischen Charta der Grundrechte, garantiert ist.
ACSUR-Las Segovias – Asociación para la Cooperación en el Sur
Asociación Pro Derechos Humanos de Andalucía (APDHA)
Asociación Pro Derechos Humanos de España (APDHE)
Euro-Mediterranean Human Rights Network (EMHRN)
European Association for the Defence of Human Rights (AEDH)
Federacíon de Asociaciones de Defensa y Promocíon de los Derechos Humanos
FIDH (International Federation for Human Rights)
Institut de Drets Humans de Catalunya (IDHC)
SODEPAU – Solidaritat, Desenvolupament i Pau
World Organisation Against Torture (OMCT)

31. März 2015


Lesen Sie hier über den ersten Hologrammprotest gegen Spaniens Maulkorbgesetz: “As we can’t protest as free citizens, we protest as free holograms.”