Das Abtreibungsgesetz in Spanien: Die Rückkehr des Franquismus

Der selbstbestimmte Schwangerschaftsabbruch ist ein Recht, das den Frauen in Spanien lange verweigert worden war. Bis auf einen kurzen Zeitraum während der zweiten spanischen Republik stellte die Abtreibung bis 2010 einen Straftatbestand dar. Nun droht sie erneut einer zu werden.

1985 wurde ein Schwangerschaftsabbruch bei drei Indikationen mit jeweils unterschiedlichen Fristen von der Bestrafung ausgenommen. Aber erst das derzeit geltende Gesetz aus dem Jahr 2010 erlaubte den freiwilligen Schwangerschaftsabbruch bis zur 14. Schwangerschaftswoche. Es sah unterschiedliche und längere Fristen für bestimmte Indikationen vor, die sich auf die Gesundheit der Mutter oder des Fötus bezogen. Dieses von der damals regierenden Sozialistenpartei PSOE auf den Weg gebrachte Gesetz anerkennt außerdem das Recht der Frauen zwischen 16 und 18 Jahren auf einen Abbruch ohne Einwilligung der Eltern. Auch wenn die Regelung von 2010 von der Frauenbewegung immer noch als unzureichend betrachtet wird, stieß sie doch bei der großen Mehrheit der Bevölkerung auf Zustimmung.
Gegen diese Regelung wurde seitens der Partido Popular eine Verfassungsklage eingereicht, über die bis heute noch nicht entschieden ist. Die spanische Bischofskonferenz, die Lebensschützerbewegung Pro-Vida und weitere Organisationen, etwa Foro español de la familia, lehnten das Gesetz entschieden ab und traten für eine so genannte „Nulltoleranz der Abtreibung“ (aborto cero) ein. Als Ergebnis der Fristenregelung von 2010 wurde übrigens kein Anstieg der Abtreibungen verzeichnet, sondern 2012 sank die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche im Vergleich zu 2011.
In ihrem Wahlprogramm, mit dem sie im November 2011 die Parlamentswahlen gewann, erklärte die Partido Popular ihren Willen zu einer Änderung des Abtreibungsgesetzes, ohne allerdings Einzelheiten zu nennen. Obwohl die Gesetzesreform bereits zu Beginn der Regierung Rajoy angekündigt worden war, hat Justizminister Gallardón bis zum Ablauf der ersten Hälfte der Legislaturperiode gewartet, um sie auf den Weg zu bringen. Der Gesetzesentwurf kriminalisiert die Abtreibung und sieht für das Personal, das den Abbruch ausführt, Gefängnisstrafen und Berufsverbot vor. Die Frauen sind dabei immer Opfer und unterstehen der Aufsicht der Ärzt_innen, Psycholog_innen, Richter_innen und Eltern, die dafür sorgen, dass sie – stigmatisiert und als unfähig erachtet, selbst über ihren Körper zu entscheiden – die „richtige Entscheidung treffen“.
Laut dem nach dem Justizminister benannten „Gallardón-Gesetz“ (Ley Gallardón) ist ein Schwangerschaftsabbruch nur noch in zwei Fällen straffrei: Bei großer Gefahr für das Leben oder die körperliche bzw. psychische Gesundheit der Schwangeren, vorausgesetzt, der Abbruch findet in den ersten 22 Schwangerschaftswochen statt und es liegt ein Gutachten von zwei unabhängigen Ärzt_innen vor. Diese dürfen nicht in der Klinik arbeiten, wo die Abtreibung vorgenommen wird. Nicht unter Strafe steht auch ein Abbruch im Falle von Vergewaltigung, wenn er in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen vorgenommen wird. Doch auch bei den genannten beiden Indikationen dürfen die Frauen nicht über ihren Körper entscheiden, sondern werden wie Minderjährige behandelt. Denn um ihre Entscheidung zu treffen, wird ihnen eine „Bedenkzeit“ von sieben Tagen abverlangt, nachdem sie „Informationen und Beratung“ erhalten haben. Flankiert wird diese an Nulltoleranz grenzende Abtreibungsregelung durch eine Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs mittels Verfahren und Fristen, die eine Abtreibung bei Minderjährigen unmöglich machen, und vom Recht auf Weigerung aus Gewissensgründen, das nicht nur für die Ärzt_innen, sondern für das gesamte an einer Abtreibung beteiligte Krankenhauspersonal gilt.
An der Härte dieser Regelung wurde vielfach Kritik geübt, nicht nur seitens der politischen und gesellschaftlichen Linken in Spanien und dem Ausland und seitens der ärztlichen Fachverbände, sondern auch vom rechten Lager und innerhalb der Partido Popular selbst, wo in einem innerparteilichen Streit alle Abweichler_innen mundtot gemacht werden sollen. Im europäischen Parlament hat die GUE/NGL eine Erklärung gegen diese Regelung verfasst, die von 295 Europaabgeordneten unterzeichnet wurde, während in Spanien die Parteien PSOE, IU, BNG, Amaiur und Nafarroa-Bai zusammen mit 200 Frauenrechtsverbänden eine Vereinbarung unterschrieben haben, in der die Reform des Abtreibungsgesetzes abgelehnt wird.
Würde diese Regelung verabschiedet, so wären die Folgen für die Rechte der Frauen verheerend. Es ist offensichtlich, dass dies ein Rückfall in die Zeiten der Diktatur wäre, sowohl was die Achtung der bürgerlichen Freiheiten als auch die Achtung des Rechts auf Gesundheit betrifft. So wird ein illegaler Schwangerschaftsabbruch – wir sollten nicht vergessen, dass vor der geltenden Fristenregelung im Jahr 2010 rund 113.000 Abtreibungen verzeichnet wurden – zum einzigen Ausweg. Dieser Weg ist vorgezeichnet von der Bedrohung für das Leben der Frauen der arbeitenden Klassen, die es sich nicht leisten können, in anderen Ländern abzutreiben.
Die Partido Popular und insbesondere ihr Minister Gallardón benutzen die Abtreibung, um zu verhindern, dass sie als Folge ihrer Verarmungspolitik und ihrer Politik gegen die Rechte der Mehrheit an Wählerschaft verlieren. Um eine Spaltung des rechten Lagers zu verhindern und von der politischen Debatte über die bestehenden sozio-ökonomischen Probleme und schwerwiegenden Korruptionsfälle in PP und Monarchie abzulenken, hat der Minister eine ultrarechte Offensive gestartet. Damit will er den extremen Teil der Wählerschaft binden und die Unterstützung der Kirche sichern, die erneut den Platz in der politischen Diskussion beansprucht, den Franco ihr einst eingeräumt hatte und von dem wir sie dreißig Jahre nach dem Ende der Diktatur trotz der „weltanschaulichen Neutralität“ des spanischen Staates noch immer nicht verdrängen konnten.
Doch einmal abgesehen von der rechtlichen Auseinandersetzung, der wahlkampforientierten politischen Aktualität und vor allem in Abgrenzung von der falschen christlichen Moral, die in der Diskussion vorherrscht und von der die spanische Rechte durchdrungen ist: Dies ist der Moment, das Thema auf der Achse einzuordnen, die zwischen Patriarchat, Herrschaft, und Frauenfeindlichkeit auf der einen Seite und der Selbstbestimmung über den eigenen Körper und der Anerkennung der Frau als freies und mündiges Individuum auf der anderen Seite verläuft. Die Verweigerung des Rechts auf Abtreibung wird erneut als Element der symbolischen Herrschaft über unsere Freiheit benutzt, als Mittel der Kastration und Bestrafung unserer Sexualität, als Zeichen für die Betrachtung der Frau als unmündiges Individuum, das Opfer oder unfähig ist. Die Kriminalisierung der Abtreibung bedeutet eine erneute Stigmatisierung und begrenzt und verletzt unser Recht, über unseren Körper und unser Leben selbst zu entscheiden.