Der Kampf um ERT: Endgültiger Countdown für die griechische Regierung?

Die jüngste Entscheidung des griechischen Premierministers Samaras, die öffentlichen Fernseh- und Rundfunksender schließen zu lassen, löste eine große Mobilisierungswelle aus, die in eine Krise der Regierungskoalition mündete.

Seit jenem Tag versammeln sich GewerkschaftsvertreterInnen, StudentInnen- und ArbeiterInnenvereinigungen, Parteivorsitzende, Parlamentsabgeordnete, Mitglieder aller linken Parteien und viele BürgerInnen im Hof des ERT-Gebäudes. Die Situation gleicht in gewisser Weise einer Festlichkeit: Menschen stellen sich vor die Mikrophone, um ihre Solidarität zu bekunden; beide ERT-Orchester geben Konzerte zum Besten, die zu Tränen rührende, unvergessliche Momente sowohl bei den Menschen als auch den MusikerInnen hinterlassen. Es ist zudem äußerst beeindruckend, dass in einem Land wie Griechenland, in dem Menschen nicht unbedingt mit klassischer Musik vertraut sind, Tausende im dicht gedrängten Hof des ERT sprachlos und stolz den Konzerten lauschen. Stolz vor allem deshalb, weil sie erkannt haben, dass sie (damit) einen wichtigen Teil der Weltkultur verteidigen. Denn im Gegensatz zu dem, wovon die Regierung uns zu überzeugen versucht, ist ERT eine hoch produktive Einrichtung, die – im Vergleich zu privaten Sendern – Programme anbietet, die junge KünstlerInnen, kulturelle Veranstaltungen sowie Buchveröffentlichungen fördert.
Die Abspaltung der Demokratischen Linken (hauptsächlich bestehend aus ehemaligen Mitgliedern von SYRIZA, die die Partei 2010 verlassen haben), die bisher zusammen mit Nea Dimokratia (rechte Neoliberale) sowie PASOK („sozialdemokratische“ Neoliberale) koalierte, entschloss sich – in Folge des Vorgehens von Samaras im Fall von ERT – für einen Ausstieg aus der Regierung.
Die Regierung hat im vergangenen Jahr eine äußerst undemokratische Arbeitsweise an den Tag gelegt; die Mehrheit ihrer entscheidenden Handlungen ist nicht vom Parlament gebilligt worden, sondern mithilfe von Sonderbeschlüssen der Minister durchgegangen. Dies verdeutlicht einmal mehr die Überbeanspruchung außergewöhnlicher Befugnisse, wie sie in Notfällen durch das Gesetz ermöglicht werden. Eine dieser Entscheidungen erlaubte den Ministern die Schließung öffentlicher Einrichtungen, die ihrem jeweiligen Ressort unterstellt sind. Deshalb kündigte der Minister für Presseangelegenheiten (Sohn des vorigen Ministers und Cousin des neuen!) die Schließung von ERT sowie – zwecks Restrukturierung – die sofortige Entlassung von 2.700 Angestellten an.
Tatsächlich war ERT als Teil des griechischen öffentlichen Sektors bis zu einem gewissen Grad von Nepotismus geprägt und es ist auch wahr, dass manche Menschen auf der Gehaltsliste standen, die nichts zur Gestaltung der Einrichtung beigetragen haben. Bezeichnenderweise wurden besagte Personen von genau jenen Parteien angeheuert, die nun eine Transformierung von ERT fordern! Somit war es für die Angestellten nicht allzu schwierig, eine Liste jener BeraterInnen und FunktionärInnen zu veröffentlichen, die im Laufe der letzten Monate mithilfe der Regierung zu ihren Posten gelangt sind. Beinahe alle von ihnen waren entweder Mitglieder von Nea Dimokratia oder PASOK, KandidatInnen, die bei den letzten Wahlen nicht gewählt wurden, oder dem Premierminister bzw. dem Minister für Pressewesen nahe stehende Personen mit Monatsgeehältern von 4.000 Euro. Dies ist eine typische Eigenschaft der griechischen öffentlichen Verwaltung, und es ist wichtig festzuhalten, dass, als Samaras Kulturminister war, fast jede/r, der/die im neu erbauten Museum der Akropolis angestellt wurde, aus seinem eigenen Wahlkreis stammte.
Aufgrund der Schließung ist es ERT nun untersagt, an der öffentlichen Ausschreibung für zwei digitale Plattformen für griechische Fernsehkanäle teilzunehmen. Dies wiederum begünstigt private Unternehmen, was ihnen die Gelegenheit eröffnet, diesen wichtigen Marktbereich für sich zu erobern. Darüber hinaus zielt die Schließung von ERT auf eine neue Organisationsform mit viel weniger, schlechter bezahltem Personal, Einbußen die Programmqualität betreffend sowie weniger Einschaltquoten ab, was für private Fernsehsender höhere Profite durch mehr Werbung abwirft. Besagte Sender bieten der Regierung bedingungslose Unterstützung an und bilden gemeinsam mit dem Bankensystem ein „Dreieck der politischen Sünde“, wie Alexis Tsipras dies einmal formulierte. Die Banken vergeben Kredite an private Fernsehsender, die Stationen unterstützen die Regierung und diese stellt wiederum öffentliche Gelder für die Bankensanierung zur Verfügung. 
Die neue Regierung, nun lediglich bestehend aus Ministern von Nea Dimokratia und PASOK, hat den Menschen nur Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung anzubieten. Jedoch besteht jetzt wieder Hoffnung. Sie kommt mit dem Bewusstsein, dass kollektive Kämpfe entscheidende Ergebnisse bringen können. Und das bedeutendste besteht darin, dem antidemokratischen Weg, den Griechenland – aufgrund seiner rechten Regierung – eingeschlagen hat, einen Riegel vorzuschieben. Für die Menschen dieses Landes ist die Frage der Demokratie historisch von größter Bedeutung. Der Kampf um ERT scheint den letzten Countdown für die Regierung einzuläuten.