Tschechische Regionalwahlen: „Nein” zur Austerität und „Ja” zur Stärkung der Linken

Die Ergebnisse der Regionalwahlen können folgendermaßen beschrieben werden:

§     Sie widerspiegelten die deutliche Unzufriedenheit eines großen Teils der Bevölkerung mit der gegenwärtigen Regierung aus ODS (Bürgerliche Demokraten), TOP 09, LIDEM („Reste“ der Partei Věci veřejné /Public Affairs);

§     Die ČSSD (Sozialdemokraten) mussten auch einen Teil der Verantwortung tragen, die ihnen zur Last gelegt wurde; obwohl die Partei in Opposition zur Regierung steht, befindet sie sich in manchen Regionen in Koalitionsregierungen;

§     Die KSČM (Kommunistische Partei Böhmens und Mährens) gewann als Vertreterin der radikalen Linken an Einfluss;

§     Nicht im Parlament vertretene Parteien, einschließlich etablierter, spielten eine geringfügig bedeutendere Rolle, aber nur in einigen Regionen (in einer davon wurden sie stimmenstärkste Partei);

§     Trotz Apathie der Öffentlichkeit war die Wahlbeteiligung vergleichbar mit früheren Wahlen (2008: 40,3 %, 2012: 36,9 %, aber 62,6% Beteiligung bei den Parlamentswahlen 2010);

§     Der erste Wahlgang zu einem Drittel des Senats fand gleichzeitig mit den Regionalwahlen statt. Die Rechte (insbesondere die ODS) erlitt eine Niederlage und wird, wie bereits feststeht, ihre ehemalige Stärke nicht halten können.

§     Sogenannte unabhängige KandidatInnen erzielten nur einen marginalen Erfolg.

§     Der erwartete Anstieg extremistischer (rechtsgerichteter und populistischer) Parteien oder anderer neu gegründeter Parteien mit nationalistischem und rechtsgerichtetem, eurokritischem Programm trat nicht ein. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es nicht deutliche lokale Unterschiede gegeben hätte. Eine rechtsgerichtete, extremistische Partei, die insgesamt 1,75 % der Stimmen erreichte, kam in Konfliktgegenden, wo es vor kurzem zu sozialen und ethnisch motivierten Zusammenstößen gekommen war, bspw. auf 7,55 % in Sluknoc und auf 13,5 % in Varnsdorf (beides Nordböhmen).

§     Das Ausmaß der Korruption und des unmoralischen Verhaltens der politischen Elite sowohl in der Regierung als auch in der oppositionellen ČSSD trug zur negativen Stimmung bei. Das widerspiegelte sich in der „Abstrafung” der Koalitionsparteien und eines Teils der ČSSD, die auch als tief in solchen Praxen verstrickt gesehen wird. Vor kurzem gab es mehrere Enthüllungen einschließlich kriminellen Vorgehens im Zusammenhang mit der Veruntreuung von staatlichen Geldern und Mitteln aus EU-Fonds durch Staatsbeamte, PolitikerInnen und Personen, die eng mit allen Parlamentsparteien – mit Ausnahme der KSČM – in Verbindung stehen.

§     Es trifft zu, dass während einer Regierungsperiode die Ergebnisse für die Opposition immer deutlich besser ausfallen als für die Regierungskoalition – zumindest in der Tschechischen Republik gilt das. Allerdings war der Stimmenverlust der größeren Parteien höher, sowohl hinsichtlich Prozentsatz als auch Anzahl der Mandate (die ODS verlor 78, die ČSSD 75). Im Unterschied dazu gewann die KSČM 68 Mandate dazu. TOP09, die sich bei den letzten Wahlen noch nicht zur Gänze konstituiert hatten, erreichte 37 Sitze, gehört aber im Gesamtzusammenhang der Wahl zu den Verlierern. Die KDU-ČSL (Christliche Demokraten) verblieben auf praktisch derselben Ebene (+ 5 Sitze). Prag nimmt eine Sonderstellung ein: Dort finden die Wahlen gleichzeitig mit den Gemeinderatswahlen statt (die heuer nicht auf dem Programm standen).

 

Wie schätzen wir das Wahlergebnis der Linken ein?

In fast allen Regionen können die ČSSD und die KSČM Mehrheitskoalitionen bilden. In der letzten Wahlperiode waren sie in zwei Regionen offene Koalitionen eingegangen und die Ergebnisse zeigen, dass die BürgerInnen sie positiv bewerteten. In einigen anderen Regionen gab es Minderheitsregierungen der ČSSD mit Duldung durch die KSČM, oder es waren andere Koalitionen eingegangen worden und die KSČM befand sich in Opposition. Es zeigte sich, dass diese Koalitionen der ČSSD beim diesjährigen Wahlgang keine besseren Ergebnisse einbrachten. Eine Hauptfrage, vor der die ČSSD jetzt steht, ist jene, ob sie bereit ist, offene Koalitionen mit der KSČM einzugehen oder ob sie Wege suchen wird, dies zu vermeiden, auch wenn sie sich der Gefahr bewusst ist, dass ihr die WählerInnen nicht vergeben werden, wenn sie auf Lokalebene Koalitionen mit der rechtsgerichteten Regierungskoalition eingeht.

Die Stimme für die KSČM-Liste (die Mitglieder und Nicht-Mitglieder der Partei umfasste) stand für Folgendes: eine Ablehnung des liberalen Kapitalismus und seines Kürzungsprogramms; die Belastung der BürgerInnen, Erwerbstätigen, der Mittelklasse und der PensionistInnen mit den Kosten der Systemkrise, während die Kapitalbesitzer so wenig wie möglich betroffen sind. Die Stimme für die KSČM ist auch Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Politik der ČSSD, die als Bemühen verstanden wird, die augenfälligsten Auswirkungen auf die Mittelklasse abzuschwächen, während sie selten die Forderung nach grundlegenderen Änderungen aufwarf. Der dritte Grund könnte in der Tatsache zu sehen sein, dass bei den letzten Parlamentswahlen neue Parteien mit sehr unklaren Programmen, aber sehr attraktiven Slogans beträchtliche Stimmengewinne erzielten. Diese Parteien haben in der Folge ihre WählerInnen im Stich gelassen, die dieses Mal ihre Stimme mit viel mehr Vorsicht handhabten und sich nicht auf größere Experimente einließen (zum Beispiel hat eine Partei namens Věci veřejné /Public Affairs bei den Parlamentswahlen 10,88 % , jetzt aber nur 0,25 % erreicht). Daher haben die KSČM-Liste und das kritische Profil der Partei ihr Interesse auf sich gezogen. Andere radikale, linke Organisationen traten nicht zur Wahl an, wenn man die KSČ (Kommunistische Partei der Tschechoslowakei) nicht mitrechnet. Deren Wurzeln liegen in der Kommunistischen Partei (vor 1989), weshalb die Partei als orthodox-kommunistisch eingeschätzt werden muss. Die Ergebnisse der Partei (die nur in vier Regionen antrat) haben mit insgesamt 0,55 % und höchstens 2,21 % in einer Region das Gesamtergebnis nicht beeinflusst. Auch haben die Wählerstimmen kein besonders eindrucksvolles Ergebnis für VertreterInnen linksgerichteter NGOs, Bürgerinitiativen usw. gezeigt. Solche Gruppen haben die Vorbereitungsphase unterschätzt und ihre eigenen Vorschläge nicht benannt, keine Verhandlungen mit der KSČM aufgenommen und sich weder besonders bei der Formulierung von Programmen noch bei der Listenbildung der KSČM hervorgetan. Das Ergebnis der Grünen war ebenfalls vernachlässigbar (1,75 %). Nur im Rahmen einer Koalition haben die Grünen in einer Region einige Mandate.

Die guten Ergebnisse der KSČM waren die Folge der langjährigen pragmatischen und wohldurchdachten, praxisnahen Politik der Partei. Von Zeit zu Zeit halten einige Funktionäre „Grundsatz“-Reden oder stellen ihre Anhängerschaft gegenüber „Ideen“ in den Vordergrund, machen aber keinen Hehl aus ihrer scharfen antikapitalistischen Kritik. Jedoch wird auf Regionalebene und insbesondere auf Gemeindeebene eine Politik des wirksamen Zugangs verfolgt, die die asozialen Maßnahmen der Regierung entkräftet und dazu beiträgt, ein positives Bild der KSČM in der Öffentlichkeit zu entwickeln. Programmatische Themen standen nicht im Vordergrund der diesjährigen Wahlen, da die Präsentation der Programme aller Parteien in kurzen Slogans erfolgte. Die KSČM, deren WählerInnenschaft über zehn Mal größer ist als die Anzahl ihrer Mitglieder, muss sich bewusst sein, dass viele WählerInnen den Kapitalismus nicht überwinden wollen und sich in Wahrheit vor einer grundlegenden Systemänderung fürchten. Das Hauptziel des Großteils der linksgerichteten WählerInnenschaft besteht in einer Art Modifikation des Wohlfahrtsstaates. Das widerspiegelt sich in der praktischen politischen Arbeit der Abgeordneten der KSČM.

Aus linker Perspektive legen diese Wahlen auch Zeugnis des Scheiterns radikal-linker Alternativen jenseits der KSČM ab. Ihnen gelang es nicht, alternative, radikal-linke Varianten sozialer Entwicklung zu positionieren. Auch – und das liegt an der Passivität solcher Organisationen – haben sie weder Konzepte für eine europäische linke Einheit noch einen gemeinsamen Zugang. Die KSČM ist sehr vorsichtig, was die europäische Integration betrifft, und lehnt im Grunde die EU in ihrer jetzigen Form ab, worin der Grund liegt, warum von ihr kein grundsätzlich europafreundlicher Ton zu erwarten war. Bei nicht-kommunistischen, radikalen linksgerichteten Gruppen ist der Antikommunismus sehr deutlich, der sich zum Beispiel in einer Ablehnung des Parteiensystems an sich äußert. Allerdings haben in Wirklichkeit derartige Ideen eine vernachlässigbare Chance, auf Widerhall in der Gesellschaft zu treffen; wenn sie nach Außen hin sichtbar werden, dann durch Wahlenthaltung.

 

Der internationale politische Aspekt

Es hat sich bestätigt, dass es in der tschechischen Gesellschaft einen stabilen (und jetzt langsam größer werdenden) Block linksgerichteter BürgerInnen gibt, die glauben, dass die traditionelle Sozialdemokratie nicht in der Lage ist, ihren Vorstellungen davon zu entsprechen, wie die Gesellschaft organisiert sein soll. Daher haben sie einer radikal linken Organisation ihre Unterstützung gegeben. Derlei ist einmalig in den postkommunistischen Ländern. Auf lange Sicht gesehen ist die KSČM die einzige derartige relevante Kraft in Zentral- und Osteuropa. Das sollte in Erwägung gezogen werden, wenn es um die Formierung einer linksgerichteten europäischen Strategie geht. Der zentral- und osteuropäische Raum braucht dringend eine gemeinsame radikale linksgerichtete Politik, und heute ist es klar, dass ohne Integration dieser Linken in der Tschechischen Republik dies nicht möglich ist. Daher ist es absolut notwendig, dass kurzfristig sogar unkonventionelle Wege beschritten werden, um aktive und strategische Zusammenarbeit zu begründen. Die komplizierte Situation der EU und die politischen Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, verlangen, dass die Europäische Linke zu neuen Arten der Zusammenarbeit und effektiverer Koordination findet.

 

Zweite Runde der Senatswahlen: Die Linke festigte ihre Führungsposition

Die zweite Runde der Senatswahlen fand am 19. und 20. Oktober statt und bestätigte die Stärke der Linken. Diesmal war mit der ČSSD (Sozialdemokraten) die gemäßigte Linke die Gewinnerin. Die KSČM (Kommunisten) verteidigten einen Sitz im Senat, verloren aber in der zweiten Runde in direkten Duellen 9:1 gegen die Sozialdemokraten. Die Verluste der Rechten wurden, wie erwartet, fortgeschrieben. Die ODS (Bürgerliche Demokraten) verteidigte nur vier Wahlbezirke und verlor neun Sitze.

Nach der Wahl setzt sich der aus insgesamt 81 Sitzen bestehende Senat nun wie folgt zusammen: ČSSD – 46 Sitze, KSČM – 2 Sitze, ODS – 15 Sitze, TOP09 – 4 Sitze, Grüne – 1 Sitz, Piraten (in Koalition mit den Christlichen Demokraten und Grünen) – 1 Sitz. Die Wahlbeteiligung betrug nur 18,6 %, der niedrigste Wert lag bei 10 %. Am höchsten war sie eindeutig im 8. Bezirk von Prag, wo die direkte „Konfrontation“ zwischen KSČM (stellvertretender Vorsitzender J. Dolejs) und ODS (ihr Kandidat wurde vom tschechischen Präsidenten und mehreren Parteivorsitzenden offen unterstützt) sie auf 30 % ansteigen ließ. Das Ergebnis liegt bei 62,5 : 37,5. Prag bleibt somit weiterhin eine Bastion der Rechten.