Wahlkampftagebuch: Blick nach rechts

Wie präsentieren sich Le Pen, Zemmour und Pécresse ideologisch und in zu sozialen Fragen?

Am 10. April 2022 findet der erste Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahl statt. Es ist davon auszugehen, dass keine*r der Kandidat*innen die absolute Mehrheit der Stimmen erreicht. Daher wird voraussichtlich am 24. April eine Stichwahl zwischen Macron und einer*m weiteren Kandidat*in abgehalten. Vier Jahre lang sagten sämtliche breit-angelegte Meinungsumfragen voraus, dass Marine Le Pen, die Kandidatin des Rassemblement National (RN), Macrons Herausforderin werden würde. Doch im Herbst änderten sich diese Prognosen, als der rechtsextreme Kandidat Éric Zemmour ins Rennen ging und Valérie Pécresse zur Kandidatin der Républicains (LR) gekürt wurde. Es bleibt also offen, ob nun Valérie Pécresse, Marine Le Pen oder Éric Zemmour als zweiter Name neben Emmanuel Macron auf dem Stimmzettel der Stichwahl stehen wird.

Das Wichtigste im Überblick

  • Trotz der Covid-19-Einschränkungen, die die üblichen politischen Kundgebungen unmöglich machen und trotz des langsamen Einstiegs vieler Kandidat*innen in den Wahlkampf hat sich dessen Intensität in den letzten Wochen deutlich erhöht.
  • Die mit acht Kandidat*innen zersplitterte Linke hat angesichts der starken Konzentration der Medien auf die Kandidat*innen der Rechten große Mühe, sich Gehör zu verschaffen und Raum für ihre Debatten und Diskussionen zu gewinnen. Außerdem schaffte es die Linke nicht, eine*n gemeinsame*n Kandidat*in aufzustellen. Unter den linken Kandidat*innen ist Jean-Luc Mélenchon jener mit den besten Umfragewerten (+/-9%) und dank seiner regelmäßigen und gut besuchten Veranstaltungen auch der sichtbarste. Die sozialdemokratischen Kandidat*innen (Jadot, Hidalgo und Taubira) kommen nicht über 5 % hinaus.
  • Die Rechte teilt sich nach wie vor in drei Blöcke, die jeweils relativ stark sind: Le Pen (+/-18%), Pécresse (+/-16%) und Zemmour (+/-13%).
  • In der Mitte des politischen Spektrums bleibt Macron an erster Stelle und liegt in den Umfragen weit vorne (25,5 %), auch wenn er seinen Wahlkampf noch nicht offiziell begonnen hat. Seine derzeitige Rolle als EU-Ratspräsident verleiht ihm eine starke Position.

Valérie Pécresse – Les Républicains (+/-16% in Umfragen)

Valérie Pécresse, die in den Umfragen fast Kopf an Kopf mit Le Pen liegt, bemüht sich seit ihrer Wahl zur Spitzenkandidatin auf dem LR-Kongress darum, einen Raum zwischen dem Macronismus (in in dessen rechtem Flügel sie durchaus Platz hätte) und der extremen Rechten zu schaffen. Die Kandidatin, die sich selbst als „zu 2/3 Merkel und zu 1/3 Thatcher" bezeichnet und sich regelmäßig auf ihr Chirac-Erbe beruft, führt einen Wahlkampf, der sich vor allem gegen Macron richtet. Sie versucht, sich als seriösere und entschlossenere Alternative zum derzeitigen Präsidenten darzustellen.

In der Europapolitik ist es für sie schwierig, eine Nische zwischen Macrons EU-Enthusiasmus und dem rechtsextremen Euroskeptizismus zu finden. Während die meisten ihrer Ideen auch auf der Agenda der Union stehen oder bereits von Macron übernommen wurden (CO2-Steuer, große Industrieprojekte, Regulierung der sozialen Medien etc.), hebt sie sich in den Themen Sicherheit und Migration von ihm ab. Ihre erste Wahlkampfreise außerhalb Frankreichs führte Pécresse nach Griechenland, wo sie ihre Entschlossenheit in Migrationsfragen zur Schau stellte. Sie sprach sich gegen ein „Europa als Sieb“ aus und lobte die „Stacheldrahtmauern“, die Migrant*innen fernhalten sollen. Pécresse ist auch eine große Verfechterin von Haushaltsdisziplin und Personalabbau im öffentlichen Dienst. Mit ihrer jüngsten, im Rahmen eines Besuchs in einem Arbeiter*innenbezirk getätigten Aufforderung, „den Kärcher herauszuholen“, um „die dicht bewohnten Stadtviertel zu säubern“, zielte sie auf die Sarkozy-Wähler*innen von 2007 ab.

In sozialer Hinsicht zielt sie auf die übliche Wähler*innenschaft der liberalen und konservativen Rechten ab: ältere Menschen (ihre höchste Zustimmungsrate erreicht sie bei den über 65-Jährigen), vor allem Rentner*innen, Unternehmer*innen und Führungskräfte, aber auch Handwerker*innen. Aufgrund ihrer Position als Präsidentin der Île de France genießt sie die starke Unterstützung der rechtsgerichteten Einwohner*innen dieser Region.

Éric Zemmour – Reconquête (+/-13% in Umfragen)

Zemmour seinerseits fährt eine aggressive Kampagne, um sich die Stimmen der entfesselten extremen Rechten zu sichern. Auch wenn das Wort „Populismus“ eindeutig überstrapaziert wird, bei Zemmour ist es völlig gerechtfertigt. In seiner Rhetorik sind „das Volk“ und „das System“ nicht anekdotisch, die Begriffe sind vielmehr prägend für seinen gesamten politischen Diskurses und unterstreichen seinen scharfen Konfrontationskurs. Für Zemmour sind diejenigen, die Teil des „Systems“ sind, nicht einfach nur gescheitert. Sie sind nicht einmal Volksverräter, sie haben „einen Eid geschworen, um es [das Volk] zu vernichten“ und bedrohen dessen „Existenz“. Ebenso bemerkenswert ist seine Verwendung von Fake News in den Medien. Vor allem historische Tatsachen werden mit verschiedenen, revisionistischen Aussagen verfälscht, aber auch Aussagen zu Arbeitervierteln oder unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten (die er als Vergewaltiger diffamiert) – wegen letzterem ist er bereits mehrfach verurteilt worden.

Sein Wahlkampf dreht sich um zwei zentrale Themen: Ein härteres Rechtssystem insbesondere gegenüber Migrant*innen und ihren Familien und einer strengen Zuwanderungskontrolle (Abschaffung des Geburtsortsprinzips bei der Anerkennung der Staatsbürgerschaft, Abschaffung der Möglichkeit für illegal Eingereiste, ihren Aufenthalt zu legalisieren usw.). Diese Kampagne ist offen islamophob (Verschleierungsverbot in der Öffentlichkeit, Verbot des Baus von muslimischen Gebetsstätten), einige Vorschläge sind verfassungswidrig.

Demonstrativ schlägt er „Schockmaßnahmen“ gegen die Eltern von Kindern vor, die in der Schule massiv stören, wie etwa den Entzug von Sozialleistungen. Er will Bauvorhaben zum Windkraftausbau unterbinden. Sein Wirtschaftsprogramm bleibt absichtlich unklar. Erwähnung finden nur demagogische Maßnahmen wie eine leichte Erhöhung des Mindestlohnes oder eine Pflicht für Unternehmen, sich an der Spritkosten ihrer Belegschaft zu beteiligen. Doch ist klar zu sehen, wie unternehmensnah er ist.

Strategisch versucht Zemmour, sich als Pfeiler der Rechten darzustellen und den einzigen Kandidaten, der das Lager hinter sich vereinen kann. Er will den „moralischen Wall“ zwischen der Rechten und der extremen Rechten einreißen, der sie daran hindert, sich die Macht zu sichern. Zwar sind ehemalige Mitglieder des Rassemblement National (und sogar von Les Républicains) an seiner Seite, aber eines seiner Handicaps liegt in der Tatsache, dass er die Einigung der Rechten untergräbt, indem er sich ganz am radikalen Ende des Spektrums verortet.

Einen Großteil seiner Umfrageergebnisse in Höhe von 13 % verdankt er ehemaligen Wähler*innen von Le Pen und Fillon (dem Kandidaten von Les Républicains bei der Wahl 2017). Diese Wählerwanderungen erlauben es, ein Profil seiner Wählerschaft zu erstellen. Unter den ehemaligen Le Pen-Wähler*innen sind es die Wohlhabenden, die sich am ehesten Zemmour zugewendet haben. Von Les Républicains sind es diejenigen aus den untersten Schichten, die sich am ehesten für die Wahl Zemmours aussprechen.

In den oberen Kategorien schneidet er sehr gut ab, gefolgt von der Mittelklasse. In den unteren Schichten hingegen erfährt er sehr wenig Zustimmung. Und in der Arbeiterschaft sind seine Werte am schlechtesten. Zemmour hat es nicht vermocht, Wähler*innen in ländlichen Regionen zu erreichen, überzeugt die Jugend nicht und seine Anhängerschaft weist eine Geschlechterlücke auf.

Marine Le Pen – Rassemblement National (+/-18.5% der Wahlabsichten)

Marine Le Pens Kampagne ist weniger laut und wird von einigen Beobachter*innen als das „nette Opfer“ des „bösartigen Zemmour“ beschrieben. Doch wir sollten uns von diesem Diskurs nicht in die Irre leiten lassen: Die RN-Kandidatin steht in den Umfragen gut da und die von Zemmour vorangetriebene Polarisierung ermöglicht es ihr, ihren Kurs der „Entdämonisierung“ fortzusetzen. Sie wettet auf den zweiten Platz und setzt dabei auf die Laxheit in den Reihen von Les Républicains und eine niedrige Wahlbeteiligung, die ihrer Partei traditionell nützt. Während Zemmour in den Medien allgegenwärtig ist, kann Le Pen ihre umfassende politische Erfahrung und Kenntnis ihrer Landsleute ins Feld führen und unterstreicht die Unerfahrenheit ihres Konkurrenten.

2017 schlug sie vor, den Euro zu verlassen. Diese Position ist heute nicht mehr haltbar. In ihrem Wahlprogramm für 2022 verwischt sie weiter die Grenzen zwischen Wirtschaftsfragen und Vorschlägen links von ihrem Vater (Wie sein Einstehen für niedrige Renten und Löhne und Einschnitte bei öffentlichen Aufgaben) auf der einen und an die Oberklasse gerichteten Vorschlägen, die sie im liberalen Spektrum verorten auf der anderen Seite (wie etwa dem Schuldendienst als moralischer Verpflichtung). Die prominentesten Maßnahmen in ihrem Portfolio zielen auf das Ende jeder Art von Zuwanderung und die Auslöschung islamistischer Ideologien ab. Außerdem hat sie einige wirtschaftspolitische Vorschläge, die weitgehend den Forderungen der Gelbwesten entlehnt sind: Senkung der Mehrwertsteuer auf Energieerzeugnisse, Anhebung des Mindestlohns, Abschaffung der Fernsehempfangsgebühren. Sie vertritt sogar sozialprogressive Maßnahmen, allerdings unter der Bedingung, dass sie nur „französischen“ Familien zugutekommen. Alles in allem steht sie für Anpassungen im aktuellen System, anstatt eine eigene wirtschaftliche Vision zu vertreten. Ihre Wähler*innen haben sich ihr ursprünglich wegen ihres Anti-Einwanderungs-, anti-islamischen und anti-europäischen Diskurses zugewendet – eine Wählerschaft, für die Identitätsfragen vor allem anderen kommen.

Sie hat es geschafft, sich eine Wählerschaft mit einem hohen Anteil an Jungwähler*innen zu erarbeiten (22 % der unter 35jährigen), mit Menschen aus den unteren Bevölkerungsschichten (sie kann 31 % der Stimmen der Arbeiterklasse auf sich vereinen) und hat einen höheren Anteil Frauen- als Männerstimmen (20 % bzw. 14 %). Außerden ist sie sowohl auf dem Land als auch unter denjenigen mit der geringsten Bildung weiterhin beliebt.

Fazit

Die Rechte und extreme Rechte stehen vor einem interessanten und beunruhigenden Paradox: Sie schreiten jeder für sich voran, sind dabei aber dynamisch und stark. Ihre Allgegenwärtigkeit in den Medien verlagert den Wahlkampf auf ihre Lieblingsthemen: Einwanderung und Sicherheit. Macron profitiert von dieser Entwicklung, da er im Vergleich als der Kandidat des progressiven Lagers erscheint. Die Linke ist in sich zerstritten und weniger laut. Sie muss sich Raum schaffen für echte emanzipierende Politik und Projekte.