Paket für Bessere Rechtsetzung

Das Ziel des „Better Regulation Packages“ ist es, REFIT (Abkürzung für Regulatory Fitness and Performance Programme) zu stärken, einem Vorgängerprogramm. PACT. European Affairs, ein Consultingunternehmen aus Brüssel schreibt explizit zu REFIT, dass es sich auf vielfältige Weise manifestiert, u.a.: “Assessing effects of all EU legislation on profit margins and competitiveness in the internal market e.g. chemicals and construction sectors.”1
Better Regulation, der Kampf gegen ‚red tape‘2, ist ein neues Lieblingskind von Kommissionspräsident Juncker und seinem Vize Timmermans.
Ziel von Better Regulation ist das, was Neoliberale die Verschlankung des Staates nennen, die betroffene Zivilgesellschaft aber eher ein Angriff auf Arbeitnehmer*innenrechte3, einen Angriff auf Konsument*innenrechte oder einen Angriff auf den Umweltschutz. Man könnte also denken, dass dies einfach eine weitere Runde im Deregulieren unserer Staaten ist. Dem ist leider nicht so, es ist ein Angriff auf das Herz dessen was einen Staat eigentlich ausmachen sollte: die Regulierung der Ökonomie und Gesellschaft zugunsten der Bürger*innen.

Warum unterscheidet sich Better Regulation von früheren Programmen?

1. Heimat der „Better Regulation“ Ideologie ist Großbritannien. Premierminister Cameron macht das „Mainstreaming“ von Better Regulation zu einer Vorbedingung für das Verbleiben Großbritanniens in der EU, und hat damit die volle Unterstützung von Juncker und Merkel.
2. Die Juncker Kommission ist nicht nur inhaltlich tiefgreifend neoliberal ausgerichtet. Ihr interner Aufbau (Organisationsplan/Organigramm) entspricht den Wünschen der Großindustrie. Eine Gruppe ehemaliger Kommissionsspitzenbeamter hat nach Verlassen der Kommission, und nachdem sie in die Dienste der Industrie eingetreten sind, die Gruppe „Friends of the Commission“ gegründet. In einem Brief haben sie Juncker aufgefordert die Kommission so umzubauen, dass es „spezielle“ Kommissar*innen“ gibt, die über Vetorechte verfügen. Derjenige mit dem höchsten Vetorecht unterhalb von Juncker ist sein Vize: Frans Timmermans. Und genau dieser höchste Kommissar hat vor allem eine Aufgabe: Better Regulation umzusetzen. Timmermans kann jeden einzelnen Gesetzesvorschlag seiner Kolleg*innen blockieren. Damit ist Better Regulation, also die Verhinderung neuer Gesetze, in die DNA der Kommission eingeschrieben.4
3. Neue Gesetze soll es nur noch geben, wenn sie durch einen wissenschaftlichen Nachweis zeigen, dass sie positive Ergebnisse zeitigen. Diese „Impact Assesments“ werden seit Jahren in den USA verwendet, was dazu geführt hat, dass der Konsument*innenschutz ausgehebelt wurde. So sind in der EU ca 1200 Zusatzstoffe in Kosmetika verboten und in den USA ein ganzes Dutzend!5 Hintergrund ist, dass die Industrie natürlich zu fast jedem Gutachten ein Gegengutachten einkaufen kann.
Kleiner Hinweis: Better Regulation ist nicht gleich Regulatorische Kooperation. Letztere bedeutet eine weitgehende Aushebelung parlamentarischer Mitbestimmung bei Gesetzgebungsprozessen, sollte TTIP in Kraft treten. In der Regulatorischen Kooperation bekommt das Großkapital in bisher ungeahntem Ausmaß Zugriff auf den Gesetzgebungsprozess in der EU und den Mitgliedstaaten, weit über alles hinaus gehend, was heute durch Lobbyismus, Stakeholder Anhörung oder auch die zwielichtige Entsendung von Unternehmensmitarbeiter*innen in Ministerien schon angerichtet wird. Allerdings gibt es starke Übereinstimmungen zwischen Better Regulation und Regulatorischer Kooperation, da auch letztere stark mit Impact Assesments arbeitet, und beide die Gesellschaften auf Profitinteressen ausrichten wollen. Diese Übereinstimmung geht so weit, dass die US Regierung Better Regulation zu einer Vorbedingung für den TTIP Abschluss macht:
„The European Commission’s new "Better Regulation Agenda" partially addresses U.S. demands in trans-Atlantic free trade talks for more transparency and opportunities for stakeholders to influence the crafting of EU rules, but falls short of fulfilling the U.S. desire for the commission to publish all types of draft legislation prior to formally proposing it.”6
Weitere Infos:
http://www.betterregwatch.eu/http://www.akeuropa.eu/_includes/mods/akeu/docs/main_report_de_360.pdf

Die „großen Fragen“ zu „Better Regulation“: beantwortet vom EGB7

 

1. Wird EU-Recht weiterhin ausnahmslos für alle gelten?
Die Gleichheit vor dem Gesetz ist einer der rechtlichen Grundsätze in der EU. Die Frage ist, ob von der EU-Kommission der Vorschlag kommt, Kleinunternehmen von den Regularien der EU auszunehmen.
2. Werden die demokratischen Rechte der EU-Parlamentarier und des Ministerrats beschnitten?
Größere Änderungen an Richtlinien-Vorschläge der Kommission sollen nur noch möglich sein, wenn EU-Parlament und Rat zuvor eine Folgenabschätzung abgeben. Ein entsprechender Entwurf liegt dem Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) vor. Eine solche Forderung widerspräche dem Wunsch des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Junckers nach einem demokratischeren Europa – und sie wird als Machtanhäufung durch die Kommission eingestuft. [Nach den letzten Verhandlungen am 9. Dezember 2015 konnten zwar die schlimmsten Übergriffe der KOM abgewehrt werden, aber es gibt immer noch besorgniserregende Nachteile der vorgeschlagenen Regelungen. So ist z.B. nicht klar ob die Parlamentarier über von Timmermans unterbundene Regulierungsvorschläge, die von Kommissar*innen erarbeitet wurden (und den dann erarbeiteten Impact Assesments), erfahren; R.K. am 13.01.2016]
3. Was wird das Ergebnis sein: eine „bessere Rechtsetzung“ oder doch mehr Deregulierung?
Es ist nicht das erste Mal, dass die Kommission versucht, „Bürokratie“ abzubauen und bestehende Regelungen anzupassen. Das Ergebnis: Die Initiative für einen besseren Schutz vor arbeitsbedingten Krebserkrankungen wurde eingestampft, ebenso wie andere, dringend benötigte Programme für Gesundheit und Sicherheit. 2013 wurde die Entwicklung einer Richtlinie für den Einsatz von krebserregenden Chemikalien auf Anweisung der EU-Kommission beendet. Seitdem starben 150.000 Menschen in der Europäischen Union an arbeitsbedingten Krebserkrankungen.
4. Sollen zukünftig „Fachleute“ über Initiativen der EU entscheiden dürfen – obwohl sie nicht demokratisch gewählt wurden?
Dem EGB liegen Entwürfe vor, die ein „Regulatory Scrutiny Board“ (RSB) vorschlägt – einen Beirat zur Überprüfung von Regularien. Dieser Beirat wäre demnach dafür zuständig, der Kommission vorab grünes Licht für den Start einer Initiative zu geben. Es gibt jedoch Hinweise, dass diese offensichtliche Übertragung von Macht auf den Beirat in der Endfassung des Vorschlags fehlt. [Das RSB wird es geben, es existiert nach dem KOM internen Erlass bereits, nur sind die Postenbesetzungen noch nicht bekannt. Das Problem ist nach wie vor, dass das RSB, das eigentlich nur die Impact assesments nach ihrer Güte untersuchen soll, ein technischer Apparat sein soll, aber nach Timmermans eigenen Äußerungen politisch agieren wird, also auf seinen Zuruf hin Gesetzesinitiativen durchwinken wird, wenn er diese für wichtig erachtet, R.K. am 13.01.2016]
5. Ende der überbordenden Regulierung oder weiter wuchernde Bürokratie?
Im Timmermans-Entwurf bleibt es nicht beim „Regulatory Scrutiny Board“. Außerdem soll die „Folgenabschätzung“ auf alle EU-Institutionen ausgedehnt werden, es soll mehr öffentliche Anhörungen geben, ein „Folgenabschätzungskommittee“ („Impact Assessment Committee’) ist geplant, ein Nachweis über Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit und vieles mehr.
6. Werden Tarifverträge zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften zukünftig durch staatliche Stellen beraten?
Das würde der gesetzlichen Praxis in den Europäischen Mitgliedsstaaten widersprechen – ein solcher Vorstoß verstößt gegen das allgemeine Rechtsempfinden. Arbeitnehmer*innen und Gewerkschaften sind strikt gegen die staatliche Festsetzung von Tarifverträgen.

Aktueller Nachtrag am 13.01.2016

Was getan werden muss gegen den aktuellen Vorschlag zum IIA, bzw. in Hinsicht auf die weitere Ausgestaltung von Better Regulation (Inter Institutional Agreement, also das Abkommen, dass Kommission, Parlament und Rat mit einander aushandeln, wie sie miteinander zusammenarbeiten wollen).8

Dieses interinstitutionelle Abkommen ist Teil des ganzen „Better Regulation Packages“, das aus fünf Regelungen besteht und insgesamt mehr als 700 Seiten umfasst und als einziges (!) mit dem Rat und dem Europäischen Parlament verhandelt werden muss, den Rest erläßt die KOM einfach so. Trotz großer Verbesserungen, die auch wegen der beständigen Lobbybemühungen von „Watchdog Better Regulation“ unter dessen Chefin Dr. Christina J. Colclough (Head of EU Affairs, UNI europa, Brüssel) bei den letzten Verhandlungen am 9. Dezember 2015 eingefügt wurden, gibt es immer noch sehr schwerwiegende Probleme mit dem gesamten Better Regulation Packet.9
1. Das „Think Small First“ Prinzip besagt, dass die Gesetzgebung immer zugunsten von KMU (Klein- und Mittelunternehmen) ausfallen müsste. Das ursprüngliche Better Regulation Prinzip beinhaltete sogar die Idee, dass KMUs fast generell aus zukünftigen Regelungen ausgenommen werden sollten. Das ist eine absurde Idee da als KMU in der EU Unternehmen bis 250 Mitarbeiter gelten. 99% aller Unternehmen in Europa sind also KMUs. Kleinstunternehmen haben weniger als zehn. Die KOM möchte im Grunde erreichen, dass dieser Sektor aus den gesetzlichen Regulierungen ausgenommen wird. Damit würde McDonalds ausgenommen werden, da bei Franchise Unternehmen jede Filiale für sich zählt. Vor allem ist dieser Ansatz angesichts des digitalen Marktes veraltet, da es echte KMU in diesem Sektor gibt, die Millionenumsätze haben. Sollen die vom Arbeitsrecht ausgenommen werden? Dieses „Think Small First“ Prinzip muss also entfernt werden.
2. Die Mitgliedsländer müssen darauf achten, dass alle Gesetzesinitiativen angemessen die sozialen Aspekte berücksichtigen. Dies muss zu einem leitenden Prinzip von Better Regulation werden, also zu der „Brille“ durch das alle Initiativen wahrgenommen werden. Es muss ein Screening aller Vorschläge in Hinsicht auf ihre lang- und kurzfristigen Auswirkungen auf die Beschäftigung, Beschäftigungsformen (hochwertige Arbeitsplätze vs prekäre Arbeit) und zu den Auswirkungen auf die Qualität der Gesundheits- und Sicherheitsbestimmungen usw. geben.
3. Gravierend ist, dass trotz der positiven Veränderungen, die in den Dezember Verhandlungen erreicht werden konnten, nach wie vor der unglückselige Kampfbegriff des „overregulation and regulatory burdens“ (Überregulierung und regulatorische Belastung) nach wie vor ständig in dem Entwurf des IIA benutzt wird. Es ist ein politischer Begriff, der Regulierung als solche erst einmal unter einen Generalverdacht stellt negativ und unnötig zu sein. Früher wurde Regulierung als nötig gegen Marktversagen angesehen, dann sollte, auch unter dem Einfluss der oft unterschätzten Stoiber Gruppe (2007-2014), Regulierung „fit for purpose“ („geeignet für ihre [angedachte] Verwendung“) gemacht werden, und nun ist Regulierung nur noch eine Belastung. Gerade in Hinsicht auf TTIP Verhandlungen mit der Einführungen des Investor-Staat-Streitbeilegung Mechanismus (ISDS) als neue wirkungsvolle Regulierung zeigt sich dass die KOM nicht gegen Regulierungen per se ist, sondern eben einen starken pro-Kapital bias hat.
4. Weiterhin ist absurd, und dieses Ziel ist erst in den Dezember Verhandlungen aufgenommen worden, dass es festgesetzte Ziele der „burden reduction“ geben soll (quantitative targets for regulatory burden reduction“ (Artikel 34c). Diese Idee kommt aus England und dort gilt im Moment die Regel „One in One out“. Wenn also das Kapital um 1. Mio. Pfund Euro durch neue Regulierungen belastet wird, muss es an anderer Stelle um 1 Mio. Pfund entlastet werden. Die Diskussion geht hin bis zu 1:3 in Zukunft.
Am 26. November 2015 hatten 19 Regierungschefs der EU an den für Better Regulation zuständigen Vizechef der KOM einen Brief geschrieben, in dem sie darauf drängten: „You have demonstrated great ambition in the reforms you have already introduced and in your better regulation package of May 2015. But one particular – and essential – reform is still missing: we now need to establish targets for reducing the burden of regulation in particularly burdensome areas, in line with the conclusions of the Competitiveness and European Councils.”
5. Sehr wichtig ist es den Begriff des „gold-plating“ zu skandalisieren. Der Begriff des „Vergoldens“ wird von Timmermans etc. abwertend für nationale Umsetzungen europäischer Regelungen gebraucht, wenn diese über (!) den Regulierungsinhalt hinausgehen, ergo: wenn sie sozialer sind als von der KOM gedacht.
Ein Beispiel wäre also wenn die Slowakei in einer europäischen Richtlinie, die sechs Monate Mutterschaftsurlaub vorsieht anstelle dessen für ihr eigenes Land neun Monate durchsetzen würden. Was neoliberale Kommissare (à la Timmermans, der Sozialdemokrat ist und von dem es heißt er sei „100% Niederländisch und 0% sozialdemokratisch“) damit erreichen wollen ist, dass Mindeststandards, die die Kommission eigentlich verabschieden soll, somit durch „peer-pressure“ zu Höchststandards werden.
6. Die Landesparlamente müssen Druck auf die Bundesregierung ausüben, und nachdrücklich fragen inwiefern die Ratsverhandlungen (Council) transparent sind. Erhalten die Landesparlamente die Unterlagen aus den Ratsverhandlungen?

Anmerkungen

[1] http://www.pacteurope.eu/pact/wp-content/uploads/2015/06/PACT_Better_Regulation_booklet_2015.pdf.
[2] engl. für Amtsschimmel, also übertriebene oder unsinnige Bürokratie
[3] http://www.dgb.de/themen/++co++5365e03c-2acd-11e5-b098-52540023ef1a.
[4] http://corporateeurope.org/power-lobbies/2014/10/crusade-against-red-tape-how-european-commission-and-big-business-push, Seite 8.
[5] http://rosalux-europa.info/userfiles/file/TTIP_DE.pdf, Seite 22.
[6] http://www.bilaterals.org/?eu-meets-u-s-regulatory-demands.
[7] http://www.dgb.de/themen/++co++ac2c99d2-fe3f-11e4-9813-52540023ef1a.
[8] http://ec.europa.eu/smart-regulation/better_regulation/documents/20151215_iia_on_better_law_making_en.pdf. [9] Das RLS Büro in Brüsseler erarbeitet im Januar/Februar 2016 in Kooperation mit Christina J. Colclough einen kurzen „Comic-Film“, der in einfacher Weise die Probleme von Better Regulation darstellen sollen.
Video

Wie demokratisch ist die EU-Gesetzgebung?
Die Europäische Kommission (EC) arbeitet zurzeit an der Einführung ihres Pakets für Bessere Rechtsetzung und lobt diese Initiative für  ihr vermeintliches Potential die Auflagen durch die rechtlichen Rahmenvorschriften zu verringern und das dadurch erzielte Wirtschaftswachstum, inklusive das Versprechen für mehr Jobs in Europa. Genauer betrachtet wird jedoch glasklar, dass das Paket für Bessere Rechtsetzung zuerst die Wirtschaftsinteressen bedient und Sozialstandards, Umweltgesetze und demokratische Prozesse unbeachtet lässt.
Hört sich an wie TTIP (die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft), nur auf EU Ebene? Genau. Das Paket bringt die gleichen Gefahren für Transparenz und letztlich auch Demokratie mit sich, wie die letzten Initiativen zur Einführung des Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA.
Unser Video erklärt, was es mit dem Paket für Bessere Rechtsetzung auf sich hat: wie die Kommission großen Interessengruppen die Möglichkeit der Einflussnahme verweigert, wie ihr Erster Vizepräsident allein beträchtliche Macht ausüben kann und dadurch Demokratie in der europäischen Rechtsetzung aushöhlt.

Quelle: http://de.rosalux.eu/metanavigation/multimedia/wie-demokratisch-ist-die-eu-gesetzgebung/