Österreichs Anschluss an Nazi-Deutschland

Am 12. März jährte sich der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich, infolge dessen das nationalsozialistische Terrorregime auf Österreich ausgedehnt wurde, zum 80. Mal. Erst in den 1980er-Jahren wurde durch die sogenannte Waldheim-Affäre ein Umdenkprozess angestoßen, dass sich die Österreicher_innen nicht nur als Opfer, sondern auch als Täter_innen im Hinblick auf die Verbrechen des Nationalsozialismus sehen müssen.

Die Problematik ist allerdings komplexer, als dass sie sich auf den Gegensatz von Opfern und Täter_innen reduzieren ließe. Der wichtigen, neuen Sensibilität gegenüber der Täter_innenschaft fiel vielfach die öffentliche Beachtung des österreichischen Widerstands zum Opfer, obwohl dieser bei der Errichtung der Zweiten Republik Österreich eine essentielle Rolle spielte.

Diese Debatte wieder aufzunehmen, erscheint heute umso notwendiger, als seit Dezember der Deutschnationalismus in Gestalt der rechtsextremen FPÖ in der Regierung sitzt. Damit gewinnen Fragen des Selbstverständnisses Österreichs und der Interpretation seiner Geschichte eine dringende aktuelle politische Bedeutung.

Die Panelist_innen kamen aus unterschiedlichen Fachbereichen und Zugängen, so gab es Vorträge von Historiker_innen vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) in Wien, aber auch von einer Ordensschwester.

Winfried Garscha (DÖW) sprach zum Weg zum März 1938 in der austrofaschistischen Diktatur, Gerhard Baumgartner (Wissenschaftlicher Leiter des DÖW) zum österreichischen Widerstand, und hier auch zu bisher unerforschten Widerstandsgruppen wie den Burgenländischen Roma. Claudia Kuretsidis-Haider (DÖW) hielt eine Präsentation zur Entnazifizierung und Nachkriegsjustiz. Die Politikwissenschafterin Tamara Ehs sprach zu Abbruch und Scheitern der Entnazifizierung und Ent-Faschisierung.

In einem Panel zu „Wie wir heute über den Widerstand reden“ sprachen die Historikerin Sissi Luif, die Filmemacherin Elisabeth Holzinger, die Journalistin Nina Horaczek und Tobias Schweiger von den Jungen Grünen.

Mario Kessler, Historiker aus Berlin, hielt einen Vortrag über deutsche und österreichische Kommunist_innen und ihre Flucht in die Vereinigten Staaten. Sr. Ruth Beinhauer hielt eine Präsentation zu Sr. Restituta Kafka, die von den Nazis wegen Widerstands zum Tode verurteilt wurde, und ihre kommunistischen Mitgefangenen.

Bernhard Weidinger (DÖW) erklärte, warum man die FPÖ als rechtsextreme Partei deklarieren kann. Walter Baier, politischer Koordinator von transform! europe, sprach zu Rechtsradikalismus und Nationalismus in Europa.

Im abschließenden Panel kamen Politiker_innen zu Wort: Zur Frage von Europa zwischen Neoliberalismus und Nationalismus sprachen Joanna Gwiazdecka (RLS, Prag), Samuel Seitz (Junge Linke), Regina Gruber (DiEM25) und Joachim Tischler (Europäische Linke).

Die Schlussbemerkungen hielt Mirko Messner, Bundessprecher der KPÖ.

Eröffnet wurde das Symposium von Barbara Steiner, Direktorin von transform! europe. Hier ihre thematische Einleitung:

Hitler wurde im austrofaschistischen Österreich jubelnd begrüßt

Am 12. März 1938 marschierte die deutsche Wehrmacht in Österreich ein, und es wurde der politische Wechsel vom austrofaschistischen zum nationalsozialistischen Regime vollzogen; am 13. März wurde die administrative Eingliederung von Österreich als „Ostmark“ ins Deutsche Reich durchgeführt.

Der Feind stand aber nicht nur jenseits der Grenze. Die NSDAP erreichte in den letzten freien Regionalwahlen 1932 etwa ein Viertel der Stimmen und war nach der Sozialdemokratie die zweitstärkste Oppositionspartei.

Die Demokratie war in Österreich seit 1933 ausgeschaltet, am 4. März 1933 wurde das Parlament von der Regierung Dollfuß lahmgelegt. Die seit Juni 1933 illegalen Nazis versuchten am 25. Juli 1934 einen Putsch, verübten Terroranschläge und unterwanderten dann die verschiedensten Institutionen des austrofaschistischen Staates, warteten nur auf ihre Chance zur Machtergreifung und mobilisierten im März 1938 ihre Anhängerschaft.

Die Wehrmachts-, SS- und Polizeikommandos marschierten am 12. März unter Beifall und Jubel einer großen Zahl von Österreicher_innen ein. Wir alle kennen die Bilder vom überfüllten Heldenplatz, wo am 15. März die Menschen Hitler am Balkon der Neuen Burg zujubeln.

Schon am Abend des 11. März beginnend, wurden in den darauf folgenden Wochen, insbesondere in Wien, von SA und SS rund 72.000 Menschen verhaftet, darunter Funktionär_innen des Ständestaats, Politiker_innen der Ersten Republik, Kommunist_innen, Intellektuelle – ein Drittel von ihnen Juden. Die meisten wurden in das KZ Dachau deportiert.

Die KPÖ für ein unabhängiges, demokratisches Österreich

Die KPÖ war eine kleine Partei, die nicht im Nationalrat vertreten war. Ihre Mitgliederzahl wuchs jedoch rapide an nach dem kurzen Bürger_innenkrieg im Februar 1934, in dem die Arbeiter_innenbewegung und ihr bewaffneter Arm, der Schutzbund, den faschistischen Heimwehren unterlag. Die KPÖ vertrat seit Beginn der Ersten Republik die These des unabhängigen Österreichs gegen die in den 1920er-Jahren verbreitete Anschlussbewegung. Am 12. März war sie die einzige politische Kraft, die zum aktiven Widerstand gegen die Besatzung, gegen das faschistische Regime und für die Wiedererrichtung eines „freien, unabhängigen Österreich“ aufrief, explizit auch an Sozialist_innen und Christ_innen gerichtet.

Die KPÖ wollte in der Nazizeit in einer Volksfront für ein demokratisches, unabhängiges Österreich kämpfen, das auch nicht zum Status Quo vor dem Anschluss zurückkehren sollte, sondern den Weg in eine sozialistische Gesellschaft öffnen sollte. Sie reihte sich mit dieser Strategie in die Reihe von Befreiungsfronten und -armeen im Widerstand gegen die Nazi-Okkupation ein, international. Sie sieht das freie, demokratische Österreich als Antithese zum Nationalsozialismus.

War es Naivität oder propagandistische Ausblendung, die sie den Jubel, die Anhänger_innenschaft und den weite Teile der Gesellschaft vergiftenden Antisemitismus unterschätzen ließ?

Die Relevanz des Widerstands

Es gab sozialistischen, christlichen, konservativen, militärischen, gewerkschaftlichen und kommunistischen Widerstand, und das individuelle Widerstehen – was wir als zivilen Ungehorsam oder einfach Mitmenschlichkeit bezeichnen – war in vielen Facetten ausgeprägt. Zahlenmäßig waren die Verluste des kommunistischen Widerstands am höchsten. Immer ist festzustellen, dass durch die Kriegssituation die Geschlechterverhältnisse erschüttert waren, Frauen ihren Platz in der Öffentlichkeit einnahmen. Frauen im Widerstand waren Mehrfachbelastungen ausgesetzt – es galt, die Familie und Fürsorgearbeiten mit Lohnarbeit und politischer Arbeit zu vereinen.

Die Moskauer Deklaration der alliierten Außenminister erkannte 1943, dass Österreich das erste freie Land sei, das der typischen Angriffspolitik Hitlers zum Opfer gefallen ist. Doch wörtlich heißt es in der Deklaration auch: „Österreich wird aber auch daran erinnert, dass es für die Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-Deutschlands eine Verantwortung trägt, der es nicht entrinnen kann, und dass anlässlich der endgültigen Abrechnung Bedachtnahme darauf, wieviel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben wird, unvermeidlich sein wird.“

Besonders dem bewaffneten Widerstand der Kärntner Slowenischen Partisan_innen kam hier in der Bewertung nach Kriegsende große Relevanz zu[1]. Es ergab sich das Paradoxon, dass obwohl die Widerstandskämpfer_innen und die Partisan_innen verantwortlich waren für die rasch wieder gewonnene Unabhängigkeit Österreichs, sie im befreiten Österreich aber marginalisiert, als Kommunist_innen, Vaterlandsverräter_innen und Banditen verteufelt wurden.

Die Kommunistin Irma Schwager, die in Frankreich in der Résistance in der hoch gefährlichen sogenannten „Mädelarbeit“ tätig war, antwortete an ihrem 90. Geburtstag auf die Frage ihres Enkels, dem Singer/Songwriter Robert Rotifer, warum sie zurückgekommen sei nach Wien, in diese Stadt, wo sie als Jüdin und als Kommunistin bespuckt und verachtet worden war, wie aus der Pistole geschossen: „Wir sind zurückgekommen, weil wir gewonnen haben.“ Er singt darüber in dem Lied „Irma La Douce“, welches er für ihr Begräbnis geschrieben hat.

Tatsächlich hat die KPÖ als einzige Partei aktiv ihre jüdischen Mitglieder aus dem Exil zurückgeholt. Dies ist auch in der beeindruckenden Ausstellung im Wiener Jüdischen Museum, „Genosse Jude“, dokumentiert. Doch die KPÖ, Gründungspartei der Zweiten Republik und Teil der provisorischen Regierung Renner, erreichte nicht die Wahlerfolge, die sie sich nach der großen Relevanz im Widerstand erhofft hatte.

Im Kalten Krieg: antifaschistischer Konsens wird zum antikommunistischen Konsens

Ehemalige NSDAP-Mitglieder waren nach 1945 vom Wahlrecht ausgeschlossen – jedoch nur bis 1947 bzw. 48 (passives Wahlrecht). Es erfolgen Amnestien für „minderbelastete“ Nazis, eine schleppende und schließlich eingestellte Entnazifizierung und Verfolgung von Kriegsverbrechen. Es wurde im Geiste des Kalten Krieges der antifaschistische Konsens abgelöst von einem antikommunistischen Konsens; ehemalige Nazis konnten sich nun auch als Opfer sehen und nach einer kurzen Anstandsfrist im neu errichteten Österreich ihre Karrieren fortsetzen.

Sinnbildlich dafür ist Taras Borodajkewycz, dessen antisemitische Tiraden 1965 zu einer großen antifaschistischen Demonstration führten, in deren Verlauf der kommunistische Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger von einem Mitglied des RFS (Ring Freiheitlicher Studenten) erschlagen wurde.

Die Waldheim-Affäre 1986 machte die Beteiligung vieler Österreicher_innen an den Naziverbrechen zum öffentlichen Thema und leitete einen Umbruch im öffentlichen Diskurs ein. Franz Vranitzky gab 1991 als erster Bundeskanzler die Beteiligung von Österreicher_innen an den Nazi-Verbrechen zu und entschuldigte sich in eindrucksvoller Weise.

Ab 1992 beschloss der Nationalrat die Entschädigung vertriebener Juden und Jüdinnen und Zwangsarbeiter_innen, ab 2001 die Restitution.

Bisher weitgehend ignorierte Opfergruppen wie Roma und Sinti, Schwule und Lesben, Menschen mit Behinderung, Opfer von klinischen Versuchen und „Euthanasie“ und Zeugen Jehovas ebenso wie die Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse wurden seither akademisch untersucht und medial gewürdigt.

Die Wehrmachtsausstellung 1995-1999 und 2001-2004 brachte den Mythos der „sauberen Wehrmacht“ zu Fall, indem sie bis dahin tabuisierte Massaker und Beteiligung am Vernichtungskrieg zur Schau brachte. Die Rehabilitierung von Deserteuren erfolgte erst 2009; ein Deserteursdenkmal in Wien wurde 2014 errichtet.

Der Opfer/Täter-Diskurs und der österreichische Widerstand – Relevanz heute

Die Ersetzung des Opferdiskurses durch den Täterdiskurs drängt den kleinen, aber gerade deswegen bedeutsamen Widerstand neuerlich aus dem Blick. Dies zu korrigieren, wollen wir mit diesem Symposium versuchen.

Einer antifaschistischen Politik, die Mehrheiten erreichen will, ist nicht mit plakativen Vereinfachungen gedient. Sie braucht ein differenziertes Bild auf die Gesellschaft und ihre Geschichte. Vor allem muss sie an den progressiven Traditionen anknüpfen.

Es herrscht in weiten Kreisen der liberalen, selbst in Teilen der konservativen Öffentlichkeit und in den Medien moralische Empörung über die Kontinuitäten des Nationalsozialismus über Rechtsextremismus, Antisemitismus und Deutschnationalismus (weniger über den Frauenhass und Rassimus?!) in den Reihen und im Umfeld der FPÖ.

Die FPÖ ist eine Partei, die im Nationalrat und der Regierung sitzt, deren Vertreter_innen sich jedoch der deutschen Nation zugehörig fühlen. Im Nationalrat und in der Regierung sitzt also eine Partei, die Österreich als eine eigenständige Nation ablehnt.

Bei der Verdrängung der Geschichte und des Holocaust, dem Diskurs der Relativierung verhält es sich so wie in Elfriede Jelineks Roman „Kinder der Toten“ – es kehrt das Verdrängte als Unheimliches zurück. Dass zuerst die Beteiligung an den Naziverbrechen verdrängt wurde und dann, während der Aufarbeitung, die Ursachen auch nicht bearbeitet wurden, sondern nur die Auswirkungen, löst das Trauma nicht auf.

Deshalb braucht es einerseits eine Verbindung mit Politiken, die ein Wiederaufleben des Faschismus verhindern. Andererseits ist die Betrachtung von Geschichte kein reiner Blick ins Vergangene, sondern immer auch Analyse und Interpretation für das Heute und die Zukunft.

Wir brauchen bei der Gestaltung dieser Zukunft – und es kommt hier den Wissenschafter_innen genauso eine Verantwortung zu wie Journalist_innen, Künstler_innen, Politiker_innen und anderen Intellektuellen – Allianzen und Bündnisse.


[1] „Österreich wird aber auch daran erinnert, dass es für die Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-Deutschlands eine Verantwortung trägt, der es nicht entrinnen kann, und dass anlässlich der endgültigen Abrechnung Bedachtnahme darauf, wieviel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben wird, unvermeidlich sein wird.“