Umbrüche der Parteiensysteme im Osten Deutschlands. Zu den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen

In Deutschland finden in diesem Jahr neben den Europa- und Kommunalwahlen auch in vier Bundesländern Landtagswahlen statt: in Bremen, Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Lesen Sie die Analyse zu den Wahlen von Cornelia Hildebrandt und Roland Kulke.

Bereits stattgefunden haben Wahlen in Bremen. DIE LINKE konnte dort über 50.000 WählerInnen hinzugewinnen und wurde mit 11,4% erfolgreich viertstärkste Kraft hinter der CDU mit 26,7%, der SPD mit 24,9% und den Grünen mit 17,4%. Sie ist nunmehr beteiligt an einer rot-rot-grünen Regierung. Eine solche Regierung arbeitet bereits erfolgreich in Berlin. Berlin wie auch Bremen oder Hamburg sind jedoch ,Stadt-Staaten‘: Städte im Rang von Bundesländern. Hier bleiben die Ergebnisse der rechtsextremen AfD weit unter ihren sonstigen Möglichkeiten, in Bremen erhielt sie lediglich 6,1%.

Völlig anders ist die politische Situation in den beiden ostdeutschen Bundesländern Brandenburg und Sachsen, wo am 1. September 2019 gewählt wurde. Diese Bundesländer sind stärker geprägt durch ländliche Regionen mit zahlreichen mittleren und kleinen Städten. Großstädte gibt es nur wenige. Ein Vergleich der Ergebnisse von Bremen mit Brandenburg oder Sachsen verdeutlicht in besonderer Weise die Unterschiede der politischen Landschaft zwischen urbaner Region – insbesondere der eines Stadtstaates ‒ und ,Flächenland‘. Ein sich erneuernder Stadt-Land-Konflikt manifestiert sich – spezifisch geprägt durch die deutsche Ost-West-Geschichte.  

Zu den Ergebnissen der Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen

BVB/FW: Brandenburger Vereinigte Bürgerbewegung/Freie Wähler
Quelle: eigene Darstellung

Während in Brandenburg die SozialdemokratInnen seit 1990 fast ununterbrochen regieren, gilt dies in Sachsen für die CDU. Beide Parteien haben sich im Verlaufe dieser Zeit verbraucht und zunehmend an Zustimmung verloren. CDU und SPD erhalten in beiden Ländern ihre schlechtesten Ergebnisse überhaupt. Die jeweiligen Amtsinhaber retteten ihre eigenen Parteien vor noch stärkeren Verlusten: in Brandenburg der Ministerpräsident die SPD, in Sachsen der Ministerpräsident die CDU, der u.a. auch 24.000 Stimmen von DIE LINKE- und 22.000 von SPD-WählerInnen erhielt, um die AfD als stärkste Kraft zu verhindern.

Dennoch gehen Konservative und SozialdemokratInnen geschwächt aus diesen Wahlen hervor. Dazu hat auch die ,Performance‘ der Bundesebene beider Parteien beigetragen. Mit 7,7% gehört die SPD in Sachsen zu den Kleinparteien. Dort hatte die PDS, später die LINKE, die Funktion einer zweiten Volkspartei mit über 20% WählerInnenzustimmung. Diese Funktion hat sie nicht mehr – weder in Sachsen noch in Brandenburg, ihren früheren Hochburgen.

Die LINKE verlor jedoch in beiden Bundesländern aus sehr unterschiedlichen Gründen. In Brandenburg ist sie bereits seit 2009 an der rot-roten Regierung beteiligt. In Sachsen hatte sie aufgrund der Stärke der CDU und der grundsätzlichen Schwäche möglicher KoalitionspartnerInnen (Sozialdemokratie und Grüne) nie eine wirkliche Machtposition. Sie ist seit der Wende ausschließlich Oppositionspartei. Prozentual verlor die LINKE bei den nun gerade stattgefundenen Landtagswahlen fast die Hälfte ihrer WählerInnen in alle Richtungen. Die Partei, die bisher etwas mehr von Frauen als Männern gewählt wurde, verliert Frauen und Männer gleichermaßen. Sie kommt in beiden Bundesländern zusammen nur noch auf 360.000 WählerInnen, 2014 waren es noch knapp 500.000. Die Partei verlor bei allen WäherInnensegmenten, insbesondere jedoch bei den unter 30-jährigen. Auch unter den 45-59-jährigen, ihrer einstigen KernwählerInnenschaft, entscheiden sich immer weniger Menschen für die LINKE. Im Ergebnis fällt DIE LINKE bei diesen Landtagswahlen somit in Brandenburg von 18,6% 2014 auf 10,7%, und in Sachsen von 18,9% auf 10,4%.  

Im Gegensatz zu den LINKEN konnten die Grünen in beiden Bundesländern vor allem bei den unter 30-jährigen WählerInnen zulegen. Ihr Potential findet sie vor allem unter Studierenden oder jenen mit Hochschulabschluss. Sie sind nunmehr in Brandenburg mit über 10,8% und in Sachsen mit über 8,6% im Landtag vertreten, bleiben damit aber deutlich unter ihren Erwartungen.  Die liberalen FDP verfehlte die 5-Prozent-Hürde in beiden Bundesländern.

Der eigentliche Gewinner dieser Wahl ist die AfD. Sie wurde in beiden Bundesländern zweitstärkste Kraft. In Brandenburg muss sie sich mit 23,5% nur der regierenden SPD geschlagen geben, in Sachsen mit sogar 27,5% lediglich der CDU. Die AfD erreichte in Brandenburg fast 300.000 und in Sachsen knapp 600.000 Stimmen und konnte damit im Vergleich zu 2014 die Zahl ihrer WählerInnen fast verdreifachen. Die AfD erreichte ihre Zugewinne in beiden Bundesländern insbesondere durch die Mobilisierung einstiger NichtwählerInnen (über 240.000), aber auch durch ehemalige WählerInnen der Konservativen, SozialdemokratInnen und in deutlich geringerem Ausmaß von der LINKEN. Die AfD kann den höchsten Anteil von ArbeiterInnen, die wählen gehen, an sich binden: in Brandenburg sind dies 44%in Sachsen 35%.
Ob es in Thüringen Bodo Ramelow als Ministerpräsident der LINKEN gelingt, diesen Trend zumindest für Thüringen zu stoppen bleibt offen.

Regierungsbildung

Für die Regierungsbildung in Brandenburg und Sachsen heißt dies unterschiedliches: in Sachsen läuft es – angesichts einer ausgeschlossenen Koalition mit der AfD auf eine Kenia-Koalition hinaus, d.h. Schwarz-Rot-Grün = Konservative + Sozialdemokraten + Grüne. Eine solche Koalition gibt es bereits in Sachsen-Anhalt. Eine Rot-rot-grüne Option ist angesichts der Schwäche von LINKE, SPD und Grüne mit insgesamt 26,7% fern jeglicher Realität. In Brandenburg kommen Rot-Rot-Grün auf 47,7% und haben 45 von 88 Sitzen. Das hieße, Rot-Rot-Grün würde mit einer Stimme Mehrheit regieren. Ob das aber angesichts des Absturzes der LINKEN von der Partei mitgetragen wird, ist derzeit offen. Auch hier könnte es also zu einer Kenia-Koalition von SozialdemokratInnen, Konservativen und Grünen kommen.

In welchem Maße die Ergebnisse dieser Landtagswahlen auch Auswirkungen die Bundesebene haben, lässt sich erst nach den Wahlen in Thüringen und vor allem nach der Wahl der neuen SPD-Vorsitzenden sagen. Klar ist, dass nicht nur die AfD gestärkt aus diesen Wahlen hervorgeht, sondern insbesondere ihr völkisch-nationalistischer Flügel (auch offiziell „Flügel“ genannt) deren Spitzenkandidaten in Brandenburg und Sachsen – wie schon in Sachsen-Anhalt zuvor ‒ und in Thüringen Björn Höcke diesen Teil der AfD präsentieren und radikalisieren.

In Brandenburg und in Sachsen konnte die AfD dank der zunehmenden Rolle der Ministerpräsidenten – weniger ihrer Parteien – gestoppt werden. Die Hoffnung besteht nun darin, dass dies in Thüringen auch Ministerpräsidenten Bodo Ramelow gelingt.

Die Grünen sind in beiden Bundesländern bisher nur schwach verankert, d.h. sie wirken aus den Städten und Metropolen in ihre Randregionen.

Die LINKE kann mit ihren guten Ergebnissen in den Großstädten das Abrutschen in den kleinen und mittleren Städten und noch weniger die Verluste in den ländlichen Räumen kompensieren, erst recht nicht, wenn die volatilen urbanen Milieus zwischen den Parteien pendeln. In Sachsen wohnen 4,1 Mio. Menschen davon 1,4 Mio. in den drei Großstädten Leipzig, Dresden und Chemnitz. Zwei Drittel der WählerInnen wohnen außerhalb dieser Städte und prägen maßgeblich das Ergebnis der Wahlen.

Dies berücksichtigend hat die sächsische LINKE versucht, sich auch mit den Problemen im ländlichen Raum auseinanderzusetzen: Eine Wahlkampagne hieß „Tante-Emma-Laden bleibt-im-Dorf“. Weitere Themen waren die Erreichbarkeit von Ärzten, das Recht auf Mobilität auch im ländlichen Raum und Gesamtschulen vor Ort, gute Pflege, bezahlbare Mieten, einen Kindergartenplatz für alle Kinder und eine Stärkung und Würdigung ehrenamtlicher Arbeit, die in ländlichen Regionen das gesellschaftliche Leben absichert. Dennoch – die Botschaften erreichten nur ca. 10% der WählerInnen in beiden Bundesländern.

Was bedeuten diese Ergebnisse?[1]

1.    
Wir haben es auch bei Landtagswahlen zunehmend mit grundlegenden Auseinandersetzungen zur Frage des gesellschaftlichen Zusammenlebens heute und in Zukunft zu tun. Es geht dabei um den inzwischen öffentlich in Frage gestellten Charakter einer offenen und pluralen Gesellschaft, um die Bedeutung der Demokratie, um Zukunftsfähigkeit demokratischer Gesellschaften unter den Bedingungen des Auseinanderdriftens von Gesellschaft in wachsende urbane und schrumpfende abgehängte Regionen, die letztlich das Lebensumfeld und die eigene Biographie maßgeblich prägen. Allein in Sachsen sind zwischen 1990 und 2018 über 2,2 Mio. vor allem junge Menschen aufgrund fehlender Arbeit und Lebensperspektiven abgewandert.

2.     
In Brandenburg und Sachsen wurden die Wahlkämpfe polarisierend geführt: es ging um den Sieger in den Auseinandersetzungen zwischen CDU oder AfD in Sachsen und um die Auseinandersetzung zwischen SPD oder AfD in Brandenburg. Es ging in beiden Bundesländern darum, mit Hilfe eines sich formierenden breiten bürgerlichen Lagers die völkisch-nationalistische AfD als Regierungspartei verhindern. Beide Ministerpräsidenten distanzierten sich in den letzten Wochen deutlich von der AfD und nutzten diese polarisierte Zuspitzung.

3.     
Diese Polarisierung konnte zwar von den Amtsinhabern genutzt werden, sie verweist jedoch eher auf eine Schwäche der dahinterstehenden Parteien als auf ihre Stärke.  Also auch auf der Ebene der Bundesländer ist die Zeit dominierender Volksparteien vorbei. Damit aber wird es für alle Parteien schwieriger Regierungskoalitionen zu bilden. Ausdruck dieser Entwicklung sind letztlich die neu entstehenden Kenia-Koalitionen bestehend aus Konservativen, SozialdemokratInnen und Grünen. In welchem Maße diese stabil sind und wer seine Agenden besser durchsetzen kann, wird sich zeigen.

4.     
Die AfD hat sich als feste Größe im Parteiensystem etabliert. Ihr völkisch-nationalistischer Flügel wird mit diesen Wahlen die Landespolitik noch stärker beeinflussen und ebenso auf bundespolitischer Ebene die künftige Ausrichtung der AfD maßgeblich prägen.

5.     
Angesichts der Halbierung der Wählerschaft der Linken in beiden Bundesländern muss über die Funktion der Partei und ihren Gebrauchswert in der Gesellschaft neu nachgedacht werden. Zumindest für Sachsen ist rot-rot-grünes politisches Projekt für die nächste Zeit ausgeschlossen. Die LINKE konnte mit ihren Angeboten in der Phase polarisierender Zuspitzung nicht durchdringen. Ihre konkreten Angebote zu konkreten Problemlagen zum Beispiel des Wohnens, in der Pflege, der Erreichbarkeit von Ärzten im ländlichen Räumen, der Mobilität erreichten zu wenige und erschienen kaum durchsetzungsfähig, abgesehen von Enttäuschungen der Brandenburger rot-roten Regierung, deren Erfolge – wenn überhaupt – den Sozialdemokraten zugeschrieben wurden. Wobei eine eigenständige Handschrift der LINKEN kaum sichtbar gemacht werden konnte.

6.     
Eine Reorganisierung der LINKEN, die in Brandenburg mit einer Verjüngung der Partei und in Sachsen mit einer Ausrichtung auf die ländlichen Räume versucht wurde, war kurzfristig nicht erfolgreich. Die programmatische Erneuerung der Gesamtpartei – ausgerichtet auf die großen Zukunftsfragen und verbunden mit dem Lebensalltag der Menschen steht aus.


Anmerkung


[1] Nachfolgende Überlegungen stützen sich vor allem auf die Thesen von Horst Kahrs Wahlnachtbericht, erster Kommentar am 1. September 2019: Die Wahl zum 7. Landtag in Brandenburg und zum 7. Sächsischen Landtag am 1. September 2019.