Neue Protestwelle gegen Abtreibungsgesetze in Polen

In Polen gibt es eine neue Welle zivilgesellschaftlicher Proteste gegen die frauenfeindliche Politik der konservativen Regierung aus PiS (Recht und Gerechtigkeits-Partei) und ihren rechtsgerichteten Koalitionspartnern. Als Ergebnis einer Entscheidung des gesetzwidrig bestellten und von der jetzigen Regierung politisch besetzten „Verfassungstribunals“ wurde Abtreibung aufgrund einer festgestellten Missbildung des Fötus in Polen verboten. In den letzten Wochen gab es Berichte von schwangeren Frauen, die in polnischen Spitälern verstarben, weil beschädigte Föten nicht rechtzeitig entfernt wurden und in ihren Körpern abstarben. Ärzt_innen haben keine Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt und den Abgang des Fötus abgewartet, weil sie befürchteten, aufgrund des seit 2020 in Kraft befindlichen drakonischen Gesetzes vor Gericht gestellt zu werden. Auch haben sie Angst vor der Reaktion konservativer Teile der Gesellschaft und dem Aktivismus fanatischer Abtreibungsgegner_innen.

Zur Geschichte des Schwangerschaftsabbruchs in Polen

Um die aktuellen Änderungen des Gesetzes zum Schwangerschaftsabbruch in Polen verstehen zu können, müssen wir uns mehrerer wichtiger Fakten erinnern. In der Zeit zwischen der Polnischen Volksrepublik von 1956 und der politischen Transformation des Jahres 1989 bestanden liberale Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch, d.h., ein solcher war bis zur 12. Schwangerschaftswoche erlaubt, wurde kostenlos in Krankenhäusern durchgeführt und war aus bestimmten sozialen Gründen (wie wirtschaftliche Lage, Familienverhältnisse der Schwangeren usw.) zulässig.           

Jedoch trat nach der politischen Transformation, zwischen 1993 und 2020, in Polen eines der restriktivsten Gesetze zur Beendigung einer Schwangerschaft in Kraft. Ein Abbruch war nur unter drei Voraussetzungen zulässig: um das Leben oder die Gesundheit einer Frau zu schützen, wenn eine fetale Anomalie vorlag oder wenn die Schwangerschaft die Folge eines Verbrechens (d.h., einer Vergewaltigung) war. Dieser sogenannte Abtreibungskompromiss war in Wirklichkeit niemals ein Kompromiss, sondern eine Einschränkung von Frauenrechten, indem das Recht von Frauen, ihre Schwangerschaften abzubrechen in Einklang mit den Richtlinien der Kirche gebracht wurde. Jedoch war das in den Augen konservativer Politiker und religiöser Fundamentalisten, beide von der polnischen katholischen Kirchenhierarchie unterstützt, noch immer nicht ausreichend restriktiv. Die Kirche förderte die Rhetorik der Bewegung der Abtreibungsgegner_innen, indem sie Begriffe wie ‚Mutter eines gezeugten Kindes‘ (statt ‚schwangere Frau‘) und ‚gezeugtes Kind‘ (für ‚Fötus‘ und sogar für ‚Embryo‘) verwendete.

Im September 2016 wies der Sejm (das polnische Parlament) das zivile Projekt des Komitees „Rettet die Frauen“ zurück, das um eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts bemüht war und gleichzeitig die Debatte über die restriktive Gesetzesvorlage „Abtreibungsstopp“ eröffnen wollte. Die Organisation „Ordo Iuris – Institut für Gesetzeskonforme Kultur“, die in Polen sehr aktiv ist, präsentierte einen Vorschlag, der Abtreibung gänzlich verboten und zur Folge gehabt hätte, dass Frauen, die eine solche vornehmen ließen oder Personen, die ihnen dabei behilflich waren, ins Gefängnis gesteckt werden konnten.

Diese Ereignisse waren die Initialzündung für die „Schwarzen Proteste“ vor dem Sejm, auf die landesweite Demonstrationen folgten. Das Ganze kulminierte in riesigen Demonstrationen von Frauen und ihren Verbündeten, die feministische Kreise für 3. Oktober 2016 in ganz Polen organisierten. Dieser Protest, der später von den Medien als „Protest der Schwarzen Regenschirme“ bezeichnet wurde, zeigte Wirkung, insofern einige Tage später der Sejm das Projekt fallenließ.

Konservativer Kreuzzug in der ganzen Welt

Ich möchte hier auch ein paar Worte über ‚Ordo Iuris‘ verlieren. Die Website „Onet“ berichtete in einem Beitrag, der auf Nachforschungen der Reporters Foundation basierte, dass „Gründer von ‚Ordo Iuris‘ einen weltweiten konservativen Kreuzzug mit Millionen finanzieren“. In den jüngsten zurückliegenden Jahren „haben die Gründungsväter von Ordo Iuris fast zehn Millionen Euro aus Polen an ultrakatholische Organisationen in der ganzen Welt überwiesen“, heißt es in dem Beitrag. Dieses Geld kommt angeblich aus Spenden für Bilder „Unserer Lieben Frau von Fatima“ und Rosenkränze. Sie unterstützen die weltweite Bewegung, die das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, aber auch Anti-Gender- und LGBTQ-Bewegungen und „liberale Werte“ allgemein bekämpft. Die ‚Ordo Iuris‘-Stiftung steht in Verbindung mit der brasilianischen NGO ‚Tradition, Familie und Eigentum‘ (TFP) und ist in vielen Ländern aktiv. ‚Ordo Iuris International‘ kooperiert auch mit dem ‚Weltkongress der Familien‘, der vom russischen Oligarchen Wladimir Jakunin gegründet wurde, und mit ‚Agenda Europe‘, einem internationalen Netzwerk konservativer, christlicher Fundamentalist_innen, die u.a. In-Vitro-Fertilisation, Verhütung und Abtreibung verbieten möchten, Sexualerziehung bekämpfen und nicht-heteronormative Menschen stigmatisieren.

Politisch rechter „Konsens gegen Pro-Choice”

Analysiert man die Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs in Polen, bemerkt man, dass seit der Zustimmung zum sogenannten Abtreibungskompromiss sowohl die „liberalen“ als gleichzeitig auch die konservativen Politiker_innen der Oppositionspartei Bürgerplattform (PO) und andere rechtsgerichtete Gruppen keinerlei Schritte unternommen haben, die unmenschlichen Bestimmungen zu bekämpfen, sondern sie vielmehr seit Jahren unterstützen. Das unterstreicht den politisch rechtsgerichteten Charakter des „Kompromisses”, der infolgedessen religiöse Fundamentalist_innen dazu ermutigte, das Totalverbot des Schwangerschaftsabbruches in Polen in Angriff nehmen zu wollen (Ordo Iuris 2016 und Kaja Godek und ihre Stiftung „Leben und Familie“ 2021).

Ein wichtiges Ereignis, das die Gesellschaft schockierte und zu neuerlichen Protestaktionen führte, war die Entscheidung des politisch besetzten „Verfassungsgerichts“ vom 22. Oktober 2020, wonach es verfassungswidrig sei, eine Abtreibung durchzuführen, dies sogar bei Vorliegen einer hohen Wahrscheinlichkeit, dass der Fötus schwer und irreversibel geschädigt ist oder einer unheilbaren, sein Leben bedrohenden Krankheit. Dieser Entscheid war das Ergebnis eines Antrags, der dem ‚Tribunal‘ im Herbst 2019 von einer Gruppe konservativer Parlamentsabgeordneter vorgelegt wurde. Diese Geschehnisse lösten im Oktober und November 2020 erneut Demonstrationen im ganzen Land aus, die über mehrere Tage anhielten und dies ungeachtet der damals durch die Pandemie auferlegten Restriktionen und ungeachtet der aggressiven Behandlung von Protestierenden, einschließlich weiblicher Parlamentsabgeordneter, durch die Polizei.

Die Proteste halten an

Am Jahrestag des Schandurteils durch das ‚Tribunal‘ gingen polnische Frauen und Männer auf die Straßen, mobilisiert durch Informationen über den Tod von schwangeren Frauen, denen lebensrettende Abtreibungen verwehrt worden waren. Unter dem Slogan „Keine einzige mehr“ verstärkten sich die Proteste nach dem Tod von Iza aus der Stadt Pszczyna, die im Krankenhaus an den Folgen einer Sepsis verstorben war, nachdem die Ärzte mit der Einleitung der Geburt eines geschädigten Fötus mit mehrfachen Missbildungen so lange gewartet hatten, bis dessen Herzschlag aufhörte.

Was die gegenwärtigen Proteste betrifft, die in die Tausende reichen, fällt ihr spontaner Charakter auf. Frauen, insbesondere junge Frauen, denen infolge der Entscheidung des Verfassungstribunals das Recht auf Selbstbestimmung über ihre Körper und ihre Fruchtbarkeit verwehrt wird, gehen gegen die restriktiven Gesetze gegen den Schwangerschaftsabbruch auf die Straße und dies ohne besondere Vorbereitungen, Organisationsstrukturen oder finanzielle Mittel.

Abschließend möchte ich hervorheben, dass nur die polnischen Linkspolitiker_innen seit Jahren über die Notwendigkeit der Liberalisierung des Gesetzes zum Schwangerschaftsabbruch im Sinne des europäischen Gedankens sprechen, über das Recht der Frauen, über ihre Fruchtbarkeit selbst zu bestimmen und die Anerkennung dafür fordern, dass Schwangerschaftsabbruch ein Vorgang zur Rettung des Lebens der betroffenen Frauen ist.