Das Fidesz-Rezept

Fidesz ist weder eine Basisbewegung noch Ergebnis einer spezifischen politischen Theorie oder Philosophie. Vielmehr stellt Fidesz eine penibel konstruierte Religion dar, ein Machtzentrum, das von der Regierung und vom Oberhaupt der Kirche gelenkt wird. Ihr Zugang baut auf einem billigen Populismus auf, der von Meinungsumfragen gesteuert wird. Öffentliche Diskurse (Propaganda) werden dabei auf der emotionalen Ebene geführt bzw. geschürt und mehrheitstauglich ausgerichtet.

Ziel von Fidesz ist es, die uneingeschränkte Macht auf Basis von Selbstbereicherung zu erlangen und den Weg für eine neue abhängige, obere Mittelschicht bestehend aus christlichen Bürger_innen und sozial unverträglichen Kapitalist_innen zu ebnen. Schamlos – ja sogar mit Stolz – nennen sie sich die direkten politischen und geistigen Nachfahren von Admiral Miklós Horthy [1], Ungarns Machhaber zwischen den beiden Weltkriegen.
Die vorliegende Abhandlung ist bestrebt, das Fidesz-System zu beschreiben, während die Vorstellung seiner Folgen der Fantasie der Leser_innen überlassen bleibt.

Rezept zur Verwandlung einer schwachen Demokratie in eine starke Diktatur

 

Ich bin Koch, Leiter eines Forschungsinstituts sowie Vorsitzender einer politischen Partei.

Ich werde nun ein Rezept vorstellen, das ich nur unter Zusammenwirken all dieser Beruf(ung)e(n) erstellen konnte.

Zuallererst werde ich Ihnen die für das Rezept erforderlichen Zutaten auflisten. Danach sollten Sie über die Vorgehensweise des Chefkochs Bescheid wissen (in diesem Fall steht „Koch” für eine politische Partei) und über die Empfänglichkeit der Gäste (der ungarischen Gesellschaft) für sein Angebot. Noch bevor überhaupt der Chefkoch seine Menüpläne preisgibt, startet er eine Werbekampagne, um möglichst viele Leute in seine Trattoria zu locken.

 

Zur Vorbereitung:

Zutaten:
1 Portion Demagogie
1 Portion Organisierung
1 Portion Schmutzkübelkampagne
1 Portion Skrupellosigkeit
1 Prise Raffinesse (ermöglicht es Ihnen, die Fehler Ihres Gegners bestens für sich zu nutzen)

Zubereitung der Speise

1)      Unter exzessivem Einsatz von Demagogie, die die liberale Regierungskoalition als korrupt diskreditiert, bereiten Sie mithilfe einer Kampagne Ihren Weg an die Macht vor. Platzieren Sie Fidesz als einzige Treuhänderin für Wohlergehen und Wohlstand.

2)      Machen Sie den „einfachen“ Leuten Glücksversprechen und die Hoffnung auf einen echten Systemwechsel. (Beachten Sie, dass mit dem Begriff „Systemwechsel”, auf Ungarisch rendszerváltás, auf die politischen und sozialen Veränderungen von 1989-90 Bezug genommen wird).

3)      Ändern Sie Ihre politische Haltung, indem Sie Ihr altes liberales Image über Bord werfen und stattdessen eine Maske nationalpopulistischer Demagogie aufsetzen, stets darauf bedacht, Ihren Machthunger zu verbergen.

4)      Immer darauf bedacht, die Realität außer Acht zu lassen, bereiten Sie sich auf den Wahlkampf vor, den Sie mit lauten und forschen Worten für sich entscheiden: „Die Nation kann nicht in der Opposition sein!”[2]

5)      Behaupten Sie, dass internationale Vereinbarungen (bspw. mit dem IMF und der EU) den ausländischen Interessen dienen und nur den Zweck haben, die ungarische Nation unter Kontrolle zu halten.

6)      Profitieren Sie vom Ergebnis einer demokratischen Wahl, aber nehmen Sie den Auftrag, der damit verbunden ist, nicht ernst.

7)      Tun Sie so, als ob Sie eine Revolution und nicht die Wahlen gewonnen hätten. Verdeutlichen Sie, dass Ihnen die „an der Wahlurne herbeigeführte Revolution“ [3] die Vollmacht verleiht, ein neues politisches System aufzubauen: ein System, das Ihnen den Zutritt zur EU niemals gestatten würde, da sein einziger Zweck darin besteht, Sie an der Macht zu halten. Nutzen Sie die Mehrheit der Europäischen Volkspartei (EVP) dazu, die ineffektive EU zu schwächen. Setzen Sie die Fehler der Vorgängerregierung zu Ihrem Vorteil ein und nähren Sie die Illusion, dass Ihre Entscheidungen demokratisch erfolgt sind. Gehen Sie nun wie folgt vor:


Verfassung

       Erklären Sie die bisherige Verfassung für ungültig und bereiten Sie Ihr eigenes „Erstes Gesetz“ (alaptörvény) entsprechend Ihrem Geschmack vor. Betonen Sie, dass mit diesem Gesetz die Einzigartigkeit der ungarischen Staatlichkeit zum Ausdruck kommt. Umgehen Sie sowohl interne wie auch externe Kontrolle durch professionelle Instanzen und berufen Sie sich stattdessen auf Ihre eigenen Ideen wie sie in einem an die Bürger_innen versandten Brief dargelegt haben. Bezeichnen Sie diesen Brief als „Nationale Konsultation”. Distanzieren Sie sich von republikanischen Idealen und ersetzen Sie sie durch nationale Symbolik. Nehmen Sie die erste Strophe der Nationalhymne in die Verfassung auf: „Oh Gott, segne die ungarische Nation mit deiner Gnade und deiner Freigiebigkeit“.

o   Füllen Sie die Verfassung (das neue Erste Gesetz) mit Slogans, die die Leute verstehen können und tun Sie so, als ob es sich um eine politische Erklärung handelt. Fügen Sie die ungarische Stephanskrone ins Erste Gesetz ein und erklären Sie sie zum Symbol für nationale Einheit. Es soll Sie nicht weiter kümmern, dass diese Aufgabe (laut dem Ersten Gesetz) einer real lebenden Person zusteht: dem Präsidenten der Republik.

o   Vergessen Sie, dass Ungarns rechtliches und nationales Fortbestehen im Laufe der Geschichte mehrmals unterbrochen wurde. Betonen Sie unterdessen, dass Ungarn zwischen 1944 und 1990 seine Souveränität verloren hatte und daher für seine Taten als Nation nicht zur Verantworten gezogen werden kann.

o   Entbinden Sie ungarische Autoritäten komplett von ihrer Verantwortung für die Deportationen während des Zweiten Weltkriegs. Nähren Sie den Glauben an die Unschuld bis Sie selbst daran glauben. Lassen Sie ein Denkmal an einem der Hauptplätze Budapests errichten, das die Verantwortung für die Gräuel den Deutschen anlastet und die Unschuld der Ungar_innen betont.

o   Leugnen Sie alle Errungenschaften, die das Land während der Zeit der verlorenen Souveränität erreicht hat. Leugnen Sie die sozialistische Ära.

o   Sprechen Sie über den Nationalen Glauben in der Sprache christlicher Liturgie. Heben Sie die historische Rolle des Christentums hervor und diskutieren Sie nicht über staatlichen Säkularismus.

o   Sichern Sie die vorrangige Stellung der Ehe zwischen Mann und Frau und erklären Sie andere Formen von Partner_innenschaften für nichtig.

o   Heben Sie die Präambel hervor, denn das ist das einzige, was die meisten Leute lesen werden.

o   Betonen Sie die Kriminalität, die von anderen Gruppen gegenüber Ungar_innen verübt wird, während Sie verschweigen, dass die meisten kriminellen Handlungen gegen Ungar_innen von Ungar_innen selbst verübt werden.

o   Streichen Sie das Wort „Republik“ aus der offiziellen Bezeichnung des Landes. Statt von der „Republik Ungarn“ zu sprechen, nennen Sie das Land einfach „Ungarn“. Schreien Sie es heraus wie auf einem Fußballmatch.

o   Beziehen Sie sich auf ungarische Bürger_innen, die innerhalb der Grenzen des Landes leben, als Teil der „vereinten ungarischen Nation” und wenden Sie das Konzept ebenfalls auf Ungar_innen an, die außerhalb des Landes leben.

o   Äußern Sie sich nicht über die Notwendigkeit, die Grenzen anderer Staaten zu respektieren.

o   Betonen Sie, dass das Überleben des Staates von Familien abhängt, die Kinder großziehen. Distanzieren Sie sich gleichzeitig von all jenen, die keine Kinder haben oder einen anderen Lebensstil wählen.

o   Sprechen Sie über das Erste Gesetz als wäre es in Stein gemeißelt, genauso als wäre es für die Ewigkeit und eine in Worte gefasste unveränderliche Wahrheit; die sich aber dann doch als flexibler erweist, sobald sie ein rechtliches Hindernis darstellt.

       Verweisen Sie unaufhörlich auf das Scheitern des bisherigen Systemwandels und versprechen Sie, dass mit der neuen Verfassung eine Ära des Erfolgs und des Wohlstands eingeleitet wird.

o   Unterstreichen Sie kontinuierlich, dass die Dinge heutzutage besser sind als früher.


Legislative

       Schreiben Sie im Parlament (der Nationalversammlung) die Geschäftsordnung so um, dass Sie Gesetze verabschieden können, die Ihren Absichten dienlich sind.

o   Sichern Sie dem Präsidenten der Nationalversammlung eine Machtfülle zu, die es seit dem frühen 20. Jahrhundert nicht mehr gab: Gestatten Sie dem Parlamentspräsidenten körperliche Züchtigung gegen alle einzusetzen, die in Debatten Meinungen äußern, die nicht mit seinen Ansichten übereinstimmen.

o   Betrachten Sie die Opposition für null und nichtig.

o   Stellen Sie beschämend geringe Mittel für politische Parteien zur Verfügung.

o   Seien Sie immer darauf bedacht, mit allen erforderlichen Mitteln die Stärkung außerparlamentarischer Parteien zu verhindern.

o   Führen Sie Praktiken ein, die die Diskussion zu Themen, die Sie als unwichtig empfinden, unterbinden.

       Nutzen Sie den Vorteil Ihrer Zweidrittelmehrheit und verabschieden Sie Gesetze, die nur mit einer Zweidrittelmehrheit oder darüber hinaus beschlussfähig sind.

o   Stellen Sie sicher, dass Ihre Parteifreunde jeweils in den vorderen Rängen jener öffentlichen Einrichtungen installiert sind, die durch ihren unabhängigen Geist auffallen (z.B. die Ungarische Akademie der Wissenschaften). Falls nötig, schaffen oder fördern Sie Ihre eigenen Parallelorganisationen wie etwa die Ungarische Akademie der Künste und unterstützen Sie sie mit großzügigen Monatsgehältern.

o   Stellen Sie sicher, dass den Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften ihre Abhängigkeit bewusst ist (dass sie auf staatliche Förderungen angewiesen sind).

       Ersticken Sie alle sozialen Bewegungen im Keim und machen Sie von der dafür notwendigen Gesetzgebung Gebrauch.

o   Erschweren oder verunmöglichen Sie die Arbeit von NGOs.

o   Versperren Sie ihnen den Weg, indem Sie Ihnen ihre Arbeit mit unzumutbaren Aufträgen und Anforderungen erschweren.

o   Veranlassen Sie, dass das Eigentum ziviler Einrichtungen, die vor dem Bankrott stehen, in Ihren Besitz übergehen.

       Verabschieden Sie Gesetze je nach Bedarf und, falls nötig, mit rückwirkender Geltung.


Neue Eigentumsverhältnisse

       Bestimmen Sie stets darüber, was im öffentlichen Interesse ist.

o   Erzeugen Sie eine Situation, in der Sie über das Eigentum aller verfügen können und Sie den Ihnen dafür angemessenen Preis festlegen.

o   Betonen Sie, dass ungarisches Ackerland nicht zu verkaufen ist.

o   Jegliches Eigentum, das Sie sich angeeignet haben, teilen Sie zwischen Ihren politischen Verbündeten und Parteifreunden auf. Verteilen Sie das Eigentum der Regionalregierungen ebenfalls unter Ihrer Klientel. Legen Sie Naturschutzgebiete ebenso in ihre Hände.

o   Vergessen Sie niemals, Ihre Klientel daran zu erinnern, Reichtum anzuhäufen, und verdeutlichen Sie, dass ihr nichts geschieht, solange sie Ihren Interessen dienlich ist.

o   Verschonen Sie Ihre Gegner_innen nicht. Setzen Sie Polizei und Justiz gegen sie ein, um sie in Schach zu halten.

o   Kümmern Sie sich nicht um verlorene Gerichtsverfahren. Es reicht, sie bis ins Unendliche in die Länge zu ziehen. Zermürben Sie Ihre Gegner_innenschaft und sorgen Sie für negative Berichterstattung über sie. Ebnen Sie sich den Weg in einzelne Betriebe und übernehmen Sie, wenn möglich, die Kontrolle über sie (Eigentum).

       Stellen Sie sicher, dass Ihre „Soldaten” über alles Bescheid wissen und sich für die Lösung von Problemen an Sie wenden.

o   Etablieren Sie Privatunternehmen, auf deren finanzielle Ressourcen Ihrer Partei treu Ergebene zurückgreifen können. Dies gilt auch für Betriebe, bei denen der Staat noch Teileigentümer (sowohl Minderheits- als auch Mehrheitseigentümer) ist. Sorgen Sie für die landesweite Verbreitung dieses Systems und in alle Ecken und Enden des Geschäftslebens und sichern Sie sich so die Kontrolle sowohl über den Binnenhandel als auch den Außenhandel. Weiten Sie Ihr System auf die kleinen Betriebe und Unternehmen, wie z.B. Tabakwarenhandlungen, aus, aber ebenso auch auf bedeutende Wirtschaftszweige wie Erdöl, Gas und Kernenergie, in denen es viel zu verdienen gibt.


Regionalregierung

        Schränken Sie die Selbstverwaltung und finanzielle Unabhängigkeit der Regionalregierungen massiv ein.

o   Führen Sie Zentralorgane ein, die alle wichtigen Entscheidungen treffen.

o   Treffen Sie selbst Entscheidungen, die Ihnen die Treue der regionalen Klientel sichern.


Umweltschutz

           Verwerfen Sie das Recht auf eine saubere Umwelt.

o   Verwalten Sie Umweltanliegen nicht auf Ministerialebene. Stellen Sie sicher, dass Ihrer – auf Sekretariatsebene angesiedelten – Umweltbehörde bedeutende Tools fehlen; belasten Sie sie mit unwichtigen Aufgaben und Aufträgen.

o   Stellen Sie Leute ein, die sich nicht dem Umweltschutz verschrieben haben. Sorgen Sie dafür, dass sie keinerlei Erfahrungen mitbringen.


Bildungs- und Berufsbildungspolitik

       Generell gilt: Stellen Sie keine Expert_innen ein.

o   Veranlassen Sie, dass alle von Ihnen abhängig sind und Sie sich nicht zutrauen, in anderen Bereichen außerhalb ihres Kernbereichs tätig zu sein.

       Stellen Sie öffentlich klar, Kinder früh zur Schule schicken zu wollen.

o   Machen Sie Tagesbetreuung verpflichtend. Lassen Sie den Mangel an öffentlichen Kindertagesstätten und -gärten nicht Ihre Sorge sein.

       Stellen Sie den Glauben und die Kirche über die Bildung.

o   Entziehen Sie den öffentlichen Schulen Geld, damit kirchlichen Schulen mehr Budget für auf Hilfe angewiesene Schüler_innen zur Verfügung steht.

o   Führen Sie verpflichtenden Religionsunterricht ein und wenn dies bei den Eltern auf Ablehnung stößt, halten Sie für sie „Ethikunterricht” bereit.

       Sorgen sie dafür, dass Lehrer_innen sich gegenseitig überwachen und gegebenenfalls Ihren „Parteisoldaten” Bericht erstatten. Rufen Sie eine Organisation namens „Selbsterfahrungsgruppe für Lehrende” ins Leben.

o   Erstellen Sie einen „Ethikkodex”, der Lehrenden vorschreibt, wie sie sich zu verhalten oder zu kleiden usw. haben.

o   Sorgen Sie dafür, dass sich Lehrende, die einen Korruptionsverdacht hegen, damit nur an ihre direkt übergeordneten Aufsichtsbehörden wenden können, auch wenn diese selbst unter Verdacht stehen. Stellen Sie klar, dass Whistleblowern die Kündigung droht, auch wenn sich ihr Verdacht als wahr herausstellt.

o   Heben Sie die Lehrer_innengehälter an, während sie in Wahrheit ihren durchschnittlichen Stundenlohn kürzen. Verbreiten Sie die Nachricht, dass Sie die Lehrer_innengehälter angehoben haben.

o   Gestalten Sie Ihren Lehrplan so, dass Kindern aus ökonomisch benachteiligten Familien nicht ermöglicht wird, sich Zugang zu entsprechendem Wissen zu verschaffen um mithalten zu können.

o   Stellen Sie sicher, dass Kinder der bevorzugten Elite Konfessionsschulen abseits des staatlich vorgegebenen Curriculums besuchen.

o   Leugnen Sie die Existenz von an Hunger leidenden Kindern.

o   Reformieren Sie den sekundären Bildungssektor, damit nur ein Bruchteil der Gesellschaft Chancen auf eine höhere Bildung hat.

§  Vermitteln Sie Kindern einen Beruf ohne kulturelles Wissen. Arbeiten Sie hart daran, die Altersgrenze für die Pflichtschule von 18 auf 16 Jahre herabzusetzen. Auf diesem Weg bekommen Sie eine Masse an schlecht gebildeten Jugendlichen mit geringen Aufstiegschancen.

§  Beschränken Sie die Anzahl der nicht berufsbildenden Klassen in den Berufsschulen auf 6.

§  Erhöhen Sie die Anzahl der wöchentlichen Turnunterrichtseinheiten auf 5.

§  Unterrichten Sie keine Informationstechnologie in den Schulen.

o   Restrukturieren Sie das Bildungssystem so, dass Sie die dafür zur Verfügung stehenden Gelder um ein Fünftel kürzen können.

o   Leiten Sie Schulen ohne der Behörde, die Schulbudgets bewilligen soll, dies zu genehmigen.

o   Belassen Sie private und Alternativschulen weiterhin in ihrem rechtlich unsicheren Status sowie in ihrer ungewissen Zukunft.

§  Sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass Sie sie jederzeit schließen können.

o   Erlangen Sie Monopolstellung bei der Publikation von Lehrwerken. Setzen Sie administrative Techniken ein, um gängige Lehrwerke von der approbierten Schulbuchliste zu streichen.

§  Lassen Sie neue, noch nicht bewährte Lehrwerke drucken.

§  Richten Sie bei Bedarf den Geschichtsunterricht nach Ihren ideologischen Vorstellungen aus.


Gesundheitsversorgung

       Versprechen Sie, die Probleme des sich im Abbau befindenden Gesundheitssystems zu lösen.

       Halten Sie ein Referendum ab, das die 1 € betragende „Hausbesuchsgebühr”, die Ärzte einheben, als unethisch bezeichnet.

       Versprechen Sie, dass die Zeit der Unterfinanzierung des Gesundheitssystems vorbei ist.

       Versichern Sie, den Abbau des Gesundheitssystems zu stoppen.

       Versprechen Sie, sich darum zu kümmern, dass die Praxis, dass Patient_innen Bestechungsgelder für medizinische Versorgung leisten, ein Ende hat.

       Versprechen Sie, dass die Leute in Ihrem System länger Leben werden.

       Machen Sie Versprechungen dahingehend, dass emigriertes Gesundheitspersonal wieder zurückkehren wird.

o   Kümmern Sie sich aber nicht um die Details, da Sie sich ohnehin nicht in öffentlichen   Spitälern behandeln lassen.

       Seien Sie stets in Verzug, wenn es um die Auszahlung des Lohns an das unterbezahlte Kranken- und Pflegepersonal geht.


Energiepolitik

       Tun Sie kund, dass das Land nicht genug Energie zur Verfügung hat.

       Unterzeichnen Sie einen Vertrag zur Errichtung eines großen neuen Kernkraftwerks.

       Rechtfertigen Sie den Vertrag mit Ihren Befürchtungen im Hinblick auf Terrorismusgefahr.

       Kümmern Sie sich nicht um alternative Energieformen.

o   Lösen Sie bestehende öffentlich vergebene Aufträge auf.

       Lassen Sie sich in dem Abkommen die Option für eine Darlehensfinanzierung offen, wobei Sie das Darlehen für alle Zwecke verwenden können, die Ihren Bedürfnissen entsprechen, nicht ausschließlich für das neue Paks II Kernkraftwerk.

       Kaufen Sie keine Energie von Kraftwerken ein, die nicht zu Ihren strategischen Partnern gehören.

o   Schicken Sie diese in Konkurs und zwingen Sie sie, ihre Kraftwerke an Ihre Freunde zu verkaufen.

o   Gelingt dies nicht, lassen Sie sie einfach schließen. Kümmern Sie sich nicht um verloren gehende Arbeitsplätze.


Forschungs- und Entwicklungspolitik

        Es besteht kein Handlungsbedarf.

o   Um genau zu sein, stellen Sie sicher, dass es für Forschung und Entwicklung keine Gelder gibt.

o   Entmachten Sie alle den Bereichen Forschung und Entwicklung gewidmeten Zentren (Akademie der Wissenschaften, universitäre Forschungs- und Entwicklungszentren).

o   Der Rest wird sich fügen.

o   Lösen Sie die Institute für Sozialwissenschaften auf (oder machen Sie sie gebührenpflichtig, sodass nur wenige Auserwählte es sich leisten können, Sozialwissenschaften zu studieren)

o   Machen Sie eine Ausnahme, wenn eine Organisation für Sie arbeitet. Belohnen Sie sie großzügig, da sie es verdienen, für ihre treuen Dienste belohnt zu werden. 


Geschlechterpolitik

        Stellen Sie klar, dass Frauen den Männern gleichgestellt sind, weshalb Sie gar nichts tun müssen.

o   Bilden Sie ein Kabinett, das ganz ohne Frauen auskommt.

o   Stellen Sie Ihre Vorliebe für eine Machokultur zur Schau; Ihre Abgeordneten und Vertreter werden diesbezüglich beispielgebend für andere sein.  


Entertainment-Politik

        Bieten Sie den Menschen „Zirkusvorstellungen“: Bauen Sie Fußballstadien ungeachtet der Kosten.

o   Errichten sie ein Luxusstadion mit einem beheizten Spielfeld in der Heimatstadt des Ministerpräsidenten, direkt neben dem Haus, das ihm gehört. Bezeichnen Sie das als Beispiel dafür, wie gut die Dinge laufen.

o   Denken sie daran, dass gute Ungarn gut im Fußballspielen sind.


Politik zur Armutsbekämpfung

       Stellen Sie Ihren Wohlstand zur Schau: Bescheidene Politiker werden nur bemitleidet.

       Machen Sie klar, dass jeder Mann so viel wert ist wie der Besitz, den er angehäuft hat.

       Stellen Sie sicher, dass niemand die Armen mag

       Verkünden Sie, dass niemand am Wegesrand zurückgelassen wird und überlassen Sie sie, wie die Spartaner in der Antike, am Taygetos-Gebirge ihrem Schicksal.  

o   Verwenden Sie die Rhetorik der „auf Arbeit gegründeten“ Gesellschaft.

o   Machen Sie der Mehrheit klar, dass sie die Minderheit unterstützen.

o   Verlieren Sie kein Wort über die Diskriminierung und Unterdrückung der Roma. Stellen Sie das Thema so dar als ob es mit Geld lösbar wäre, das aber zurzeit im Budget nicht vorhanden ist.

o   Kürzen oder beseitigen Sie die Zahlung von Beihilfen an Behinderte und Versehrte. In diesem Bereich gibt es keinen Platz für Gefühle und Empathie. Stellen Sie klar, dass die meisten behinderten Menschen Betrüger_innen sind.

       Verfolgen Sie die Obdachlosen.

o   Vertreiben Sie sie aus den Stadtzentren. Setzen Sie alle Hebel, die das Gesetz zu bieten hat, in Bewegung, um sie zu schikanieren.

o   Stellen Sie sicher, dass Bänke nicht als Betten und Schlafstellen verwendet werden können.

o   Verabschieden Sie ein Gesetz, wonach es ein Verbrechen ist, auf der Straße herumzulungern oder zu schlafen.


Die älter Werdenden und Alten

        Überlassen Sie ältere Intellektuelle Ihrem Schicksal.

o   Denken Sie daran, Gefolgschaft und Treue mehr wertzuschätzen als Kompetenz.

o   Zwingen Sie ältere Professor_innen und Wissenschaftler_innen in den Ruhestand.

o   Machen Sie sich keine Mühe, den Realwert von Pensionen zu sichern. Betonen Sie die finanzielle Last, die der Gesellschaft und dem Budget durch die Älteren und Alten aufgebürdet werden.

 


Steuern und Korruption

       Versprechen Sie, das Steuerrecht so weit zu vereinfachen, dass eine Steuererklärung Platz auf einem Bierdeckel findet.

o   Verkomplizieren Sie das Steuerrecht so, dass nur Steuerberater_innen eine Steuererklärung aufbereiten können.

o   Unterziehen Sie das Steuerrecht laufenden Änderungen, sodass nicht einmal Rechtsanwält_innen und Steuerberater_innen damit Schritt halten können.

       Führen Sie eine regressive Besteuerung ein, die die Reichen bevorzugt und die Armen überproportional belastet.

o   Eignen Sie sich das Geld der Leute an, wenn nötig.

o   Erfinden Sie während eines laufenden Jahres neue Steuern.

o   Stellen Sie sicher, dass das Steuerrecht gegen jede_n gerichtet werden kann, auf den/die Sie es abgesehen haben.

o   Sichern Sie sich zusätzlich zu den erhobenen Steuern finanzielle Mittel, indem Sie sich alle in privaten Pensionsfonds gelagerten Ressourcen aneignen. Behaupten Sie, dass Sie auf das Geld zugegriffen haben, weil die Manager der privaten Pensionsfonds unverantwortlich sind. Behaupten Sie, dass Sie das Geld im Interesse der Nation benötigten – um die Staatsschulden abzuzahlen.

       Seien Sie nicht besorgt, wenn die Staatverschuldung weiter steigt.

       Schaffen Sie Schlupflöcher, die nur Ihre politischen Verbündeten nutzen können.

o   Wenden Sie das Steuerrecht selektiv an.

o   Befreien Sie Ihre Freunde von der Mehrwertsteuer.

o   Schaffen Sie die Steuer für zu Hause gebrannte Obstschnäpse ab (pálinka).

    Kümmern Sie sich nicht um nicht verstummen wollende Korruptionsvorwürfe; lassen Sie sich von der Tatsache konkreter Vorteile und Begünstigungen leiten, die Ihnen und Ihrer Gefolgschaft zufallen.  

o   Erlauben Sie den mit Ihnen zusammenarbeitenden Geschäftsleuten, an Sonntagen geöffnet zu haben.


Budget

Erstellen Sie ein Jahresbudget, das sich jederzeit modifizieren lässt.

o   Ändern Sie das Budget, sobald es Schwierigkeiten damit gibt.

o   Ignorieren Sie die Schuldengrenze, die Sie in Ihre Verfassung geschrieben haben.


Statistiken

    Verwenden Sie statistische Angaben immer so, dass sie Sie in einem positiven Licht erscheinen lassen. Veröffentlichen Sie niemals Daten, die Ihrer Sache schaden.  

o   Sammeln Sie keine Daten, die unerwünschte Ergebnisse bringen könnten.

o   Kümmern Sie sich nicht um Armut und verweigern Sie Antworten auf Fragen zu diesem Thema.

o   Behaupten Sie, dass keine Regierung vor der Ihren so viel zur Bekämpfung der Armut beigetragen hat. Zeigen Sie keine Betroffenheit angesichts der Tatsache, dass 40% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben.

o   Führen Sie ein öffentliches Beschäftigungsprogramm ein. Bezahlen Sie den Arbeitenden ein sehr niedriges Gehalt: Es ist besser Arbeit zu haben als vor Hunger zu sterben. Zahlen Sie den Leuten eine paar Monate lang Gehälter von € 140, führen Sie sie in der Statistik aber als Vollbeschäftigte. 


Eroberung öffentlicher Ämter

       Schaffen Sie sich das Image einer schlanken Regierung, die nur aus wenigen Ministern besteht. Vergeben Sie alle Posten – so viele wie nötig – an getreue Anhänger Ihrer Partei.  

       Besetzen Sie jedes Amt mir Ihren Leuten.

o   Nehmen Sie einen Anführer Ihrer Partei und machen Sie ihn zum überparteilichen Präsidenten der Republik. Stellen Sie sicher, dass der Präsident jemand ist, der sich Ihnen in keiner einzigen Angelegenheit widersetzen wird. Er muss bereit sein, alle Gesetze zu unterzeichnen, die von Ihrer Partei verabschiedet werden.

       Ernennen Sie so viele Verfassungsrichter aus Ihrer Partei wie Ihnen beliebt. Seien Sie nicht bescheiden: Die Geschichte belohnt die Starken.

o   Entziehen Sie dem Verfassungsgericht Machtbefugnisse und übertragen Sie diese an die Ihrer Partei treu Ergebenen und zwar für einen Zeitraum von zehn Jahren oder länger. Zahlen Sie Ihnen gutes Geld und stellen Sie sicher, dass die Rechtsordnung so undurchschaubar wie nur möglich ist.


Kontrolle auch über Amtsperioden hinaus

       Bringen Sie Personen, die der Partei treu ergeben sind, in Machtpositionen, die sie auch dann weiter bekleiden, wenn der unwahrscheinliche Fall eintritt, dass Ihre Partei die Macht an eine andere Partei abgeben muss. Auf diese Art werden Ihre Leute in der Lage sein, Ihre potentielle Nachfolgeregierung zu blockieren.

       Benennen Sie den obersten Gerichtshof in Kurie um und besetzen Sie diese mit Ihrer Partei treu Ergebenen und dies mindestens für einen Zeitraum von 10 Jahren. Stellen Sie sicher, dass Richter, die Ihnen ergeben sind, den Vorsitz bei der Verhandlung von Ihnen wichtigen Fällen führen.  

       Stellen sie sicher, dass der Vorsitzende des staatlichen Justizbüros ein Ihnen treu ergebener Parteisoldat ist. Versehen Sie diese Person mit einer Amtszeit von neun Jahren und bauen sie diese Stelle als fixen Bestandteil in das Rechtssystem ein.

       Wenn Sie schon nicht unabhängige Richter in den Ruhestand versetzen können, stellen sie sicher, dass diese Richter keinen Verhandlungen vorsitzen, in denen ein Urteil zu Ihren Gunsten gefällt werden soll.

       Wenn Fälle die Opposition betreffen, stellen Sie sicher, dass sie so lange als nur irgend möglich in die Länge gezogen werden, sodass sie im nächsten Wahlkampf als beliebtes Thema herhalten können.

o   Beziehen Sie sich auf Medien, die Ihrer Kontrolle unterstehen, um die Aufmerksamkeit auf Themen zu lenken, die die Opposition in einem schlechten Licht dastehen lassen.  

       Besetzen Sie Positionen so, dass die Ihrer Partei Ergebenen imstande sein werden, die Arbeit jeder Regierung zu sabotieren, die Ihnen im unwahrscheinlichen Falle einer Wahlniederlage nachfolgen sollte.

o   Seien Sie wegen der Position des Oberstaatsanwalts nicht allzu besorgt, da diese schon von einem Ihrer Ergebenen bekleidet wird. Verlängern Sie seine Amtsperiode auf neun Jahre.

o   Finden Sie ein Ihrer Partei angehöriges Parlamentsmitglied, das Ihnen bedingungslos Unterstützung zu gewähren willens ist und machen Sie diese Person für eine Amtsperiode von zwölf Jahren zum Präsidenten des Rechnungshofs.

o   Schaffen Sie einen Fiskalrat, der Ihrer Mehrheitskontrolle untersteht. Verleihen Sie diesem Fiskalrat die Macht, das Parlament aufzulösen, sollte diesem nicht gelingen, das Budget zu verabschieden. Das bewahrt Sie vor unerwünschten Budgets für den unwahrscheinlichen Fall, dass Sie Ihre Macht verlieren.  

o   Ernennen Sie einen Präsidenten der ungarischen Wettbewerbsbehörde und zwei Sekretäre nach Ihrem Belieben und zwar für eine Amtsperiode von sechs Jahren. Verfahren Sie auf dieselbe Weise mit der staatlichen Aufsichtsbehörde für Finanzinstitutionen. Verfahren Sie auf dieselbe Weise mit der Ungarischen Zentralbank.

o   Stellen Sie sicher, dass die Getreuen Ihrer Partei nicht aus ihren Positionen entfernt werden können. Verabschieden Sie ein Gesetz, das eine parlamentarische Zweidrittel-Mehrheit verlangt, mit dem Sie die folgenden Personen Ihrer Ämter entheben können: den Präsidenten der Kurie, den Obersten Richter, den Präsidenten der Justizverwaltung, den Staatsanwalt, den Präsidenten des Rechnungshofes. Dies gewährleistet, dass keiner der potentiellen Nachfolger sich Ihrer Leute entledigen kann, solange sie nicht Zweidrittel der Wählerstimmen auf sich vereinen können. Geben Sie den Wähler_innen das Gefühl, dass ihre Stimme vergeudet ist, wenn Sie nicht für Sie stimmen. Investitionen werden nur dort getätigt, wo Ihre Männer das Sagen haben.


Presse

       Finden Sie eine geeignete Person, die der Nationalen Medien-, Informations- und Kommunikationsbehörde (NMHH) vorsteht. Gewähren Sie dieser ausgedehnte Machtbefugnisse für eine Amtsperiode von neun Jahren.

o Errichten Sie einen aus fünf Mitgliedern bestehenden Medienrat, der mit dem Präsidenten der Nationalen Medien-, Informations- und Kommunikationsbehörde zusammenarbeitet.

o Übernehmen Sie die staatliche Nachrichtenagentur (MTI) und alle Medien des öffentlichen Dienstes.
– Entlassen Sie die früheren Angestellten und stellen Sie neue ein.
– Halten Sie sich jene fern, die zu eigenständigem Denken fähig sind.
– Entlassen Sie alle, die die von Ihnen gesetzten Grenzen nicht anerkennen.
– S
tellen Sie sicher, dass alle Medienkanäle Verträge mit der staatlichen Nachrichtenagentur (MTI) unterzeichnen.

o   Stellen Sie sicher, dass jedes Wort, das von Ihrer Nachrichtenagentur kommt, unter Ihrer Kontrolle bleibt, indem Sie nicht gestatten, dass Artikel von den Medienkanälen selbst (den Kunden von MTI) herausgegeben werden.

o   Veranlassen Sie, dass Artikel genau in der von Ihnen abgesegneten Form veröffentlicht werden.

o   Unternehmen Sie rechtliche Schritte gegen jedermann, der Ihre Regeln nicht befolgt.

o   Kontrollieren Sie alle MTI-Angestellten an ihrem Arbeitsplatz.

       Erschweren Sie die Existenzbedingungen der oppositionellen Presse.

§  Legen Sie finanzielle Anforderungen fest, die sie nicht erfüllen können.

§  Stellen Sie Sendefrequenzen nur jenen zur Verfügung, auf die Sie sich verlassen können und die Ihre Erwartungen erfüllen. Beschränken Sie die Reichweite oppositioneller Radiostationen.

§  Veranlassen Sie, dass oppositionelle Nachrichten- und Talk-Radio-Sendungen hauptsächlich Musik übertragen.  

§  Führen Sie Sondersteuern für unabhängige Medienkanäle ein. Unterwandern Sie deren Führungsgremien.

§  Verabschieden Sie Gesetze, die es Ihnen gestatten, alle zu verfolgen, die Nachrichten veröffentlichen, die für Sie nicht von Vorteil sind.

§  Kontrollieren sie den Werbemarkt. Schließen Sie Verträge nur mit jenen ab, die auf Ihrer Seite stehen. Stellen Sie sicher, dass öffentliche Verträge nur jene Radio-, Fernseh- und Printmedien bekommen, die auch bereit sind, Ihre Parteipropaganda zu veröffentlichen.

§  Nutzen Sie ihre Abhängigkeit von Ihnen aus.

§  Wann immer möglich, vergeben Sie einstellige Fernsehsender an staatlich kontrollierte Kanäle. Auf diese Art können technisch nicht versierte Menschen mit höherer Wahrscheinlichkeit nur Ihre Botschaften hören, da sie möglicherweise mit der Fernbedienung nur zwischen Ihren Kanäle hin und herschalten können.

o   Ermuntern Sie die Leute, soviel wie nur möglich fernzusehen.

o   Schauen Sie auf Ihre Mitbürger_innen herab; stellen Sie sicher, dass Ihre Fernsehprogramme Angst und Hass schüren und den Menschen Sündenböcke liefern.

o   Hetzen Sie die Leute gegeneinander auf, damit sie sich nicht um Sie und Ihre Elite kümmern.

o   Zeigen Sie, wer der Chef ist, indem Sie Fernsehkanälen verbieten, das parlamentarische Geschehen zu übertragen, wenn sie nicht gleichzeitig auch Information anbieten, die Sie in einem positiven Licht darstellt.

o   Beschränken Sie die Übertragungsreichweite des einzigen oppositionellen Radiosenders. Zwingen Sie ihn, mehr Musik zu spielen.


Kommunikation

       Sorgen Sie für Chaos und Hysterie und sagen Sie den Leuten, dass Sie die Lösung haben.

o   Stellen Sie den Menschen immer Feindbilder zur Verfügung.

o   Finden Sie ständig neue Feinde.

o   Pflegen Sie schlechte Beziehungen zu den Nachbarländern.

o   Seien Sie immer auf der Seite der Mehrheit; begünstigen Sie niemals Minderheiten.

       Stellen Sie Ihre Ansichten immer so dar als entsprächen Sie jenen der Mehrheit. Sagen Sie den Leuten immer, was sie hören möchten. Lügen Sie kaltblütig und ohne Gefühlsregungen zu zeigen. Kümmern Sie sich nicht um Fakten.

o   Zeigen Sie den Leuten zu Hause, dass Sie sie vor der Europäischen Union beschützen.

o   Gleichzeitig präsentieren Sie sich in Brüssel als die Verkörperung Europas.

o   Wenn jemand Sie oder Ihre Regierung angreift, bringen Sie im Namen Ihrer gesamten Nation Ihre Entrüstung zum Ausdruck. Beschuldigen Sie Ihre Kritiker_innen des Angriffs auf die gesamte Nation und stellen Sie sich als Verteidiger des guten Namens und Ansehens der Nation dar.

       Verbreiten Sie die Meinung, dass die reichen Geldverschwender Respekt verdienen, während sparsame Puritaner mit Verachtung gestraft werden.

       Scheuen Sie nicht vor dem Einsatz von Demagogie zurück.

o   Versprechen Sie, sogar die geringsten Bedürfnisse zu erfüllen.

o   Zögern Sie nicht, von Ihrem Zynismus Gebrauch zu machen; das kann sogar so weit gehen, dass Sie einen verurteilten Mörder gegen Bezahlung frei- und in sein Heimatland ausreisen lassen (so geschehen im Falle des aserbaidschanischen Offiziers, der den armenischen Offizier Gurgen Margaryan brutal ermordet hat).

o   Verkünden Sie, dass andere, folgten sie Ihrem Beispiel, das Leben in ihrem Land verbessern könnten.

o   Zeigen Sie auf, dass die Europäische Union die Freiheit der Nation einschränkt und Sie davon abhält, gute Entscheidungen zu treffen.

       Behaupten Sie, dass jedes Problem von den Fehlern Ihrer Vorgängerregierung herrührt.

o   Streben Sie Gerichtsverfahren an, um Ihre Propaganda in dieser Hinsicht zu unterstützen.

o   Wiederholen Sie in regelmäßigen Abständen, dass die EU Schuld ist.

o   Lenken Sie ständig die negative Aufmerksamkeit auf Ihre Gegner_innen.

       Reformieren Sie die Vorstellung von Kollektivschuld und streuen Sie Erwägungen, Ihre Gegner_innen zu verbieten (wie z.B. die politischen Nachfolger der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei).

       Errichten Sie Gefängnisse.

o   Erhöhen Sie das Ausmaß der Strafen.

       Sagen Sie Ihre Meinung, ungeachtet dessen, wie beschämend Ihre Gedanken auch sein mögen.

o   Schüren Sie Hass gegen Migrant_innen und Einwander_innen. Behaupten Sie, dass sie nicht erwünscht sind und nicht gebraucht werden. Sie sind kulturell verschieden und nehmen den Ungar_innen die Arbeitsplätze weg. Ignorieren Sie die Tatsache, dass mehr als eine halbe Million Ungar_innen im Ausland arbeiten.

o   Wenn Sie Ihren Hass öffentlich zur Schau stellen, bringen Sie immer Ihre eigenen Anhänger mit.  

o   Betonen Sie den auf Stammeszugehörigkeit basierenden, fremdenfeindlichen Geist; spielen Sie Ungarns europäische Identität herunter.


Gewerkschaften und Arbeitsrecht

       Schränken Sie die Rechte der Gewerkschaften ein.

o   Schränken Sie das Streikrecht ein.

o   Schreiben Sie das Arbeitsrecht neu.

o   Verabschieden Sie Gesetze, die Arbeitgeber, nicht Arbeitnehmer_innen schützen.

       Stellen Sie sicher, dass das Arbeitsrecht so beschaffen ist, dass Sie gegenüber Investoren behaupten können, dass Ungarn ihr Geld wert ist.

o   Schließlich sind die Löhne niedriger.

o   Viele Arbeitslose warten nur darauf, arbeiten zu dürfen.

o   Die Pensionen sind gering.

o   Die Gewerkschaften sind schwach, es mangelt ihnen an Mitteln.

o   Die Zivilgesellschaft ist schwach, es mangelt ihr an Mitteln.

o   Die Regierung schaut zu Ihrem Vorteil weg.


Religion und Kirchenpolitik

       Desavouieren Sie den Säkularismus.

o   Beginnen Sie mit dem Prozess der Einigung von Kirche und Staat.  

       Agieren Sie so als wären Sie eine Art Religion oder Kirche.

o   Entwickeln Sie Ihre Politik rund um Emotionen und stellen Sie Ihren Anhängern gegenüber den Glauben als verbindende Kraft dar.

       Binden Sie die wichtigsten historischen Kirchen an Ihre Bewegung und sorgen Sie dafür, dass von jeder Kanzel herab Ihre Arbeit gepriesen wird.

       Sie entscheiden, wer als offizielle Kirche anerkannt wird.

o   Entziehen Sie jeder Kirche die Zulassung, die nicht kooperationsbereit ist.

o   Gewähren Sie großzügige finanzielle Unterstützung an alle zur Zusammenarbeit mit Ihnen bereiten Kirchen.


Ombudsmann-System

       Vereinfachen Sie das Ombudsmann-System – Sie brauchen nicht so viel Feedback.

       Schaffen Sie die Parlamentarische Kommission für Künftige Generationen ab.

       Schaffen Sie die Parlamentarische Kommission für die Rechte von Nationalen und Ethnischen Minderheiten ab.


Wahlsystem

       Denken Sie sich ein Wahlsystem aus, das Ihnen und Ihren Interessen nutzt.

o   Ändern Sie das Gesetz entsprechend, um sicherzustellen, dass das Kräftegleichgewicht eines zu Ihren Gunsten ist.

       Sichern Sie sich mittels Zweidrittelmehrheit die Kontrolle über das Staatliche Wahlbüro und die Staatliche Wahlkommission.

o   Begrenzen Sie die Möglichkeit der Abhaltung von Volksabstimmungen.

o   Legen Sie eine widersinnig hohe Beteiligungsquote für die Gültigkeit eines Referendums fest.

o   Erschweren Sie die Möglichkeit, eine Petition zur Abhaltung einer Volksabstimmung einzubringen. Stellen Sie Anforderungen auf, deren Erfüllung fast unmöglich ist oder zumindest Ihre Interessen begünstigt.

       Verleihen Sie ungarisch-stämmigen Menschen aus Nachbarländern die Staatsbürgerschaft und das Wahlrecht.

o   Ermöglichen Sie ihnen die Briefwahl. Machen Sie sich keine Gedanken darüber, dass die Konsequenzen ihrer Wahl Sie in keiner Weise betreffen.

o   Erschweren Sie die Möglichkeit, das Wahlrecht auszuüben für ungarische Staatsbürger_innen, die ihren Lebensunterhalt im Ausland verdienen.


Zivilgesellschaft & NGOs

       Lösen Sie zivilgesellschaftliche Organisationen auf, die nach 1989 gegründet wurden und ersetzen Sie sie durch neue.

o   Denken Sie daran, dass zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für die Interessen von Frauen, für Menschenrechte und die Umwelt einsetzen, eine Gefahr darstellen, insbesondere wenn sie vom Westen unterstützt werden. Sie stellen Hindernisse für Ihre reibungslos verlaufende Regierungstätigkeit dar.

o   Zwingen Sie sie, sich neu zu registrieren.  

o   Zwingen Sie sie, formal ihre politische Neutralität zu erklären, indem sie diese in ihren Artikeln festschreiben.

o   Machen Sie es beinahe unmöglich, dass Organisationen als im „Dienst an der Allgemeinheit” stehend angesehen werden (was sie dann anspruchsberechtigt auf besondere Unterstützung machen würde, zu der auch der Zugang zu Daten gehört, die ihnen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben helfen).

       Unterstützen Sie nur Organisationen, die Ihnen gehören.

o   Zum Beispiel, unterstützen Sie Organisationen, die die christlichen Traditionen der Zwischenkriegszeit hochhalten.


Historische Perspektive

       Fälschen Sie die Geschichte.

o   Machen Sie den Verdienst des Lebensunterhalts von Historiker_innen davon abhängig, dass sie Ihre Interpretation der Geschichte teilen. Drohen Sie ihnen anderenfalls mit Arbeitslosigkeit. Belohnen Sie jene, die die Geschichte entsprechend Ihrer ideologischen Ansichten interpretieren.  

o   Kümmern Sie sich nicht darum, dass noch viele Zeitzeug_innen für jene Ereignisse am Leben sind, die Sie gerade fälschen. Malen Sie ein düsteres Bild von vergangenen Regierungen. Betonen Sie Ihren Erfolg und präsentieren Sie ein rosiges Bild von der Zukunft.

   Vergessen Sie nicht, dass Sie die Erinnerungspolitik neu zusammensetzen. Zerstören Sie das Bild der sogenannten Sozialisten und Kommunisten. Verankern Sie sich selbst im Gedächtnis der Menschen als wahren Vertreter der Neo-Horthyschen Politik.

o   Fügen Sie die unterschiedlichen Epochen der sozialistischen Ära zu einer monolithischen Masse zusammen; betonen Sie die schlimmsten Aspekte und stülpen Sie sie der gesamten Periode über.

   Ignorieren Sie alle positiven Veränderungen, die die frühere Ära kennzeichneten wie bspw. das Ende der Primogenitur, die Verteilung des Landes auf mehrere Personen und den allgemeinen Bildungszugang. 

o   Vermengen Sie die sozialistischen Jahre mit jenen der Diktatur der Pfeilkreuzler.

   Stellen Sie den kommunistischen Roten Stern auf dieselbe Ebene wie das Hakenkreuz.

   Verbieten Sie diese Symbole gemeinsam.

   Errichten Sie ein sogenanntes Museum, das über die sozialistische Periode Lügen und Falschinformation verbreitet.

   Löschen Sie jegliche Erinnerung an das Museum der Arbeiterbewegung aus, geradeso als ob es diese Bewegung niemals gegeben hätte.

   Gründen Sie eine Kommission zur Umbenennung von Straßen. Benennen Sie alle Straßen neu, die nach Märtyrern der ungarischen linken Bewegung benannt waren. Benennen Sie Straßen nach faschistischen Kollaborateuren. Stellen Sie die Geschichte der Sowjetunion als die Geschichte eines verbrecherischen Staates dar.

o   Bezeichnen Sie alles, das sich vor dem Systemwandel von 1989 ereignete als „kommunistisch“.

   Ignorieren Sie die Tatsache, dass das System niemals von sich behauptet hat, ein kommunistisches zu sein, sondern eines, das die Voraussetzungen für den Kommunismus schuf.

   Ignorieren Sie die Tatsache, dass das vorhergehende System bestrebt war, sich zu reformieren.

o   Sprechen Sie von der Regierung von Ferenc Gyurcsány und Gábor Bajnai als die Zeit vergifteter acht Jahre.

   Stellen Sie sicher, dass Ihre Botschaft direkt an die wenig informierte Mehrheit der Wähler_innen gerichtet ist. Denken Sie daran, dass die Intellektuellen der Nation Sie wählen werden, da Sie den Ihnen Ergebenen einen Weg mit vielen Möglichkeiten eröffnen.  

       Entfernen Sie die Statuen historischer Personen, die Ihre Sicht der Geschichte nicht teilen.

       Geben Sie Statuen von Anführern in Auftrag, die die Nation in zwei Weltkriege geführt haben.

o   Erinnern Sie sich daran, dass auch wichtigen Figuren aus der Horthy-Ära Statuen zustehen. Machen Sie diese Personen zum Gegenstand von Schulunterricht – Albert Wass, József Nyírő, Cécile Tormay, Bálint Hóman.

       Stellen Sie sich als Architekt eines neuen autoritären Systems dar.

o   Sollte jemand Sie kritisieren, fragen sie diese Personen, ob sie lieber in einem Land lebten, das der Kontrolle von ausländischen multinationalen Konzernen unterstehe.


Sprachgebrauch

  • Verwenden Sie eine besondere Sprache.
  • Eignen Sie sich die Wörter an.
  • Der Begriff „Staatsbürger“ gilt nur für Sie und Ihre Anhänger.
  • Nationalfeiertage sind ebenfalls für Sie und Ihre Anhänger reserviert.
  • Die Fahne, das Staatswappen und andere nationale Symbole repräsentieren Sie und Ihre Anhänger.
  • Halten Sie Ihre Botschaft möglichst einfach.
  • Bedenken Sie, dass sich die Mehrheit der Wähler_innen nur selten mit Politik befasst.
  • Solle jemand sie angreifen, sagen Sie immer, dass es sich dabei um einen Angriff gegen die gesamte ungarische Nation handle.

Was meinen wir mit „Fidesz”?

Das Rezept für Fidesz ist eindeutig ungarisch: Das sogenannte Neue Nationale System der Zusammenarbeit [4] bezeichnet eine illiberale [5] Demokratie (auf der Grundlage europäischer, christlicher Ideen), und die Regeln dieser Zusammenarbeit nicht zu befolgen ist eine Schande.[6] Seine chemische Zusammensetzung ist messbar und befindet sich im Periodensystem der Elemente.

Orbán, der (An)Führer

Orbán konsolidiert soeben seine Macht, indem er taktisch den alten Gegensatz zwischen dem urbanen Budapest und den ländlichen Gegenden manipuliert. Seine Kenntnis der 70% ausmachenden Landbevölkerung, mit ihren gänzlich anderen Lebensvoraussetzungen, spielt dabei eine größere Rolle.
Er baut seine Macht aus, indem er von einem mit Mikrofon ausgestatteten Podium aus zu den Menschen spricht und ihnen sagt, was sie hören möchten, wobei er auf das kollektive Unbewusste der Menschen suggestiv einwirkt. Er behauptet, der Nation ihre geistige Einheit und ihre große und stolze Vergangenheit zurückzugeben. Als Gegenleistung erwartet er Abhängigkeit. Sein Verlangen kennt keine Grenzen. Er ist bereits dabei, die seit dem Vertrag von Trianon geltenden Grenzen Ungarns zu überschreiten. Unter seiner Herrschaft ist die Xenophobie salonfähig geworden, wobei alte ungarische Reflexe wieder zum Vorschein kommen.
Er behauptet, dass Fidesz die Nation gegen Ausländer_innen verteidigt, während er diese an die Nachbarn abschiebt. Gleichzeitig steigen Antisemitismus und Romafeindlichkeit. Wie in dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider” wagen es Orbáns Anhänger nicht, ihre Stimme gegen ihren (An)Führer zu erheben, der nur seine eigenen Interessen im Blick hat.
Orbán duldet keinen Widerspruch. Als jugendlicher Teenager litt er unter der strengen Hand seines Vaters, inzwischen ist er zu einem machthungrigen Diktator herangewachsen, der jede Schwäche der Demokratie gegen diese wendet.

Schlussfolgerungen

Die größte linksgerichtete Oppositionspartei, die Ungarische Sozialistische Partei (MSZP; sie hält gegenwärtig einen Stimmenanteil von 10%), hat noch immer die wirklichen Wurzeln ihrer Niederlage nicht erfasst: Sie haben sich von ihrem politischen Erbe abgewandt und sind voll auf den neoliberalen Kurs eingeschwenkt. Viele ihrer Politiker_innen hoffen noch immer, dass Fidesz einen gravierenden Fehler begehen wird, der der Opposition wieder an die Macht verhilft und ihr ermöglicht, mit den von ihr bevorzugten Vertretern der Wirtschaft zusammenzuarbeiten. Weiterhin verabsäumen sie es, eine öffentliche Selbsteinschätzung vorzunehmen, in der sie anerkennen müssten, dass der sogenannte „Revolutionär in der Wahlkabine“ nicht nur das Ergebnis falscher Versprechungen von Fidesz ist, sondern auch der Grund, weshalb die Mehrheit der Wähler_innen den früheren liberalen und neoliberalen Kurs der MSZP-Sozialdemokratie ablehnt.
Die MSZP muss erneuert werden. Einige schwache Versuche in diese Richtung wurden bereits unternommen. Bevor die Wähler_innen jedoch nicht sehen können, dass die MSZP zu ihren traditionellen sozialistischen Werten zurückgekehrt ist, wird die Partei jenen Teil der Bevölkerung nicht erreichen, die willens wäre, ihr die Stimme zu geben.
Die zweite Partei, die als relevant angesehen werden kann, ist die LMP (Politik Kann Anders Sein). Deren Vertreter_innen meinen jetzt, dass es – um Fidesz zu besiegen – wichtig sei, eher als unabhängige Partei an Stärke zu gewinnen als einem Parteienbündnis beizutreten. Einige behaupten, es handle sich dabei um eine Grüne Partei, die zu Unrecht in trüben Gewässern fischt (z.B. unterstützen die Hälfte ihrer Parlamentarier_innen den Trianon-Gedenktag – einen Feiertag, der der Ungerechtigkeit gedenkt, die Ungarn 1920 von dem mit den Alliierten im Schloss Trianon bei Versailles (Frankreich) geschlossenen Vertrag aufgezwungen wurde. Kurz gesagt, ist ihnen ihr eigener Stimmenzuwachs noch immer wichtiger als die Interessen des Landes.
Es ist keine leichte Aufgabe, mit anderen zusammenzuarbeiten. Zuallererst gilt, dass unterschiedlich denkende und unterschiedlich starke politische Kräfte nur dann zusammenarbeiten können, wenn sie vereinbaren, einander nicht ändern und besiegen zu wollen. Sie müssen erkennen, dass sie alleine nichts ausrichten können: Parteien der Linken müssen ein Bündnis bilden, das in Ungarn sowohl die Demokratie als auch das republikanische Wertesystem – und zwar auf Grundlage guter Beziehungen zur Europäischen Union – wiederherstellen kann. Experimente dieser Art sind in Portugal bereits im Gange, wo drei linksgerichtete Parteien sich zu einem Bündnis zusammengefunden haben.
Leider sehe ich kaum Chancen dafür, dass das griechische, portugiesische und spanische Modell in Ungarn heute erfolgreich umgesetzt werden könnte. Die gegenwärtige Regierungskoalition wird sich mit nichts weniger als Wahlerfolgen zufriedengeben. Die Worte des vor kurzem verstorbenen Attila Csernok beschreiben Orbáns Methoden nur zu gut: „Er [Orbán] handelt gegen die eigene Bevölkerung, indem er deren Unwissenheit benutzt, um einzelne Gruppen gegeneinander auszuspielen und sie dazu bringt, sich gegen jegliche Menschlichkeit zu positionieren“. Auch Orbáns eigene Worte, gesprochen anlässlich seiner Wiederwahl als Vorsitzender der Fidesz-Partei am Parteitag im Dezember 2015, verdeutlichen dies: „Menschenrechte, Offenheit und Toleranz sind zweitrangige Werte.“ Dasselbe gilt für die Worte von László Kövér, dem Parlamentspräsidenten, die dieser am selben Parteitag unter tosendem Applaus sprach: „Wir wissen, was wir wollen und was nicht. Wir wollen keine offene Gesellschaft, die gegenüber jeglicher Manipulation von außen wehrlos ist. Wir wollen keinen Genderwahn. Wir wollen Ungarn nicht zu einer Gesellschaft ohne Zukunft werden lassen, voller Männer hassender Frauen und femininer Männer, die sich vor Frauen fürchten, die in Kindern und Familien nur Hindernisse für ihre Selbstverwirklichung sehen. (Es folgt langer Applaus, der Redner hat seinen Blick direkt auf die Delegierten gerichtet). Wir möchten, dass unsere Töchter den höchsten Ausdruck ihrer Selbstbestimmung darin sehen, uns Enkelkinder zu gebären. Wir wollen keine Vereinigten Staaten von Europa, die im Gegensatz zu unseren nationalen Werten von korrupten Bürokraten in Brüssel regiert werden. Anstelle eines christlichen Europas wollen wir nicht ein multikulturelles Europa sehen. Ich sollte anmerken, dass dies missverstanden werden könnte, denn wir hatten bereits einmal, während der Monarchie, eine multikulturelle Gesellschaft. Was jetzt in Europa geschieht, ist nicht Multikulturalismus, sondern ein Experiment, praktiziert von denjenigen, die die eingeborenen Europäer ihrer eigenen Kultur berauben und Europa in einen Besiedelungsraum für entwurzelte Barbaren verwandeln wollen (langanhaltender Applaus, der Sprecher hebt den Blick von seinem Text), die sich mit den Einheimischen vermischen und die neue Schicht der Wähler und Konsumenten bilden sollen.“
Es steht viel auf dem Spiel. Die europäischen Bürger_innen hofften, dass die Europäische Union ein Ende des Krieges auf dem europäischen Kontinent bringen würde. Frieden erhaltende Ziele haben noch immer Priorität gegenüber anderen Werten. Alle Politiker_innen, die das nicht sehen, müssen abgewählt werden.
Die politische Lage, die Fidesz und Jobbik geschaffen haben und kontrollieren, ist eine angespannte. Der soziale Niedergang konnte nicht gebremst werden; eine Erneuerung der Linken steht noch aus. Mit Hilfe der Europäischen Linken müssen wir jene Art der politischen Solidarität schaffen, die nicht von selbst entstehen kann.
Übersetzung aus dem Englischen: Nima Obaro
Anmerkungen

[1] Miklós Horthy vollzog seinen Aufstieg innerhalb der österreichisch-ungarischen Marine und wurde deren letzter Admiral. Mit Unterstützung der Entente, die nach dem Zusammenbruch der 131 Tage währenden ungarischen Sowjetrepublik gegen eine Rückkehr der Habsburger an die Macht eintrat, wurde er Regent des Königreichs Ungarn. Als Regent führte er die Zensur ein und manipulierte die Unabhängigkeit der Justiz. Um Rache an den Unterstützer_innen der kurzlebigen ungarischen Sowjetrepublik zu nehmen, griff er zu drakonischen Maßnahmen. Während seiner 24 Jahre dauernden Regentschaft führte er Ungarn in einen Krieg gegen die Sowjetunion (der seinerseits zum Untergang der Zweiten Ungarischen Armee am Don führte). Später erklärte er den Alliierten den Krieg. Im Jahr 1941 deportierte er alle Juden und Jüdinnen, die keine ungarische Staatsbürgerschaft besaßen (einschließlich jener, die sich als Flüchtlinge im Land aufhielten), aus Ungarn. Während seiner Herrschaft beschloss Ungarn drei sogenannte „Judengesetze“ (1938, 1939, 1941). Spätestens seit 1942 wussten Horthy und seine Vertrauten (einschließlich Journalisten) über das Schicksal der Juden und Jüdinnen, die sie deportierten, Bescheid.

[2] Aus der Rede von Victor Orbán.

[3] Aus der Rede von Victor Orbán.

[4] Ministerpräsident Orbán Viktor und seine Regierung (kormánya) haben nach den Parlamentswahlen von April 2010 ein Abkommen zur Errichtung eines neuen politischen Systems, dem sogenannten Neuen Nationalen System der Zusammenarbeit, unterzeichnet (2010. áprilisi országgyűlési választásokon).

[5] Das Konzept einer illiberalen Demokratie steht seit Orbáns Rede vor einem überwiegend aus Siebenbürgen stammenden ungarischen Publikum in Tusnádfürdő, Rumänien (Băile Tușnad) am 25. Juli 2014, in der er sein System als „illiberal“ bezeichnete, im Zentrum der Aufmerksamkeit.

[6] „Der Glaube zeigt den Weg und wir folgen blind” – Benjamin Franklin. Laut einer Umfrage des öffentlichen Meinungsforschungsinstituts Median vom 9. Dezember 2015, würden 50% der Wähler_innen, die sicher sind, dass sie sich an der Wahl beteiligen werden, einer Fidesz-KDNP (Christlich-Demokratische Volkspartei) Koalition ihre Stimme geben. Das ist die beste Wahlprognose einer Partei zur Hälfte ihrer Amtszeit in der Regierung seit dem „Regimewechsel“ im Jahr 1990. Diese Prognose erklärt sich aus der Xenophobie, die von Fidesz während der „Flüchtlingskrise“ im Sommer geschürt und angeheizt wurde.