Regionalwahlen in Tschechien

Am 7. und 8. Oktober 2016 wurden die Regionalparlamente in dreizehn tschechischen Regionen (mit der Ausnahme von Prag) gewählt.* In einem Drittel der Wahlkreise fanden gleichzeitig Senatswahlen statt. Traditionelle Links- wie auch Rechtsparteien mussten deutliche Verluste hinnehmen.

Laut dem Tschechischen Statistikamt (CSU) lag die Beteiligung bei den Regionalwahlen bei 34,6%, was etwa 2,3% unter dem Vergleichswert aus dem Jahr 2012 bedeutet – dem Jahr der letzten Regionalwahlen – bzw. 33,5 % beim ersten Wahlgang der Senatswahl. Mehr als 80 Parteien waren angetreten, wovon es letztendlich jedoch nur 28 schafften, Mandate in den tschechischen Regionalparlamenten zu erreichen.
Gewinnerin der Regionalwahlen ist zweifellos die ANO, die Partei von Finanzminister Andrej Babiš, der es gelang, 21,1% der Stimmen auf sich zu vereinen. Sie übernahm somit in neun der dreizehn tschechischen Regionen die Führung. Die Partei war im Jahr 2011 von Milliardär Babiš als Anti-Korruptionsbewegung mit Mitte-rechts-Programm gegründet worden, und die aktuellen Regionalwahlen waren die ersten ihrer Art, an denen die ANO teilgenommen hatte. Erwähnenswert ist, dass in der Geschichte der Regionalwahlen bisher keiner Partei gelungen war, mit einem derart niedrigen Ergebnis eine Wahl zu gewinnen[1].
Die ČSSD, eine sozialdemokratische Partei links der Mitte, der Premierminister Bohuslav Sobotka vorsitzt und die Regionalwahlen 2012 gewonnen hatte, belegte mit 15,3% der Stimmen den zweiten Platz. Sie musste massive Einbußen hinnehmen und gewann nur noch zwei der neun Regionen, die sie noch 2012 gewonnen hatte. Sobotka gestand seine Niederlage ein und konstatierte, dass die Partei die Botschaft der Wähler_innen verstanden habe und nun an neuen Programmideen arbeite. „Die Menschen in den Regionen haben ihren Wunsch nach Veränderung deutlich zum Ausdruck gebracht“, so Sobotka.
An dritter Stelle steht die Kommunistische Partei von Böhmen und Mähren (KSČM), die 10,6% der Stimmen erhielt. Leider bedeutet dieses Ergebnis beträchtliche Einbußen für die Partei: Sie verlor mehr als die Hälfte ihrer Mandate im Vergleich zu 2012. Es handelt sich dabei ganz klar um das schlechteste Ergebnis der Parteigeschichte bei Regionalwahlen (laut Statistikamt gewann sie im Jahr 2000 21,14%, 2004 19,68%, 2008 15,03% und 2012 20,43%). Das Ergebnis kam völlig überraschend, da in der letzten Legislaturperiode die KSČM gemeinsam mit der ČSSD die Mehrheit der Regionen regiert hatte und es keine Anzeichen dafür gab, dass die Menschen mit der Situation besonders unzufrieden gewesen wären. Darüber hinaus konnte man sich in der Vergangenheit immer auf darauf verlassen, dass die KSČM-Wähler_innen zur Wahl gingen und der Partei ihre langfristige Unterstützung schenkten. Dieses Jahr musste die KSČM also die schmerzliche Lektion lernen, dass dies nicht ewig der Fall ist.
Die ODS (Demokratische Bürger_innenpartei), eine Mitte-rechts-Partei, gewann 9,4% der Stimmen. An nächster Stelle stand die KDU-ČSL, die Christlichen Demokrat_innen, die auch in einer Region siegten. Die Rechtspartei TOP 09 verlor deutlich und schaffte es lediglich auf 3,4% der Stimmen. Ihr Parteichef Miroslav Kalousek gab der niedrigen Wahlbeteiligung unter dem Stimmverhalten junger Wähler_innen dafür die Schuld.
Erwähnenswert ist auch der Sieg der SLK (Bürgermeister_innen für die Region Liberec) in der Region, in der sie angetreten waren.
Interessante Sondierungsgespräche
Obwohl manchmal von einem Siegeszug der ANO die Rede ist, da sie in der Mehrheit der Regionen gewonnen hat, malen die Zahlen anderes Bild: Insgesamt erhielt die ANO nur ein Fünftel der Stimmen. Daher kann sie die Regionen nicht ohne strategische Koalitionspartner_innen regieren. Die tschechischen Wähler_innen sandten also der ANO ein starkes Signal, indem sie sagten „Allein kannst du nicht regieren – also mach das Beste daraus“. Dies könnte sich allerdings als schwierige Aufgabe entpuppen, da die Wähler_innen ihre Stimmen sehr gleichmäßig auf die neu gegründeten Parteien und Bewegungen verteilten, die es bisher nur auf regionaler Ebene gibt. Das Ergebnis ist eine Zersplitterung der Parteienlandschaft; in vielen Regionen hat sich die Anzahl der Parteien, die in die Regionalparlamente gewählt wurden, verdoppelt. Dies gilt beispielsweise für die Region Südmähren, wo statt fünf Parteien, wie seit 2012, nunmehr neun Parteien im Parlament vertreten sind. Dazu kommt, dass die meisten dieser Newcomer nach rechts tendieren und unklaren Parteiprogrammen folgen. Man wird erst sehen, ob ihnen gelingen wird, langfristig zu überleben.
Wenn wir andererseits das Ergebnis für die Regierungskoalitionsparteien analysieren, zeigt sich, dass ČSSD, ANO und KDU-ČSL ein signifikantes Maß an Unterstützung durch die Wähler_innen erfahren haben – zusammen erhielten sie etwa 43%. Insgesamt ist davon auszugehen, dass sie mit dem Ergebnis relativ zufrieden sind. Das Schließen von Koalitionsvereinbarungen ist noch kein automatisierter Prozess, da die Partnerschaft sehr eng ist. Andere Gewinnerparteien werden dazu tendieren, die Siegerpartei ANO zu umgehen. Es wird also interessante Sondierungsgespräche zu verfolgen geben.
Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass dieses Wahlergebnis deutliche Verluste sowohl für die traditionelle Linke als auch die traditionelle Recht überall im ganzen Land bedeutet. Auch für die Grünen Parteien war diese Wahl nicht erfolgreich, obwohl sie versucht hatten, sich in ihrer politischen Orientierung den westeuropäischen Grünen Parteien anzunähern.
Ein Blick auf das Verhältnis zwischen Frauen und Männern in den neu gewählten Regionalparlamenten zeigt, dass in den Regionen nun 137 Frauen Mandate erhalten haben, was einem Prozentsatz von 20,3% entspricht. Damit handelt es sich um das beste Ergebnis in der Geschichte der Regionalwahlen, wenn auch seit 2012 nur ein Zuwachs von 0,4% zu verzeichnen ist.[2]
Die ANO stand auch nach dem ersten Wahlgang der Senatswahlen an erster Stelle und gewann 27 der 81 Mandate. Beim zweiten Wahlgang am 14. und 15. Oktober wird sie 14 Kandidat_innen präsentieren, die acht Sozialdemokrat_innen (ČSSD) und acht Kandidat_innen der KDU-ČSL gegenüberstehen.
10.10.2016
Siehe auch die weiterführenden Dokumente in der rechten Spalte.

Anmerkungen 

* Die Regionalparlamente entscheiden im Bereich der Gesundheitsversorgung, Schulen, Verkehr und anderen Dienstleistungen. In der Hauptstadt wurden keine Wahlen abgehalten, weil Prag ein Status als Stadt und nicht als Region zukommt.

[1] Ergebnisse der Siegerparteien bei vergangenen Regionalwahlen: Im Jahr 2000 gewann die ODS mit 23,8%, 2004 die ODS mit 36,4%, 2008 ČSSD mit 35,9% und 2012 ČSSD mit 23,5%.
[2] Die Daten basieren auf Analysen des Forum 50%: http://padesatprocent.cz/