Gegen eine Politik der Angst

Das Stimmenergebnis von 10,2% für den portugiesischen Linksblock (Bloco de Esquerda – BE) bedeutet eine Verdoppelung seiner Vertretung im Parlament.

Selten wurde in der Geschichte Portugals Wahlwerbung effektiver eingesetzt als dies den beiden Koalitionsparteien und Austeritätsbefürworterinnen PSD und CDS-PP diesmal gelang. Die hohe Wirksamkeit ihrer Propaganda, die zusätzlich durch fehlerhafte Informationen der Europäischen Kommission unterstützt wurde, machte die inhaltliche Leere des politischen Programms der Parteien vergessen und ließ die verheerenden Folgen der Austeritätspolitik in einem positiven Licht erscheinen. So effizient PSD und CDS-PP in puncto Wahlwerbung waren, so ineffizient dagegen die Sozialistische Partei (PS) mit ihren strategischen Schwächen.
Das Bekenntnis zum Kampf gegen die Austeritätspolitik war es schließlich, das zum exponentiellen Wachstum der radikalen Linken mit eindrucksvollen Zugewinnen für den Linksblock (BE) führte. Der Wahlerfolg der Partei ist auch darauf zurückzuführen, dass sie sich auf die konkreten Auswirkungen der Austeritätspolitik (Arbeitslosigkeit, Prekarität, soziale Ungleichheit, sowie klare Positionen zur internationalen Situation und der EU) konzentriert hatte und die Parteivorsitzende des BE, Catarina Martins, damit eine politische Botschaft für die Aktivist_innen innerhalb und außerhalb der Partei formulieren konnte.
Die Faktoren Wahlwerbung und Anti-Austeritätspolitik führen somit zu einem Verhandlungsprozess, der das entstehende politische Rahmenwerk beeinflussen wird.
 

Die Politik der Angst


„Hör zu, was ich dir sage / ich werde dir ein Geheimnis erzählen / mit der Angst der Welt kann man viel Geld machen“
, rappt der portugiesische Musiker Capicua offen über seine Sorgen als Bürger. Der Jahre vor der aktuellen Wahl verfasste Songtext kritisiert die für politische und wirtschaftliche instrumentalisierte Angst.
Angst bildete auch den Rahmen für ein leeres und unpräzises Wahlprogramm, das sich auf neblige Indikatoren stützte, die wirtschaftliche Erholung und eine Reduktion der Arbeitslosigkeit und vorhersagten. Diese Indikatoren, die das Ergebnis umfassender statistischer Manipulation waren, trugen zur Entwicklung eines Szenarios bei, das mit dem Rückfall in die erste Phase der Krise drohte. Die Angst diente dabei als Schutzschild gegen die katastrophale Gesamtbewertung der bisherigen Regierungsarbeit. Die Austeritätsregierung droht dem Land mit der Aussicht auf noch schlimmere Austeritätsmaßnahmen, obwohl sie die gleichen Akteur_innen wie bisher, nur unter einem anderen Deckmantel, weiterarbeiten lassen möchte.
Gleichzeitig muss sich die PS mit der Zögerlichkeit ihrer eigenen Agenda auseinandersetzen. Diese sieht als Einsparungsquellen Kürzungen im Sozialbereich, das Einfrieren der Pensionen und die Flexibilisierung des Arbeitsrechts vor und schwankt zwischen „europäischen Verpflichtungen“ und abgeschwächten Austeritätsmaßnahmen. Als Aushängeschild der Partei dient ein liberaler Ökonom, der mit der Attitüde eines Bankiers auftritt (und beinahe die Personifizierung von Marx‘ ironischem „sozialen Widerspruch in Aktion“ darstellt) und es nicht schafft, Menschen zu mobilisieren.
Erstmals entschloss sich jedoch ein beträchtlicher Anteil der Wähler_innen dazu, ihre Stimme dem BE als lebendige politische Option zu schenken, die sich in ihren Aktivitäten stets auf effektive Regierungsführung konzentriert.
Das schlussendliche Wahlergebnis zeigt – trotz der verzweifelten Argumentation der Rechten –, wie Angst auch oft jene befällt, die sie sich zunutze machen wollten. Um es wieder mit Capicuas Worten zu sagen, „Sie haben Angst, dass wir keine Angst mehr haben könnten“.
 

Echte Menschen mit echten Menschen

 
Foto: Paulete Matos
Der Refrain „Echte Menschen“ hatte doppelte Bedeutung. Er diente zum einen als Kampagnenslogan und damit als Kontrast zu den Image-Models, die die Wahlplakate der rechten Koalition schmückten. Er galt aber auch als Reaktion auf die „gefakten“, von der PS angeworbenen  Arbeitslosen, die von den Medien und in sozialen Netzwerken mit Verachtung gestraft wurden. Es handelte sich also um einen Aufruf von konkreten, echten Menschen an konkrete, echte Menschen.
Dieses Motto passte auch zur internationalen Solidarität mit den Flüchtlingen. Es war eine linke Antwort auf die von anderen Akteur_innen im Wahlkampf verwendete Beamtensprache und kennzeichnete die klare Position der Partei gegen Austerität.
Die Klarheit, mit der im Wahlkampf eine alternative Regierung skizziert worden war, setzte das Argument der „taktischen Stimme“ teilweise außer Kraft und stellte die Austerität ins Zentrum des wirtschaftlich-politischen Projekts, gegen das es zu kämpfen gilt. Diese Kombination verstärkte die Positionen des BE.
Zwei zentrale Konsequenzen für die kommenden Verhandlungen:
1. Der BE konnte sich als politische Kraft behaupten und Antworten auf die drängendsten Fragen geben. Seine gesamte Kampagne verstärkte, was Catarina Martins in ihrer Wahlerklärung betont hatte: „Eine rechte Minderheitskoalition kann keine Regierung stellen, wenn ihr die Demokratie keine Mehrheit schenkt. Der BE wird sie jedenfalls sicher nicht unterstützen“.
2. Die rechte Koalition, die rund 700.000 Stimmen verloren und somit ihre absolute Mehrheit eingebüßt hat, liegt nur noch 4% vor der PS. Dies wird der PS in ihrer Entscheidung Antrieb verleihen, entweder die rechte Koalitionsregierung zu akzeptieren oder eine alternative Regierung mit dem BE, der Kommunistischen Partei und den Grünen (CDU) zu verhandeln. Diese Sackgasse illustriert deutlich das untätige Zögern der sozialdemokratischen Parteien in der Bewältigung der Krise. Es handelt sich um eine Sackgasse, die in der portugiesischen Situation relativ offen zur Schau tritt. Während ich diese Zeilen verfasse, hält die PS eine interne Debatte dazu ab, ob sie sich für eine Parteispitze entscheiden soll, die der politischen Mitte angehört und einen Konsens mit der Linken ablehnt, oder für eine Alternative, die ihren eigenen sozialen Wurzeln eher entspricht und zumindest dazu imstande ist, die Grundrechte zu respektieren.
Die nächsten Tage werden sich als entscheidend erweisen. Die Fronten sind klar: Sollte eine Alternative zur Rechten tatsächlich eine Option darstellen, kann dies nur eine Abwendung von der Austeritätspolitik bedeuten, was davon abhängt, ob es der PS gelingt, sich auf eine Tendenz festzulegen. Wenn jedoch die Bestätigung einer rechten Minderheitsregierung den Weg nach vorne darstellt, können wir uns auf eine Identitätskrise nicht nur im Herzen der portugiesischen PS gefasst machen, sondern auch auf eine verstärkte Reflexion zur Identitätskrise, die die gesamte europäische Sozialdemokratie erfasst hat.
Die weitere Arbeit der Kräfte der radikalen Linken wird auf der Zusammenarbeit mit den Menschen auf der Straße und den sozialen Bewegungen beruhen, die eine neue Politik gegen die Angst möglich machen.